Martina Michels, Mitglied im EP-Kulturausschuss (CULT), sprach in der heutigen Debatte und kommentiert die darauffolgende Abstimmung zur EU-Urheberrechtsrichtlinie.

Der Text von Axel Voss (CDU), gegen den alle sieben DIE LINKE.-Abgeordneten stimmten, wurde mit 348 zu 274 Stimmen angenommen.

Insbesondere deutsche Verlagshäuser hatten auf diese Form der Regulierung – insbesondere auf Artikel 11 (15) und 13 (17) gedrängt, um ihre durch das Internet überholten Geschäftsmodelle zu retten. Ob sich das Internet an Geschäftsmodelle aus der Zeit vor dem Internet anpassen lässt, erscheint allerdings zweifelhaft. Der Rückzug von Printmedien wird sich so nicht stoppen lassen. Das Internet ist eben nicht einfach ein neuer elektronischer Vertriebsweg für Medien, sondern ein gänzlich eigenständiges Medium, das anders als der traditionelle Vertrieb von Printmedien nicht auf Nationalstaaten ausgerichtet ist, sondern global.

Letzte Aktualisierung am 05.04.2019

Standpunkt von Martina Michels

Eine Reform und vor allem auch eine Harmonisierung des europäischen Urheberrechts wäre nötig gewesen und hätten wir auch sehr begrüßt, denn wir sind uns einig, dass das Urheber- und Urheberinnenrecht an das 21. Jahrhundert angepasst werden muss. Doch es votierte eine Mehrheit des Plenums dafür, sich weiterhin im 20. Jahrhundert zu verstecken: Naive Technikgläubigkeit und härtester Lobbyismus von Springer & Co. haben dazu geführt, dass wir jetzt mit einer Richtlinie konfrontiert sind, die die Meinungsfreiheit bedroht, die Medienpluralität einschränkt und den meisten Kreativen keinen Cent mehr bringen wird. Dass eine Mehrheit der Abgeordneten den Sinn von Memes oder Parodien infrage stellt, kann nicht der Weisheit letzter Schluss für ein Gesetz sein, das die künftige gesellschaftliche Kommunikation in Schranken weist. Am Ende werden die heute getroffenen Entscheidungen die großen Plattformen sogar noch reicher machen als sie ohnehin schon sind, weil sie ihre Uploadfilter-Technologien massenhaft in Lizenzen weiterverkaufen können und werden.

Wir haben verpflichtende Uploadfilter, wie sie in Artikel 13 (jetzt 17) vorgeschlagen sind, von Beginn an abgelehnt. Sie können urheberrechtlich geschützte Werke nicht eindeutig identifizieren und vor allem nicht unterscheiden, ob sie nur zitiert, parodiert, nachgeahmt oder in einem Remix neu geschöpft werden. Vor allem geht es hier auch darum, private, meist US-amerikanische Unternehmen mit der privaten Rechtsdurchsetzung zu beauftragen, damit sollen Facebook, Google & Co. künftig darüber entscheiden, was rechtens und was Unrecht ist. Uploadfilter und private Rechtsdurchsetzung sind jedoch die falschen und gefährliche Mittel der Wahl, um mehr Einkünfte für Kreative zu generieren.

Ähnlich absurd finden wir die ‚Linktax‘ auf anmoderierende Presseartikel (Leistungsschutzrecht). Deutschland wie Spanien haben den Praxistest so offensichtlich an die Wand gefahren, dass es eine europäische Lösung auf diese Weise nicht besser machen wird. Zahlreiche Medien – darunter auch ZEIT ONLINE oder die TAZ – veröffentlichten im letzten Jahr die Zahlen ihres Traffics: Zwischen 40 und gar 80 Prozent des Traffics dieser online Medien wird durch Google oder die ‚sozialen‘ Netzwerke generiert. Wenn dieser Strom abbricht, werden die Gehälter der Kreativen sicher nicht anwachsen. Hier werden also Brücken eingerissen, ohne Alternativen aufzubauen.

Der Fokus auf diese beiden Artikel und deren Konfliktfelder hat überdies eines der Anliegen der Reform – nämlich vernünftige Ausnahmen für Kulturerbe, Bildung und Wissenschaft europäisch zu harmonisieren – völlig in den Hintergrund geschoben, obwohl ich mir auch hier viel mehr gewünscht hätte.

Last but not least: Die Artikel, die Kreativen eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Verwertern gebracht hätten, wurden im Trilog abgeschwächt. Es gab viele Gründe, heute gegen die Artikel 13 (jetzt 17) und Artikel 11 (jetzt 15) zu stimmen. Man kann fair und ehrlich Interessen abwägen, aber Meinungsfreiheit lässt sich nicht in einen Ausgleich zu Eigentumsrechten bringen. Beide Rechtsgüter sind in einer Richtlinie zu garantieren. Genau das ist hier aber nicht gelungen. Es wurden die Bedenken von über fünf Millionen Bürginnen und Bürgern ignoriert, von Verbänden, in denen auch Kreative organisiert sind, von Wissenschaft und NGOs. Egal, wie Uploadfilter im Artikel 13 (17) umschrieben werden: Kleinere Provider können nicht mit der ganzen Welt Lizenzen aushandeln. Das ist absurd und unrealistisch. Die kostspielige Filterpflicht bleibt.

Plattformregulierung sieht anders aus: Digitalsteuer, ethische Algorithmen, strenges Kartellrecht. Deshalb haben alle sieben Abgeordneten der LINKEN im EP das Ergebnis des Trilogs abgelehnt, wie bereits im September im Plenum. Es geht nicht um Marktbereinigung, sondern um die freie Kommunikation im 21. Jahrhundert, analog und digital. Und wenn diese bedroht ist, auch wenn nur theoretisch, dürfen wir keine fragwürdigen Kompromisse machen, schon gar nicht, wenn damit die online Kommunikation der Zukunft geregelt werden soll.

Titelbild: Pressekonferenz zu Artikel 13 | Foto: txms 2 CC BY-NC-ND 2.0

Links zum Thema

Kommentar zur EU-Urheberrechtsreform: Mit zweierlei Maß. Endlich sollen Urheber angemessen vergütet werden, heißt es. Videoproducer Johannes Börnsen befürchtet aber genau das Gegenteil. Von Johannes Börnsen | Heise online, 05.04.2019

Urheberrechtsreform Pyrrhussieg heißt jetzt Voss-Sieg. Die Reform des Urheberrechts ist der Versuch, eine nostalgische Wunschrealität zu erzwingen. Befürworter wie CDU-Mann Axel Voss hoffen, dass alles irgendwie gut wird. Dafür spricht: nichts. Eine Kolumne von Sascha Lobo | Der Spiegel, 27.03.2019

Hier ein Beispiel eines Kommentars aus der Sphäre präfaktischer Politik – um Sascha Lobo aufzugreifen:

Kommentar: Urheberrechtsreform – Angriff auf den gesunden Programmiererverstand. Autorin und Programmiererin Elisabeth Bauer übt schon mal, wie sie Kunden Uploadfilter schmackhaft macht. Ob uns Axel Voss da vor allen Problemen rettet? Von Elisabeth Bauer | Heiseonline, 27.03.2019

Kommentar Urheberrechtsreform: Die Kreativen verlieren. Artikel 16 der Urheberrechtsreform ist für Urheber:innen die größte Ungerechtigkeit. Obwohl es Entlohnung fairer machen soll, profitieren Verlage. Von Elisabeth Nöfer | taz, 27.03.2019

EU-Parlament stimmt für Urheberrechtsreform: “Deut­sch­land hat eine lange Tra­di­tion, Euro­pa­recht falsch umzu­setzen.“ Die Novelle des EU-Urheberrechts ist beschlossen: Am Dienstag votierten die EU-Parlamentarier für die umstrittene Neuregelung. Die Debatte um sogenannte Upload-Filter ist damit aber noch lange nicht vom Tisch. Von Maximilian Amos | Legal Tribune Online, 26.03.2019

Bei der Urheberrechtsreform wurde Europas Jugend komplett ignoriert. Das EU-Copyright enttäuscht all jene, die mit dem Internet aufgewachsen sind: einem Internet, in dem es wenige Klicks braucht, um Inhalte zu teilen. Kommentar von Muzayen Al-Youssef | Der Standard, 26.03.2019

Urheberrechtsreform: Die Zukunft soll gefälligst warten. Digitalpolitik als Abwehrmittel: Eine Mehrheit der EU-Abgeordneten unterstützt die missratene Reform des Urheberrechts. Sie bremst Innovationen aus und benachteiligt Urheber sogar noch. Ein Kommentar von Patrick Beuth | Der Spiegel, 26.03.2019

Kommentar EU-Urheberrechtsreform: Nicht das richtige Instrument. Die Zustimmung zur Reform stärkt eher die Tech-Riesen, statt die Urheber:innen an den Gewinnen zu beteiligen. Dabei hätte es Alternativen gegeben. Von Anne Fromm | taz, 26.03.2019

Die Grenzen zwischen Lobbyismus und Journalismus verschwimmen. Von Thomas Stadler | Internet-Law, 25.03.2019

EU-Urheberrechtsreform : Martin Kretschmer: „Die EU würde wenig verlieren, wenn sie die Richtlinie einfach ablehnt.“ Interview von Henry Steinhau | iRihgts info, 21.03.2019

Julia Reda über Artikel 11 & 13: “Da geht es nicht nur um Youtube.“ Die geplante Urheberrechtsrichtlinie sei “extrem schädlich”, sagt die Europaabgeordnete der Piraten, Julia Reda. Am meisten ärgert sie jedoch das Verfahren. “Das ist eine Verachtung von großen Teilen der Bevölkerung.” Interview von Hubertus Volmer | n-tv, 10.03.2019

Der Streit um die EU-Urheberrechts-Richtlinie | Interview mit MdEP Martina Michels | Europa.blog, 07.03.2019

10 Principles for Ethical AI | The Future World of Work [EN]

6069