Ampel-Koalition braucht eine starke linke, sozialstaatliche Opposition

Von Thomas Händel

Die Wähler haben bei der Bundestagswahl die Linke stark ramponiert. Sie verliert über 2 Millionen Stimmen, fast die Hälfte ihrer WählerInnen, die Hälfte  an die SPD und Grüne. Der Wunsch nach einer Beendigung der lähmenden Merkel-Ära war wohl übermächtig. Die Linke wurde dafür nicht gebraucht. Politikwechsel ist übertrieben,Darstellerwechsel bei neuer Inszenierung des gleichen Stücks trifft es besser.

Medienstarke RepräsentantInnen der Partei hatten eine Erklärung schnell parat: Die Partei habe ihren Markenkern – Arbeit und soziale Gerechtigkeit – zu stark vernachlässigt. Aus der Papierlage und den Wahlkampfauftritten des Spitzenpersonals lässt sich das nicht ablesen. Übereifrig wurde das Thema gerade von denjenigen, die das nun lautstark reklamieren, auch nicht bemüht.

Stattdessen wurden starke Steilpässe liegen gelassen: Katja Kipping hatte die Forderung nach einer 4-Tage-Woche stark gemacht. Ein Thema mit hohem R2G-Potential. Sie fand aber in der Partei wenig Unterstützung. Die Linke im Europaparlament servierte auf dem Silbernen Tablet eine Richtlinie, die die alte Forderung der  Forderung der Arbeiterbewegung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ realisierte. Im Bundestag wurde diese Chance bei der nationalen Umsetzung einfach ignoriert. So klappt’s nicht mit den Arbeitern.

Rund 370.000 frühere WählerInnen haben sich entschieden nicht zu wählen. Manche sehen darin als Ursache nicht nur den immer wieder befeuerten Dauerstreit in der Fraktion, sondern die Verwirrung, wer nun eigentlich die Partei repräsentiert. Wenn ein junges und neugewähltes Führungsduo – kaum im Amt – mit einem mit großem medialen Tamtam orchestrierten „Gegenprogramm“ konfrontiert wird, wirkt das wie die berühmte Blutgrätsche im Fußball,allerdings gegen die eigene Mannschaft. Interner Streit im Wahlkampf ist immer tödlich, diese Erkenntnis ist nicht neu.Fallstricke wie die Afghanistan-Abstimmung und die Nato-Frage taten dann das Übrige.

Uwe Kalbe hat zwar Recht wenn er im nd  schreibt, „Die Linke sollte wohl froh sein, zur Probe aufs Exempel nicht wirklich herausgefordert worden zu sein – in einer Koalition mit der Scholz-SPD.“

Zweifellos ist Einiges im Koalitionsvertrag zu begrüßen. Dennoch wären einige Fragen im Koalitionsvertrag einer Rot/Rot/Grünen Koalition anders beantwortet worden.

Was also tun? Dass die verlorenen Wähler schon irgendwann von selbst zurück kommen, ist zwar ein tröstlicher Gedanke. Dafür muss aber mehr passieren. Es braucht eine bessere Verzahnung von sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit. Angesichts der Folgen des Klimawandels für „die da unten“ ist es ein soziales Thema per se. Die Linke kann sich in der Auseinandersetzung mit der Ampel reorganisieren, besonders bei den  aktuellen Brennpunkten zu Arbeit und Sozialem.

  1. Von einer besseren Bezahlung der Beschäftigten im Gesundheitswesen per allgemeinverbindlichem Tarifvertrag ist nicht die Rede, auch nicht von einem Ende des Fallpauschalensystems.
  2. Ein Mindestlohn von 12€ soll kommen, und zwar schnell. 13€ wären besser gewesen, entscheidend ist aber die wirksame Kontrolle. Die Zollbehörden kamen bei rund 4 Mio. Betroffenen kaum rum – künftig werden mehr als 8,7 Mio. zu überprüfen sein.
  3. Der ewige Kampf um den Normalarbeitstag geht in die nächste Runde. Weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit ohne die längst überfällige Umsetzung des EuGH-Urteils zur kompletten Arbeitszeiterfassung ist bei Unsummen von unbezahlten Überstunden und rasant wachsendem Homeoffice eine Fehlleistung.
  4. Sachgrundlose Befristungen werden beibehalten und damit die Unsicherheit für viele fortgesetzt.
  5. Das Versprechen das Rentenalter nicht zu erhöhen und das Rentenniveau nicht abzusenken wirkt angesichts der Zukunftsprobleme der Rentenfinanzierung nicht beruhigend. Die Betriebsrente soll nun über den Kapitalmarkt gestärkt werden. Ob das weiter als bis zum nächsten Börsencrash hält? Die Linke hat ein schlüssiges Rentenkonzept. Wir werden es bald brauchen.

Kurzum: Sozialliberale Attitüden brauchen eine starke linke, sozialstaatliche Opposition.

Autoren-Info

Thomas Händel (*1953 in Nürnberg) studierte an der „Akademie für Arbeit“ in der Universität Frankfurt am Main und wurde dort Assistent unter anderem für Professor Wolfgang Abendroth. 1979 holte ihn Georg Benz als Mitarbeiter zum Vorstand der IG Metall. 1987 bis 2012 war Händel gewählter Geschäftsführer der IG Metall in Fürth. Zudem war er Mitglied des Aufsichtsrats der Grundig AG und ehrenamtlicher Richter am Landesarbeitsgericht. Von 1972 bis 2004 war Händel Mitglied der SPD. Als Mitverfasser eines Aufrufs zur Gründung der WASG in 2004 wurde er aus der SPD ausgeschlossen. Händel wurde daraufhin Mitglied der WASG und nach dem Zusammenschluss von WASG und PDS Mitglied der Partei Die Linke. Von 2009 bis 2019 war Händel für Die Linke Mitglied des Europäischen Parlaments (EP). Von 2014 bis 2019 war er Vorsitzender des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des EP.

Titelbild: Gummy Bears by Jochen Spieker CC BY-SA 2.O via FlickR

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