Seit vielen Jahren ist die Türkei Beitrittskandidat für die EU. Für Beitrittskandidaten legt die EU-Kommission jährlich Berichte vor, in denen die vereinbarten Entwicklungen innerhalb der Beitrittsländer und die Entwicklungen der Beitrittsverhandlungen zwischen den Ländern und der EU ausgewertet und kommentiert werden. Das Europäische Parlament nimmt zu diesen Berichten der EU-Kommission in Form einer Resolution Stellung.

Am 13. März 2019 verabschiedete das Europäische Parlament auf seiner Plenarsitzung in Straßburg seine Stellungnahme zum Türkei-Bericht 2018 der EU-Kommission. Berichterstatterin dieses nicht-legislativen Berichtes war die niederländisch-ungraische MeEP Kati Piri, die der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, der S&D (Progressive Alliance of Socialists and Democrats), angehört.

Martina Michels (Die Linke), Europaabgeorndete und stellvertretendes Mitglied in der EU-Türkei-Delegation kommentiert imfolgenden den diesjährigen Türkeibericht des Europäischen Parlaments.

Standpunkt von Martina Michels

Die zuständige Abgeordnete Kati Piri (S&D) hat einen sehr kritischen Bericht vorgelegt, der lückenlos die Folgen des Ausnahmezustands nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 auflistet, inklusive der Verfolgung politischer und gesellschaftlicher Oppositioneller innerhalb der Türkei und über ihre Grenzen hinaus. Es wird sowohl auf die politisch motivierte Verhaftung des einstigen HDP-Vorsitzenden, Selahattin Demirtaş, hingewiesen, die am 20. November 2018 laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hätte aufgehoben werden müssen, als auch auf die systematische Repression gegenüber Journalist*innen, Schriftsteller*innen, Wissenschaftler*innen und Menschen, die sich für Frauen und LGBTIQ-Rechte einsetzen.

Ich habe es befürwortet, dass das Parlament sich grundsätzlich für eine Aussetzung der Beitrittsverhandlungen statt für einen Abbruch entscheidet und deshalb dem Bericht zugestimmt – mit zwei Abstrichen, wie den Äußerungen zur NATO-Partnerschaft und der einseitigen Positionierung zur PKK, die ich so nicht teile.[*]

Letztlich muss man jedoch auch festhalten, dass Erdoğan, der den gescheiterten Putsch als ein ‚Geschenk Gottes‘ bezeichnete, zuvor von der EU als ihr Türsteher eingerichtet wurde. Der Deal zwischen der EU und der Türkei zur Geflüchteten-Abwehr fördert das Wegschauen bei der systematischen Verfolgung der Opposition und das folgenlose Mahnen beim Überfall auf Afrin.

Inzwischen ist die ehemalige Europaparlamentarierin Feleknas Uca mit vielen Jahren Haft bedroht. Seit November ist die Politikerin Leyla Güven im Hungerstreik. Zu solchen Mitteln wird erst dann gegriffen, wenn jegliche Handlungsmacht geraubt wurde und ich muss unterstreichen, dass nach den Übergriffen vom 8. März auf Proteste vom Frauen in der Türkei zum Internationalen Frauentag, besonders Frauen akut unter dem Erdoğan-Regime leiden. Sie sollen systematisch mundtot und unsichtbar gemacht werden. Dies habe ich in meinem Plenarbeitrag nochmal deutlich gemacht.

[*] Die GUENGL hatte dazu u. a. Änderungsanträge eingereicht, die aber nicht angenommen wurden.

Titelbild: Turkey EU USA – The world scarf of 250 countries | Foto: Frerk Meyer CC BY-SA 2.0

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