Beitrag von Jürgen Klute

Die Debatte um Flüchtlinge ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Politikerinnen und Politiker sind drüber erleichtert. Denn damit ist der AfD das zentrale Wahlkampfthema, mit der sie in 2016 erschreckende Erfolge bei mehreren Landtagswahlen in der BRD erzielen konnte, vorerst abhanden gekommen.

Was Politier und Politikerinnen in der BRD angesichts der nahenden Bundestagswahlen im September 2017 erleichtern mag, bedeutet für Flüchtlinge in Europa aber eine Zuspitzung ihrer vielfach noch nach wie vor schwierigen Lage. Und auch für die aufnehmenden EU-Mitgliedsländer bleibt die Lage angespannt.

Aus diesem Grund  hat das Europäische Parlament (EP) mit einer Entschließung vom 18. Mai 2017 (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Mai 2017 zum Thema „Der Umsiedlungspolitik zum Erfolg verhelfen“ (2017/2685(RSP)) erneut die EU-Mitgliedsländer erneut aufgefordert, endlich ihren Verpflichtungen nachzukommen, und durch eine zügige Umverteilung Italien und Griechenland zu entlasten. Beide Länder stehen unter starkem ökonomischem und politischen Druck, der dadurch noch erhöht wird, dass in diesen Ländern die meisten Flüchtlinge nach Europa ankommen. Aktuell ist die Zahl der Flüchtlinge, die von Afrika über das Mittelmeer nach Europa kommen, auf einem neuen Höhepunkt angelangt (vgl.: Flüchtlingspolitik: Schießen hilft nicht. Einige europäische Städte nehmen mehr Flüchtlinge auf, als sie müssten. Das Beispiel könnte Schule machen. Von Caterina Lobenstein | Die Zeit vom 31.05.2017).

Der Druck, eine nachhaltige, humane und an geltenden Menschenrechten orientierte Lösung zu finden, steigt also weiter.

Lediglich Malta und Finland sind laut der Entschließung des EP dabei, ihre Vorgaben zu erfüllen.

Die Resolution des EP wurde mit 398 Stimmen angenommen bei 134 Gegenstimmen und 41 Enthaltungen. (Quelle: Pressemitteilung des EP vom 18.05.2017)

Das Europäische Parlament hatte bereits am 23. Oktober 2013 in einer Entschließung den Europäischen Rat aufgefordert, auf seiner Sitzung am 26. Oktober 2013 eine umfassende, humane und an geltenden Menschenrechten orientierte Lösung für die nach Europa kommenden Flüchtlinge auf den Weg zu bringen. (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2013 zu dem Zustrom von Migranten im Mittelmeerraum, insbesondere den tragischen Ereignissen vor Lampedusa (2013/2827(RSP))

Hintergrund dieser Entschließung war die Flüchtlingstragödie vom 3. Oktober 2013, bei der vor der zu Italien gehörenden Mittelmeerinsel Lampedusa mindestens 360 Flüchtlinge ertranken.

Bis heute ist der EU-Rat in dieser Angelegenheit so gut wie untätig geblieben und hat damit erst die zugespitzte politische Debatte über Flüchtlinge in Europa, die im Herbst 2015 begann, erzeugt.

Die EP-Resolution vom Oktober 2013 formuliert klare Forderungen an den EU-Rat. Die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge soll zu einer Kernaufgabe der Grenzüberwachung gemacht werden. In die Neuverordnung für gemeinsame Frontex-Einsätze auf See sollen verbindliche Regeln zur Seenotrettung aufgenommen werden. Alle europäischen und nationalen Gesetze, die die Rettung von Flüchtlingen in Seenot unter Strafe stellen, sollen reformiert werden. Weiterhin werden Verfahren für eine gerechte und proportionale Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsstaaten eingefordert, um die südeuropäischen Staaten zu entlasten (derzeit nahm nicht einmal die Hälfte der 28 EU-Staaten Flüchtlinge auf). Auch sollen Flüchtlinge nicht mehr in Aufnahmeländer zurück geschickt werden dürfen, wenn deren Asylsystem überlastet ist, was seiner Zeit auf Griechenland, Malta und Italien zutraf und nach wie vor zumindest für Griechenland und Italien noch immer zutrifft.

Darüber hinaus forderte das EU-Parlament einen fairen Zugang zum europäischen Asylsystem und die Entwicklung legaler Zugangsmöglichkeiten im Rahmen der Migration von Arbeitskräften.

Eine entsprechende Reform des EU-Asylrechts steht jedoch bis heute aus. Die Hauptblockade sind nationale Egoismen einer ganzen Reihe von EU-Ländern. Deren Überwindung dürfte angesichts der  politischen Entwicklungen seit Oktober 2013 heute noch schwieriger geworden sein, als es 2013 schon war.

Cecilia Malmström, die bis Ende Oktober 2014 für dieses Thema zuständige EU-Innenkommissarin, hat 2014 den Jahrestag der Flüchtlingstragödie vom 3. Oktober 2013 vor Lampedusa zum Anlass genommen gehabt, kurz vor dem Ende ihrer Amtsperiode die skandalösen Versäumnisse des EU-Rates noch einmal zur Sprache zu bringen. In ihrer Presseerklärung vom 2. Oktober 2014 heißt es: “Die Bilder von Lampdusa sind noch immer in meinem Kopf. Sie sind eine schreckliche Erinnerung daran, dass wir danach streben müssen, dass Europa offen bleibt für jene, die Schutz suchen”. […] “Ich will sehr klar sein – wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, ist die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten noch weitgehend inexistent. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Zukunft.”

Dem ist nichts hinzuzufügen. Bleibt zu hoffen, dass der EU-Rat sich endlich bewegt!

Demo vor dem Europäischen Parlament in Straßburg , November 2014 | Foto: J. Klute

 

 

Zum Hintergrund dieser Erklärung des EP

Nach Jahren der Agonie und nach dem mehr als 20.000 Flüchtlinge, die auf ihrem Weg von Nordafrika nach Europa im Mittelmeer ertranken, gelangte das Thema EU und ihr Umgang mit Flüchtlingen im Herbst 2013 endlich in den Fokus des öffentlichen Interesses.

Da die Flüchtlingspolitik auf EU-Ebene geregelt und koordiniert wird, liegt es nahe, die EU pauschal zum Sündenbock für diese skandalöse Politik zu machen. Doch das wäre sachlich falsch und daher wenig hilfreich im Bemühen um eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik.

Die EU ist kein homogener politischer Block. Sie besteht formal aus den drei Institutionen EU-Rat, EU-Kommission und EU-Parlament.

Die EU-Flüchtlingspolitik spiegelt vor allem die Interessen konservativer Regierungen der Mitgliedsländer wider. Sie wurde begründet mit dem Dubliner Übereinkommen von 1990, das 1997 in Kraft trat. Diese Übereinkunft war ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Regierungen der damaligen 12 EU-Mitgliedsstaaten und weiteren europäischen Staaten. 2003 wurde dieses Abkommen ersetzt durch die so genannte Dublin-II-Verordnung des EU-Rates. Im Juli 2013 trat dann die Dublin-III-Verordnung in Kraft, die vom EU-Rat und dem EU-Parlament im Mitentscheidungsverfahren nach dem Lissabon Vertrag beschlossen wurde.

Die Dublin-Verordnungen enthalten zwei Schwerpunkte: Zum einen regeln sie, dass Asylsuchende in dem EU-Land einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie ankommen. Zum anderen schreiben die Verordnungen einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten über eingereiste Asylsuchende vor – insbesondere geht es um den Austausch von Fingerabdrücken. Damit soll verhindert werden, dass eine Person in mehreren EU-Staaten Asylanträge stellt.

Diese Praxis führte dazu, dass die Zahl der Asylanträge in Deutschland im Vergleich zu der Zeit vor dem Abkommen massiv zurück gegangen ist, da die BRD keine EU-Außengrenzen hat. Die meisten Asylsuchenden kommen aus Nordafrika über das Mittelmeer nach Italien, Spanien, Malta und Griechenland. Also in Länder, die seit Ausbruch der Euro-Krise unter enormen wirtschaftlichem Druck stehen.

Die wirtschaftliche und soziale Integration der Asylsuchenden liegt allein in der Verantwortung der Aufnahmeländer, was dort zu massiven gesellschaftlichen Konflikten führt. Sinnvoll wäre eine Regelung, die eine Aufteilung der Asylsuchenden auf alle EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht – natürlich unter Respektierung der Rechte und Interessen der Flüchtlinge. Vor der Verabschiedung der Dublin-III-Verordnung gab es Debatten über einen Verteilerschlüssel von  Asylsuchenden auf alle EU-Länder. Aber die Bundesregierung hatte sich seinerzeit mit ihrer Ablehnung dieser Forderung durchsetzen können. Diese ablehnende Haltung der Bundesregierung hat dann dazu geführt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015 nicht mehr die erforderliche Zustimmung der bekannten osteuropäischen Länder zu einer plötzlich von Merkel eingeforderten europäischen Lösung bekam.

Wie eine Umsiedlung von Flüchtlingen dennoch stattfinden könnte, hat Caterina Lobenstein in dem oben bereits erwähnten Artikel in der „Zeit“ vom 31. Mai 2017 beschrieben. Einige europäische Städte, wie z.B. Barcelona und Malmö, nehmen mehr Flüchtlinge auf, als ihnen die Zentralregierung ihres Landes vorgibt. Anfang Juni 2017 treffen sich Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus diesen Städten zu einer Konferenz in Danzig. Sie wollen dort eine Verteilungspolitik bewerben, die ohne Quoten auskommt. Caterina Lobenstein hat diese Politik mit den folgenden Worten skizziert: „Europas Städte sollen Quoten nicht mehr aufgedrückt bekommen, sie sollen sich um sie bewerben – und gleichzeitig erklären, wie sie die Menschen versorgen und in Jobs bringen wollen. Ist ihr Plan überzeugend, bekommen sie Geld,  direkt von der EU. Das ist kein Ersatz für die gesicherte Quote. Aber ein Anfang.“

Vielleicht könnte sich daraus doch eine Alternative zur Quotenlösung entwickeln. Denn der Nachteil der Quote besteht darin, dass Flüchtlinge mitunter auch gegen ihren ausdrücklichen Willen in ein Land oder an einen Ort geschickt werden. Die Quotenlösung erweist sich auch im Blick auf Länder schwierig, in denen Flüchtling nicht gewollt sind und in denen sie von daher mit hoher Wahrscheinlichkeit einer starken Diskriminierung bis hin zu Anfeindungen ausgesetzt sind. Auch das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit wird durch Quotenreglungen eingeschränkt. Der von Caterina Lobenstein skizzierte Ansatz könnte zu einem Weg weiter entwickelt werden, der diese negativen Wirkungen einer Quote vermeidet.

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