Die Europäische Union will die Gründung sogenannter Europäischer Hochschulen vorantreiben und stellt dafür 30 Millionen Euro im Rahmen des Programms Erasmus+ zur Verfügung.

Der Rektor der ESCP Europe Berlin, Prof. Andreas Kaplan, hatte dazu im November 2018 fünf Thesen aufgestellt, die Europa.blog unter dem Titel „Warum brauchen wir eine Europäische Hochschule?“ veröffentlichte.

Im März 2019 hat Forsa im Auftrag der ESCP Europe Berlin eine bundesweite Umfrage zum Thema „Studieren im Ausland“ durchgeführt, um herauszufinden, wie die Bürgerinnen und Bürger zu diesem Thema stehen.

Andreas Kaplan erläutert in dem folgenden Interview mit Eurpa.blog das Ergebnis dieser Umfrage. Das Interview führte Jürgen Klute.

Europa.blog: „Studieren im europäischen Ausland“ – so ist der Titel einer Umfrage, die die ESCP Europe von forsa hat durchführen lassen. Wir leben im EU-Binnenmarkt. Ist es da noch angebracht von europäischem Ausland zu reden wie im Titel der Umfrage?

Andreas Kaplan: Wir haben „europäisches Ausland“ aus zwei Gründen gewählt: Zum einen wollten wir neutral bleiben. Der EU-Binnenmarkt umfasst schließlich nicht alle europäischen Staaten. Gleichzeitig würde es uns schwerfallen, bei Nicht-EU-Staaten wie Norwegen und der Schweiz vom europäischen Ausland zu sprechen, bei Schweden oder Österreich aber nicht. Zum zweiten wollten wir die kulturelle Vielfalt, die Europa auszeichnet, betonen. Die Unterschiede machen die Idee vom vereinten Europa ja spannend und interessant, diese Verschiedenartigkeit und Vielfältigkeit und gleichzeitig das vereinende Konzept der Europäischen Union. Sollten wir aber irgendwann unsere europäischen Nachbarländer nicht mehr als Ausland bezeichnen und dies auch so empfinden, würde mich das durchaus sehr freuen.

Europa.blog: Was war der Anlass, die Motivation für diese Umfrage?

Andreas Kaplan: Als europäische Business School verfolgen wir mit großem Interesse die Initiative von Emmanuel Macron, bis 2024 mindestens 20 paneuropäische, universitäre Kooperationen ins Leben zu rufen. Die ESCP Europe hat seit fast 50 Jahren ein integriertes Multicampus-Modell mit Standorten in Berlin, London, Madrid, Paris, Turin und Warschau. Wir fanden es an der Zeit, durch eine Umfrage mehr Klarheit darüber zu bekommen, wie ein europäisches Modell aufgebaut sein müsste. Aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen haben wir uns zudem gefragt, ob eine europäische Universität noch von der breiten Öffentlichkeit in Deutschland getragen wird – umso mehr freuen wir uns über die Ergebnisse der Umfrage.

Europa.blog: Welche Personen und Altersgruppen wurden im Rahmen der Untersuchung befragt?

Andreas Kaplan: Die vom Meinungsforschungsinstitut forsa durchgeführte Umfrage ist repräsentativ. Es wurden also Frauen und Männer mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründen befragt, Menschen mit Hauptschulabschluss, mit mittlerem Abschluss, mit Abitur oder Studium. Auch bei der Altersstruktur gab es keine Beschränkungen, angefangen von der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen bis hin zur Gruppe der Älteren ab 60 Jahren.

Europa.blog: Welches Ergebnis hat die Umfrage erbracht?

Andreas Kaplan: Die Mehrheit der Deutschen hält es für zeitgemäß und wichtig, dass Studierende einen Teil ihres Studiums im europäischen Ausland absolvieren. Laut der Studie sind 77 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Wichtigste Ergebnisse eines solchen Auslandsstudiums sind für 81 Prozent die verbesserten Fremdsprachenkenntnisse und für 80 Prozent ein wachsendes Verständnis für andere Kulturen. Für zwei Drittel (66 Prozent) ist das Auslandsstudium ein Baustein für die spätere Karriere und nützlich für den Aufbau eines internationalen Netzwerkes (64 Prozent). Nur die Hälfte hält den Spaßfaktor während eines solchen Aufenthaltes für entscheidend (Mehrfachnennungen waren möglich).

Europa.blog: Haben Sie mit einem solchen Ergebnis gerechnet? Was war überraschend für Sie an den Ergebnissen?

Andreas Kaplan: Überrascht hat mich tatsächlich, dass vor allem ältere Menschen vom Nutzen eines Studienaufenthaltes im europäischen Ausland überzeugt sind: 83 Prozent der Bundesbürger ab 60 Jahren erachten diesen für sehr wichtig oder wichtig. Unter den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 29 Jahren teilen hingegen nur 67 Prozent diese Ansicht.

Sicherlich sind die EU und die mit ihr verbundenen Freiheiten für die jüngere Generation inzwischen selbstverständlich. Ich denke hier an die Reisefreiheit oder die Möglichkeit, überall arbeiten und wohnen zu können, was das Schengener Abkommen seit mehr als 30 Jahren ermöglicht. Oder der Fall der Mauer 1989, der plötzlich das Reisen und den Austausch mit den osteuropäischen Staaten möglich machte. Gewöhnt haben sich die unter 30-Jährigen auch an den einheitlichen europäischen Hochschulraum, angeschoben durch den Bologna-Prozess. Wir leben im Zeitalter der Billigflieger, am Wochenende fliegt man mal schnell nach Frankreich, Estland oder Irland. Möglich, dass die EU ihren Reiz durch alle diese Faktoren als Studienort zumindest teilweise verloren hat.

Europa.blog: Bei einem Auslandsstudium stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Sprache. Gibt die Befragung auch zu diesem Thema neue Erkenntnisse – und wenn ja, welche?

Andreas Kaplan: Einige Hochschulen bieten für Studierende aus anderen Ländern Vorlesungen und Seminare in englischer Sprache anstatt in der Landessprache an. 7 von 10 Bundesbürgern (70 Prozent) finden das gut. 27 Prozent sind dagegen der Meinung, dass das Auslandssemester bzw. Studium im europäischen Ausland in der jeweiligen Landessprache absolviert werden sollte. Ich stimme dem zu. Allerdings muss man auch von Land zu Land bzw. von Sprache zu Sprache unterscheiden. Einige Fremdsprachen, wie etwa Französisch oder Spanisch, werden häufig gesprochen und in der Schule unterrichtet, bei Finnisch oder Ungarisch sieht dies schon wieder ganz anders aus. Im Grunde muss man schon im Sprachenunterricht in der Schule ansetzen.

Europa.blog: Wie stehen Sie zur Sprachenfrage? Halten Sie Englisch als Wissenschaftssprache für sinnvoll oder sollte ein Studium in einem anderen europäischen Land nicht doch eher auch zum Erlernen der Landessprache genutzt werden? Mit der Sprache lernen Studierende immerhin auch etwas über Kultur und Gesellschaft.

Andreas Kaplan: Ich halte beides für wichtig. Englisch als Unterrichtssprache ermöglicht einen kulturellen Mix im Hörsaal, vorausgesetzt, dass das Englischniveau aller Studierenden und Lehrenden ausreicht. Der Austausch der Kulturen ist ja eines der Hauptanliegen der Europäischen Hochschule. An der ESCP Europe unterrichten wir zum Großteil in Englisch. Wir wollen eine große Diversität der Nationalitäten und Kulturen in den Studiengängen haben. Im Master in Management kommen zum Beispiel 900 Studierende aus knapp 100 verschiedenen Ländern. Gleichzeitig sind Sprachkurse fester Bestandteil unserer Studiengänge, die Studierenden müssen für den erfolgreichen Abschluss ihres Studiums Dreisprachigkeit nachweisen. Sie sprechen dann in der Regel drei Sprachen fließend – ihre Muttersprache, Englisch und die Landessprache. Der erwünschte Nebeneffekt ist, dass dadurch auch das Verständnis für die Kultur eines Landes wächst. Ein solches System ermöglicht dann beides: kulturelle Vielfalt im Vorlesungsraum und Mehrsprachigkeit als individuelle Kompetenz.

Europa.blog: Mit der Sprachenfrage ist ein anderes wichtiges europapolitisches Thema sehr eng verbunden: die der europäischen Integration. Was können Studienaufenthalte in anderen europäischen Ländern zur europäischen Integration beitragen?

Andreas Kaplan: Wer die Sprache des Gastlandes versteht, dem öffnet sich eine neue Welt. Ein weiterer, oft unterschätzter Effekt, ist, dass ich plötzlich meine eigene Kultur und deren Besonderheiten besser verstehe. Die Ergebnisse sind mehr Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Offenheit. Nicht umsonst lautet das Motto der EU „In Vielfalt geeint“. Europäische Integration heißt auch, Unterschiede zu respektieren, ja, sogar zu zelebrieren.

Europa.blog: Welche Konsequenzen werden Sie für Ihre Hochschule aus den Umfrageergebnissen ziehen? Und was empfehlen Sie den europäischen Politiker*innen, die für Bildung und Wissenschaft verantwortlich sind?

Andreas Kaplan: Ich freue mich natürlich über die Ergebnisse und die Bestätigung unseres Hochschulkonzeptes. Die Haltung der jüngeren Befragten hat mich allerdings nachdenklich gestimmt. Ich denke, wir müssen die Vorteile und den Wert eines Auslandsaufenthaltes noch mehr erklären. Natürlich zieht es die jungen Leute auch ins außereuropäische Ausland, etwa nach China. Für solche Auslandsaufenthalte spricht einiges. Jedem muss aber auch klar sein, dass die kulturellen Unterschiede zum eigenen Herkunftsland sehr groß sind. Ein bisschen interkulturelle Kompetenz ist da schon von Vorteil, wenn der Aufenthalt erfolgreich sein soll. Und Europa ist ein gutes Trainingsfeld dafür. Deshalb ermöglichen wir unseren Studierenden neben dem Studium an unseren eigenen Campus in Europa auch ein Auslandssemester an einer unserer mehr als 150 Partneruniversitäten weltweit.

Es ist gut, dass sich die EU für die Europäischen Hochschulen engagiert. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Umsetzung nicht so einfach ist. Meiner Meinung nach sollten Fachkräfte für interkulturelle Zusammenarbeit im Hochschulwesen den Universitätskonsortien kontinuierlich mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Europa.blog: Vielen Dank für das Interview.

Titelbild: Erasmus-Poster, Giovanni Prestige CC BY-SA 2.0

Andreas Kaplan ist Rektor der Wirtschaftshochschule ESCP Europe Berlin. Der Wirtschaftswissenschaftler ist überzeugter Europäer und befürwortet als solcher ein starkes Europa. Wiederholt hat er in Frankreich gelebt und unter anderem an der Pariser Universität Sorbonne habilitiert. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem im Einfluss der Digitalisierung auf das Hochschulwesen, dessen Zukunft im Allgemeinen sowie in Funktionsweisen von sozialen Medien, der digitalen Kommunikation und der künstlichen Intelligenz. Laut dem US-amerikanischen Verlag John Wiley & Sonswird wird Kaplan unter den Top 50 Business- und Management-Autoren weltweit gelistet.

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