Von Jürgen Klute

Am 24. April jährte sich die Katastrophe von Rana Plaza in Bangladesh zum 10. Male. Dabei handelte es sich um ein mehrstöckiges Gebäude, in dem Textilfabriken und Geschäfte untergebracht waren. Das Gebäude stand in Sabhar, einer Stadt rund 25 km nordwestlich der Hauptstadt von Bangladesch, Dhakar. Bereits einen Tag vor der Katastrophe, am 23. April 2013, wurden Risse in dem Gebäude festgestellt. Der Zutritt zu dem Gebäude deshalb durch die örtliche Polizei verboten. Dennoch wurden die Textilarbeiterinnen von ihren Firmen gezwungen, weiter in dem als baulich unsicher eingestuften Fabrikgebäude zu arbeiten. Am 24. April kam es dann zum Einsturz des Gebäudes. 1135 Menschen wurden durch den Einsturz getötet und weitere 2438 verletzt. Bis heute gilt dieser Einsturz als der größte Fabrikunfall in Bangladesch. Infolge dieser Katastrophe kam es zu internationalem Druck auf die politisch Verantwortlichen in Bangladesch, der tatsächlich zu einigen Verbesserungen des Schutzes von ArbeitnehmerInnen führte.

Debatte des Europäischn Parlaments über die Rana-Plaza-Katastrophe und über die EU-Lieferketten-Richtlinie

Am 31. Mai 2023 hatte das Europäische Parlament (EP) zur Erinnerung an diese Katastrophe im Rahmen der monatlichen kurzen Plenartagung in Brüssel eine rund einstündige Debatte unter dem Thema „10 years anniversary of the Rana Plaza Collapse in Bangladesh“ („10 Jahre nach dem Einsturz des Rana Plaza Fabrikgebäudes in Bangladesch“) angesetzt. Vertreter aller im EP vertretenen Fraktionen haben sich dazu zu Wort gemeldet. Durchgehend verurteilten die Rednerinnen und Redner die laxen politischen Regelungen, die seinerzeit zu dieser Katastrophe führten. Einige verwiesen darauf, dass sich die Schutzregeln für ArbeiterInnen in Bangladesch in den letzten 10 Jahren verbessert hätten, dass sie aber dennoch nach wie vor zu wünschen übrig ließen. Abgeordnete der linken Fraktionen im EP erinnerten zu dem daran, dass die Textilfirmen in Bangladesch auch für den europäischen Markt billige Textilien produzieren. Daher trügen auch europäische Textilketten eine Mitverantwortung an den Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern, da der Kostendruck der europäischen Abnehmer in der Regel zulasten der Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen in den Produktionsländern gehe. Folgerichtig schlugen einige Abgeordnete auch einen Bogen zu der unmittelbar folgenden Debatte über die EU-Lieferketten-Richtlinie und forderten zur Unterstützung des ausgehandelten, aber von Teilen der konservativen EVP nicht unterstützen Kompromisses zu dieser Richtlinie auf. Diese Richtlinie, so die Argumentation, diene dazu solche vermeidbaren Katastrophen wie die Rana-Plaza-Katastrophe zukünftig zu verhindern. Denn für den folgenden Tag (1. Juni 2023) stand die Abstimmung über diese Richtlinie auf der Tagesordnung des EP.

Die unmittelbar im Anschluss an die Erinnerung an die Rana-Plaza-Katastrophe folgende Debatte über die EU-Lieferketten-Richtlinie zeigte dann sehr schnell die Brüche innerhalb des EP auf, wenn es darum geht, praktisch-politische Konsequenzen aus einer Katastrophe wie der in Bangladesch zu ziehen. Linke, Grüne, Sozialdemokraten und Liberale unterstützen die Richtlinie. Die beiden rechtsextremen Fraktionen im EP lehnten die Richtlinie ab und kündigten an, gegen sie zu stimmen. Der Vertreter der EPP, Axel Voss (CDU), erklärte zwar, dass aus seiner Sicht der ausgehandelte Kompromiss nicht allen Forderungen der EPP gerecht würde. Dennoch warb er für eine Zustimmung seiner Fraktion, zumal ja noch die Kompromissverhandlungen mit dem Rat der Europäischen Union, also den Regierungen der EU-Mitgliedsländer anstünden. Während Voss sich um einen Kompromiss bemühte, gab der Vorsitzender der deutschen CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Daniel Caspary, gegenüber Medien zu verstehen, dass der EP-Kompromiss aus Sicht der konservativen Fraktion nicht zustimmungsfähig sei, da er über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehe (Vgl. taz vom 31.05.2023: Neue EU-Regeln für Lieferketten: Konservative sägen an Gesetz).

Auch die Linke Fraktion im EP (The Left) ist mit dem Kompromiss nicht in allen Teilen zufrieden, wie MdEP Helmut Scholz (Die Linke), handelspolitischer Sprecher seiner Fraktion am mitteilte (Glaubwürdigkeit statt Heuchelei – Linke im EP für wirksame Lieferketten-Richtlinie). „Als Linke haben wir einen besseren Opferschutz eingefordert: Außenstehende haben keinen Einblick in interne Unternehmensprozesse. Bei Streitigkeiten sollten Unternehmen deshalb nachweisen müssen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten gegenüber Zulieferern tatsächlich nachgekommen sind. Hier hätten wir uns mehr gewünscht“, erläuterte Scholz. Dennoch wolle seine Fraktion der Richtlinie zustimmen, da sie eine deutliche Verbesserung gegenüber dem jetzigen Stand sei.

Zum Hintergrund

Die EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen für Nachhaltigkeit würde dafür sorgen, dass sich die Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden an europäische Zivilgerichte wenden können, um ihre Rechte durchzusetzen. Europäische Unternehmen müssen dann sicherstellen, dass auch Zulieferer Menschen- und Arbeitnehmer:innenrechte achten.

Der Richtlinienentwurf wurde am 23. Februar 2022 von der EU-Kommission vorgelegt. Die Wirtschaftsministerien der Mitgliedstaaten haben ihre Position am 1. Dezember 2022 festgezurrt. Bevor die Richtlinie in Kraft tritt, müssen Parlament und Rat einen gemeinsamen Kompromiss finden. Ziel ist es, die Richtlinie noch vor den Europawahlen zu beschließen.

Die EU-Lieferketten-Richtlinie ist zwar keine unmittelbare Reaktion auf die Rana-Plaza-Katastrophe. Es gab schon länger Bemühungen auf UNO-Ebene, auch Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und auch Umweltrechten zu verpflichten. Die Katastrophe hat aber sicher noch einmal in Erinnerung gerufen, wie wichtig dieses Vorhaben ist und damit die Arbeiten daran beschleunigt.

In 2014 wurde auf Initiative der Länder Ecuador und Südafrika durch den UNO-Menschenrechtsrat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die mit der Ausarbeitung eines verbindlichen internationalen Abkommens über transnationale Unternehmen und Menschenrechte beauftragt wurde (Quelle: Humanright – Wirtschaft und Menschenrechte: UNO-Arbeitsgruppe zur Schaffung eines internationalen Abkommens). Die EU-Richtlinie nimmt dieses Anliegen des UNO-Menschenrechtsrats auf und macht es für Unternehmen mit Sitz in der EU rechtsverbindlich.

Abstimmung über die Richtlinie

Am Donnerstag, den 1. Juni 2023, hat das EP dann mit deutlicher Mehrheit für den EP internen Kompromiss gestimmt. Damit ist der Weg für den Trilog, dem Kompromissaushandlungssprozess zwischen EP und dem EU-Rat unter Beteiligung der EU-Kommission, nun frei.

Von den 629 anwesenden MdEP haben 366 für die Richtlinie gestimmt, 225 dagegen und 38 haben sich enthalten bzw. waren zur Zeit der Abstimmung nicht im Plenarsaal. Das Abstimmungsverhalten der deutschen MdEP sieht wie folgt aus: Die CDU/CSU hat nahezu komplett gegen die Richtlinie gestimmt. Axel Voss, der am Vortag noch für den Kompromiss geworben hatte, konnte sich offenbar nicht durchsetzen. Er selbst hat mit Enthaltung gestimmt, wie auch drei weitere der CDU/CSU-Delegation. Die AfD, die Liberalen und die freien Wähler haben ebenfalls geschlossen gegen die Richtlinie gestimmt. Grüne, Linke, Piraten, ÖDP, SPD und Volt haben der Richtlinie zugestimmt (abgesehen von einigen wenigen, die während der Abstimmung nicht im Plenarsaal waren).

Helmut Scholz (DIE LINKE), der sich sehr für diese Richtlinie engagiert hat, begrüßte das Ergebnis und erklärte dazu:

„Die heutige Abstimmung ist ein wichtiger Etappensieg für gerechtere, globale Wirtschaftsbeziehungen. Obwohl sich CDU/CSU in letzter Sekunde gegen den Schutz der Arbeitnehmerrechte stellten, will die Mehrheit des EU-Parlaments eine wirksame Lieferketten-Richtlinie: Alle großen europäischen Unternehmen ab 250 Beschäftigten sollen Verantwortung für Menschen- und Arbeitnehmerrechte übernehmen. Jetzt müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten Farbe bekennen.“

Das EU-Parlament geht damit weit über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Die Ampel-Koalition muss nun Farbe bekennen und sich in Brüssel klar für eine wirksame Lieferketten-Richtlinie einsetzen. Die Zeit drängt: Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Regelung noch vor den Europawahlen beschlossen wird.“

Wer Katastrophen, wie die vor 10 Jahren in Bangladesch, ernsthaft verhindern will, der muss die europäischen Unternehmen in die Pflicht nehmen. Und wer als konservativer MdEP gerne von europäischen Werten redet, der muss sich dann daran messen lassen, wie er sich positioniert, wenn es um die Umsetzung dieser Werte in konkrete Regeln zum Schutz von Menschen und der Natur als unserer Lebensgrundlage geht. CDU/CSU und FDP haben bei dieser Abstimmung gezeigt, dass sie auf ganzer Linie versagt haben und ihnen europäische Werte eben nichts bedeuten, sobald sie konkret werden.

Links zum Artikel

UNO-Bemühungen für ein verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten:

Dokumentation: Text der EU-Lieferketten-Richlinie

Titelbild: Rana-Plaza-Collapse by Jaber Al Nahian CC BY-SA 2.0 via FlickR

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