Beitrag von Vesna Caminades

Liebe Leserinnen, liebe Leser von IAMA,

Vor einiger Zeit haben wir über das Traumurlaubsziel Island gesprochen. Auf eine besondere Art und Weise. Es ging um das Thema “Blutstuten”. Dieses war mir persönlich bis dahin völlig unbekannt. Leider habe ich aufgrund des Artikels damals eine schreckliche Wahrheit entdeckt: die intensive Schweinezucht ist bereits eine Greueltat für sich. Doch wenn der Mensch sie noch „programmierbarer“ und somit rentabler gestalten will, indem er ein Hormon einsetzt, welches er aus dem Blut trächtiger Stuten gewinnt, dann finde ich keine Worte, um diesen Horror zu definieren.

Da der genannte Beitrag doch auf ein gewisses Interesse gestoßen ist, habe ich beschlossen, die Animal Welfare Foundation e.V. (AWF) um ein Interview zu bitten, da sie dieses Thema seit etlichen Jahren sehr nahe verfolgen. Ich habe sofort ein offenes Ohr gefunden. Frau Sabrina Gurtner, die Projektleiterin hat sich gleich bereit erklärt, mir einige Fragen zu beantworten und einige Hintergrundinformationen zu geben. Es liegt mir sehr viel daran dieses Dossier aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen. Daher werden Sie sehen, dass ich mehrere Aspekte aneinanderreihe. Mich interessiert dabei vor allem, warum PMSG notwendig ist und ob es keine Alternativen dazu gibt? Weiters möchte ich auch verstehen, wer etwas unternehmen könnte, um dem ein Ende zu setzen und – ob dieser „wer“ konkrete Schritte setzt. Viele Fragen, viel Erwartung, viel Hoffnung auf positive Antworten….

Die Animal Welfare Foundation e.V. (AWF) in Deutschland und der Tierschutzbund Zürich (TSB) in der Schweiz sind Schwesterorganisationen. Die AWF wurde 2011 von Vorstandsmitgliedern des TSB in Deutschland gegründet, um aus einem EU Mitgliedstaat Druck auf die EU Kommission ausüben zu können (Anlass waren Tiertransporte von der EU in die Türkei). Die AWF verfolgt einige ausgewählte Projekte, die sie dann jahrelang bis ins kleinste Detail recherchiert und darüber informiert, so beispielsweise Tiertransporte und  Polizeischulung, Import von Pferdefleisch, etc.. Es gibt auf deren Webseite viele Einsatzberichte, welche die schreckliche Realität bekunden, mit der die Teammitglieder tagtäglich konfrontiert werden, hier der Link. Das Team ist recht bescheiden in der Zahl, doch die Kompetenzen sind vielseitig.

Frau Gurtner lebt in der Schweiz und arbeitet für beide NGOs an gemeinsamen Projekten (Pferdefleisch, PMSG/Blutfarmen, Hormoneinsatz in der Schweinezucht). Sie erzählt mir über die eigene Erfahrung und beantwortet in einem sehr angenehmen Gespräch mehrere (für mich noch offene) Fragen. Zwischen den Zeilen die Ernüchterung, von jemanden der Tag für Tag mit diesen Grausamkeiten konfrontiert wird und sich unermüdlich mit Geduld und Kompetenz für ein definitives Aus dieser Tierquälerei einsetzt.

Zur Erinnerung: Bei PMSG handelt es sich um ein Präparat, welches vorwiegend in der Schweinezucht zum Einsatz kommt; es ermöglicht den Züchtern eine zeitgenaue Planung der künstlichen Befruchtung und der Geburten. In der Massentierhaltung dient es dazu, die Produktionsschritte zu takten und effizienter zu machen: künstliche Befruchtung, Geburt, Ausstallen, Mast, Schlachtung. (Vgl. diesen Link dazu.)

Der erste Punkt, über den wir reden, erschreckt mich bereits: es gibt sehr wohl künstliche Alternativen zum Pregnant Mare Serum Gonadotropin PMSG. Da frage ich mich: wozu Zigtausende Tiere foltern, wochenlang Blut entnehmen, Fohlen abtreiben oder eliminieren, Stuten misshandeln, für etwas, das der Mensch künstlich herstellen kann und bereits produziert?

Blood farm | Foto: © Animal Welfare Foundation | Tierschutzbund Zürich

Der zweite Punkt betrifft die Möglichkeit, dieses Hormon in der Bio-Produktion einzusetzen. Anscheinend gibt es da nämlich Ausnahmen, die dies erlauben. Wenn ein “therapeutisches Ziel” damit verfolgt wird. Da schießt sofort ein Gedanke in meinen Kopf „wie passen Bio und PMSG zusammen? Bio und künstliche Verfahren? Bio und Tierquälerei?”

Es schleicht sich bei mir die Vermutung ein, ob es sich somit um eine “Auslegungsfrage” handelt, inwiefern es sich um eine Therapie handelt oder nicht. Da es bei Bio leider hin und wieder auch Überraschungen geben kann, habe ich mir überlegt, eine der führenden Marken von Bio-Produkten anzuschreiben: Demeter. Ich konnte auch eine andere Firma anschreiben, doch dieser Namen wurde im Laufe des Interviews genannt. Demeter hat mir innerhalb von weniger als drei Tagen geantwortet und bestätigt, dass Mittel wie das PMSG bei ihnen “tabu” sind. Also eine erfreuliche Nachricht. N.B. Dies kann klarerweise auch für andere Bio-Produzenten gelten. Kann. Muss nicht. Kann es aber.

Weiters erklärt mir Frau Gurtner, dass in Deutschland circa 30-50% der konventionellen Schweinezucht dieses Hormon einsetzt. Edeka Südwest verbietet die Verwendung dieses Hormons in ihrem Label “Hofglück”. Gleichzeitig erwähnt sie auch, dass in der Schweiz zum Beispiel der Einsatz von PMSG in der Nutztierbranche verboten wurde – also eine Art freiwilliges Verbot. Hier einiges aus dem Schweizer Parlament dazu, die Grünen hatten das Aus dieser Methode gefordert:

Konkret sah es wie folgt aus: „MSD/Intervet vertreibt das fertige PMSG‐Präparat P.G. 600 auch in der Schweiz. Über die Blutentnahme hat auch der „Kassensturz“ auf SRF berichtet. Die Konsumentensendung konfrontierte Präparate-Herstellerin MSD zu den Vorwürfen. Das Unternehmen antwortete schriftlich, dass das Tierwohl für MSD einen hohen Stellenwert habe. Es hat sich nach eigenen Angaben von Blutfarmen getrennt, die die Tierschutz-Standards nicht einhielten. «Bei diesen Betrieben hat es sich um Einzelfälle gehandelt, die nicht repräsentativ für den Gesamtbestand sind, wie uns unser Lieferant versichert hat (so MSD).»

Die führende Vereinigung „Suisseporcs“ hatte im Zuge einer Sendung des SRF dazu Stellung genommen: “Nach dem vorhin genannten «Kassensturz»-Beitrag über die qualvolle Hormon-Gewinnung bei Pferden für die Schweinezucht, reagiert der Verband der Schweizer Schweinezüchter Suisseporcs. Das natürliche Hormon PMSG soll in der Schweiz nicht mehr zum Einsatz kommen. Im «Kassensturz»-Interview sagt Zentralpräsident Meinrad Pfister: «Aufgrund dieses Berichts werden wir am 16. Februar dem Zentralvorstand vorschlagen, zuhanden von Suisse Garantie einen Antrag zu stellen. Nämlich, dass das unter diesen Umständen gewonnene Hormon nicht mehr eingesetzt wird.» (Februar 2022)

Einige Monate später wurde diese Absicht bestätigt: (Mai 2022). “Das Verbot soll in die Richtlinien des QM-Schweizer-Fleisch des SBV aufgenommen und dessen Einhaltung ab 2023 kontrolliert werden. Für die Schweinezüchter bedeute der Verzicht auf PMSG einen Mehraufwand, da sich die Geburten der Jungtiere über mehrere Tage hinziehe. Die Überwachung der Geburten ziehe sich in die Länge, schrieb SRF.” Hier der Link dazu.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung: Geburt ist doch etwas Natürliches. Es stellt also anscheinend ein Problem dar, wenn sie sich „über mehrere Tage hinzieht“? Sollen die Ferkel denn auf Knopfdruck auf die Welt kommen?

Wenn man sich ein Bild über den aktuellen Stand rund um den Einsatz dieses Hormons machen will, dann bietet diese Artikelsammlung der AWF eine sehr detaillierte Übersicht.

Frau Gurtner unterstreicht mehrmals auch die Bedeutung der Dokumentarfilme, welche AWF und TSB veröffentlicht haben. Ich finde diese emotional sehr herausfordernd, aber sehr aufschlussreich.

Hier der Link zum Video “Doppelqualhormon PMSG” (Februar 2023).

Es stimmt ohne jeglichen Zweifel, dass ein Bild mehr aussagt als 1000 Worte. Und dies ist wichtig, wenn man das Interesse der VerbraucherInnen wecken will. Sobald die Öffentlichkeit, also vor allem der Konsument auf einen Skandal aufmerksam gemacht wird, bewirkt dies in den meisten Fällen eine Reaktion derjenigen, die in der Produktion involviert sind. Und (mit-)verantwortlich sind.

Doch da stellt sich die Frage: wer ist schließlich „mit-verantwortlich? Sind das nicht auch die VerbraucherInnen, die ein stets billigeres Fleisch einkaufen wollen, welches aber „auf den ersten Blick“ gut und gesund ausschaut? Wenn wir uns auf weniger und dafür qualitativ besser beschränken könnten, wäre das schon ein sehr großer Schritt in Richtung Verbesserung. Doch Fleisch sind Proteine und die sind ja „nur im Fleisch enthalten“ und „ohne tierisches Protein kommt man nicht durch den Tag“. Wie nennt man das heutzutage? Volksverdummung? Fake News? Oder Marketing?

Ich frage Frau Gurtner, ob sie mir noch einige weitere Fakten nennen kann. Die liegen auf der Hand. Konkret wurden die miserablen Bedingungen der Pferde in Island Anfang Februar 2022 vom TSB und der AWF an die Öffentlichkeit gebracht.

Blood farm | Foto: © Animal Welfare Foundation | Tierschutzbund Zürich

Auf über 100 Blutfarmen in Island wird rund 5.000 trächtigen Stuten Blut abgezapft für die Produktion des Fruchtbarkeitshormons PMSG (Pregnant Mare Serum Gonadotropin). Auftraggeber der Blutfarmen ist gemäss TSB das isländische Pharmaunternehmen Isteka. Die PMSG‐Produktion in Island steigt laut Tierschützern rasant. Bis 2019 hatte sie sich innerhalb weniger Jahre verdreifacht. Kürzlich erhielt Isteka von der isländischen Umweltbehörde die Genehmigung, die Produktion nahezu zu vervierfachen, von derzeit 170.000 Liter Blut auf 600.000 Liter. «Das würde bedeuten, dass in Island bis zu 20.000 Stuten, also bis zu 30% aller in Island lebenden Stuten im Blutgeschäft eingesetzt werden würden. Um diese Anzahl Pferde zu halten, bedarf es einer Fläche, die dreimal so gross ist wie die Hauptstadt Reykjavik», sagte Sabrina Gurtner, Projektleiterin beim TSB Zürich.“

Bitte, lesen Sie diese Zahlen noch einmal mit Aufmerksamkeit: 600.000 Liter, 20.000 Stuten. Können Sie sich so eine exponentielle Folterindustrie vorstellen? Was diese Tiere durchmachen müssen, die grundsätzlich kaum menschlichen Kontakt kennen?

Für die halbwilden Pferde sei die Blutentnahme eine Tortur, es komme dabei zu «massiver Tierquälerei». Filmaufnahmen zeigen, wie die Tiere unter anderem mit hupenden Autos und bellenden Hunden zusammengetrieben, und anschliessend mit Stockschlägen in die Boxen getrieben werden, wo sie für die Blutabnahme fixiert werden.“ Ich weiß, wir hatten bereits in meinem ersten Artikel darüber berichtet. Aber ich bin überzeugt, dass es nicht schadet, diese Grausamkeiten erneut ins Gedächtnis zu rufen. Diese Tiere müssen wöchentlich bis zu acht Wochen lang durch diese Hölle.  „Gemäss einer Expertin ist die Verletzungsgefahr für die Tiere dabei erheblich. Es komme zu heftigem und potenziell gefährlichem Abwehrverhalten.“

Wie sieht übrigens die Rechtslage aus? Island gehört zur EFTA. Wie das Europäische Parlament erklärt „Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) wurde 1994 mit dem Ziel eingerichtet, die EU-Bestimmungen über den Binnenmarkt auf die Länder der Europäischen Freihandelszone (EFTA) auszudehnen. Norwegen, Island und Liechtenstein gehören dem EWR an. Die Schweiz ist Mitglied der EFTA, gehört aber nicht zum EWR.

Somit gelten in einigen EFTA-Ländern einige Vorschriften der EU, allerdings nicht alle. Die Bestimmungen zu den Versuchstieren gelten sehr wohl und dies ist in diesem Fall wichtig. Zum besseren Verständnis:

Rechtlich werden die Blutentnahmen als Tierversuche eingestuft. Tierversuche unterliegen nach EWR-Recht dem 3R-Prinzip (Replacement, Reduction, Refinement; dt.: Vermeiden, Verringern, Verbessern). Es legt zudem fest, dass Tierversuche, wenn möglich, durch alternative, tierfreie Methoden zu ersetzen sind. Allein auf dem deutschen Markt gibt es 36 synthetische Alternativprodukte. Eine höhere Fruchtbarkeit lässt sich auch durch artgerechtere Haltung und hormonfreie Methoden erzielen.“ (AWF)

Frau Gurtner verweist wieder auf den Beitrag auf der AWF-SeiteDie Blutentnahmen in Island verstoßen gegen das 3R-Prinzip. Sie dienen einzig dem Profitstreben der Pharmaindustrie und industriellen Tierzucht. Sie als «Tierversuche» zu genehmigen, ist weder in Island noch in der EU rechtskonform. Deshalb haben wir Beschwerde bei der Überwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) eingereicht. Die Beschwerde dient dem Ziel, die Produktion und den Import des Hormons PMSG zu verbieten. Sechzehn Tierschutzorganisationen haben mitunterzeichnet.

Da also ein Verstoß gegen geltendes Recht im Europäischen Wirtschaftsraum vorliegt, kam es zu diesem Vertragsverletzungsverfahren gegen Island. Die Antwort sollte von den isländischen Behörden bis Ende Juni d.J. vorgelegt werden, doch die Frist wurde auf September verlängert. Erst dann kann die EFTA weitere Maßnahmen ergreifen, um dieses Geschäft mit den Blutstuten zu unterbinden.

Im Falle von Uruguay und Argentinien hingegen gilt der “Terrestrial Animal Health Code” der Weltorganisation für Tiergesundheit. Dort schreibt Artikel 7.3 den Schutz von Versuchstieren vor. Hier der Link zum Dokument. Leider handelt sich es um Empfehlungen. Das 3R-Prinzip wird „nahegelegt.“:

Das Problem entsteht also insbesondere, wenn ein Staat die Blutentnahme nicht als Tierversuch, sondern als “landwirtschaftliche Produktion” einstuft (siehe Uruguay). Und schon ist die Lösung gefunden, wie gesagt – es geht um die richtige Auslegung.

Wie sieht das eigentlich in Deutschland aus, im Fall des Haflingergestüts Meura? „Das größte Gestüt Europas für Haflinger und Edelbluthaflinger“ – das klingt in diesem Zusammenhang wie ein schlechter Witz. Auch in dem Fall wurde die Blutentnahme nicht als Tierversuch eingestuft, sondern als – genau, Sie sagen es – landwirtschaftliche Produktion. Genau wie in Island. N.B. genau dies wird u.a. im EFTA-Mahnschreiben kritisiert. Noch einmal, denn wie Frau Gurtner unterstreicht, dieses Konzept ist in dieser Angelegenheit sehr wichtig: allgemein gilt, wenn diese Praxis nicht als „Tierexperiment“ eingestuft wird, dann wird sie den Behörden nicht gemeldet bzw. sie braucht keine Genehmigung nach dem 3R-Prinzip. Und so geht diese Geschichte weiter. Die meisten IsländerInnen wussten zum Beispiel nicht einmal, dass sie nicht nur wegen der Geysire bekannt sind, sondern leider auch wegen der Blutstuten.

Laut einer Aussendung von AWF vom 28. Juli d.J. sieht die aktuelle Situation wie folgt aus. Erlauben Sie mir, einige Passagen erneut ins Gedächtnis zu rufen:

2021 haben wir (AWF) Islands grausames Geschäft mit Stutenblut an die Öffentlichkeit gebracht. Damals löste unser erster Dokumentarfilm in Island heftige Diskussionen aus, die bis heute andauern. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung unseres Dokumentarfilms “Island – Land der 5.000 Blutstuten” im November 2021 wurde dem Parlament ein Gesetzentwurf vorgelegt, der ein Verbot der Blutentnahmen von trächtigen Stuten fordert. Der Gesetzentwurf wird derzeit von einem parlamentarischen Ausschuss geprüft. Gleichzeitig hat die Landwirtschaftsministerin eine Arbeitsgruppe beauftragt, die Rechtsgrundlagen und die wirtschaftliche Bedeutung der PMSG-Gewinnung zu untersuchen und bis im Juni 2022 Ergebnisse und Empfehlungen zu präsentieren.“

Trotz heftiger öffentlicher Diskussion hat die isländische Agrarministerin im August 2022 eine neue Verordnung erlassen. Sie erlaubt weiterhin Blutentnahmen bis 2025. Die Qualen gehen unvermindert weiter. Einzige Änderung: Die Blutentnahmen sind jetzt staatlich genehmigt. Für die Pferde ändert sich nichts. Man darf Stuten weiterhin fünf Liter Blut pro Woche und insgesamt 40 Liter Blut pro Saison entnehmen. 2025 will das Agrarministerium eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der PMSG-Gewinnung in Island treffen. So lange werden wir den Druck auf die Regierung und die Profiteure des Qualgeschäfts aufrechterhalten.“

Im Herbst 2025 will Island endgültig entscheiden, ob das Blutgeschäft weiter genehmigt oder beendet wird. Nach der Veröffentlichung unserer Recherchen gab die isländische Veterinärbehörde MAST im Januar 2022 die Untersuchungen der Tierschutzverstösse an die Polizei ab. Als wir davon erfuhren, haben wir sogleich die Polizei kontaktiert und Kooperationsbereitschaft bei den Ermittlungen signalisiert. Zwei Monate später forderte die Polizei die ungeschnittenen Filmaufnahmen als Beweismaterial an. Aus Gründen des Datenschutzes und der gerichtlichen Verwertbarkeit boten wir der isländischen Polizei an, das Filmmaterial auf dem offiziellen Weg über ein internationales Rechtshilfeverfahren zu übermitteln. Danach herrschte monatelange Funkstille. Am 26. Januar 2023 stellte die Polizei die Ermittlungen gegen die Blutfarmen ein. Der zuständige Polizeichef begründete die Entscheidung damit, wir hätten die Herausgabe des Beweismaterials trotz mehrfacher Anfragen der Polizei verweigert. Da diese Aussage nicht der Wahrheit entspricht, haben wir eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die isländische Polizei eingereicht. Damit wollen wir erreichen, dass die Ermittlungen wegen Tierschutzverstößen wieder aufgenommen werden.

Blood farm | Foto: © Animal Welfare Foundation | Tierschutzbund Zürich

Doch kehren wir nach Deutschland zurück, zu unseren Haflingerstuten. Laut einem Artikel der AWF vom Februar d.J. gibt es erste Erfolge zu verzeichnen:

In Deutschland veröffentlichten wir unsere Recherche zur Blutfarm «Haflingergestüt Meura» im Dezember 2019. Wir deckten auf, dass dort seit Jahrzehnten ohne Genehmigung von Haflingerstuten Blut abgezapft wurde für das Pharmaunternehmen IDT Biologika.

Siehe hier:

„Auf eine Anfrage der AWF antwortet die thüringische Landesregierung: «Das Haflingergestüt Meura gewinnt Vollblut. Die IGM-Inno Meura GmbH gewinnt aus dem Blut Serum, welches als Rohstoff für die PMSG-Herstellung dient. Seit vielen Jahren besteht eine Lieferbeziehung für das gewonnene Blutserum zwischen dem Haflingergestüt Meura und der IDT Biologika GmbH, seit Gründung der IGM-lnno Meura GmbH zwischen dieser und der IDT Biologika GmbH.“  (Quelle)

Nächster Erfolg: IDT Biologika verkaufte seine Veterinärsparte und damit die PMSG-Produktion an das französische Unternehmen Ceva Santé Animale. Die wiederum kündigten den Liefervertrag mit dem Haflingergestüt Meura. Nächster Erfolg: Seit 2022 gibt es keine Blutentnahme mehr in Meura.“

Wie man sieht, ist alles sehr verstrickt. Hier Klarheit zu verschaffen, erfordert sehr viel Geduld und rechtliche Kompetenz. Bis dieser Gesetzes- und Legislativdschungel eine klare Lösung finden wird, werden Abertausende von Stuten misshandelt, sterben, deren Fohlen werden abgetrieben, sie werden neu geschwängert und die nächsten Fohlen werden wiederum eliminiert. Doch wen geht das etwas an? Uns FleischkonsumentInnen, die das billigste Schnitzel im Supermarkt kaufen wollen? Das Schnäppchen? Das beste Stück vom Schwein spottbillig, fast nachgeworfen und wir Konsumenten sind überglücklich. Fleisch muss halt schon sein, denn sonst passt etwas mit unserer Ernährungsweise nicht. Change of mindset klingt die Devise. Wir müssen uns zunächst über die Produkte informieren, die wir erwerben. Und damit meine ich nicht allein den Preis, nein, woher etwas kommt, wie die Tiere gehalten, transportiert und umgebracht werden, wie die gesamte Produktionskette aussieht, etc. Zuviel Arbeit für ein Stück Fleisch? Nun, erzählen sie das den Millionen Tieren, die tagtäglich leiden und elendiglich zugrunde gehen.

Dieses Gespräch mit Frau Gurtner wirft ständig neue Elemente auf. Meine letzte Frage galt den EU-Institutionen. Was unternehmen die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, der zuständige Rat der Europäischen Union, um diesen Horror zu beenden? Unternehmen sie überhaupt etwas? Es werden zwischen der EU und Drittstaaten meist bilaterale Handelsabkommen abgeschlossen. Meine Frage ist nun, ob die EU ihre Handels- und somit politischen Beziehungen wegen ein paar „Rösser“ „versauen“ will?

Frau Gurtner weist zunächst auf die Entschließung des Europäischen Parlamentes hin, wo es auch um das PMSG geht siehe:   (Punkt 130)

  1. weist darauf hin, dass strukturelle Tierversuche, die nicht unverzichtbar sind, keinen Platz in der Lebensmittelkette haben sollten, da die Richtlinie 2010/63/EU den Ersatz und die Reduzierung des Einsatzes von Tieren in Verfahren vorschreibt; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Einfuhr und Inlandsproduktion von Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) einzustellen, das aus dem Blut trächtiger Stuten gewonnen wird, die zu diesem Zweck gedeckt werden, was Probleme in Bezug auf die Gesundheit und das Wohlergehen mit sich bringt;

N.B. Zur Erinnerung, Eurogroup for Animals und deren Mitgliedsorganisation AWF plädieren seit Jahren gegen die Verwendung und den Import von PMSG aus Drittländern wie Island, Argentinien und Uruguay.

Übrigens, 2023 plant die EU eine Überarbeitung der geltenden Tierschutzbestimmungen. Diese Publikation des Deutschen Bundestages gibt diesbzgl. eine sehr gute Übersicht, welche Aspekte dabei behandelt werden sollen – die PMSG Gewinnung wird nicht genannt. Hier der Link dazu.

Ich habe also die Eurogroup for Animals um Klärung gebeten. Die Antwort kam umgehend. Hier das Fazit:

Leider wird der bevorstehende Kommissionsvorschlag zum Schutz gehaltener Tiere dieses Problem nicht behandeln.  Die Kommission sieht aber vor, zu einem späteren Zeitpunkt allgemeine Bestimmungen und spezifische Anforderungen für Pferde zu erlassen, die auf einer EFSA Stellungnahme basieren und gegebenenfalls auch die PMSG Gewinnung betreffen werden. 

Es scheint, dass die Kommission auch zunächst die Entwicklung internationaler Standards abwarten möchte.  Dies könnte dann in einen künftigen Durchführungsrechtsakt zu guten Herstellungspraktiken gemäß Artikel 93 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2019/6 einfliessen, der im Januar 2025 verabschiedet werden soll.

Diese Gruppe von EU-Parlamentariern hat die zuständige EU-Gesundheitskommissarin kürzlich in dieser Angelegenheit angeschrieben. Sie haben u.a. erklärt, dass die Stuten in Blutfarmen gehalten werden, wo ihnen manchmal mehrmals pro Woche Blut abgenommen wird; Mengen, die die internationalen Empfehlungen überschreiten und dies führt zu ernsten Gesundheits- und Tierschutzproblemen. Sie haben weiters daran erinnert, dass eCG/PMSG nur in den ersten Monaten der Trächtigkeit produziert wird und nicht nur in der Zucht von Schweinen, sondern beispielsweise auch von Rindern und Schafen eingesetzt wird. Weiters wurde im Schreiben darauf hingewiesen, dass die Fohlen systematisch abgetrieben werden, was ein hohes Risiko für ihre Gesundheit darstellt.

Auch wurde noch einmal daran erinnert, dass neben der Produktion die Verwendung von eCG/PMSG auch ernste Bedenken hinsichtlich des Tierschutzes für Nutztiere auf mit unnatürlichen Reproduktionsraten und großen Würfen wirft, die die Sterblichkeitsrate erhöhen.

Schließlich die Forderung an die Europäische Kommission, ein ausdrückliches Verbot der Produktion, Verwendung und Einfuhr von eCG/PMSG in die EU vorzuschlagen. Solche Bestimmungen könnten in alle Vorschläge aufgenommen werden, die sich auf Tiere, die zu wirtschaftlichen Zwecken gehalten werden. Darüber hinaus soll auf die sgt. „Gute Herstellungspraxis (GMP)“ hingewiesen werden. Da die Europäische Kommission solche Standards definiert, wird im Schreiben die Aufnahme hoher Tierschutzanforderungen empfohlen, um sicherzustellen, dass kein eCG/PMSG mehr auf den EU-Markt gelangt.

Hier die wichtigsten Elemente der Antwort der Kommissarin Kyriakides:

  • derzeitig läuft der Prozess der Überarbeitung der Tierschutzgesetzgebung, einschließlich Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere;
  • vorläufiger Fahrplan für künftige Mandate an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit inklusive einem Mandat für den Schutz von Pferden;
  • weiterhin Bemühungen um die Zusammenarbeit mit Nicht -EU-Ländern um den Tierschutz weltweit zu verbessern;
  • in diesem Zusammenhang, Revision sowie die Verabschiedung internationaler Standards für den Tierschutz durch die Weltorganisation für Tierschutz (WOAH) (N.B. betrifft auch die “Verwendung von Tieren in Forschung und Lehre”, welche die Stuten abdecken sollte, die zum Zweck der Herstellung eines Arzneimittels gehalten werden);
  • Erlassung des künftigen Durchführungsrechtsakt über gute Herstellungspraktiken gemäß Artikel 93 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2019/6, bis zum 29. Januar 2025.

Wie Sie sehen, es handelt sich um ein sehr weitreichendes Thema. Das Gespräch mit Frau Gurtner hat nicht nur Klärungen gebracht, sondern viele neue Aspekte aufgeworfen. Eines ist klar: es geht vor allem darum, wie diese Verfahren etikettiert werden. Konkrete Handlungen, um dem allen ein Ende zu setzen, brauchen viel Zeit und Geduld. Hier finden Sie sämtliche Dossiers pro Land sowie die aktuellen Videos zum Thema. Zum Glück gibt es Vereinigungen wie die Animal Welfare Foundation e.V. und motivierte Menschen wie Frau Sabrina Gurtner.

Wie schaut die Situation aktuell aus? Bezogen auf Deutschland konnte ein sehr bedeutender Erfolg verzeichnet werden. Ich darf eine der kürzlich erschienenen Mitteilungen der AWF zitieren: Am Montag, den 18.9.2023, überreichten wir die Unterschriften an die Staatssekretärin des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) Dr. Ophelia Nick. Sie vertrat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Derzeit wird das neue Tierschutzgesetz in Deutschland verhandelt. Das Qualhormon PMSG wird im Entwurf mit keinem Wort erwähnt. Die Grünen in der deutschen Regierung sind zwar für ein Anwendungsverbot, scheinen aber gegenüber dem Koalitionspartner FDP kapituliert zu haben. Anders sind die ausweichenden Antworten nicht zu verstehen.

Zwei Beispiele:

Man will in die Forschung synthetischer Alternativen zu PMSG investieren.
Wir sind der Meinung, dass die Entwicklung weiterer synthetischer Hormone nicht nötig ist, da bereits 36 synthetische Präparate zur Verfügung stehen, die alternativ zu PMSG verwendet werden können. Eine Studie des BMEL von 2021 belegt zudem, dass der Verzicht auf PMSG das Tierwohl signifikant verbessert.

Behauptung: PMSG könne auf nationaler Ebene nicht verboten werden, sondern nur auf EU-Ebene.
Zwei Rechtsgutachten kommen unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass die Blutentnahmen bei trächtigen Stuten zur PMSG-Gewinnung rechtswidrig sind. Betreffend Import legt ein von den Grünen vor der letzten Bundestagswahl in Auftrag gegebenes Gutachten ausführlich dar, wie ein nationales Einfuhrverbot rechtlich begründet werden kann.

Zudem besteht die Möglichkeit, die Zulassung PMSG-haltiger Tierarzneimittel für den deutschen Markt zu widerrufen, ohne dass man dadurch in Konflikt mit der EU-Gesetzgebung kommt.

Und hier geht es zur genannten Petition.

Bezogen auf Island hingegen ist bereits ein revolutionärer Schritt in Sicht: Die Isländische Regierung setzt Blutfarm-Verordnung außer Kraft. Bundestierärztekammer gegen PMSG-Einsatz.

Hier einige Auszüge aus dem Newsletter der AWF:

(…) es kommt erneut Bewegung in die Debatte um Blutfarmen in Island. Aufgrund unserer Beschwerde und unserer Filme hat die EFTA-Überwachungsbehörde ESA ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Island eingeleitet. Kritisiert werden Verstösse gegen geltendes EWR-Recht (Europäischer Wirtschaftsraum).
So verstoße Islands Blutfarm-Verordnung gegen die EU-Richtlinie (2010/63) zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Das heisst im Klartext: Es muss geprüft werden, ob es eine Notwendigkeit für die Gewinnung des Hormons aus Stutenblut gibt. In Anerkenntnis der Fakten und der Rechtslage hat die isländische Regierung die im August 2022 erlassene “Blutfarm-Verordnung” zum ersten November zurückgezogen. Ab dann werden die Voraussetzungen für die Genehmigung der Blutfarmen auf der Grundlage der Tierversuchsverordnung geprüft.

“Diese Tätigkeit fällt unter die Verordnung zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Alle, die solche Stuten halten, müssen eine Genehmigung für solche Tätigkeiten einholen, und die Person, die ihnen Blut abnimmt, muss eine Genehmigung für Tierversuche beantragen”, wird Sigurborg Dadádóttir, leitende Tierärztin bei MAST, zitiert. “Diese Verordnung ist sehr detailliert, und die Regeln für Tierversuche sind sehr streng, und es können zusätzliche Anforderungen zu den in der aktuellen Verordnung festgelegten hinzugefügt werden.” Die administrativen Hürden wie die genauere Prüfung der Pferdehaltung und auch die Eignungsprüfung des Personals werden die meisten Blutfarmer nicht über sich ergehen lassen. Welche Versuche das isländische Pharmaunternehmen Isteka startet, um trotzdem im Geschäft zu bleiben, werden wir genau beobachten.

Auch aus Deutschland bekommt das Qualhormon PMSG zusätzlichen Gegenwind durch die Bundestierärztekammer (BTK). Sie empfiehlt, auf den Einsatz von PMSG zu verzichten. Vor allem aus zwei Gründen:

“Berichte aus Südamerika und Island zeigen, dass diese Blutentnahmen überwiegend unter tierschutzwidrigen Zuständen durchgeführt werden.”

“Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft von 2019 – 2021 durchgeführte Studie zeigt, dass in kommerziell arbeitenden Praxisbetrieben eine Produktion von Ferkeln auch ohne PMSG/eCG-Einsatz stattfinden kann.”

Doch hier abschließend endlich die gute Nachricht. Die EFTA-Beschwerde gegen Island war erfolgreich und die Blutentnahmen fallen künftig unter die Tierversuchsverordnung:

Die isländische Verordnung, die seit letztem Jahr für die Blutstutenhaltung gilt, wird ausser Kraft gesetzt, berichtet Vísir. Stattdessen fällt die Haltung und Blutgewinnung aus tragenden Stuten unter die Verordnung 460/2017 zum Schutz von für wissenschaftliche Zwecke verwendete Tiere. Diese Änderung ist einerMitteilung des Ministeriums für Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittel zu entnehmen. Sie wurde nach einem Briefwechsel zwischen dem Ministerium und der Regulierungsbehörde der EFTA (ESA) vorgenommen. In der Verordnung 460/2017 geht es um das Wohlergehen von für wissenschaftliche Zwecke verwendete Tiere, es soll sichergestellt werden, dass Tiere, die solcherart genutzt werden, keine unnötige Belastung erleiden müssen.
Nach Artikel 4.1 ist jegliche Tierhaltung zu obigem Zweck genehmigungspflichtig, und die Genehmigung kann bei Verstössen durch die Veterinäraufsichtsbehörde entzogen werden.
In Art 10.1 heisst es dass kein Tierversuch durchgeführt werden darf, wenn es eine andere anerkannte Methode ohne den Einsatz von Versuchstieren gibt, um den gewünschten Effekt zu erzielen
.”

Was ist unser Fazit? Reden Sie bitte darüber, die Menschen, v.a. die VerbraucherInnen müssen darüber Bescheid wissen. Wenn Sie Fleisch konsumieren wollen, dann bringen Sie bitte ein Opfer und essen Sie weniger oft, aber dafür vom Bauernhof. Als Veganerin plädiere ich klarerweise für 100% tierproduktfrei, aber wenn es Fleisch sein muss, dann gewusst wie.

Ist das teurer? Wenn alle Verbraucher solche Produkte nachfragen und konsumieren würden, dann wären solche Produkte mit aller Wahrscheinlichkeit billiger. Sie wissen schon, die Regel von Angebot und Nachfrage – von Leben und Tod – von Qual und Angst, die dadurch erspart werden könnten. Für Millionen von Tieren. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde. Auch jetzt. Danke Frau Gurtner fürs informative und anregende Gespräch und Ihren unermüdlichen Einsatz.

Danke IAMA

Titelbild: Janko Hoener CC BY-SA 2.0 via FlickR

Wer Fragen oder Anregungen zu diesem Thema an Vesna Caminades hat, kann sich unter dieser E-Mail-Adresse an sie wenden: iama4iwannaknow |et| gmail.com oder Mobile Phone +32488617321.

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