Demokratie-Werkstatt
In diesem Dossier „Demokratie-Werkstatt“ sind Texte zusammengestellt, die sich mit der Weiterentwicklung der Demokratie befassen.
Sehr umfassend hat sich David van Reybrouck mit diesem Thema befasst. Sein Buch zum Thema „Gegen Wahlen: Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“ liegt seit 2016 auch in deutschsprachiger Übersetzung vor:
David van Reybrouck: Gegen Wahlen: Warum Abstimmen nicht demokratisch ist. Verlag Wallstein, 2016 (1. Aufl.)
Reybrouck geht in diesem Band historisch und auch systematisch in sehr in die Tiefe. Zum einen legt er da, dass bereits in der antiken Athener Demokratie die Gremien per Losverfahren besetzt wurden und welche Vorteile dieses Verfahren gegenüber Wahlen hat. Auch in den Jahrhunderten danach wurden in Europa vielfältig Losverfahren zur Besetzung politischer Ämter angewandt. Wahlen, so Reybrouck, haben sich erst mit der französischen Revolution und der us-amerikanischen Verfassung aus bestimmten Interessenlagen heraus als Instrument zur Besetzung politischer Ämter durchgesetzt. Um den Preis, dass sie den politischen Raum für Populisten immer attraktiver machen – vor allem in Verbindung mit modernen (sozialen) Medien. Reybrouck stellt zudem eine Reihe von gegenwärtigen Experimenten vor, in denen Losverfahren eine wichtige Rolle spielen, um die zentralen Repräsentationsprobleme, die systematisch mit Wahlen verbunden sind, zu lösen. Am Ende seines Buches stellt Reybrouch auf der Grundlage zeitgenössischer wissenschaftlicher Arbeiten und Experimente ein Konzept vor, wie eine deliberative bzw. Gremiendemokratie, die mit Losverfahren arbeitet, aussehen könnte.
Die Europäische Union ist im übrigen diesem Konzept sehr viel ähnlicher als die EU-Mitgliedsstaaten und in dem Sinne politischer moderner als ihre Mitgliedsländer. Auch ein Blick in die Schweiz lohnt, da sie am ehesten eine Gremiendemokratie nach dem Modell einer Konsenz- bzw. Konkordanzdemokratie ist (im Unterschied zum angelsächsischen Modell der Konkurrenzdemokratie). Das Schweizer Modell knüpft dabei an die Athener Demokratie und an die Rätestrukturen der französischen Revolution an, ist also vor allem auf Repräsentanz und Konsens angelegt.
In der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) Belgiens in Ostbelgien wurde übrigens in 2019 ein permanenter Bürgerdialog eingeführt, der stark an das Modell von Reybrouck anknüpft – er war auch als Berater an der Entwicklung und Einführung dieses Bürgerdialogs beteiligt. Die Gremien dazu werden dementsprechend auch per Losverfahren besetzt.
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