40 Tausend Menschen haben in den letzten Jahren im Braunkohlerevier um Erkelenz ihre Heimat verloren, weil diese von RWE abgebaggert wurde. Und die dabei ausgebeutete Braunkohle verbrennt der Konzern in seinen Kraftwerken, deren Feinstaub, Stickoxide und Quecksilber Leben und Gesundheit Tausender zerstört. Am Wochenende des 19. Juni trafen sich dort über hundert Aktivisten zum RWE-Tribunal.

Von Bernhard Clasen

Wer von dem Mönchengladbacher Vorort Herrath in das 30 Fahrradminuten entfernte Lützerath fährt, dessen Weg führt vorbei an prächtigen Höfen, Weiden mit wunderschönen Pferden und blühenden Felder. Doch je mehr man sich Lützerath nähert, desto mehr springen leer stehende Häuser, zugenagelte Fenster, Bauschuttcontainer vor noch bewohnten Häusern ins Auge. Eine sterbende Gegend. Dass das so ist, hat die Gegend dem Energiekonzern RWE zu verdanken, der bei Lützerath das gefährliche Treibhausgift, die Braunkohle, im Tagebau Garzweiler abbaggert. Nur wenige Meter von Lützerath entfernt ist ein riesiges Loch, in das das Wasser des Bodensees passen würde und in dem sich ein riesiger Bagger Zentimeter um Zentimeter an Lützerath heranarbeitet. Lützerath, wo früher noch über hundert Menschen gelebt haben, ist wie ausgestorben, kaum eine Menschenseele ist da noch zu sehen. Nur auf einem Bauernhof, 400 Meter von der Abrißkante entfernt, ist Leben. Es ist der Hof von Bauer Eckhard Heukamp. Heukamp wehrt sich gegen eine Zwangsumsiedlung. Hier haben sich Dutzende Aktivisten einquartiert, die seit Monaten gegen den Braunkohleabbau kämpfen. Bauer Heukamp will dem Bagger des Tagebaus Garzweiler nicht weichen, wehrt sich hartnäckig gegen eine Zwangsenteignung seines Hofes. Eigentlich ein aussichtsloser Kampf, denn Bergrecht hat oberste Priorität in Deutschland. Hoch in den Bäumen seines Hofes haben UmweltschützerInnen Waldhäuser gezimmert, in denen sie verharren wollen, bis die Bagger kommen. Gerne stellt der Landwirt den Gegnern des Tagebaus seine Fläche zur Verfügung. So auch am Wochenende des 19. Juni, als sich UmweltschützerInnen auf seiner Wiese zum RWE-Tribunal trafen.

Das RWE-Tribunal auf einer Wiese, die bald nur noch ein schwarzer Krater sein wird

In einem gemütlichen Zirkuszelt tagten auf der Wiese von Bauer Heukamp Umweltschützerinnen, Menschenrechtler und von Zwangsumsiedlung durch den Braunkohleabbau von RWE Betroffene.

Es ging um die gesundheitlichen Folgen der Braunkohle und die Zerstörung der Dörfer.

200 000 Feinstaubtote in Deutschland – pro Jahr

Für den Kölner Kinderarzt Christian Döring, der sich seit Jahren mit dem Thema „Feinstaub“ beschäftigt, ist die Crux an den Filteranlagen von Braunkohlekraftwerken, dass diese zwar „normalen“ Feinstaub zurückhalten, die viel gefährlicheren Ultrafeinstäube aber durchlassen. Mehr noch: hätten sich früher die Ultrafeinstäube auf die „normalen“ Feinstäube draufgesetzt, könnten sie nun bei den aktuell eingesetzten Filteranlagen ungehindert in die Umwelt gelangen. Das Tragische sei, dass Ultrafeinstäube weiter und langsamer fliegen und so auch andere Länder und Kontinente erreichen. Gerade einmal drei Zentimeter pro Tag fielen Ultrafeinstäube Richtung Boden, so der Kinderarzt. Leidtragende der Ultrafeinstäube sind vor allem Kinder, denn die haben noch mehr Lebensjahre vor sich. Ultrafeinstäube von nur einem Mikrometer dringen direkt in die Blutgefäße ein und gefährden so schon das Leben von ungeborenen Kindern. Tragisch sei auch, so Döring, dass es für Ultrafeinstäube keine Grenzwerte gäbe.

Abriß & Vertreibung

Sehr geschickt gehe RWE in seiner Vertreibungspolitik vor, berichtete Willi Hofmann, selbst von der Zwangsumsiedlung betroffen. „Es ist eine unglaubliche Belastung zu wissen, dass dort, wo ich aufgewachsen bin, nun ein 300 Meter tiefes Loch klafft, und dass dort nie wieder etwas wachsen wird.“ Zehn Jahre lang habe er sich mit der Umsiedlung auseinandersetzen müssen. Geschickt habe die RWE ihre Leute in den lokalen Vereinen platziert, um herauszufinden, wer sich besonders als Zugpferd für einen freiwilligen Verkauf seines Hauses an RWE eigne. Und wer verkaufen wollte, konnte sich einen von RWE empfohlenen Gutachter aussuchen, der dann das Eigentum schätzte. Besonders hart habe ihn die Umbettung seines Vaters getroffen. Da habe er mit einem Vertreter von RWE genau besprechen müssen, wie weit ein Bagger in das Grab eindringen dürfe. Trotz aller Entschädigungen: für die meisten Betroffenen gingen die Umsiedlungen mit finanziellen Verlusten einher. Bäcker, Tischler und andere Selbstständige konnten sich in der neuen Heimat keinen vergleichbaren Kundenstamm aufbauen, nach dem Bergrecht ist der Bergbautreibende nur verpflichtet, den Zeitwert eines Anwesens zu ersetzen. So mussten sich viele ehemalige Hausbesitzer nach der Umsiedlung mit einer Mietwohnung abfinden.

Schwarzer Schnee in Sibirien

Tjan Zaotschnaja, Vertreterin des indigenen Volkes der Schoren.

Über Menschen aus dem sibirischen Kohlerevier Kusbass, die wegen ihrer Kritik an den Folgen des Kohleabbaus Verfolgung, Nachstellungen und Brandstiftung ausgesetzt sind, berichtete Tjan Zaotschnaja, Vertreterin des indigenen Volkes der Schoren. Ganze Flüsse seien in dem Kohlerevier des Kusbass so vergiftet, dass kein Fisch mehr in diesen Flüssen zu sehen sei, man kein Gemüse mehr anbauen könne und der Schnee im Winter schwarz sei. Wer sich weigere, sein Haus an die Betreiberfirma zu verkaufen, müsse damit rechnen, dass dieses eines Tages bis auf die Grundmauern abgebrannt sei – und bei Brandstiftung erhielte man überhaupt keine Entschädigung, so Zaotschnaja. Jedes Jahr sacke das Grundwasser um 10 bis 20 Zentimeter ab, kaum eine Familie, die keine Krebstoten zu beklagen habe.

Wie weiter?

Eine Woche vor der Bundestagswahl wird das RWE-Tribunal am 18. und 19. September erneut tagen, dieses Mal in Essen, dem Hauptsitz der RWE AG.

Weiterführende Links

Fotogalerie

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Titelbild / alle Fotos: Bernhard Clasen

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