Von Frederik D. Tunnat

Die ersten beiden Uhren meines Lebens waren Automatik-Uhren aus der Schweiz. Nummer eins eine klassische Taucheruhr, hergestellt von der Uhrenmanufaktur Delano in Biel. Die Firma wurde auf dem Höhepunkt der Quarz-Krise, Anfang der 1980er Jahren, eines der zahlreichen Opfer billiger asiatischer Quarz-Uhrwerke. Meine Delano lief die längste Zeit ihrer Existenz mit einer Präzision von 0 bis maximal 1 Sekunde Abweichung pro Tag. Ich brauchte die Uhr folglich nur jeden zweiten Monat zu justieren, wenn das Datum ohnehin manuell anzupassen war. Die Uhr begleitete mich von 1968 bis 2018, also exakt 50 Jahre. Dann gab sie unvermittelt ihren Geist auf.

Seit 1996 besaß ich eine zweite Uhr, eine Taucheruhr Marke Swiss Army, hergestellt von der Swiss Army Watch Uhrenfabrik im berühmten La Chaux-de-Fonds, die ich direkt in der Schweiz erwarb. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich überwiegend die Delano getragen, die treu und brav sowie präzise ihren Dienst versah. Nachdem ich die Swiss Army Uhr besaß, trug ich beide Uhren abwechselnd, die Delano bis 2018, die Swiss Army Watch bis 2022. Vorletztes Jahr fiel mir die Swiss Army zu Boden, traf so unglücklich auf, dass eine der Komponenten des Uhrwerks brach, weshalb sie seitdem nur noch eingeschränkt läuft.

Nach meinen sehr positiven Erfahrungen mit mechanischen Automatik-Uhren aus der Schweiz wollte ich natürlich erneut eine Schweizer Uhr erwerben. Doch anlässlich meiner Suche nach geeignetem Ersatz traf mich buchstäblich der Schlag, denn speziell solche Uhren, deren Design mir gefiel, und deren Uhrwerk nach wie vor eine mechanische Automatik antreibt, sind inzwischen unverhältnismäßig im Preis gestiegen, sprich inakzeptabel teuer geworden. Schweizer Uhren haben ihre Preise, wie ich nachrechnete, seit 1968 bzw. 1996, also den Jahren, in denen ich meine Uhren erwarb, einschließlich Inflationsanteil teilweise verzehn- bis verhundertfacht. Daher sah ich mich gezwungen, auch Uhren aus der Produktion anderer Länder in Betracht zu ziehen. Nicht nur die Preise haben sich innerhalb der letzten 55 Jahre überproportional erhöht; auch die Art, wo und wie man eine Uhr kauft, hat sich seitdem dramatisch verändert. Ging ich früher wie selbstverständlich zu einem Juwelier oder in ein Uhren-Fachgeschäft, geleitet von einem erfahrenen Uhrmachermeister, um mich beraten zu lassen, muss man sich aktuell vorwiegend via Internet, also Online, über das inzwischen schier unübersehbare Angebot an Uhren informieren. So schlug mein erster Versuch, eine neue, preislich akzeptable Uhr zu erwerben, gründlich fehl, obwohl ich den traditionellen Weg über ein Fachgeschäft wählte.

Angesichts der überteuerten Schweizer Uhren informierte ich mich über Uhren „Made in Germany“. Dazu nutzte ich aus alter Gewohnheit ein Juwelier- und Uhren-Fachgeschäft. Dort wurde mir mit leicht pikiertem Blick, angesichts meiner offenbar eingeschränkten preislichen Vorstellungen, schließlich eine Taucheruhr der mir völlig unbekannten Marke „Carl von Zeyten“ empfohlen, die als Auslaufmodell mit einem Preisnachlass abgegeben wurde. Da man mir versicherte, dass es sich um eine seriöse, in Deutschland gefertigte Uhr mit deutschem Uhrwerk handle, nahm ich den Ratschlag an und erwarb besagte Uhr mit der Modellnummer 30. Schnell musste ich feststellen, dass besagte Automatikuhr sehr ungenau ging. Sie verlor 30 und mehr Sekunden pro Tag, was bedeutete, sie spätestens jeden zweiten Tag stellen zu müssen – ein Umstand, der mir von meinen Schweizer Uhren überhaupt nicht geläufig war. Und dies, obwohl die angeblich deutsche Uhr in Euro ziemlich genau das gekostet hatte, was 1996 die Swiss Army in Schweizer Franken und die Delano 1968 in D-Mark gekostet hatten. Folglich war ich davon ausgegangen, es mit einer vergleichbaren Qualität zu tun zu haben.

Unglücklich über die nie gekannte Ungenauigkeit meiner neuen Uhr blieb ich am Thema Uhrenkauf dran, da ich natürlich weiter nach einer Uhr suchte, die so zuverlässig ging, wie ich das von meinen früheren Uhren gewöhnt war. Nie zuvor in meinem Leben musste ich so viel Zeit aufwenden, um mich über unterschiedliche Uhrwerke, diverse Uhrenmarken, deren Tests und Preise zu informieren, wie aktuell. Quarzuhren lehne ich ab. Doch heutzutage besteht das überwiegende Angebot, zumal an „preiswerten“ Uhren aus diesen unerfreulichen Batterieuhren.

Aber auch in Bezug auf heutige Automatikuhren musste ich eine Menge lernen. Im Grunde genommen handelt es sich, so mein Eindruck, bei nahezu jeder preislich günstigen Uhr direkt oder indirekt heutzutage um eine chinesische Uhr. Diese Lektion lernte ich im Zusammenhang mit meiner ungenauen „Made in Germany“. Eines Tages, während ich im Garten den Sonnenschutz aufbaute, wie ich das zuvor viele Male getan hatte, mit einer meiner Schweizer Uhren am Handgelenk, löste sich plötzlich das Glas der neuen Uhr aus der Fassung und fiel zu Boden. So etwas hatte ich in 55 Jahren noch nie mit einer Uhr erlebt. Selbstverständlich ging ich davon aus, dass dieser Schaden durch die Garantie gedeckt sei, da die Uhr erst seit ca. 7 Monaten an meinem Handgelenk hing. Doch weit gefehlt. Der Juwelier unterstellte mir, den Schaden durch unsachgemäße Nutzung selbst verursacht zu haben und lehnte Gewährleistung ab. Als ich mich daraufhin an den Hersteller in Deutschland wenden wollte, wurde es mysteriös. Wie ich herausfand, verbirgt sich hinter dem angeblichen Uhrenhersteller „Carl von Zeyten“ bloß ein Uhrenimporteur namens Werner Kwiatkowski. Nachdem ich auf der Webseite der angeblichen Uhrenmarke die dort hinterlegte Geschichte der Firma las, kam mir umgehend der Begriff „Märchen“ in den Sinn. Tatsächlich existiert ein Artikel der lokalen „Badischen Zeitung“ aus dem Jahr 2016, in dem zu lesen steht: „Der angebliche Uhrmacher Carl von Zeyten hat zwar eine Biografie, tatsächlich ist der Mann aber nur die Erfindung für den klangvollen Namen einer Uhrenmarke“. Das weckte mein Misstrauen und ich intensivierte meine Recherche im Internet. Dabei stieß ich in einem der zahlreichen Uhrenforen auf folgende entlarvende Information: „Carl von Zeyten a „brand“ under the umbrella of Werner Kwiatkowski Internationale Handelsvertretung, ex bankrupt Cristano GmbH (Ingersoll) selling chinese watches“.

Tatsächlich erwies sich die angeblich in Deutschland hergestellte „Made in Germany“ Uhr als originale „Made in China“. Der Importeur Kwiatkowski besitzt sogar die Chuzpe, sowohl auf dem Ziffernblatt meiner angeblichen „Made in Germany“ Uhr das Logo der Ingersoll Bison Uhrenlinie, sowie eingraviert auf dem Bodendeckel der Uhr zu belassen. Der entgegen der chinesischen Praxis mit Blech verschlossene Uhrenboden, statt wie üblich bei chinesischen Uhren via Glas einsehbar, verhindert den Blick auf das chinesische Ingersoll No.21 Uhrwerk, das, wie die ganze Uhr von Ingersoll Hongkong in China hergestellt wurde. Das erklärt die miserablen Gangwerte der Uhr mit über 30 Sekunden Gangabweichung pro Tag! Damit war klar, dass ich für ein gefaktes, erfundenes Uhrenlogo namens „Carl von Zeyten“, frecherweise als „Made in Germany“ ausgegeben, ein paar hundert Euro zu viel bezahlt hatte. Der Tatbestand des Betruges ist erfüllt, nur werde ich mich hüten, noch mehr Geld für ein Gerichtsverfahren gegen einen Bankrotteur aufzuwenden, der im Zweifelsfall erneut in die Insolvenz geht, statt den Schaden zu erstatten. Schlimm genug, dass sich zahlreiche Juweliere und Uhrenfachgeschäfte in Deutschland, Österreich und Italien dazu hergeben, dem Ganzen den Anstrich von Seriosität zu verleihen, indem sie diese chinesischen Machwerke als „Made in Germany“ für stark überhöhte Preise verkaufen und sich so am Schwindel, der ihnen bewusst sein muss, bereichern, auf Kosten ihrer Kunden!

Nach dieser unschönen Erfahrung als Verbraucher im globalisierten 21. Jahrhundert, in dem trotz EU Verbraucherschutz die Onlinehändler dominieren, hätte ich von einem deutschen Juwelier mehr Seriosität erwartet, als von mafiösen Onlineanbietern. Also blieb mir, nachdem ich mich in den wenigen Uhrengeschäften der litauischen Hauptstadt Vilnius umgeschaut hatte, nur der boomende Online-Uhrenhandel. Ein wahres Haifischbecken für unbedarfte, schlecht informierte Verbraucher. Litauische Uhrenläden bieten entweder sündhaft teure Schweizer Luxusuhren oder chinesische Billigware, einschließlich russischem Schrott, aber nichts dazwischen.

So musste ich enorm viel Zeit aufwenden, um mich durch die diversen Uhrenforen im Internet zu lesen. Zunächst wurde deutlich, dass Uhren heute ein wesentliches Statussymbol darstellen, sogar eines, das man permanent am Arm tragen und zur Schau stellen kann, während Statussymbole wie der Porsche abgestellt werden müssen, wenn man ein gesellschaftliches Ereignis besucht. Auch das symbolträchtige Haus steht auf seinem Platz und kann nicht überall mit hingeschleppt werden. Ebenso die Superyacht oder der Privatjet. Die müssen im Hafen bleiben, dem im Wasser oder dem an der Luft. Insofern macht das Statussymbol Uhr schon irgendwo Sinn, für Menschen, die gern zeigen wollen, was sie sich leisten können. Das haben sich die Hersteller von Luxusuhren, vornehmlich in oder nahe der Schweiz angesiedelt, nach der Quarzkrise zu Nutze gemacht und kräftig an den Preisen geschraubt. Jede Sekunde, die eine Luxusuhr genauer läuft als die (chinesische) Massenware, ist mit mehreren tausend bis zehntausend Euro, Dollar oder Franken zu berappen.

Um die aberwitzigen Preisunterschiede zwischen Luxusuhren, Normaluhren und dem angeblichen oder tatsächlichen Massenramsch zu verstehen, musste ich tief in die Begrifflichkeiten der modernen Uhrenfetischisten eintauchen. Das Herzstück einer jeden Uhr, ob mechanisch oder elektronisch angetrieben, ist das Uhrwerk. Diese bestehen im Fall von Automatikuhren aus bis zu 165 Einzelteilen, bei Quarzuhren sind es deutlich weniger, oft nur 60-80. Die mechanischen Automatik-Uhrwerke werden allesamt inzwischen überwiegend mithilfe sehr intelligenter Maschinen hergestellt, also weitgehend bis vollständig automatisiert. Menschen kontrollieren und überwachen das Ganze, greifen nur bei Problemen ein und kontrollieren das Ergebnis, die fertigen Uhrwerke. Hier besteht der entscheidende Unterschied zwischen der maschinell erzeugten Massenware und den sogenannten Luxusprodukten. Letztere werden zum Teil aus besserem, also weniger schnell verschleißendem Material hergestellt und, bevor sie schließlich in die Uhrgehäuse eingebaut werden, manuell geprüft und gegebenenfalls händisch justiert. Gleichgültig, ob ein automatisches Uhrwerk in einer asiatischen Anlage vollautomatisch zusammengebaut wird, oder der automatisierte Prozess in Schweizer Fabriken durch einige manuelle Handgriffe ergänzt wird, sämtliche dieser Uhrwerke haben die Tendenz, Zeit nicht hundertprozentig anzuzeigen, sondern gehen mehr oder weniger um Sekunden ungenau.

Während die Luxushersteller an dieser Stelle menschliches Know-How in Form gut ausgebildeter Uhrmacher und Spezialmaschinen einsetzen, um die halb oder vollautomatisiert produzierten Uhrwerke zu prüfen und nachzujustieren, sowie mit den Uhrwerken bestimmte Tests durchführen, um eine gewisse Ganggenauigkeit garantieren zu können, können die Billigheimer unter den Uhrenherstellern dies zu ihren unterirdischen Preisen nicht leisten. D.h. diese Uhren gelangen ohne aufwändige Einzelkontrolle und ohne Tests in den Handel, was bedeutet, dass sie mal ebenso exakt gehen, wie die Luxusuhrwerke, die nachjustiert wurden, dass sie jedoch oft auch innerhalb einer weit größeren Toleranzbreite Zeit verlieren oder gewinnen.

Meine Recherchen haben ergeben, dass auch der Großteil der deutlich billigeren mechanischen Automatik-Uhrwerke, sofern keine konstruktiven Probleme vorliegen, durch manuelles Nachjustieren eines Uhrmachers ebenso genau eingestellt werden können, wie Luxus-Uhrwerke. Dass auch die Luxusuhren nur mechanische Produkte sind, anfällig für Abweichungen und Probleme im Alltag, kann jedermann in den zahlreichen, meist englischsprachigen Uhrenforen im Internet nachlesen. Dort werden Tipps ausgetauscht, aber auch von den alltäglichen Problemen im Umgang mit Automatikuhren der Luxusmarken berichtet. Die zahlreichen selbständigen Uhrmacher auf der ganzen Welt, einschließlich der Serviceabteilungen der Uhrenfabriken, hätten kaum so zahlreich und permanent zu tun, würden Luxusuhren, wie von der Werbung behauptet, immer und jahrzehntelang genau und ohne Probleme funktionieren, wie meine früheren qualitativ hochwertigen Schweizer Uhren. Dem ist heutzutage nicht mehr so. Gerade die sehr teuren Uhren benötigen regelmäßige Aufmerksamkeit und Pflege, müssen wie Luxuskarossen regelmäßig zum Service, eingestellt, geölt und gepflegt werden, etwas, dass für derartige Luxusuhren zwischen 1.000 bis 2.500 Euro alle fünf Jahre kostet. Dafür und angesichts der Tatsache beim Kauf zwischen 5.000 bis 100.000 Euro gekostet zu haben, gehen diese Uhren dann, wenn alles gut läuft, nur 1-2 Sekunden pro Tag vor oder nach. Wenn man so will, extrem teure letzte 1 bis 2 Sekunden!

Die billigen und weniger teuren Automatikuhren weisen das ganze Spektrum zwischen 3 bis 30 Sekunden Vor- oder Nachgang auf, wie bautechnisch bedingt. Würden deren Besitzer nach dem Kauf 25-30 Euro fürs Nachjustieren aufwenden und ebenfalls ihrer Uhr alle 5 bis 10 Jahre eine Inspektion genehmigen, die je nachdem zwischen 200 bis 500 Euro kosten kann, dann hätten die Besitzer dieser Uhren im Preisspektrum zwischen 200 bis 1.000 Euro ähnlich genau gehende Uhren wie die Besitzer der Luxusprodukte, allerdings ohne den stabilisierenden, das Selbstwertgefühl aufbauende Image des Statussymbols Luxusuhr.

Konstruktionsbedingt gehen die deutlich billigeren Quarzuhren genauer als mechanische Automatikuhren. Was im Umkehrschluss bedeutet, wessen Selbstwertgefühl es zulässt, dazu zustehen, für eine Uhr entweder deutlich weniger Geld ausgeben zu können oder zu wollen, der kann für einen Bruchteil der Kosten einer Luxusuhr einen recht genaueren Zeitanzeiger am Handgelenk tragen, eben aus Quarz, was bedeutet, alle 2-3 Jahre die Batterie wechseln zu müssen, sowie einen abgehackten Gang des Sekundenzeigers in Kauf zu nehmen.

Hier fällt die Auswahl angesichts der Vielzahl an Marken und Uhren ungemein schwer. Da die Beratung der früheren Fachgeschäfte oder Juweliere fehlt, bleiben die zahllos online einsehbaren Tests und Erfahrungsberichte. Wiewohl mehr Schrott, Schleichwerbung und Fake-Beurteilungen online stehen, denn seriöse Informationen, fällt es nicht leicht und kostet einige Zeit, sich ein Urteil bilden zu können. Nach einiger Zeit kristallisierte sich ein immer wiederkehrender Name heraus. Es handelt sich um eine Marke namens Invicta. Während die meisten selbsternannten Uhrenexperten diese und andere als billig bezeichnete Uhren rundweg und generell ablehnen und eine Menge unschöner Dinge über die Firma und ihre Uhren auskübeln, filterten sich schließlich aus der Unübersichtlichkeit des Internets drei Beurteilungen, zugleich Test und Vergleiche, heraus, die ich angesichts diverser Punkte als seriös erachte. Überzeugt hat mich schließlich der Vergleich eines englischen Uhrmachermeisters, der ausschließlich Luxusuhren wartet, repariert und verkauft. Der war so offen, über seine enormen Vorbehalte und Vorurteile gegenüber billiger Uhren wie der Invicta zu reden und schreiben. Das macht sein anschließendes Urteil über die Invicta Pro Diver in meinen Augen so aussagekräftig, weil es durch die Brille von Vorurteilen erfolgte. Wenn dennoch das Ergebnis seines Tests diesen überzeugten Anhänger von Luxusuhren und deren Daseinsberechtigung überraschte und zu einem Konvertiten machte, dann war es dies, was mich überzeugte, mir statt einer weiteren Made in Germany oder einer einfachen Swiss Made eine Invicta Made in Asia zu kaufen.

Das ausgewogene Urteil dieses Uhrmachers, das online sowohl als Video wie in Textform einsehbar ist, hat sich nach dem Kauf bestätigt: meine Invicta, in der ein in Japan von Seiko konstruiertes, aber in Malaysia gebautes Automatik-Uhrwerk tickt, läuft mit der Genauigkeit eines Schweizer Chronometers, sprich, innerhalb der exzellenten Toleranz zwischen -4 bis plus 6 Sekunden pro Tag. Meine Invicta, die keiner Nachjustierung bedurfte, geht exakt 1 Sekunde pro Tag nach. Das macht in zehn Tagen 10 Sekunden; im Monat 30 Sekunden oder eine halbe Minute. Das ein exzellenter Wert für eine mechanische Automatik, zumal für eine Uhr, die statt 5.000 oder gar 15.000 Euro ganze 135 Euro gekostet hat. Dennoch läuft sie ebenso genau, wie eine Rolex, Omega, Tag Heuer etc. Was will man mehr?

Da ich die Uhr nicht erworben habe, um damit gegenüber anderen Menschen vorzugaukeln, es handele sich um eine Rolex, sondern offen dazu stehe, dass es sich um eine Invicta handelt, also eine asiatische Uhr, als billig, wertlos sowie ungenau verschrien. Mein Selbstbewusstsein verkraftet es, dazu zustehen, dass ich für eine möglichst genaue Anzeige der Zeit nicht bereit war, mehr als 135 Euro auszugeben. Die Invicta ist deutlich besser verarbeitet und geht ungleich genauer als die CvZ Fakeuhr, die ebenfalls asiatischen Ursprungs ist; aber vorgibt, in Deutschland hergestellt zu sein, doppelt so teuer war wie die Invicta, dennoch Schrott ist. Von Invicta Pro Diver Uhren weiß ich durch das Internet, dass manche Besitzer sie seit 18 und mehr Jahren tragen, die Uhren nach wie vor gehen und noch relativ ansehnlich sind. Bei dem Preis kann ich es mir in Zukunft leisten, wenn nötig, in einigen Jahren, falls Probleme auftauchen, eine neue Invicta zu kaufen, statt sie für mehr Geld warten zu lassen. Selbst wenn eine andere Invicta ungenauer liefe und eine Nachjustierung benötigte, bliebe ich dennoch deutlich unter dem Preis für eine falsche CvZ Uhr „Made in Germany“.

Noch eine Information aus dem Internet macht es mir einfach, dazu zustehen, dieses Mal eine Made in Japan und Malaysia gekauft zu haben: erstens kaufen fast sämtliche Schweizer Uhrenfabriken einen Großteil für ihre Uhren in China und Asien ein, einzelne verwenden außerdem sogar chinesische Seagull Uhrwerke, die sie allerdings ein wenig modifizieren, um sie sodann „Swiss Made“ nennen zu dürfen. Selbst dann, wenn sie keine oder kaum fertige Teile für Uhren in China einkaufen, produzieren Schweizer Fabriken inzwischen vielfach mit Werkzeugmaschinen Made in Japan oder China, da die billiger und präziser arbeiten, als jene, die in der Schweiz oder Europa gebaut werden. Besonders ausgeprägt und verbreitet sind japanische Präzisionsmaschinen zur fast vollständig automatisierten Uhrenherstellung bei den besonders kleinen, exklusiven Marken und Manufakturen. Diese Maschinen produzieren nicht nur Uhrwerke vollautomatisch; sie sind auch in der Lage, die Endmontage kompletter Uhren nahezu automatisch zu gewährleisten. Allerdings bedürfen diese hochmodernen, computergesteuerten Maschinen der permanenten Qualitätskontrolle durch besonders qualifizierte Menschen und sie bedürfen einer aufwändigen menschlichen End- und Qualitätskontrolle, die in etwa dem gleicht, was bisher nur bei Luxusherstellern üblich war. Dafür liefern diese Maschinen inzwischen Uhren von bemerkenswerter Qualität. Durch diese Maschinen sind kleine und kleinste limitierte Auflagen von Uhren möglich, was die Herstellung von Uhren revolutionieren wird. Fraglich nur, ob die Nutzer dieser Maschinen ihre ungleich geringeren Herstellkosten in Form geringerer Preise an uns Verbraucher weiter geben. Vermutlich werden sie die möglichen Maximalprofite einbehalten, solange Uhrenkäufer nahezu jeden Preis für ein Produkt zahlen, das ihnen werblich entsprechend schmackhaft gemacht wird und ihr Bedürfnis eines Statussymbols befriedigt.

Wenige Uhren-Experten vertreten die mir sympathische Ansicht, dass Uhren im Grunde genommen eine natürliche Preisobergrenze haben. Für Quarzuhren liegt diese bei maximal 100 Euro bei qualitativ hochwertigen Uhrwerken; für Automatikuhren bei etwa 500 bis 1000 Euro. Alles, was darüber hinausgeht, ist Geldmacherei der Hersteller. Natürlich gelten diese Preisgrenzen nicht für eine echtgoldene Uhr oder eine, die mit Diamanten verziert wird. Aber sie gilt für 99 Prozent dessen, was heute teils zu astronomischen Preisen angeboten wird. Die Materialmehrkosten für höherwertige Teile betragen maximal 50 bis 100 Euro. Der Gewinn an Präzision steht in keinster Weise zum überproportional steigenden Preis von Luxusuhren.

Zum Abschluss meiner Abenteuer in Sachen Uhren habe ich das Sonderangebot eines chinesischen Herstellers wahrgenommen und eine mir im Grunde genommen unerwünschte Quarzuhr gekauft. Sie wurde allen Ernstes für 15 Euro angeboten. Nachdem ich sie gegen eine Atomuhr und gegen die Invicta-Automatik über ein paar Wochen laufen ließ, zeigte sich, dass dieser buchstäbliche Billigschrott die exakteste Uhrzeit liefert: diese billige Uhr geht weniger als eine Sekunde pro Tag vor. Wäre da nicht das Problem mit der Umweltverschmutzung und der Ressourcenverschwendung durch die auszutauschenden Batterien, man könnte glatt versucht sein, zu denken, bei dem Preis zahlt man nicht länger für einen Batteriewechsel, sondern schmeißt die Uhr gleich weg und kauft eine neue wenn die Batterie leer ist. Geradezu unverschämt, dass die Chinesen zu diesem Kampfpreis die Uhr auch noch optisch als Hommage daher kommen lassen, vollständig aus Edelstahl und den identischen Funktionen der originalen Uhr (deren Patentschutz allerdings abgelaufen ist). Wie das zu diesem Preis möglich ist, ist mir ein Rätsel. Denn die Uhr sieht weder billig aus, noch wirkt ihr Material so. Sie besitzt ein solides Gewicht von 150 Gramm. Natürlich ist das Glas aus Mineral statt Saphir und nicht entspiegelt, dennoch hat die Uhr dieselben handwerklichen Arbeiten, an denen die unechte „Made in Germany“ scheiterte und mir am Arm kaputt ging, heil überstanden. Das Glas sitzt fest, die Lünette dreht sich leicht, das Uhrwerk tickt mit weniger als einer Sekunde pro Tag so genau, wie eine x-beliebige Rolex, Omega und Co. Da kann einem fast angst und bange werden vor der chinesischen Konkurrenz, auch wenn es sich hier um eine Quarz- und nicht um eine aufwändigere Automatikuhr handelt, die ich trotz ihrer größeren Ungenauigkeit weiter gegenüber Quarzuhren bevorzuge, auch wenn sie, wie meine Invicta, mit einer Sekunde pro Tag, statt nur einer halben wie die Billig-Quarzuhr, abweicht.

Das zu den Abenteuern in der globalisierten Welt, online eine Uhr zu finden und zu kaufen. Offen ist, wie sich die Firma Invicta im Fall von Gewährleistungsansprüchen verhalten wird. Da ich die Uhr über Amazon kaufte, bei denen Kundenzufriedenheit großgeschrieben wird, bin ich sicher, im Garantiefall keine Probleme zu bekommen, wie mit dem beschriebenen Juwelier und der unechten Made in Germany. Doch ich hoffe, dass die Uhr, wenn schon keine 50 oder 25 Jahre, so doch mindestens zehn oder fünfzehn Jahre halten wird. Oder sollte es da ähnlich zugehen wie bei weißer Ware, die heutzutage nur noch mühsam die ein bis zweijährige Garantiezeit übersteht? Mein vor einem Jahr gekaufter neuer Kühlschrank der Marke Siemens – der alte hatte nach 26 Jahren den Dienst eingestellt – befindet sich seit drei Wochen in Reparatur, also einen Monat, bevor die Garantiezeit endete. Das ebenfalls als „Made in Germany“ erworbene Produkt der Marke Siemens stellte sich nach Lieferung als produziert in Polen heraus, wird aber als deutsche Markenqualität und zu deutschem Markenpreis verkauft. Das scheint die Realität der wundervollen, globalisierten neuen Verbraucher-Welt zu sein: nimm es mit der Wahrheit nicht so genau, fasse soviel Profit vom Kunden ab wie irgend möglich, versuche mit Ach und Krach über die Garantiezeit zu kommen, bevor das Gerät verreckt, um den Absatz neuer, immer schlechterer Produkte am Laufen zu halten, auf dass die Aktionäre mit immer höheren Renditen zufriedengestellt werden können. Nicht ohne Grund bewundere ich, je mehr die Schrecklichkeiten der neuen Welt fortschreiten, den prophetischen Aldous Huxley, mehr noch George Orwell, ob ihrer seherischen Fähigkeiten. Sowohl das Szenario von „1984“ hat sich nahezu vollständig eingestellt, wie die „Brave New World“ von Huxley beängstigende Gestalt angenommen hat. Beide Bücher brachten den aktuellen „Ertrag“ des globalisierten 21. Jahrhunderts bereits vor Jahrzehnten auf den Punkt. Und behielten leider recht. Verbraucher wie Bürger wurden – trotz Verbraucherschutz und riesiger EU Behörden – zu Freiwild für Unternehmen wie Politik.

Foto: privat

Titelbild: Alpha Photo CC BY-NC 2.0 DEED via FlickR

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