Liebe Leserinnen, liebe Leser, selbst wenn wir derzeit beschränkt mobil sein dürfen, heißt das noch lange nicht, dass wir nicht interessante Menschen kennenlernen und Neues erfahren können. Genauso ist es mir ergangen, als ich auf der Suche nach Material für einen neuen Beitrag für “I wanna know” auf diese tolle Seite gestoßen bin “Veggies MedUni Wien”. Dabei handelt es sich um eine Initiative, die vier motivierte Menschen zum Wohle von Umwelt und Tieren, aber auch zum eigenen Wohl ins Leben gerufen haben. Deren Einstellung und die Botschaft, die sie überbringen, ist voller positiver Energie. Sind Sie neugierig geworden? Lesen Sie hier weiter, worum es geht!

Tanja Altreiter, Susanne Hödl, Stephanie Steinschaden und Walter Seeling von der MedUni Wien haben meine Fragen zu ihrem Projekt gemeinsam beantwortet.

Interview von Vesna Caminades

Frage: Wie kam es zu dieser Idee?

Antwort: Tanja und Susanne haben einander als Angestellte der Medizinischen Universität Wien im Sommer 2013 über unseren Lieblings-Veganhändler, den “Veganversand Lebensweise”, kennengelernt – nur eine dienstliche Etage voneinander entfernt und ohne zuvor voneinander gewusst zu haben! Ein wenig später sind Walter und Stephi, ebenfalls von der MedUni Wien, als tatkräftige Verstärkung unseres Teams dazu gestoßen. Da wir alle vegan leben infolge eines sehr bewusst gewählten Entwicklungs- und Erfahrungsprozesses von ursprünglich omnivorer Ernährungsweise [Allesfresser] über jahrzehntelange vegetarische bis hin zur heutigen veganen Lebensweise, wissen wir aus erster Hand, welche Fragen und Themen rund um einen solchen Umstieg mitunter auftreten können. Die Grundidee war daher einerseits, Gleichgesinnte vor Ort an unserem Arbeitsplatz zu finden, um sich auf einfache Weise vernetzen zu können, andererseits war und ist es uns ein sehr wichtiges Anliegen, vegetarisch/vegan Interessierten eine niederschwellige Anlaufstelle sowie Information und Unterstützung zu bieten – und letztlich vor allem auch gemeinsam mit anderen die überbordende Lebensfreude und den Genuss einer gesunden und tierleidfreien Lebensweise zu teilen.

Frage: Diese Initiative ist einem “medizinischen” Ambiente entstanden, wir wissen allerdings, dass manche Ärzte vor allem die vegane Ernährungsweise kritisieren; wie seht ihr das?

Antwort: Wir wissen natürlich, dass seitens der Ärzteschaft die Meinungen zur rein pflanzlichen, also veganen Lebensweise sehr unterschiedlich sind, von Unkenrufen und Hiobs-Botschaften bis hin zu glühenden Lobeshymnen. Letztlich kann man nur jedem – ganz besonders ÄrztInnen, die schließlich ihr Wissen an PatientInnen weitergeben und denen damit eine besonders hohe Verantwortung zukommt – dazu raten, sich gründlich zu informieren, und zwar möglichst auf Basis unterschiedlichster und vor allem rezenter Quellen. Im Geiste der Gesundheit sowie auch des Tier- und Umweltschutzes würden wir uns natürlich wünschen, dass insbesondere die kritischeren VertreterInnen der Ärzteschaft die Publikationen ihrer eigenen, hervorragend informierten FachkollegInnen sowie anderer wissenschaftlicher ExpertInnen zu diesem Thema lesen und diese Informationen dann in ihr Weltbild integrieren. Ich beziehe mich hier auf zahlreiche wissenschaftliche AutorInnen wie beispielsweise

Prof. Claus Leitzmann und Dr. Markus Keller (“Vegetarische und vegane Ernährung”, ISBN-13: 978-3825250232),

Dr. Ruediger Dahlke (“Peace Food: Wie der Verzicht auf Fleisch Körper und Seele heilt”, ISBN-13: 978-3833822865),

Dr. med. Ludwig Manfred Jacob (“Dr. Jacobs Weg des genussvollen Verzichts: Die effektivsten Maßnahmen zur Prävention und Therapie von Zivilisationskrankheiten”, ISBN-13: 978-3981612233),

Prof. Dr. T. Colin Campbell (“China Study: Die wissenschaftliche Begründung für eine vegane Ernährungsweise”, ISBN-13: 978-3864010491),

Niko Rittenau („Vegan-Klischee ade!: Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung“, ISBN-13: 978-3955750961)

oder auch die gesamte amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics, die sich in ihrer “Position of the Academy of Nutrition and Dietetics: Vegetarian Diets” seit dem Jahr 2009 ganz klar für eine pflanzliche Ernährungsweise ausspricht, da diese, neben vielen anderen Vorzügen, gesundheitliche Vorteile bei der Vorbeugung und Behandlung bestimmter Krankheiten bieten kann.

“Tiere sind meine Freunde, und ich esse meine Freunde nicht.” (George Bernard Shaw)

Frage: Welche Aktionen unternehmt ihr als Interessensgemeinschaft? Was darf sich jemand erwarten, der bei euch hinein schnuppern will?

Antwort: Wir bieten Interessierten ein breit gefächertes Angebot, welches sich im interaktiven Bereich allerdings nach unseren zeitlichen Möglichkeiten richtet: Neben dem umfassenden Informationsangebot auf unserer Homepage sowie im Schaukasten unserer Info-Vitrine im AKH Wien (Allgemeines Krankenhaus Wien) bieten wir einen regelmäßigen Rezepte-Service sowohl per Newsletter als auch per Download (derzeit 234 Rezepte verfügbar, Status 19.04.2020) und bemühen uns, das Personalrestaurant des AKH Wien zu mehr veganen Gerichten zu motivieren (mit mäßigem Erfolg). Im „Live-Betrieb“ halten wir etwa alle zwei Monate einen Stammtisch ab in wechselnden Veggie-Restaurants in Wien, veranstalten Koch-Workshops und unternehmen auch gelegentlich Ausflüge zusammen – das interaktive Angebot richtet sich dabei jeweils nach der Nachfrage. Weiters haben wir auch schon Info-Tische auf Gesundheitsmessen betreut, um auch weniger Veggie-affine Menschen zu informieren, deren Hemmschwelle bei der Annäherung an die pflanzliche Lebensweise zu reduzieren und ihnen mit möglichst praktischen, individualisierten Tipps einen gelungenen Start oder eine erfolgreiche Fortführung zu ermöglichen. Und selbstverständlich sind wir, allerdings als Privatpersonen, immer wieder bei Tierschutz-veranstaltungen, Veganmessen und Ähnlichem anzutreffen.

Frage: Geht ihr aktiv auf die Menschen zu oder wartet ihr, dass Neugierige zu euch finden?

Antwort: Sowohl als auch – da wir alle diese Tätigkeit ehrenamtlich neben einem Hauptberuf verfolgen, ist es uns zeitlich nicht immer möglich, intensiv auf unsere Plattform aufmerksam zu machen. Wir halten dies jedoch auch nicht für unbedingt notwendig, da wir dank unserer vielfältigen Aktivitäten für Interessierte gut auffindbar sind. Da wir jedoch alle intensiv mit vielen anderen Veggies vernetzt sind, sowohl „in real life“ als auch über social networks, ergeben sich auch dadurch immer wieder neue Kontakte – und nicht selten werden wir von KollegInnen oder (neuen) Bekannten auf unsere Lebensweise angesprochen, um Tipps und Erfahrungsberichte gefragt, sodass sich auch einfach über die Schiene der zwischenmenschlichen Kommunikation sozusagen „die frohe Kunde verbreitet“. Wir gehen nicht missionierend auf andere zu – gerade aufgrund dieser mitunter zurückhaltenden Vorbildwirkung werden andere dann oft neugierig und wollen selbst mehr wissen, weil sie sich nicht kritisiert fühlen, sondern spüren, dass sie offen Fragen stellen können. Es ist wichtig, die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade sind, individuell auf sie einzugehen – so erzielt man behutsam oft die besten Ergebnisse, Schritt für Schritt.

Foto: privat

Frage: Wie kann man vor allem Kinder und junge Menschen allgemein für Tierwohl, vegetarische oder vegane Lebensweise und Verantwortung für die Umwelt sensibilisieren?

Antwort: Umweltbewusstsein ist derzeit ein massives Element im schulischen Lehrplan, zumindest soweit wir es von Wien wissen. Tierschutz wird leider nur sehr peripher behandelt – hier kommt es vermutlich, wie auch bei Erwachsenen, sehr viel auf die jeweilige geistige Offenheit (evtl. auch angesichts der peer group) an, auf die Bereitschaft, sich selbst, sein Leben und die eigenen Überzeugungen gegebenenfalls auch zu ändern, wenn man feststellt, dass es im Lichte neuer Erkenntnisse notwendig ist. Besonders junge Menschen sind hier zumeist sehr flexibel – aus diesem Grunde spielen Vorbilder in dieser Altersgruppe eine ganz herausragende Rolle. Wenn populäre Schauspieler, Sänger, Spitzensportler oder sonstige VIPs eine vegane Lebensweise, Tier- und Umweltschutz propagieren – und deren gibt es mittlerweile enorm viele -, dann können sie die jungen Menschen erreichen und sie dazu inspirieren, ihre eigene Lebensweise und ihre Überzeugungen zu überdenken oder gar zu ändern.

Es gibt zumindest zwei grundlegende Arten, Menschen zu erreichen – vormals nannte man das „Zuckerbrot und Peitsche“. Die harte Tour der Peitsche wären in diesem Fall die vielen schockierenden Videos und Aufnahmen gequälter, misshandelter, dahinvegetierender und sterbender Tiere – aus eigener Erfahrung wissen wir jedoch, dass das absolut nicht jedem zumutbar ist, daher stellt dies für uns nicht die erste Methode der Wahl dar, zumindest nicht für den Beginn einer Information, bevor man den Gesprächspartner und seine Sensibilitätsschwelle kennt.

Dennoch ist sachliche Information absolut notwendig, da viele Menschen – vor allem auch Kinder und Jugendliche, die mit dem Ideal der Streicheltiere aufgewachsen sind – sich überhaupt nicht vorstellen können, welche Gräueltaten wirklich an Tieren verübt werden. Die schönen Fotos aus Werbekampagnen zeigen ja nur glückliche Tiere auf saftigen Weiden – dass die Realität für die allermeisten der sogenannten Nutztiere – bei manchen Arten sogar für 99% unserer tierischen Mitgeschöpfe – anders aussieht und das, was dann als unerkenntliches Schnitzel auf dem Teller liegt, einen unsäglichen und unvorstellbaren Leidensweg ab der Geburt bis zur brutalen Abschlachtung hinter sich hatte, vermag man sich ohne entsprechende Aufklärung über die Wahrheit, über die Fakten der Nutztierindustrie, daher kaum vorzustellen.

Altersangepasste Information – aber zunächst eher behutsam, für manche Menschen genügt das bereits – ist daher ein Schlüssel zur Sensibilisierung. Dieser sollte unbedingt verbunden sein mit der gleichzeitigen Aufklärung über einen alternativen Lebensweg, über pflanzliche Ernährung und deren Vorteile sowie eine Darstellung, wie harmonisch und glücklich wir alle – Menschen, Tiere und Pflanzen – miteinander leben könnten, wenn jede/r dazu bereit ist, einen Beitrag zu leisten. Diese erstrebenswerte Aussicht sowie die zuvor angesprochene Vorbildwirkung prominenter bzw. von Jugendlichen geschätzter Personen evtl. auch in ihrem eigenen Umfeld entsprechen dann der lockenden „Zuckerbrot“-Methode: Selbst so mitfühlend, so warmherzig, so strahlend, so sportlich leistungsfähig zu sein wie ein Idol kann durchaus eine lohnenswerte Motivation darstellen. Die jungen Menschen übernehmen selbst Verantwortung für ihre Lebensweise, spüren, wie gut es tut, für sich selbst zu entscheiden – dieses Gefühl der Freiheit der Selbstbestimmung ist ebenfalls essentiell.

“Wage es, weise zu sein. Höre auf, Tiere zu töten.” (Horaz)

Frage: Welche Empfehlung gebt ihr einem Menschen, der gerne das Vegetarische oder Vegane probieren möchte, aber Angst davor hat, dass die Umstellung zu kompliziert wird?

Antwort: Jeder Schritt in diese Richtung ist wertvoll!!! Dies ist nach unserer Erfahrung das Wichtigste, was man einem Menschen in dieser Situation sagen kann. Wenn man sich überfordert fühlt von einer Umstellung über Nacht, dann muss man das ja auch nicht so handhaben – take your time, nehmt euch die Zeit für eure Umstellung, holt euch Rat bei Menschen, die schon lange als Veggies leben oder in Ratgebern (Bücher, Internet, Rezepte-Datenbanken …). Vor allem aber: Geht mit offenen Augen durch Märkte und Supermärkte und ihr werdet staunen, was ohnehin alles bereits pflanzlich ist, ob gekennzeichnet oder nicht. Macht „erwartungsfreie“ Kochexperimente mit neuen Zutaten – und euch erwartet mit Sicherheit so manches kulinarische Highlight, welches ihr mit den altbekannten, traditionellen Zutaten so nicht hättet genießen können!

Für die Organisationsfreudigen: Macht euch eine Liste vegetarischer/veganer Zutaten („Austauschtabellen“ gibt es im Internet genügend zu finden) und gestaltet eine eigene Rezeptemappe, die ihr dann laufend ergänzt. Ihr könnt auch eine „vegane Woche“ (hier und hier) oder einen „veganen Monat“ ausprobieren und schauen, wie es euch damit geht. Und vor allem: Lasst euch nicht entmutigen, wenn einmal etwas nicht so klappt oder ihr einen „Rückfall“ hattet – wie gesagt: Jeder Schritt hin zur pflanzlichen Ernährung ist ein wichtiger Schritt und rettet Tieren das Leben, immer und immer wieder. Jeden Tag aufs Neue werdet ihr damit zu Helden des Alltags!

Foto: privat

Frage: Was hält ihr von der Initiative von Paul Mc Cartney “Meatfree Monday” – könnte so etwas auf den Universitäten regelmäßig eingeführt werden?

Antwort: Ob es könnte? Ja, dazu müssen nur die jeweiligen EntscheidungsträgerInnen es wollen. Ob es wird? Vielleicht, wer weiß … Hier können wir hauptsächlich darauf hoffen, dass es „politically correct“ wird, einen fleischfreien Tag pro Woche einzuführen. Dann wird es schwieriger, sich diesem Schritt zu entziehen und wahrscheinlicher, dass wir ihn alle erleben dürfen.

Frage: Könntet ihr euch vorstellen, dass eure Initiative in Oberschulen oder sogar niedrigeren Lehrstufen repliziert wird?

Antwort: Das kommt immer darauf an, ob sich an einer Institution jemand findet, der engagiert genug ist – und ob die betreffende Institution solch eine Initiative auch toleriert oder gar unterstützt.

“Das Beste, was eine Person zur Bekämpfung des Klimawandels tun kann, ist, keine Tiere mehr zu essen”; James Cameron

Frage: Welche Entwicklung habt ihr zwischen 2013 und heute erkennen können?

Antwort: Die Zahl der an Vegetarismus und Veganismus Interessierten steigt spürbar an. Ein schöner Indikator für diesen Trend ist beispielsweise, dass wir unsere Prospektständer in der Veggies-Vitrine der Eingangshalle des AKH Wien mit Vegan-Broschüren befüllen und an den rasant schwindenden Exemplaren ganz deutlich merken, wie hoch das Interesse an diesem Thema ist.

Auch das Angebot der Wirtschaft ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen, seien es nun Nahrungs- oder Reinigungsmittel, Restaurants, Mode oder Vegan-Reisen.

Dennoch – oder umso mehr – ist es für alle Veggie-, Umwelt- und Tierschutz-Engagierten wichtig, auch weiterhin kontinuierlich daran zu arbeiten. Die Bandbreite des Engagements ist hier vielfältig: Beispielsweise hat eine unserer veganen Kolleginnen auffällige “Liebe ist vegan”-Folien an ihrem Auto angebracht, auch das aktive Fragen nach veganen Produkten in Supermärkten, bei Bäckern etc. hilft dem Markt, den Bedarf festzustellen, basierend auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Unsere Erfahrungen stützen sich hauptsächlich auf den urbanen Bereich – am Land sieht es in Restaurants und Supermärkten teilweise leider immer noch eher düster aus, doch unter anderem aufgrund der Laktoseintoleranz-Betroffenen erspäht man auch hier mittlerweile pflanzliche Milchalternativen oder sogar die eine oder andere erfreuliche Überraschung auf der Speisekarte. Bei Begegnungen mit anderen fällt uns auf, dass zwar immer noch Skeptiker zu finden sind, doch mittlerweile hört man in beinahe jedem Gespräch, dass das Gegenüber „auch jemanden kennt, der/die vegetarisch oder vegan ist“.

Diese Lebensweise greift deutlich um sich, gewinnt zunehmend an Boden und an Beliebtheit – für unsere Gesellschaft, die Umwelt, die Gesundheit und vor allem auch für unsere tierischen Freunde können wir nur hoffen, dass dieser erfreuliche Trend sich in einer exponentiellen Steilkurve fortsetzt!

Und wer mehr darüber wissen möchte, hier noch einmal der Link zur Webseite der Veggies MedUni Wien.

Titelbild / Fotos: privat

Wer Fragen oder Anregungen zu diesem Thema an Vesna Caminades hat, kann sich unter dieser E-Mail-Adresse an sie wenden: iama4iwannaknow |et| gmail.com oder Mobile Phone +32488617321.

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