Beitrag von Jürgen Klute

Update: The Irish Post hat am 12. Juni 2017 ebenfalls einen sehr lesenswerten Artikel zu diesem Thema veröffentlicht: DUP deal-making poses too great a threat to Northern Ireland

Es ist nicht immer ganz einfach, von außen zu verstehen, was in Großbritannien derzeit passiert. So war das Thema Nordirland bisher kein Thema in Großbritannien, obgleich der Brexit das so genannte Good Friday Agreement – auch als Belfast Agreement bekannt – von 1998 auf eine herbe Probe stellt, um nicht zu sagen, dass es dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt ist durch den Brexit.

Allein Nikos Skoutaris, Dozent für EU-Recht an der University of East Anglia (UEA), hatte im Frühjahr d.J. auf die Gefahren des Brexit für den nordirischen Friedensprozess hingewiesen. Unter dem Titel „Der Brexit hat eine (konstitutionelle) Büchse der Pandora geöffnet“ wurde der Beitrag auch auf Europa.blog publiziert.

Jetzt scheint sich die Debatte aber nicht mehr unterdrücken zu lassen. Es ist nicht der Brexit direkt, der den Blick auf den Friedensprozess in Nordirland lenkt, sondern eine Folge des Brexits: Das Ergebnis der von May angesetzten Neuwahl und deren für sie desaströses Ergebnis. Der Verlust der absoluten Mehrheit der Tories zwingt May, sich nach einem politischen Kooperationspartner umzuschauen – sei es für eine Koalitionsregierung oder für die Duldung einer Minderheitsregierung der Tories.

Die einzige Partei, die zu einer wie auch immer gearteten politischen Zusammenarbeit mit den Troies und Theresa May bereit ist, ist die nordirische DUP. Das ist eigentlich ein Tabubruch, denn nach dem Good Friday Agreement ist die Londoner Zentralregierung gegenüber den beiden Konfliktparteien in Nordirland gegenüber zur Neutralität verpflichtet. Ein Zusammenarbeit Mays mit der DUB ist allerdings genau ein solcher Tabubruch. Denn die DUB repräsentiert eine der nordirischen Konfliktpartei.

Die britische Zeitung The Canary hat sich am 13. Juni 2017 unter dem Titel „Theresa May was hoping nobody would see this Northern Ireland document written by her cabinet minister“ mit dem Thema Nordirland Konflikt und Tories befasst. The Canary hat ein altes Papier von Micheal Gove aus dem Jahr 2000 ausgegraben. Es trägt den Titel „The Price of Peace – An analysis of British policy in Northern Ireland“.

In diesem Papier, so Bex Sumner, die Autorin des Artikels, bezeichnet Gove das Good Friday Agreement als “Dangerous idiocy” und als „Trojan horse“. Im Kern hält Gove das Agreement für eine Kapitulation Großbritannien vor der IRA, da es zu vielen Leuten zu viele Rechte gibt.

Deutlich wird in diesem Artikel des Canary in jedem Fall, dass mit Micheal Gove zumindest ein prominenter Torie, der bis 2016 Mitglied der Regierung von David Cameron war, kein Verteidiger des Good Friday Agreements ist. Unterstützt wird Gove von dem Torie MdEP Daniel Hannan. The Canary geht allerdings davon aus, dass auch Theresa May selbst die Position von Michael Gove teilt, auch wenn sie diese Position weniger geräuschvoll vertritt als letzterer.

The Canary zitiert den Assistant Editor der irischen Zeitung The Irish Times, Fintan O’Toole mit folgenden Worten: „Gove’s paper epitomises a much deeper set of attitudes to Northern Ireland among what is now the controlling faction of the British ruling class… [May’s] antipathy is quieter and less explicit, but she is essentially Govian. We know this because her signature political issue has been the scrapping of the UK’s Human Rights Act… And this is a straightforward intention to impugn the Belfast Agreement.“

Bex Sumner endet ihren Artikel mit einem Appel an die britische Regierung: „Peace in Northern Ireland is, as Major said, “fragile”. The UK government should be doing everything in its power to support the peace process. But Gove’s pamphlet shows that at least one member of the Conservative government does not support that process. And, with the Conservatives apparently hell bent on risking long-term peace for its own short-term gain, the country urgently needs to speak out.“

Demnach nehmen die Tories und Theresa May ein Wiederaufflammen des Nordirlandkonflikts – letztlich als Resultat des Brexits – wissentlich in kauf.

Solange Großbritannien Mitglied der EU ist, sind diese riskanten und letztlich ablehnenden Haltungen durch den politischen Rahmen der EU-Institutionen eingehegt gewesen und wurden unter der Decke gehalten. Nun aber, da Großbritannien vermeintlich seine volle Souveränität zurückerhalten wird, kommen solche riskanten und den nordirischen Friedensprozess gefährdenden Positionen an die Oberfläche – ganz im Sinne des Brexit-Slogans „Take controle back“.


Titelfoto: Murals in Belfast | Kristof Arndt CC BY-NC-SA 2.0

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