Von Frederik D. Tunnat

Das, was sich da in der Türkei ereignet hat, ist ein unerhörter, in dieser Form nie dagewesener Skandal! Doch in meinen Augen weniger ein Skandal, den wir dem allseits bekannten Frauenverächter, Macho und von seinen Minderwertigkeitsgefühlen vollkommen zerfressenen türkischem Möchtegern-Diktator und selbsternanntem Restaurator des Osmanischen Reichs, Erdogan, anlasten können, als vielmehr dem amtierenden EU-Ratspräsidenten Charles Michel!

Nie und nimmer hätte ich es für möglich gehalten, dass ich einer Politikerin wie Ursula von der Leyen, geborene Albrecht, weibliche Karikatur ihres allmächtig über ihr schwebenden Vaters Ernst Albrecht, deren desaströses Missmanagement in den von ihr verwalteten Ministerien Legende ist, jemals beispringen, ja sie verteidigen würde. Doch dieser unwahrscheinliche Fall ist eingetreten.

Die Art und Weise, wie ihr anlässlich eines offiziellen Besuchs in der Türkei mit dessen sich Staatspräsident nennenden, de facto als Möchtegern-Diktator amtierenden alles beherrschenden Herrn Erdogan mitgespielt wurde, ihr, der obersten Repräsentantin der Europäischen Union als Leiterin der Kommission, ist in meinen Augen weniger ein ausgewachsener Skandal, weil sich Herr Erdogan mal wieder, wie das für Männer aus dem türkisch-religiösen Proletariat nun mal üblich ist, daneben benommen hat, und für sein von Minderwertigkeitskomplexen zerfressenes Ego mal eben einer hochrangigen Politikerin zeigen wollte, was eine politische Harke ist, sondern in erster Linie ein Skandal des Monsieur Michel aus Belgien!

Was wird nicht landauf, landab innerhalb der EU von Gleichberechtigung gelabert; was wird nicht alles unternommen, um diese angeblich existierende Gleichberechtigung über gendergerechte Sprache zum Ausdruck zu bringen. Und doch versagt in einem Moment historischer Dimension einer der höchsten EU Repräsentanten, der Mann Charles Michel.

Statt sich selbstzufrieden und scheinbar vollkommen einverstanden mit Erdogans Affront gegen Frau von der Leyen, neben dem Möchtegern-Diktator in dem für ihn bereit gestellten Sessel nieder zu lassen, um damit Erdogans Affront gegenüber der weiblichen EU Kommissions-Chefin quasi abzusegnen, hätte er sich – ich jedenfalls hätte keine Sekunde an seiner Stelle gezögert – sich nicht setzen dürfen, zumal von der Leyen sogar laut protestierte, sondern hätte sich neben der bewusst – stellvertretend für sämtliche weiblichen Einwohner der EU – von Erdogan düpierten und nicht gleichberechtigt behandelten von der Leyen auf das abseits stehende Sofa setzen MÜSSEN !!!

Dass Michel dies nicht tat, macht sein Nichthandeln zu einer stillen, aber dennoch bildlich überaus laut sprechenden Kumpanei mit dem Chauvinismus und der Frauenverachtung Erdogans. Das ist für mich der eigentliche Skandal, nicht so sehr die Tatsache, dass Erdogan so etwas ungestraft durchziehen konnte, gegenüber einer Institution wie der EU und ihren beiden höchsten Repräsentanten.

Es ist ja nicht die erste Düpierung eines ranghohen EU Repräsentanten! Erinnern wir uns, wie ein anderer EU Repräsentant nur wenige Wochen zuvor von Diktator und Möchtegern-Zar Putin wie dessen, den Außenminister Russlands spielenden Lakaien Lawrow vorgeführt wurde. Wie wenig hilfreich es ist, sich derartiges Verhalten, zumal von politischen Rüpeln wie Putin und seinen Lakaien gefallen zu lassen, macht nun das Beispiel Erdogans deutlich: es wird allmählich Usus, in Diktatorenkreisen, die EU und deren Repräsentanten wie dumme unreife Teens vorzuführen. Und die EU sowie unsere höchsten EU Repräsentanten lassen sich Derartiges bieten, als wollten sie Jesus Christus und dessen Gleichnis von der anderen Wange, die man hinhalten soll, noch übertrumpfen.

Wir als EU Einwohner müssen uns nicht wirklich wundern, dass es nun ausländische Diktatoren und politisch übel beleumdete Narzissten den innereuropäischen Möchtegern-Diktatoren aus Polen und Ungarn gleich tun. Wie kann es angehen, dass sich die EU als Institution, ihre Repräsentanten als deren personifizierte Spitze, sich seit nunmehr fast einem Jahrzehnt von innereuropäischen politischen Abenteurern am Nasenring durch die politische Arena ziehen lassen???

Was das Sofa-Gate von Ankara oder Istanbul so überaus unappetitlich macht, ist nicht, dass sich ein kleiner Regional-Potentat wie Erdogan erdreistet, sich derart gegenüber zwei der höchsten Repräsentanten einer demokratisch verfassten Union zu benehmen und damit auch noch durchzukommen – als vielmehr die Tatsache, dass im männlichen Part von der Leyens ganz unübersehbar ein fast ebenso großer und überzeugter Frauenverächter und Befürworter des männlichen Primats über das Weibliche existiert, wie es unsere Presse in ihrer hellen, aber falschen und vordergründigen Kritik einseitig bei Erdogan abladen möchte.

Wir als EU leisten uns an der Spitze allen Ernstes einen Mann, dessen Taktgefühl so gering entwickelt ist, dass er nicht umgehend seiner bewusst als Frau düpierten Kollegin solidarisch zur Seite eilt und sich zu ihr aufs Sofa setzt. Eine Alternative wäre gewesen, wenn sich von der Leyen und Michel überhaupt nicht gesetzt hätten, sondern gemeinsam den Raum verlassen hätten. Das wäre ein eindeutiges Signal gewesen und hätte ausschließlich Erdogan düpiert und als das gezeigt, was er ist. Indem sich Michel zum Helfershelfer und optischen Verbündeten Erdogans machte, bezog er unzweideutig Stellung gegen die Gleichberechtigung, zeigte keinerlei Solidarität mit seiner weiblichen Kollegin und ist deshalb in meinen Augen der eigentliche Skandalträger.

Ich kann er EU nur dringend empfehlen, sich ein wenig mit den altmodischen Begriffen von Takt, Würde, aber auch politisch angemessener Handlungsweise vertraut zu machen. Dazu sollten sie dringend nachlesen bei den ehemaligen Kanzlern Otto von Bismarck und Konrad Adenauer. Die verstanden sich auf politische Symbolik, und die wussten, als geborene Politiker und Machtmenschen, wann eine Situation erforderte, Selbstbewusstsein zu zeigen und bewusst den Konflikt mit der anderen Seite aufzunehmen.

Eine EU, die zulässt, dass sie von offensichtlich ungeeigneten Repräsentanten vertreten wird, muss sich nicht wundern, dass ihre politischen und wirtschaftlichen Gegner diese Schwäche gnadenlos ausnutzen, und die Verzwergung der EU vorantreiben. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der chinesische Volks-Kaiser, um unsere EU und nationalen Politiker ordentlich international zu düpieren, bevor die zweite und dritte Garnitur der Diktatoren dieser Welt sich bemüßigt fühlen werden, dieser Truppe beizutreten.

Obwohl wir es vordergründig mit einem Gleichberechtigungseklat erster Ordnung zu tun haben, was uns nachgerade zwingt, Frau von der Leyen zur Seite zu stehen und gleichberechtigte Solidarität zu üben, haben wir es mit einem systemischen Problem allererster Güte innerhalb der EU zu tun. Schasst eine so taktlose Figur wie Michel, setzt ihn ab und stellt endlich überzeugende Politiker an die Spitze der EU, die überzeugte Vertreter von Gleichberechtigung sind, sowie über den notwendigen Takt und den nötigen politischen Machtinstinkt verfügen, der nun einmal unerlässlich ist, um im Raubtier-Käfig, den internationale Politik in Zeiten des 21. Jahrhunderts nun einmal darstellt, überleben und überzeugen zu können.

Shame on Michel, nicht bloß on Erdogan.

P.S. Übrigens wundere ich mich über den ausgebliebenen Aufschrei sämtlicher Politikerinnen dieser Welt über das, was einer der ihrigen da stellvertetend widerfahren ist

Titelbild: Ursula von der Leyen by Renew Europe CC BY-ND 2.0 via FlickR

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