REALPE steht für Réseau d’ élu et d’ autorité locales progressites d’Europe. Es ist ein Netzwerk von progessiven lokalen Mandatsträger*innen und lokalen Behörden aus Europa. In Kooperation mit der Linken (GUE/NGL) im Europäischen Parlament finden regelmäßig jährlich Konferenzen statt, um sich über aktuelle Themen auszutauschen und zu beraten, die sowohl die kommunale als auch die EU-Ebene betreffen.

Das diesjährige Treffen fand am 7. und 8. Februar statt, wie üblich in den Räumen des Europäischen Parlaments in Brüssel.

Die linke Europaabgeordnete Martina Michels und die parlamentarische Assistentin Nora Schüttzpelz haben über die diesjährige Konferenz einen Bericht geschrieben, den Europa.blog im hier veröffentlicht.

Die auf der REALPE-Konferenz verfasste “Erklärung für ein konkretes Recht auf Wohnen” ist unterhalb des Konferenzberichtes im Wortlaut dokumentiert.

Beitrag von Martina Michels und Nora Schüttpelz

[Konferenzbericht REALPE 2019]

Seit vielen Jahren veranstaltet die GUE-NGL-Fraktion im Europaparlament ein jährliches Treffen mit REALPE, dem europäischen Netzwerk fortschrittlicher lokal gewählter Vertreterinnen und Vertreter. In diesem Jahr fand es am 7. und 8. Februar statt. Jedes Jahr wächst und wächst diese Initiative, diesmal waren so viele Kolleg*innen und Genoss*innen aus den Kommunen in Stadt und Land dabei wie wahrscheinlich nie zuvor seit Beginn der Zusammenarbeit zwischen unserer Fraktion und dem REALPE-Netzwerk vor zwölf Jahren. Das zeigt auch: Europa findet vor Ort statt und die lokalen Interessen gehören ins Europaparlament und wir als Linke können dazu kompetent und selbstbewusst Einiges beitragen.

Diesmal ging es ganz wesentlich um Fragen rund um das Thema Wohnen und Spekulationen, soziale Ungleichheit in Städten und progressive Konzepte des Umgangs mit diesen Herausforderungen. Wohnen als Menschenrecht, Stadtentwicklung in Zeiten des digitalen Kapitalismus, Handlungsmöglichkeiten der Kommunen gegen den Ausverkauf von Wohnraum durch AirBnB & Co, Konzepte für nachhaltigen Tourismus in Stadt und Land und dabei auch die Europäische Dimension sozialer und speziell der Wohnungsbaupolitik spielten dabei eine Rolle. Für Martina Michels, Mitglied im Ausschuss für Regionale Entwicklung, sind das vertraute Themen. Denn in all diesen und vielen angrenzenden Bereichen stehen EU-Fördermittel aus den Struktur-Fonds zur Verfügung, über deren Zukunft wir hier im EP gerade verhandeln. Jetzt ist also ein guter Moment, an der einen oder anderen Stelle Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen.

Katalin Gennburg, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, erläuterte aus Berliner Sicht „Wie Internetkonzerne unsere Städte zerstören“ und dass deshalb das „Recht auf Stadt für alle ohne AirBnB, Google & UBER“ unbedingt erkämpft werden muss:

„Wir stecken bis zum Hals im digitalen Kapitalismus. Tech-Konzerne wie Amazon, Google und Co. machen unfassbar viel Geld auf unser aller Kosten. Das ist unübersehbar, doch dieFinanzminister der EU-Mitgliedstaaten können sich nicht einmal auf eine Digitalsteuer einigen, um den digitalen Kapitalismus etwas zu regulieren. Die Welt leidet an einer immer krasseren Umverteilungsungerechtigkeit. Der Manchesterkapitalismus und dann der Finanzkapitalismus waren ungerecht. Der High-Tech- und Digitalkapitalismus sind böse.“

DIE LINKE. / Die Linke in Europa müsse sich mit den neuen Formen der Wertschöpfung und Inwertsetzung auseinandersetzen und Antworten darauf finden, dass digitale Produktionsmethoden und digitale Absatzmärkte zu hartem analogem Klassenkampf führen.

„Im Namen von „Smart City“ und seit neuerem „Smart Villages“ findet krasse Umverteilung und Privatisierung im neuen Stile statt. Wir brauchen Digitalagenden von Links: Gegen die Selbstbedienung der Tech-Konzerne im Namen der „Intelligenten Mülleimer“! Der Kampf um die Städte, mithin um das Recht auf die Stadt und das Dorf als einem abstrakten und politischem Recht, muss diese neuen Fragen mitdenken. Die Realität der Siliconvalleysierung braucht linke Antworten.

Dass mit AirBnB Wohnungsnot krass verschärft wird und Städte gleichzeitig zu Puppenstuben entmenschlicht werden, in denen der letzte „Eingeborene“ wie ein Panda im Zoo besichtigt werden kann, aber seine Mietwohnung höchstens noch im Umland findet und seine Waren des täglichen Bedarfs auch nicht mehr in der Innenstadt bekommt, ist eine konkrete Ausformung des realen Kapitalismus, in dem wir noch immer bis zum Hals stecken.“

Auch über Lösungsansätze sprach Katalin: So könne man das Planungsrecht man nutzen, um den Rechtsstaat auf links zu drehen. Privatisierungen von neuen digitalen und digitalisierten Sektoren müssten beendet werden. Bürgerbeteiligung, Volksentscheide und radikale Demokratisierung seien notwendige Instrumente gegen soziale Exklusion und für linke Politik. Die Nutellalädenverordnung in Amsterdam klinge vielleicht harmlos, sei aber ein ein wichtiger praktischer Schritt. Berlin unter rot-roter Regierung habe eins der schärfsten Zweckentfremdungsverbotsgesetze.

Eine wichtige Erkenntnis nach zahlreichen Konferenzbeiträgen aus so unterschiedlichen Ländern wie Belgien, Spanien, Deutschland, Schweden, Luxemburg, Italien, Frankreich war, dass die Problemlagen eigentlich überall ähnlich sind.

Der erste Konferenztag schloß somit aus gutem Grund mit einer gemeinsamen Erklärung der Teilnehmer*innen „Für ein konkretes Recht auf Wohnraum“

Am zweiten Konferenztag ging es um die erschreckende Entwicklung von Rechtspopulismus und faschistischen Tendenzen in Europa sowie um das Problem, dass das Versprechen der Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU noch längst nicht erfüllt werden konnte. Dabei wurde deutlich betont: Keins der vielen sozialen Probleme, die es in vielen Kommunen gibt, hat direkt mit der Anwesenheit von Migrant*innen und Geflüchteten zu tun: Es geht stets um gesellschaftliche Aufgaben, die aufgrund falscher Politik und / oder Geldmangel nicht ausreichend erfüllt werden (können): Fehlende Kindergarten- und wohnortnahe Schulplätze, soziale Ungleichheiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Einkommensungerechtigkeit, Exklusion und Armut, schlechter oder ganz fehlender Wohnraum uvm. Auch dazu verabschiedeten die Teilnehmer*innen es eine Abschlusserklärung „Aufruf für eine europäische antifaschistische und antirassistische Front“ (in Kürze hier).

Ziel war es natürlich auch, die Vernetzung dieser politisch Aktiven zu unterstützen, um angesichts der neoliberalen Politik des Wettbewerbs von Dienstleistungen und Völkern eine echte Alternative in Europa zu schaffen.

Einig waren sich alle, dass die Zusammenarbeit zwischen den Europaabgeordneten und Kommunalpolitiker*innen auf jeden Fall auch in den kommenden Legislaturperioden weitergeführt und intensiviert werden muss.

Titelfoto: Nora Schüttpelz

Der Text ist auch auf der Seite der Delegation Die Linke im Europaparlament veröffentlicht.

Dokumentation

Erklärung für ein konkretes Recht auf Wohnraum in ganz Europa

Dem Zugang zu Wohnraum steht ein beispielloser Angriff durch eine neoliberale und kapitalistische Politik entgegen, die alles mit dem Gesetz des Marktes regeln will.

Obwohl die EU-Grundrechtecharta das „Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen“ anerkennt, gibt es derzeit Millionen von Menschen, die sich in einer Situation sozialer Ausgrenzung befinden. Frauen, große Familien, Alleinerziehende und Migrant*innen sind besonders schlecht dagegen geschützt.

Während in ländlichen Gegenden die Innenstädte brachliegen, warten in Großstädten Zehntausende Menschen darauf, eine Sozialwohnung beziehen zu können. Gleichzeitig stehen hunderttausende Wohnungen derzeit leer und Spekulationen werden zur Norm. Verdrängung und Zwangsräumungen vervielfachen sich, vor allem auch, weil Hypothekenfonds und Großkonzerne wie AirBnB Wohnraum zum Spekulationsobjekt machen, ohne dafür Steuern zu zahlen.

Wir, die Teilnehmer der REALPE-Jahrestagung, die gewählten Kommunalvertreterinnen und Kommunalvertreter und die Europaabgeordneten, die wir heute Zeugen einer erneuten Krise sind, erklären:

  • Der Zugang zu Wohnraum muss als grundlegendes und unveräußerliches Recht garantiert werden.
  • Aus diesem Grund muss Wohnraum aus dem ultra-liberalen System von Markt und Spekulationen herausgenommen werden durch ein Mietenkontrollsystem, die Verpflichtung, langfristig leerstehende Wohnungen zu beschlagnahmen sowie das Verbot von Zwangsräumungen kleiner Wohnheime.
  • Die Entwicklung des öffentlichen Wohnungsbaus und sozialen Wohnens in Europa müssen Priorität haben, nationale und europäische öffentliche Mittel, die in den Bau und die Sanierung von Gebäuden im sozialen Wohnungsbau investiert werden, müssen verstärkt werden.
  • Es braucht verbindliche Rechtsvorschriften gegen Finanzspekulation und Steuerhinterziehung, insbesondere durch Hypothekenfonds und multinationale Unternehmen wie AirBnB.
  • Die Bekämpfung von Gentrifizierung, sozialer Segregation und Verödung in ländlichen Gebieten muss durch den Aufbau einer echten sozialen Vielfalt und den Wiederaufbau von Gebäuden geleitet werden.

Da der Zugang zu Wohnraum eine Grundbedingung für die Würde des Menschen ist, haben wir uns verpflichtet, diese Kämpfe überall in Europa zu führen.

Liste der Unterzeichner*innen aus Deutschland (Ergänzung läuft)

Katalin Gennburg (MdA), Martina Michels (MdEP), Werner Szybalski (Kommunalpolitiker Münster), Helmut Scholz (MdEP)


Der Text der Erklärung ist auf der Webseite der Delegation Die Linke im Europäischen Parlament auch auf Englisch, Französisch und Spanisch zugänglich.

Links zum Artikel


REALPE hat eine Webseite in Englisch, Französisch und Spanisch. Zur englischsprachigen Version geht es HIER.

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