Beitrag von Vesna Caminades

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie werden es nicht glauben, aber es gibt tatsächlich jemanden, der meine Artikel liest … Scherz bei Seite – ich beziehe mich auf einen sehr interessanten Kommentar, den eine Leserin zu meinem Beitrag „Tiere haben keine Gefühle“ hinterlassen hat.

Ich habe mir oft darüber Gedanken gemacht, wie es möglich ist, anderen klar zu machen, dass deren Gewohnheiten und Konsumverhalten Tieren das Leben kostet. Dass sie – selbst, ohne Absicht – enormes Leiden verursachen. Bis heute konnte ich zu keiner zufriedenstellenden Antwort kommen. Ich bin ein Mensch, der Empathie für Tiere verspürt, sie respektiert und liebt; jemand, der nicht akzeptiert, dass Lebewesen all das durchmachen müssen, was ich nach und nach dank meiner Beiträge entdecke. Ich habe früher Fleisch gegessen und liebte Milchprodukte, ich habe Kuchen gebacken mit Eiern und Butter und habe gerne verschiedenste Rezepte meiner Mutter nachgekocht, wobei es alles andere als vegan zuging. Leidenschaft für Tiere war stets ein Teil von mir. Doch was mich genau dazu bewegt hat, vollständig auf Produkte tierischen Ursprungs zu verzichten, das könnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich ist es die Tatsache, dass ich langsam, immer öfter wahrgenommen habe, dass Verzicht auf Fisch und Fleisch nicht alles ist. Das ist meines Erachtens ein erster wichtiger Schritt. Dieser Verzicht stellt aber nur einen Bruchteil des gesamten Weges dar. Wenigstens für mich war es so. Und bitte, verstehen Sie mich nicht falsch: jeder, der auch nur einen Tag pro Woche auf das gewohnte Steak verzichtet, verdient von mir ausgesehen, vollsten Respekt und ich sage Danke für die Tiere. Doch ich hatte ein eigenartiges Gefühl, als wüsste ich in meinem Innersten, dass das nicht genug war. Dass das irgendwie nur die Spitze vom Eisberg war. Und das war es tatsächlich. Ich habe einmal vor sehr vielen Jahren ein Bild eines Eisberges gesehen. Das hat mich enorm fasziniert, eingeschüchtert, aber gleichzeitig auch extrem neugierig gemacht. Jedes Mal, wenn ich daran denke, empfinde ich wie eine Leere in mir, die mich ausfüllt. Ich weiß, das klingt wie ein Widerspruch, aber genau diese Sensation spüre ich in meinem Magen, wenn ich an den Eisberg denke. Es ist, als würde ich mich mit dem immens großen unbekannten Etwas unter Wasser identifizieren. Genauso fühlte ich mich auch, als ich die Gelegenheit bekommen habe, als IAMA für diesen Blog zu schreiben. Ein phantastisches Gefühl, andrerseits aber auch Angst davor, Dinge zu entdecken und Wahrheiten aufzustöbern, die ich bisher nicht kannte oder ignorieren wollte. Genau das ist aber für mich der springende Punkt. Ich habe nun eine Grenze erreicht, und ab jetzt will ich wissen und weitergeben. Und weil ich immer mehr nachforsche und den Dingen auf den Grund gehen will, werde ich mir bewusst, dass der Konsum von tierischen Produkten so enorm viel Leiden verursacht. Vor allem aber entwickle ich das Bewusstsein, dass es für mich persönlich nicht mehr im Verhältnis steht: der kurze Moment des Genusses oder die Freude, ein solches Lebensmittel zu verzehren oder Produkt zu verwenden. Ich kann es auch anders ausdrücken: wenn ich ein Produkt tierischen Ursprungs auch gerne möchte, dann frage ich mich nun vorher, was wer wie wo wann warum? Was war notwendig, damit ich dieses Produkt kaufen kann? Früher hingegen habe ich gekauft, gegessen, getragen, genutzt und dann vielleicht habe ich kurz gedacht, „Oh, das arme Schwein!“ Aber dann war alles schon verdaut, in jeder Hinsicht. Jetzt ist Schluss damit, ich will Verantwortung übernehmen.

Zurück zu unserem Kommentar. Es stimmt, Käufer sollten idealerweise vor der Wahl der Produkte damit konfrontiert werden, was mit diesem Artikel verbunden ist – tierisch gesprochen. Mit meiner kindischen Vorstellungskraft bin ich so weit gekommen, dass ich mir folgendes überlegt habe: was wäre, wenn man auf jedes Produkt tierischen Ursprungs ein Label mit einem QR-Code drucken würde. Dieser „Animal-Welfare-Code“ (nennen wir ihn einmal so) würde einen Kurzfilm oder Bilder darüber beinhalten, wie das Tier, welches man gerade in der Hand hält, behandelt wurde: von seiner Geburt bis zu seinem Tod. Diesen QR-Code könnte man sehr einfach mit einer App auf dem Mobiltelefon lesen. Wenn man möchte und wenn man den Mut dazu hätte. Und wenn die verschiedenen Akteure des Wirtschaftskreislaufes dies zulassen würden. Wahrscheinlich wären nur jene Produzenten wie „Du bist hier der Chef“ damit einverstanden, Bio-Hersteller (die echten) und andere, die es ernst meinen. Stellen Sie sich aber nur einen Augenblick vor, wie sich unser Einkauf-Ritus dadurch verändern würde: Sie suchen sich ein saftiges Steak aus, am Abend nach einem stressvollen Arbeitstag, wenn Sie so richtig hungrig sind und nur noch daran denken, zu essen und zu schlafen. Da befällt Sie plötzlich Neugierde und Sie scannen das kleine schwarze Kästchen. Da sehen Sie, wie das gerade erst geborene Kalb von seiner Mutter an den Hinterbeinen fortgezerrt wird, während es nach Milch schreit. Die Mutter brüllt ihrerseits aus Verzweiflung. Sie landet mit andern X abgemagerten Kühen auf einen zu engen Lastwagen, muss eine stundenlange Fahrt ohne Wasser und Futter durchstehen. Um schließlich gewaltvoll aus dem Laster gezerrt zu werden, auf den Knien, weil sie vor Wunden nicht mehr stehen kann. Endlich erreicht sie durch einen engen Gang, der höchst wahrscheinlich nach Blut und Panik stinkt, das Ende. Das Ende des Ganges und das Ende ihres Lebens. Nicht aber ohne zuvor ohne ausreichende Betäubung an einem Hinterbein zu baumeln, wobei ihr die Kehle aufgeschlitzt wird. Ja, denn der Bolzenschuss war leider nicht gut platziert. Das alles ist ihr saftiges Steak. Mahlzeit!

Ich glaube, wir Erwachsene tun uns eher schwer, diese Hürde zu nehmen und unsere Gewohnheiten zu verändern. Warum sollen wir denn auch? Was ändert das denn schon, wenn ich – Einzelmensch – auf mein geliebtes Schnitzel verzichte? Ja, es denken viele so und dadurch wird es dann eine Massenrechtfertigung für unseren mangelnden Willen, unsere Konsumgewohnheiten zu ändern. Kinder sind da anders, sie können da vielleicht unsere „Rettung“ sein, sie können unser Gewissen werden. Warum?

Wenn Kinder das Glück haben, auf entsprechende Art und Weise zu Liebe und Respekt für Tiere erzogen zu werden, dann können sie eines Tages wirklich die Welt verändern. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Einige unter Ihnen werden vielleicht glauben, ich plädiere dafür, dass man Kinder einer Gehirnwäsche unterzieht, damit sie alle Mini-VeganerInnen werden. Bei weitem nicht. Kinder haben aber das recht, zu wissen. Ja, denn sonst, wenigstens ab einem gewissen Alter, ist das eine Verdummung unserer Jugendlichen. Sie sollen ruhig wissen, was hinter den Produkten steckt, die sie manchmal nicht einmal wertschätzen, wenn sie heikel spielen und Essen in den Eimer landen muss. Ich wäre meinen Eltern dankbar gewesen, wenn sie mir so einiges erklärt hätten. Sie wussten genau, wie sehr ich Tiere liebe. Sicherlich haben sie aus Liebe zu mir gehandelt, doch es lässt sich vieles vermitteln indem man es dem Alter entsprechend anpasst.

Daher bin ich auf jeden Fall überzeugt, dass Konsumenten mit der Realität konfrontiert werden sollten. Das einzige ist dabei, dass man jemanden nicht – wie man so schön sagt „beim Krawattl packen“ und ihr/ihm stundenlang bestimmte Szenen zeigen kann. Wenn eine Person nicht gewillt ist zu wissen, wird sie weiter im „gesegneten“ Unwissen bleiben. Das ist der Punkt. Einst las ich ein Zitat irgendwo … „Niemand ist so blind wie der, der nicht sehen will.“  (Quelle: “Gute Zitate”)

Es gibt aber auch einen anderen Weg, eine positive Methode, um auf all das aufmerksam zu machen. Artikel, wie die folgenden, erregen nicht wenig Unmut und Empörung. Bei manchen Menschen manifestiert sich dann eine gewisse Ungläubigkeit, wenn nicht sogar Zorn. Und das kann der Ausgangspunkt sein, damit sich doch endlich etwas ändert:

„Er hat nach Überzeugung des Gerichts zwei nicht transportfähige Rinder aufgeladen“, sagte Kirchhoff der taz. Da die Tiere bei der Ankunft im August 2018 in einem Schlachthof von Bad Iburg nahe Osnabrück nicht mehr aufstehen konnten, habe der Angeklagte eines der Rinder mit einer Seilwinde ohne Betäubung aus dem Transporter gezogen. Das zweite musste demnach auf den „Kniegelenken“ die Rampe herunterhumpeln. „Beides hat zu Schmerzen geführt, das hat die Sachverständige gesagt“, berichtete Kirchhoff. (Quelle: “Viehhändler wegen Quälerei verurteilt”, taz, 13.02.2021)

Wenn man es anders ausdrücken will, Ihr berühmtes Steak, welches Sie noch immer in der Hand halten, während Sie den „Animal-Welfare-Code“ entziffern, musste aus dem LKW heraushumpeln. Ja, das ist doch etwas anders, als die glücklichen Kühe, die man in den Werbungen sieht, oder? Dort schreien die Tiere fast danach, gemolken oder sogar gefressen zu werden, denn sie verbringen ein derart schönes Dasein, mitten auf fetten Wiesen im Sonnenschein und umgeben von zwitschernden Vögeln, dass man glauben könnte, sie stammen aus dem Zeichentrickfilm „Heidi“. Die Realität ist eine ganz andere. Lesen Sie weiter unten noch weitere Beispiele, wenn Sie Lust dazu haben.

Das war wieder einmal ein unangenehmer Artikel, ich hoffe trotzdem, er regt manch einen an, nachzudenken. Das wäre schon ein tolles Ergebnis. Und ganz wichtig: es muss nicht immer ein 100%iges Ja oder 100%iges Nein zu Produkten tierischen Ursprungs sein. Schon ein kleiner Verzicht, kann so viel bewegen und Tierleben retten. Bitte überlegen Sie sich das einmal in Ruhe, vielen Dank – IAMA

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Titelbild: Iceberg | Photo: Jim Best CC BY-NC 2.0 via FlickR

Wer Fragen oder Anregungen zu diesem Thema an Vesna Caminades hat, kann sich unter dieser E-Mail-Adresse an sie wenden: iama4iwannaknow |et| gmail.com oder Mobile Phone +32488617321.

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