Von Frederik D. Tunnat

Der Begriff „Biedermeier“ steht historisch für die Epoche zwischen 1815 bis 1848 und umfasst die Bereiche Kultur (Literatur), Kunst (Malerei), Musik, Innenarchitektur (Möbel) und Kleidermode. Historisch gesehen haben acht Epochen Bezug zum Biedermeier: 1. die Französische Revolution (1789), 2. die Zeit Napoleons (1804-1814), 3. der Befreiungskrieg (1813-1815), 4. die Gründung des Deutschen Bundes (1815), 5. die Restauration (1815-1830), 6. der Vormärz (1830-1848), sowie als politische Reaktion auf alle genannten Entwicklungen, sowie zum Zweck der Auflösung der gesellschaftlich-sozialen Spannungen der Biedermeierzeit, die beiden Revolutionen von 7) 1830 und 8) 1848/49.

Angesichts dieser Gemengelage des „Biedermeier“ mit unterschiedlichen, wie sich überschneidenden Epochen, hat sich die Geschichtswissenschaft mittlerweile dazu entschieden, von streng chronologischen Zuordnungen abzuweichen und bezeichnet die gesamten, damit zusammenhängenden historischen Epochen, als das überlange 19. Jahrhundert, da die umwälzenden politischen Ereignisse, die die Zeit des Biedermeier prägten, bereits 1789 einsetzen, sowie die vom Biedermeier ausgelösten Entwicklungen erst mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs, im Sommer 1914, endeten. Den Auftakt des überlangen 19. Jahrhunderts bildet die Ende des 18. Jahrhunderts stattgefundene Französische Revolution. Das Ende des überlangen 19. Jahrhunderts markiert der Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Für Deutschland war das lange 19. Jahrhundert, das sich vom 18. über das 19. bis ins 20. Jahrhundert, also über sechs Quartale erstreckte, eine prägnante Periode, in der zwar die Freiheit und Einheit der deutschen Nation mit der Revolution 1848/49 scheiterte, doch mit der Etablierung der Weimarer Republik, wenn auch 70 Jahre verspätet, letztlich obsiegte.

In Folge der um 1830 – also im Biedermeier – einsetzenden „Industriellen Revolution“, entwickelten sich während und nach dem Biedermeier neue wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen, die schließlich signifikante politische wie soziale Fortschritte auf nationaler Ebene zeitigten. Mit Hilfe des preußischen Militärs, unter der politischen Leitung Bismarcks als Ministerpräsident Preußens, entstand 1871, inmitten des langen 19. Jahrhunderts, das kurzlebige zweite Deutsche Kaiserreich, das Ende des Ersten Weltkriegs, November 1918 endete.

Der ebenfalls nur kurzlebige Nachfolger des zweiten Reichs, die Weimarer Republik, ging 1933, nur 14 Jahre nach ihrer Gründung, mit Pauken und Trompeten in Hitlers nationalsozialistischer Machtergreifung unter. Dem folgte die von Hitler als Drittes Reich postulierte Nazi-Diktatur, die nur 12 Jahre nach ihrer Gründung durch die bedingungslose Kapitulation und nachfolgende Besatzung unterging.

Ohne zahlreiche grundlegende Entscheidungen während des Biedermeier, hätten die nachfolgenden Ereignisse überhaupt nicht, oder nicht in ihrer historisch belegten Form stattgefunden. Als eine Art kulturhistorischer Rückkopplung darf in diesem Zusammenhang das sog. „Zweite Biedermeier“ betrachtet werden, das knapp 50 Jahre nach dem Ende des eigentlichen, ersten Biedermeier, um 1895/96 von Wien, mit einer großen Jubiläums-Ausstellung, ausgehend, auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution, einsetzte. Was sich als eine Form der Rückbesinnung auf die „gute, alte Zeit“ der eigenen Großeltern und Ur-Großeltern-Generation erwies, fand seinen Ausdruck im bewussten Verzicht auf die zahlreichen technischen Möglichkeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der Rückbesinnung auf natürliche Materialien, ohne all die Schnörkel, den Pomp und die Verzierungen – man könnte auch sagen Geschmacksverirrungen – des Historismus. Insofern erlebten Biedermeiermöbel eine ungeahnte Renaissance, in der Zeit zwischen 1895 bis 1910.

Zweites Biedermeier und der Jugendstil gingen nach Ende des Ersten Weltkriegs, und damit nach Ende des langen 19. Jahrhunderts, ins Art Deco über, wenn man so will, den ersten, eigenständigen Stil des neuen 20. Jahrhunderts. Denn wie erwähnt, verdankten sowohl das Zweite Biedermeier wie der Jugendstil ihre Entstehung vornehmlich der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie ihre Anleihen und Nachahmungen des Biedermeier nachweisen.

Die wenigen, während der ersten Phase des Biedermeier, zwischen 1815 bis 1830 zu Geld gekommenen Neureichen, sowie die, dank der Restauration wieder fest in ihren Sätteln sitzenden alten Reichen (Adel, Großbürgertum, hohe Beamte) wünschten sich nach 1830 Möbel, die die Einfach- und Schlichtheit der biedermeierlichen Möbel zu Lasten repräsentativer Elemente und Ornamente ablegten, um so ihrem Repräsentationsbedürfnis gerecht zu werden. Die Vermögenden wollten wieder, wie zu Zeiten des äußerlich pompösen Kaiserreichs Napoleons und des durch ihn geprägten Empire, ihren Reichtum zur Schau stellen, zeigen, dass sie wer waren und sich Dinge leisten konnten, die für 98 bis 99% der Bevölkerung unerschwinglich waren. Deshalb werden nach 1830 neben den für die weniger Vermögenden, weiterhin von Hand produzierten Biedermeiermöbel zunehmend nachahmende Empire-Reproduktionen erstellt, die unter den Begriff Spät-Empire fallen. Es sind sowohl Nachbildungen des alten, repräsentativen Herrschaftsstils, wie weit öfter um Empire-Elemente ergänzte oder durch diese veränderte Biedermeiermöbel.

Gold und ornamentale Verzierungen halten ab 1830 wieder Einzug bei der Möbelherstellung und lösen insofern den bis dahin produzierten, ärmlichen Haushaltskassen geschuldeten, reinen Biedermeier-Stil zunehmend ab, bevor die neureichen, zu Geld gekommenen Kunden selbst mit Elementen des Empire nicht länger zufrieden waren, sondern in Anleihen im Rokoko, Barock und älteren, imperialen Epochen das rechte Ventil dafür sahen, ihren Reichtum öffentlich zur Schau stellen zu können. Anders als im Biedermeier geht es im Historismus darum, mehr zu scheinen, als zu sein. Die aufkommende industrielle Möbelproduktion, die Verwendung minderwertiger Produktstoffe, bei optisch opulenter Aufmachung und Gestaltung der Möbel, schafft zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Massenware, die darauf ausgerichtet ist, schnell zu veraltern, nur begrenzt halt- und nutzbar zu sein, um so den Motor und das Grundprinzip aller industriellen Fertigung am Laufen zu halten: die ständige Produktion neuer Güter. Da dem Bevölkerungswachstum Grenzen gesetzt sind, bedarf es erheblicher Manipulationen während des Herstellprozesses wie bei der Auswahl der Materialien, um sicherzustellen, dass die Produkte nicht allzu lange halten, um so kontinuierlichen Bedarf sicher zu stellen.

Es ist das kapitalistische Grundmodell der industriellen Revolution, während des Biedermeier in Deutschland in Mode gekommen, das noch der heutigen Wirtschaft zu Grunde liegt, und aktuell, im Rahmen von technischer und digitaler Revolution, auf die Spitze getrieben wird, um die Grenzen der Marktsättigung fortwährend im Sinn und Interesse der Hersteller zu manipulieren, auf dass wir Konsumenten wie Drogenabhängige zu Abhängigen immer neuer, meist sinnloser Produkte verkommen. Auch das eine der „Errungenschaften“ des von uns als so überaus bieder und betulich empfundenen Biedermeiers. Das Biedermeier hat noch weit mehr zu bieten: so den Beginn der massiven Umweltverschmutzung, die Erschaffung des Proletariats, die Etablierung sozialer Ungleichheit und -gerechtigkeit. Das Biedermeier gab den hastigen Takt für zahlreiche Branchen, speziell der Mode vor, der uns noch heute als modebewusste Konsumenten zwingt, jedes Jahr einen Teil unserer fast noch neuen Kleidung wegzuschmeißen, um uns nach der neuesten Mode geschneiderte zuzulegen, um darin, wie früher die Pfauen in den königlichen Gärten, durch die Straßen der Innenstädte zu flanieren, um unseren Mitmenschen zu beweisen, wie modebewusst und zugleich finanziell potent wir doch sind. Dies alles und noch viel, viel mehr geht zurück auf die himmlische, herrliche, gute alte Zeit, die wir Biedermeier nennen, und von der wir so tun, als habe er fast ausschließlich schöne Möbel, ein paar Walzer, hübsche Kleider und Hüte, sowie die Grundform der bürgerlichen Familie hervorgebracht.

Tatsächlich war ein nicht geringer Teil der Menschen im Biedermeier knallhart und ohne Skrupel, wenn es darum ging, auf den Zug der industriellen Revolution aufzuspringen, und sich beherzt, in der Regel auf Kosten vieler Anderer zu bereichern, um so Ansehen, Vermögen und Einfluss zu erringen. Im Biedermeier blühte, parallel zur industriellen Revolution, erstmals die Börsenspekulation, wie wir sie letztmals 2008 in voller Blüte erleben durften. Die ehemaligen Sklaven des Biedermeier sind heute die weltweit Ausgebeuteten der Globalisierung, die entweder für einen Hungerlohn oder als Leiharbeiter weiterhin den Reichtum der Reichen und Superreichen generieren. Übrigens startete die Globalisierung ebenfalls während der Zeit des Biedermeier.

Wie immer wir die Dinge auch drehen und wenden: bei genauer Betrachtung, hat sich das Biedermeier im Grunde genommen nicht nach Ende des langen 19. Jahrhunderts erledigt; es feiert fröhliche Urstände und lebt auf die ein oder andere Weise weiter. So zu beobachten während der letzten weltweiten Pandemie, als wir plötzlich alle miteinander auf den häuslich-privaten Raum zurückgezwungen wurden. Die Reaktion und das Verhalten weiter Bevölkerungskreise auf diese Situation, die der der Restauration um 1815 ähnelte, war um kein Deut anders, als das unserer biedermeierlichen Vorfahren: man zog sich in den häuslichen Bereich zurück und lebte, zumindest für ca. zwei und ein halbes Jahr eine moderne Variante des Biedermeier. Zurückgeworfen auf sich selbst und das eigene Zuhause, gingen viele Menschen daran, sich neue oder andere Möbel zu kaufen, um es besonders kuschelig, heimelig, hygge zu haben. Man legte sich massenhaft Haustiere zu, um der verängstigenden Einsamkeit, der man durch das Virus plötzlich ausgesetzt war, zu begegnen. Nun, nachdem man wieder in den öffentlichen Raum darf, erweisen sich Millionen, aus einer Laune erworbener Haustiere als Belastung der unechten Tierfreunde und bevölkern nun die überfüllten Tierheime der Welt.

Erneut lässt das Biedermeier grüßen, das damit begann, schnelllebige Moden und Betätigungen hervorzubringen, um sich dieser ebenso schnell wieder zu entledigen. Damals klappte das noch ohne Pandemie, einfach durch politisch-polizeiliche Drangsalierung, etwas, das aktuell in weiten Teilen der Welt, ohne dass den Betroffenen der Bezug zum Biedermeier bewusst ist, wieder an der Tagesordnung ist: so müssen Milliarden Chinesen, Millionen Russen, Syrer, Asiaten, Afrikaner, eine Reihe Amerikaner, speziell des südlichen Kontinents, aber auch einige Europäer wie im Biedermeier leben: unter polizeilicher Aufsicht, wie weiland unsere Vorfahren im restaurativ-Metternichschen Deutschen Bund. Erneut lässt das Biedermeier bittersüß grüßen.

Doch zurück vom Schlenker in die Gegenwart, zur Situation vor und um 1815 in Deutschland und Österreich. Vorausgegangen war 1803 das unrühmliche Ende des Heiligen Römischen Reichs, flankiert von der Abdankung des Kaisers, der daraufhin seine Kaiserwürde auf sein österreichisch-ungarisches Teil-Reich übertrug, und fortan als Kaiser von Österreich regierte. Nachdem Napoleon 1806 den Rheinbund gegründet hatte, bestehend vornehmlich aus seinen deutschen Vasallenstaaten, hatte Napoleon das Königreich Preußen in der Schlacht von Jena und Auerstedt besiegt und ihm den Friedensvertrag von Tilsit aufgezwungen. Preußens Staatsgebiet wurde dadurch um fast die Hälfte reduziert, es selbst, als Staat ebenfalls zu einem Vasallen Napoleons degradiert. Da Napoleon zugleich das preußische Heer stark verkleinerte, um so den einst gefürchteten militärischen Gegner klein zu halten, empfanden es nicht nur die zwangsweise aus Preußen ausgeschlossenen Bürger, sondern der König von Preußen, seine Beamtenschaft, seine Militärs, fast das ganze, Preußen verbliebene Volk als unausweichlich, sich durch gravierende Veränderungen auf eine Revanche und Rückabwicklung des schmachvollen Friedensdiktats vorzubereiten. Diese Haltung führte zwischen 1806 bis 1813 zur den sog. Preußischen Reformen, die neben einer grundlegenden Reform des preußischen Heeres eine völlige Neuausrichtung von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und dem Bildungswesen umfassten.

An dieser Stelle gewinnen die Preußischen Reformen gut 200 Jahre zurückliegend – beklemmende Aktualität mit der gesellschaftlich-sozialen, politischen wie militärischen Situation des Gegenwarts-Deutschland im Jahr 2023! Was seinerzeit unter massivem äußeren Druck ausgelöst wurde, wäre gegenwärtig, auf Grund einer Reihe von existenziell-gewichtigen Gründen, erneut dringend geboten. Doch im Gegensatz zum heute verachteten, geschmähten Preußen, existiert gegenwärtig weder innerhalb der Gesellschaft, noch in Reihen der Politik und schon gar nicht in Reihen der Intellektuellen der Bundesrepublik Deutschland auch nur ein übergreifender Konsens über die Notwendigkeit derartiger grundlegender Reformen; von der Frage des Wann, Wie und wie schnell ganz zu schweigen. Preußen hingegen besaß damals diesen dringend benötigten Sachverstand – auf sämtlichen Ebenen des Staats.  Da gab es die überaus fähigen, weitsichtigen preußischen Ministerpräsidenten wie den Freiherrn vom und zum Stein, sowie seinen Nachfolger, Graf Hardenberg, der für seine Erfolge bei der Um- und Durchsetzung der Reformen, zum Fürst geadelt wurde und einen Landsitz geschenkt bekam, das noch heute genutzte Neu-Hardenberg nahe Berlins. Es gab den fähigen, unbestechlichen Finanzminister Wilhelm Anton von Kiewitz, der für Hardenberg eine grundlegende Steuer- und Zollreform umsetzte – erfolgreich. Es gab einen überaus fähigen, gebildeten Wilhelm von Humboldt, der es auf sich nahm, das antiquierte, verlotterte Bildungssystem Preußens – Schule wie Hochschulen – völlig neu aufzustellen und so nachhaltig zu reformieren, dass dieses System nicht nur gut vorgebildete Facharbeiter für die Industrie hervorbrachte, sondern ein bewundertes universitäres System, das gegen Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts nahezu am Fließband Nobelpreisträger und akademische Koryphäen hervorbrachte. Und last but not least gab es die beiden fähigen Generäle und Militärs, Gerhard von Scharnhorst und August Neidhardt von Gneisenau die trotz knapper Kassen und schier unüberwindlicher Vorurteile das preußische Militär für ein Jahrhundert reformierten und eine, zeitweise die schlagkräftigste, Volksarmee Europas schufen. Dass diese Armee von dem Blender und Parvenü Wilhelm II. missbraucht wurde, um den Ersten Weltkrieg loszutreten und zu führen, sollte man den beiden Reformern nicht anlasten. Schließlich hatten sie nur das Militär an sich, nicht dessen oberste Leitung, in Person des Kaisers, reformiert und zukunftstauglich aufgestellt.

Dabei zeigt ein Blick auf die desaströse Situation des derzeitigen deutschen Militärs, der Bundeswehr, sowie die dramatisch veränderte geopolitisch-strategische Situation in Europa wie weltweit, wie überaus erforderlich eine konsequente, generelle, grundlegende Reform in nahezu allen Bereichen von Gesellschaft und Staat der Bundesrepublik Deutschland 2023 nötig wäre. Doch die in ihrem friedensverliebtem, unrealistischem Wolkenkuckucksheim verharrenden Linken, sowie die von Putins faschistoid-imperialistischen Beschwörungsformeln paralysierten Rechten Deutschlands, finden nicht einmal die Kraft zu einer vorurteilsfreien Diskussion, geschweige denn zu zupackenden, schnellen Reformen.

Betrachtet man dagegen die existentiell bedrohliche Situation Preußens 1806, dessen finanzielle Situation ungleich bedrohlich Richtung Staatsbankrott tendierte, denn die aktuelle bundesrepublikanische, so muss allein aus Gründen der nicht vorhandenen finanziellen Ressourcen vor den damaligen grundlegenden Reformen in sämtlichen Bereichen des Staates der Hut gezogen werden. Während unser Militär über einen jährlichen Etat von rund 50 Milliarden Euro sowie einen 100 Milliarden Sonderetat verfügt, musste Preußen die erforderlichen finanziellen Mittel für seine damalige Heeresreform mühsam durch Umschichtungen im mageren Etat, sowie durch neue bzw. höhere Steuern finanzieren – und erreichte dennoch die Zustimmung des größten Teils seiner Bevölkerung zu den Reformen und den dadurch bedingten höheren Steuern!

Wir dagegen scheitern aktuell sogar dabei, die 100 Milliarden Sondervermögen sinnvoll und rasch auszugeben, von  der vergeigte Reform der Bundeswehr durch den CSU Star von Guttenberg ganz zu schweigen.

Dass es Preußen gelang, unter derart widrigen Verhältnissen, ohne ausreichende Mittel, dennoch eine für über ein Jahrhundert gültige Reform seines Bildungsbereichs zu ersinnen und konsequent schnell umzusetzen, verdient ungeteilte Hochachtung. Das vom desaströsen Bildungsföderalismus hingegen zerfressene heutige Deutschland kann sich nicht einmal auf irgendwelche einheitlichen bundesweit gültigen Vorgehensweisen, geschweige denn gemeinsame Reformen einigen, nicht einmal darauf, in welchem Umfang die Bundesregierung sich an der Finanzierung des Bildungsbereichs beteiligen darf und sollte. Das gegenwärtige Geschachere ist so kleinkrämerisch und destruktiv, dass unsere Vorfahren im Biedermeier nur ihre Köpfe schütteln würden, ob soviel Kleinkariertheit und Provinzialität.

Die inzwischen für den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährliche, seinen Fortbestand bedrohende Situation im Schul- wie Hochschulbereich, verdanken wir ursächlich den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, zumindest denen aus dem Westen. Ihre Furcht vor Preußen und einem andauernden deutschen Zentralismus erzwang den Föderalismus heutiger Prägung, der sich unter parteipolitischem Vorzeichen als inzwischen destruktiv und völlig unreformierbar erwiesen hat, obwohl sämtliche Schwachstellen und Mankos dank zahlreicher Studien auf dem Tisch liegen und bekannt sind. Doch eine zentralistische Reform des Bildungsbereichs, der unsere Parteien ihrer Machtfülle und zahlreicher Pfründe berauben würde, gilt als ausgeschlossen, obwohl bei Fortsetzung und Fortschreibung der aktuellen Situation klar ist, dass das föderale bundesdeutsche Schul- und Hochschulwesen nicht mehr in der Lage ist, die nötige Bildung der Bevölkerung sicher zu stellen, mit gravierenden Auswirkungen auf den ohnehin aus demografischen Gründen unter massivem Druck stehenden Arbeitsmarkt. Dennoch Fehlanzeige selbst bei minimalster Bereitschaft zu Reformen bei unserer unfähigen, nur auf ihre eigene Karriere und Einkommen fixierte Politikerkaste.

Inzwischen ist völlig aus dem Reformbewusstsein der Bevölkerung wie der Politik entschwunden, was anlässlich der Wiedervereinigung vor über 30 Jahren hätte diskutiert und entschieden werden müssen: nämlich unser ausdrücklich nur als vorübergehende Lösung bezeichnetes Grundgesetz zu überarbeiten und es durch eine gemeinsame neue, endgültige Verfassung zu ersetzen. Doch davor drückte sich Helmut Kohl und seine CDU, wie die auf die Rückgewinnung des Kanzleramts fixierte SPD Gerhard Schröders. Im Zusammenhang mit der Verfassungsdiskussion hätte auch die kurzfristig diskutierte Frage auf die Tagesordnung gehört, die 16 nicht lebensfähigen Bundesländer durch eine Verwaltungsreform dergestalt zu stärken, dass nur vier oder fünf lebensfähige Länder- und Verwaltungseinheiten übrig geblieben wären. Gar nicht auszumalen, wie viel Geld seitdem eingespart worden wäre, für unfähige Politiker, überflüssige Länderparlamente, nutzlose Beamte und überbordende Parteipfründe. Wie anders und ungleich besser hätte sich unter veränderten Vorzeichen die Wiedervereinigung und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost wie West vollzogen. Zahlreiche heutige Probleme wären nie entstanden oder könnten aktuell einfacher und schneller gelöst werden, da weniger Entscheider beteiligt wären.

Doch das, was aus falsch verstandenen Gründen seinerzeit ausgesessen und aufgeschoben wurde, rüttelt aktuell mit erheblicher Gewalt an den Türen der unerledigten Probleme. Auf Dauer wird die föderale Bundesrepublik weder darum herumkommen, ihr lächerlich aufgeblähtes Parlament, den Bundestag, endlich auf ein akzeptables Maß zu verkleinern, noch werden wir noch sehr lange 16 Bundesländer mit 16 Länderregierungen samt ihren aufgeblähten Beamtenapparaten von immer geringeren Steuern ernähren können. Wir müssen das Land schlanker, effektiver und zentraler aufstellen, ohne deshalb gleich wieder in Vor-Hitler-Zeiten oder Weimarer Verhältnissen zu landen, denn die haben wir aktuell auch so schon zu einen Teil zurück, dank AfD und der Aussitzeritis von Merkel und Scholz. Inzwischen zeigt sich, dass der uns 1949 verordnete Föderalismus weder verhindert, dass Teile der Politiker und Bevölkerung ins Nationalistische abdriften, noch dass dies deutsche Probleme und Befindlichkeiten effektiver verwaltet, als das vormalige kombinierte zentral-föderale System, das erst das Deutsche Reich und anschließend die Weimarer Republik auszeichnete. Wir brauchen lebensfähige, gut regierte wenige Ländereinheiten unter einer für mehr zentrale Aufgaben als bisher verantwortlicher Bundesregierung. Ebenso, wie Außen- und Verteidigunspolitik bereits zentral betrieben werden, sollte dringend die Bildung wie Wirtschafts- bzw. Standortpolitik nur noch zentral und nicht 17 fach betrieben werden.

Das setzt dringende, schnelle, zukunftsträchtige Veränderungen voraus – ich weigere mich dafür den Begriff Reform zu verwenden, da der in meinen Augen seit den negativen Hartz-Reformen auf Dauer verbrannt ist, da diese sog. Reformen keine Reformen sondern Verschlimmerungen zum Schlechteren waren, wie uns sämtliche sozial-gesellschaftlichen Indikatoren beweisen.

Um bei all unser aktueller babylonischer Sprach- und Politikverwirrung in der bundesrepublikanischen Politik den Durchblick zu behalten und den dringend erforderlichen Plan für die erforderlichen Maßnahmen und ihre Prioritäten zu erarbeiten, sollten die Verantwortlichen sich ein wenig in die Vergangenheit versenken, und nachlesen, wie die erwähnten Preußischen Reformen zu einem tatsächlichen, großen Erfolg wurden, gerade auch für viele sozial Benachteiligte.

Dabei sollte auch rekapituliert werden, wie es unseren nicht minder, als wir Heutigen, diskussionsfreudigen Vorfahren gelang, sich zu entscheiden, festzulegen und schnell und organisiert all das Beschlossene umzusetzen – nicht in Jahrzehnten, sondern wie weiland binnen ganzer acht Jahre.

Bitte mitschreiben und festhalten: gesamtstaatliche umfassende Reformen erdacht, beschlossen und umgesetzt binnen läppischer ACHT Jahre !!! Nicht wie beim neuen Hauptstadtflughafen über 20 Jahre, um dann eine Investitionsruine zu haben, die kaum funktionsfähig ist.

Dazu müssen wir eintauchen in die Gedankenwelt des Biedermeier vor 200 Jahren, das sich bei genauer Betrachtung als weit weniger biedermeierlich betulich darstellt, als wir Heutige denken. Wie seinerzeit massive, generelle, existentielle Probleme erkannt und gelöst wurden, verdient Hochachtung. Die Aufgaben und Herausforderungen vor über 200 Jahren waren um ein Vielfaches größer, als unsere aktuellen Probleme. Dennoch wurden viele Probleme konsequenter und besser gelöst, als wir dazu heute in der Lage zu sein scheinen – trotz oder gerade wegen unserer IT, Software und künstlicher Intelligenz. Das sollte uns zu denken geben und motivieren, bei unseren Vorfahren abzuschauen, von ihnen zu lernen. Pragmatischer als wir waren sie allemal, selbst wenn sie sich für ein paar Jahre resigniert in die politischen Verhältnisse fügten und in den privaten, häuslichen Bereich zurückzogen. Das hinderte sie nicht, die übergeordneten Probleme anzugehen und zu lösen. Bestes Beispiel stellt Friedrich List und seine Überlegungen zur Verkehrspolitik Deutschlands dar. Nahezu alles, was List ersann und in einem Positionspapier zu Papier brachte, wurde später, trotz Diskrepanzen und ohne List, fast so, wie von ihm ursprünglich vorgeschlagen, umgesetzt. Dass die grundlegenden Verkehrsprobleme des damaligen, biedermeierlichen Deutschland nur gelöst werden konnten, indem man die Geldpolitik und Zollpolitik dramatisch neu ordnete, stellte sich bei der Umsetzung von Lists Verkehrsplan heraus. Folgerichtig wurde erst das Zollproblem gelöst. Die Frage der gemeinsamen Währung zog sich dagegen bis zur neuen Reichsgründung 1871 hin, doch immerhin, das neue Deutschland wurde 1871 gemeinsam mit einer einheitlichen neuen Währung aus der Taufe gehoben.

Was seinerzeit mit weit beschränkteren finanziellen Mittel, ohne jegliche technische Hilfsmittel wie Telekommunikation und Digitalisierung möglich war, sollte heute doch mindestens ebenfalls möglich sein. Daher nochmals: der Rückblick ins Biedermeier, also jene Periode, in der nahezu sämtliche Grundlagen für unsere heutige Welt gelegt wurden, ist erforderlich, um sich für die gegenwärtige Reformdiskussion zu munitionieren und abzukupfern, wie es unseren Vorfahren gelang, unter erschwerten Bedingungen zu teilweise guten bis ausgezeichneten Lösungen zu gelangen. Das sollte uns als Blaupause und Motivation dienen, uns unseren aktuellen, dringenden, teils existentiellen Problemen zu stellen, und diese guten Lösungen in kurzer Zeit zuzuführen. Dazu wird sicher erforderlich sein, parteipolitisches Gerangel hintenan zu stellen, sich im Sinne der Erhaltung und notwendigen Weiterentwicklung unseres Staates für die Zeit von Reformen als Einheit zu sehen, nicht als Teil von Interessengruppen, keine Regionalinteressen zu Lasten der Gemeinschaftsinteressen zu verfolgen. Wie unendlich schwer dies werden dürfte, demonstriert seit zwei Jahren die Ampel-Koalition auf Bundesebene, sowie das unsägliche Klein-Klein der regionalen Fürsten und die sie hervorbringenden Parteien.

Was bereits vor dem Erreichen der Halbzeit der aktuellen Ampel-Regierung klar war, zeigt sich immer vehementer: diese Regierung ist weder willens noch kompetent genug, auch nur die zentralen Problemstellungen zu erkennen. Wie also sollte sie in der Lage sein, angeführt von einem schwachen, selbst versonnenen Kanzler, Probleme zu lösen, statt sie in bewährter Manier auszuscholzen? Das wäre ja unter Umständen zu verschmerzen – bis zur Abwahl in zwei Jahren – doch die unerledigten Probleme haben Deutschland längst eingeholt und sind dabei, das Modell der sozialen Marktwirtschaft, die seit den sog. Hartz-Reformen bereits kräftig ausgeknockt wurde, endgültig aufzulösen.

Zu fragen bleibt, wo sind, wie weiland anlässlich der Preußischen Reformen, die Handvoll ausgewiesener Fachleute, die fähig und in der Lage sind, nicht nur die existentiellen aktuellen Probleme zu erkennen, zu benennen, und sie schnellen, konsequenten Lösungen zuzuführen?

Ehrlich gesagt, kann ich sie nicht erkennen, sondern nur ein sich rasch ausbreitendes Schwarzes Loch, das nicht nur die Probleme und die Regierung, sondern am Ende gleich unser auf dem Zahnfleisch gehendes Deutschland mit ins unendlich Schwarze zieht. Statt Heine kommt mir da Oswald Spengler und sein „Untergang des Abendlands“ in den Sinn. Ist nicht Trump bereits einer von Spenglers apokalyptischen Reitern?

Während wir uns, angesichts des sämtliche Demokratien Europas bedrohenden Krieges Russlands gegen die Ukraine den Luxus erlauben, die Ukraine nur halbherzig mit Waffen, dafür vollmundig mit guten Ratschlägen und Aufrufen zur Unterwerfung unter Putins mafiöses Russland per Diktatfrieden versorgen, bahnt sich bei unserem transatlantischen Partner Nummer Eins, den USA, eine ausgemachte Staats- und Identitätskrise an, die, bei Wiederwahl des Herrn Trump, zu einer Neuauflage der biedermeierlichen Drei-Kaiser-Allianz führen dürfte. Das damals durch die Kaiser von Russland, Österreich und den preußischen König repräsentierte antidemokratische Unterdrückungsregime Europas, dräut in Form der Dikatoren Xi Jinping, Putin und Trump im Weltformat neu herauf. Doch unverdrossen leisten sich unsere gewählten Politiker kleinkarierte schildbürgerstreichartige Possen um Grenzkontrollen, verweigern sich der seit 2015 überfälligen Reform unseres Asyl- und Migrationswesens, setzen weiterhin auf Geschäfte mit der größten und gefährlichsten Diktatur China, interessieren sich nicht für die drohende Staats- und Verfassungskrise der USA, bereiten sich nicht auf das Ende des militärischen Schutzschilds durch eben diese USA vor, weigern sich vehement die Bundeswehr wenigstens soweit zu re-reformieren, dass sie in der Lage wäre, uns bei einem Angriff wenigstens drei bis fünf Tage verteidigen zu können, statt umgehend kapitulieren zu müssen. Doch vermutlich denken sich Politiker von SPD und Linke, dass wir Deutsche ja ausgezeichnete Erfahrungen mit bedingungslosen Kapitulationen gesammelt haben, der von 1918/19 und der von 1945. Da sollten wir doch eine dritte mühelos hingekommen. Fragt sich bloß, weshalb dann uns 100 Milliarden Bundeswehr Ertüchtigungsvermögen wie Sand in die Augen zu streuen, wenn eh bereits an bedingungslose Kapitulation vor Putins Russland-Mafiastaat gedacht wird. Denn ohne den atomaren Schutzschild der USA, den Trump nahezu umgehend fortziehen wird, wenn er an die Macht kommt, liegen wir auf einem Silbertablett, und die einzige Option angesichts einer unreformierten, schlecht aufgestellten und nicht ausgerüsteten Bundeswehr besteht nun mal in einer bedingungslosen Kapitulation.

Ich bin überzeugt, an notwendigen Reformen in großen wie kleinen Dingen mangelt es, der von Kanzlerin Merkel in einen realitätsfernen Daseinsrausch geführten Bundesrepublik mitnichten. Doch das männliche Merkel-Double im Kanzleramt hat bewiesen, dass er nur eine Disziplin meisterlich beherrscht, das Scholzen, sprich das lustvolle Nichtstun, das Aussitzen und als einzigen politischen Kompass die Nachahmung und Fortführung von Merkels gescheiterter Politik kennt. Damit steuert uns der Lotse, ähnlich wie der damalige Leichtmatrose Wilhelm II., unweigerlich auf die Klippen zu, was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als die weitere Existenz unseres Staates aufs Spiel zu setzen.

Es dürfte deutlich geworden sein: Reformen braucht das Land, dringend, jetzt, nicht am St. Nimmerleinstag. Das ist unter diesem Kanzler und dieser Koalition unmöglich. Da auch die jetzige Opposition keine Alternative darstellt, befinden wir uns, d. h. Deutschland, in einer ziemlich aussichtslosen Situation. Woher eine neue, andere Regierung nehmen, mit fähigen, weil uneigennützigen Politikern?

Ganz sicher ist aber auch: von der AfD auch nur anderes, als die bedingungslose Kapitulation unter ihrem angehimmelten Wiedergänger Hitlers, Putin, zu erwarten, wäre illusorisch. Also, wäre es eventuell mal wieder an der Zeit, wie 1848/49, 1918 oder 1989 eine interne Revolution einzuleiten, um das Oben nach unten und das Unten nach oben zu spülen. Doch wenn ich mir meine gegenwärtigen Landsleute betrachte, die sich weder von nicht existenzfähigen Renten, nicht von Hartz IV, nicht von ausufernden Abgaben und Steuern, Zeitarbeit und prekärer Beschäftigung auf die Straße und zu Protesten bewegen lassen, dann sehe ich ernsthaft schwarz.

Mein gutgemeinter Ratschlag, uns Anleihen bei unseren Vorfahren zu holen, die unter weit ungünstigeren Bedingungen ihre damaligen Probleme vielfach lösten, dürfte naturgemäß verpuffen, praktisch weder das Papier auf dem er steht, noch die Zeit, die ich aufgewendet habe, ihn zu verfassen, wert sein. Dennoch mag ich mich noch nicht dem letzten sächsischen König anschließen, der, als er angesichts der Revolution gezwungen war, abzudanken, voller Frust äußerte: „Dann macht euern Dreck doch alleene“.

Titelbild: Dennis Jarvis CC BY-SA 2.0 via FlickR

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