Beitrag von Vesna Caminades

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Qual der Wahl. Wenn ich ein neues Thema aussuchen will, über welches ich schreibe, liegt die Schwierigkeit nicht darin, eines zu finden. Ganz in Gegenteil. Das Problem ist, das aktuellSTE, das schrecklichSTE, das akuteSTE, das in jeder Hinsicht “-STE” Thema auszusuchen. Nun, diesmal fallen mir verschiedene Dinge ein.

Ich denke eben gerade an den fürchterlichen Lidl-Fleischskandal, der Ende Oktober erstmals entfacht ist. Ende November gab es noch schlimme Artikel dazu und ganz plötzlich Sendepause. Ganz magisch vor den Feiertagen, an denen Leute fleißig Fleischprodukte einkaufen – Huhn und natürlich Truthahn, – da hört man plötzlich nichts mehr. Außer ich sitze auf der Leitung, was natürlich sehr wohl der Fall sein kann. Sie werden meinen: der Skandal betraf ja Hühner, nicht Truthähne. Nun ja, glauben Sie wirklich, dass wenn eine Handelskette, die billigsten Preise anbieten will, dass sie das lediglich beim Huhn, aber nicht beim Schwein, Kalb, Truthahn etc. macht? Und wie kann man schon die billigsten Preise garantieren? Durch Crowdfunding etwa? Ich bitte Sie. Irgendwo muss ja eingespart werden. Und wo bietet es sich eher, beim eigenen Personal oder bei den Tieren, die soundso keine Stimme haben und die soundso früher oder später eliminiert werden? Wenn wir das billigste und gleichzeitig fettärmste und schönste und schmackhafteste und nährstoffreichste Fleisch kaufen wollen, zum möglichst niedrigsten Preis, dann muss wohl irgendwer die Federn dafür lassen.

Moment aber, worin besteht eigentlich dieser famose Skandal? Hier zum Nachlesen (das Video kann störend wirken). Und hier.

“Tierschützer haben undercover Fotos und Videos in einem Maststall für Hühner vom spanischen Lidl-Lieferanten Sada aufgenommen und öffentlich gemacht. Sie zeigen, in welchen unwürdigen Zuständen die Tiere dort leben und behandelt werden. Die Arbeiter gehen unfassbar brutal mit den Hühnern um, treten sie, werfen sie achtlos umher und stopfen sie in Käfige. Und auch der Tötungsprozess ist martialisch.

Die Non-Profit-Organisation Equalia wertet dies als Beweis für einen klaren Verstoß gegen das europäische Tierschutzrecht. Gemeinsam mit der Albert Schweitzer Stiftung und weiteren Tierschutzorganisationen sowie über 146.000 Unterstützern fordert sie den Discounter dazu auf, seine Tierschutzstandards zu verbessern. Und das nicht nur bei dem spanischen Betrieb – der mit einem „Tierwohl“-Signal ausgezeichnet ist – sondern europaweit.

Die erschreckenden Aufnahmen kommen einen knappen Monat nach den ersten Beweismaterialien aus einem Hühnerstall in Niedersachsen. Von dort bezieht der Discounter sein Fleisch für die Eigenmarken „Metzgerfrisch“ und „Grillmeister“. Auf den Fotos waren ebenfalls kranke oder tote Tiere erkennbar. Die Folgen der Zucht zu immer größerem Wachstum waren deutlich zu sehen. Die Tierschützer haben gegen beide Lieferanten Anzeige erstattet.”

Und noch weiter:

“In den Videos zu sehen: Masthühner in trostlosen Ställen, die vor sich hinvegetieren und Probleme haben, sich auf den Beinen zu halten. Die Tiere sind extrem groß gezüchtet, Knochen und Organe der Tiere sind damit überbelastet.”

Nicht nur als Veganerin, aber selbst, wenn ich Fleisch essen würde, dann käme mir die Frage: wie kann jemand bloß so was essen? Und dies nicht nur aus der Sicht der Tierquälerei, aber bereits als Qualität des Fleisches. Es muss so voller Medikamente, Aufputschmittel, etc. sein, dass von natürlich und gesund wohl kaum noch die Rede sein kann. Aber nur billig muss es sein. Das Problem betrifft natürlich nicht nur einen Lieferanten, sondern verschiedene in den 29 Ländern, in welchen Lidl präsent ist. Aber wie gesagt, plötzlich verstummt alles unter Weihnachten. Warum denn wohl? Hat irgendjemand bestimmt, dass es unter den Feiertagen eine Auszeit geben soll, damit der Konsument vergisst und ja Billigprodukte einkauft?

Und klarerweise nutzt die Konkurrenz das aus und verkauft sich als besonders besorgt um das Tierwohl. Vielleicht wären da auch ein paar under cover Aufnahmen fällig? Für mich stellt sich allgemein die Frage: braucht es Liebe oder Respekt, um dem allem ein Ende zu setzen? Wenn ich Frau oder Herr Konsument frage, “Lieben Sie Tiere?” dann antwortet sicher fast jeder “Na klar”. Aber reicht diese Liebe, damit sie nur noch Fleisch vom Bauernhof holen oder aber ganz drauf verzichten? Eher nicht, fast sicher nicht. Und können wir dann nicht einfach versuchen, diese Tiere zu respektieren und die Tierschutzregeln und -normen, die sehr wohl existieren auch geltend zu machen? Deren Einhaltung kontrollieren und Strafen versetzen, wenn sie nicht eingehalten werden? Da wird es schon happiger. Denn wenn es Strafen gibt, dann muss man sie wohl irgendwie auf irgendjemanden abwälzen. Ja, da bleibt wohl nur der Konsument. Aber die Preise dürfen nicht teurer werden, überhaupt nicht in einer Zeit der Krise, wie wir sie jetzt gerade erleben.

Da kommt eigentlich ein Skandal gar nicht so ungelegen, wenn man richtig überlegt. Damit die Leute weiterhin einkaufen, muss man besondere Schnäppchen anbieten, das inkriminierte Fleisch wird wohl noch billiger. Man darf es keinesfalls wegwerfen. Oje, nur keine Lebensmittelverschwendung. So, dann wären wir wohl wieder am Anfang. Besser einige Hühner vegetieren daher, als dass unsere Geldtasche ins Leere guckt. Hier ein klares Resümee seitens der Albert Schweitzer Stiftung:

“Moderne Masthühner sind so gezüchtet, dass sie innerhalb von rund 30 Tagen ein Gewicht von anderthalb bis zwei Kilogramm erreichen. Besonders die Schenkel- und Brustmuskulatur wird unnatürlich groß, weil sich diese Körperteile besonders gut verkaufen lassen. Knochen und Organe kommen bei dem explosionsartigen Massezuwachs nicht hinterher. Schmerzen, Knochendeformationen und Organversagen sind die Folgen.

In den Filmaufnahmen ist gut zu erkennen, wie massig bereits die wenige Tage alten Küken sind und wie schwerfällig sich die älteren Hühner bewegen, wenn sie sich nicht gerade ausruhen. Auch wenn sie bereits die Dimensionen eines Fußballs erreicht haben, sind die Tiere eigentlich noch im Kindesalter. Würde ein Mensch so schnell wachsen wie diese Masthühner, würde er noch im Säuglingsalter ein Gewicht von 300 kg erreichen.

Für Mahi Klosterhalfen, Präsident der Albert Schweitzer Stiftung, zeigen die Bilder, wie dramatisch das Problem Qualzucht ist: »Es tut einem im Herzen weh, wenn man Hühner sieht, die überfahren werden. Ähnlich schlimm ist es mit anzusehen, dass Hühner als Folge der Qualzucht Schmerzen haben und nicht mehr richtig ans Wasser kommen, weil sie sich kaum auf den Beinen halten können. Früher oder später werden sie wahrscheinlich verdursten. Solange wir Hühner so züchten, dass sie innerhalb kürzester Zeit so massiv an Gewicht zulegen, wird es solche Bilder geben. Deshalb fordern wir Lidl auf, einen Schlussstrich zu ziehen und sich von den Qualzuchtlinien zu verabschieden.«

Der VGT hat den Lieferanten sowie einzelne ArbeiterInnen wegen Verstoßes gegen Tierschutzgesetze angezeigt. Gegen die Lieferanten, deren Ställe in den Aufnahmen aus Italien, Spanien und Deutschland zu sehen sind, haben die Tierschutzorganisationen ebenfalls Anzeigen erstattet.

Solange Masthühner auf extremes Wachstum hin gezüchtet werden, werden sie weiter leiden, argumentieren die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, der österreichische Verein gegen Tierfabriken (VGT), Equalia aus Spanien, Essere Animali aus Italien und weitere europäische Tierschutzorganisationen. Sie fordern Lidl auf, die Tierschutzstandards der Europäischen Masthuhn-Initiative anzuwenden. Auf der Webseite der Albert Schweitzer Stiftung kann man sich der Forderung der Organisationen anschließen. Europaweit tun dies bereits mehr als 280.000 Menschen.

Lidls Reaktion auf die Vorwürfe beschränkt sich bislang auf die Prüfung der angeblichen Einzelfälle. So behauptet Lidl z. B. gegenüber dem SWR, dass die Farm, auf der in Italien gefilmt wurde, Lidl seit 2019 nicht mehr beliefere. Tatsächlich stammen die Aufnahmen von zwei italienischen Betrieben. Der Lieferant AIA, zu dem sie gehören und mit dem Lidl weiterhin zusammenarbeitet, wird immer wieder mit Tierschutzverstößen auffällig.

»Lidl versucht, die Verantwortung auf einzelne Betriebe abzuschieben. Das löst jedoch grundsätzliche Probleme wie Qualzucht nicht: Egal, wo wir bei Lidl hinschauen, finden wir leidende Tiere. Insgesamt liegen inzwischen Recherchen aus vier Ländern vor. Das zeigt doch: Lidl will einfach nicht für umfassende Tierschutzstandards sorgen.«, fasst Mahi Klosterhalfen zusammen.

Lidl hält seine alten, mageren Tierschutzversprechen hingegen nach wie vor für ausreichend und will ab 2026 30 % des Frischfleischs aus den Haltungsform-Stufen 3 und 4 verkaufen. Im Umkehrschluss heißt das, dass auch danach 70 % weiterhin aus garantiert tierquälerischer Massentierhaltung und Qualzucht kommen sollen.

Lidls Konkurrenten Aldi, Bünting, Globus, Norma und Tegut haben sich der Europäischen Masthuhn-Initiative bereits angeschlossen und wollen im gleichen Zeitraum (bis 2026) zu 100 % auf die höheren Standards umsteigen. Rewe hat ebenfalls Bereitschaft signalisiert – wenn die anderen großen Supermärkte mitziehen. Lidl hat sich immerhin in Frankreich und in den Niederlanden angeschlossen, will aber im Rest Europas offenbar weiterhin Qualfleisch produzieren und verkaufen.

Die Europäische Masthuhn-Initiative, die von der Albert Schweitzer Stiftung mit ins Leben gerufen wurde, schreibt, anders als zum Beispiel die »Initiative Tierwohl«, gesündere Rassen vor. Hinzu kommen Vorschriften für mehr Platz, Tageslicht und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie für eine möglichst stressfreie Schlachtung. Die Kriterien der Initiative sind wissenschaftlich fundiert und werden von 37 europäischen Organisationen sowie mehr als 500 Unternehmen weltweit unterstützt.”

Hier geht es zur Seite der:

Fazit: Liebe oder Respekt, Leben oder Tod. Wie lange wird es dauern, bis wir endlich beim Einkaufen nicht nur ein Stück Fleisch vor uns sehen. Bis wir endlich auch den Schritt wagen zu überlegen, dass dies eigentlich Teil eines Tieres ist, welches schrecklich gelitten hat. Welches Schmerzen, Panik und Gefühle empfindet oder empfand. Und dass wir nicht das Recht haben, ein Lebewesen so zu misshandeln. Denn selbst wenn wir nicht der Züchter sind, nicht der Schlachter sind, nicht der Transporteur sind. Wir sind diejenigen, die diese gesamte Kette am Leben erhalten. Denn wir wollen billig einkaufen, aber keinesfalls auf Fleisch verzichten. Vielleicht ist weniger mehr? Seltener Fleisch essen, dafür aber die Last auf uns nehmen, zu einem lokalen Bauern zu fahren, wenn es unbedingt sein muss? Oder vielleicht – du Schreck – könnte man früher oder später den Fleischkonsum sogar reduzieren? Und absoluter Horror: könnte man eines Tages sogar ganz darauf verzichten?

Bitte reden Sie mit Freunden und Familienangehörigen darüber – Danke IAMA

Titelbild: Broiler Fram by Oikuetta elaimille CC BY 2.0 via FlickR

Wer Fragen oder Anregungen zu diesem Thema an Vesna Caminades hat, kann sich unter dieser E-Mail-Adresse an sie wenden: iama4iwannaknow |et| gmail.com oder Mobile Phone +32488617321.

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