Der Wissenschaftlicher Dienst des EU-Parlaments (EPRS) kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass die von der EU geplante Verordnung zur Chatkontrolle in der beabsichtigten Form gegen Grundrechtecharta der Europäischen Union verstößt.

(Büro Patrick Breyer / J. Klute)

Ein Arbeitsschwerpunkt des Europaabgeordneten Patrick Breyer (Piraten) die EU-Netzpolitik. Erst im März hatte er auf einen Leak zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Rat der EU hingewiesen. Darin ging es um die von Gerichten mehrfach kritisierte und zurückgewiesene Chatkontrolle, die angeblich dem Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch dienen soll.

Nun weist Breyer auf eine neue Studie zur Rechtmäßigkeit der geplanten Chatkontrolle-Verordnung des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments (EPRS) hin, die am 13. April 2023 im Innenausschuss (LIBE) des Europäischen Parlaments vorgestellt wurde. Der LIBE-Ausschuss ist der federführenden Parlamentsausschuss für die geplante Chatkontrolle-Verordnung der EU.

Die Rechtsexperten kommen in der Studie zu dem Schluss, dass „bei Abwägung der von den Maßnahmen des CSA-Vorschlags betroffenen Grundrechte festgestellt werden kann, dass der CSA-Vorschlag in Bezug auf die Nutzer gegen die Artikel 7 und 8 der Grundrechtecharta verstoßen würde. Dieser Verstoß gegen das Verbot einer generellen Vorratsdatenspeicherung und das Verbot genereller Überwachungspflichten ist nicht zu rechtfertigen.“

Außerdem machen die Experten deutlich, dass ein „Anstieg der Anzahl der gemeldeten Inhalte nicht unbedingt zu einem entsprechenden Anstieg der Ermittlungsverfahren und der Strafverfolgung und damit zu einem besseren Schutz der Kinder führt. Solange die Kapazität der Strafverfolgungsbehörden auf ihre derzeitige Größe beschränkt ist, wird eine Zunahme der Meldungen eine effektive Verfolgung von Missbrauchsdarstellungen erschweren.“

Zudem heißt es in der Stellungnahme: „Es ist unbestritten, dass Kinder davor geschützt werden müssen, Opfer von Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen online zu werden …, aber sie müssen auch in der Lage sein, den Schutz der Grundrechte als Grundlage für ihre Entwicklung und ihren Übergang ins Erwachsenenalter zu genießen.“

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Breyer, Schattenberichterstatter (Verhandlungsführer) seiner Fraktion im LIBE-Ausschuss für diese Verordnung und langjähriger Gegner der Chatkontrolle, kommentiert die Studie wie folgt: „Der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments bestätigt nun schwarz auf weiß, wovor ich und zahlreiche Menschenrechtler, Strafverfolger, Rechtsexperten und der Kinderschutzbund schon seit langem warnen: Die geplante verdachtslose, flächendeckende Nachrichten- und Chatkontrolle zerstört das digitale Briefgeheimnis und ist grundrechtswidrig. Außerdem würde die Flut an meist falschen Verdachtsmeldungen effektive Ermittlungen erschweren, Kinder massenhaft kriminalisieren und an den eigentlichen Missbrauchstätern und Produzenten solchen Materials vorbei gehen.“

Niemand helfe Kindern mit einer Verordnung, die unweigerlich vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern würde, weil sie gegen die Charta der Grundrechte verstößt, so Breyer weiter.

Was anstelle totalitärer Chatkontrolle und Ausweispflichten wirklich gebraucht würde, ergänzte Breyer abschließend, sei eine längst überfällige Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bekanntes Missbrauchsmaterial im Internet zu löschen, sowie europaweite Standards für wirksame Präventionsmaßnahmen, Opferhilfe und -beratung und zeitnahe strafrechtliche Ermittlungen.

Kritische Fragen zu der geplanten EU-Verordnung wurden auch aus anderen Parteien während der Vorstellung der Studie im Innenausschuss gestellt. Seitens der CDU/EVP äußerte Sven Simon Kritik, seitens der SPD/S&D Birgit Sippel und auch Moritz Körner von der FDP/Renew Europe schloss stellte sich in die Reihe derer, die der Verordnung kritisch gegenüber stehen.

Die 140 Seiten umfassende in englischer Sprache verfasste Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments, die den Titel „Proposal for a regulation laying down the rules to prevent and combat child sexual abuse: Complementary Impact Assessment“ liegt bisher nur in einer für den internen Gebrauch vorgesehenen Fassung vor. Eine endgültige Fassung soll in kürze erscheinen. Das Webportal „Netzpolitik“ hat jedoch bereits die vorläufige Fassung veröffentlicht. Sie kann hier eingesehen werden.

Titelbild: Foto: Maria Dorn / Campact CC BY-NC 2.0 via FlickR

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