Beitrag von Jürgen Klute

Wohin entwickelt sich die EU? Das klingt nach hoher Politik, doch diese Frage erregt gegenwärtig auch die Menschen, die im Brüsseler EU-Viertel wohnen, dem Quartier Léopold. Denn im Nachklang zu den EU-Erweiterungen in Ost- und Südosteuropa seit 2004 haben auch die EU-

AQL Pressekonferenz im Presseclub

Institutionen in Brüssel den Drang, sich räumlich in ihre Nachbarschaft auszuweiten.

Deshalb hat die Association du Quartier Léopold et Européen de Bruxelles (AQL) in der letzten Woche zu 2 Informationsveranstaltungen eingeladen. Unter der Moderation von Frank Schwalba-Hoth informierten Marie-Do de la Patelliere, Paul Jamoulle und Marco Schmitt als Vorstandmitglieder des AQL über die aktuellen Entwicklungen im Europaviertel und über ihre konkreten Forderungen – einmal im Internationalen Presseclub Brüssel und einmal im Restaurant l‘Horloge du Sud.

 

Der zunehmende Raumbedarf der EU-Institutionen

Die geografische Ausdehnung und die schrittweisen Kompetenzerweiterungen der EU führen zu immer neuem Raumbedarf. Nachdem im Sommer 2017 das Haus der Europäischen Geschichte im Gebäude des früheren Eastman-Instituts im Park Leopold eingeweiht wurde, will das Europäische Parlament nun auch die Bibliothek Solvay für sich nutzen. Dorthin soll die Bücherei des EP ausgelagert werden. Welche Auswirkungen das auf den Parc Leopold hat auch aus einer sicherheitspolitischen Perspektive, bewegt die Anwohner*innen selbstverständlich.

Auch das Museum Wiertz gegenüber dem europäischem Parlamentsgebäude ist in den Fokus der EP-Verwaltung geraten. Das Museum soll zwar erhalten bleiben, die nicht als Museum genutzten leerstehenden Teile des Gebäudes hätte die EP-Verwaltung hingegen gerne als Ausweichräume genutzt während des Um- oder Neubaus des alten Europäischen Parlamentsgebäudes.

A. Wiertz: L’inhumation précipitée (1854)

Antoine Wiertz (1806 bis 1865) war einer der bedeutendsten Vertreter der belgischen Romantik. Das Wohngebäude und Atelier des Maler, das speziell auf dessen monumentale Gemälde zugeschnitten ist, wurde nach seinen eigenen Plänen erbaut. Nach seinem Tod ging das Gebäude in den Besitz des belgischen Staats über. Bis heute ist es im Originalzustand erhalten. Es ist allerdings renovierungsbedürftig. Da der föderale Haushalt in Belgien spartanisch ausgestattet ist (der Großteil der Steuereinnahmen geht in die Regionen), ist der Zentralstaat gewillt, dass Gebäude an das EP zu verkaufen. Es hieß, das Gebäude sei dem EP für einen symbolische Kaufpreis von 1 Euro angeboten worden.

Die Vertreter der AQL verweisen darauf, dass das Wohnhaus des Malers über keinerlei für ein Parlamentsgebäude nötige Sicherheitsvorrichtungen verfügt. Entsprechende Umbauten wären nötig. Zu befürchten sei daher, dass Teile des jetzigen unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes komplett abgerissen und neu gebaut würden, um den Sicherheitsanforderungen entsprechen zu können. Dann sei aber auch nicht auszuschließen, dass die jetzigen unbebauten Grundstücksflächen um das Museum herum ebenfalls bebaut würden. Damit wäre ein symbolträchtiges Brüsseler und europäisches Kulturerbe zerstört.

Was aus dem alten EP-Gebäude, das nach dem belgischen Politiker Paul Henry Spaak benannt und aufgrund seiner Form auch unter dem Namen Caprice de Dieux bekannt ist, werden soll, ist unsicher. Das Gebäude ist renovierungsbedürftig. Seit geraumer Zeit wird in der EP-Verwaltung diskutiert, ob eine Renovierung lohnt oder es nicht besser abgerissen und neugebaut werden sollte. Für einen Abriss spricht aus Sicht der EP-Verwaltung, dass das Glasgebäude heutigen Energieeffizienzvorschriften nicht mehr entspricht. Die Vertreter der AQL halten dem entgegen, dass der Energieaufwand für Abriss und Neubau in die Energiebilanz einbezogen werden müsste. Dann aber sei es sinnvoller, das Gebäude zu erhalten und zu renovieren.

Intransparente Planungsverfahren

Die Vertreter des AQL kritisierten, dass die bisherigen Planungen für sie völlig intransparent verlaufen und die Anwohner*innen bisher nicht in die Planungen einbezogen wurden. Man sei nicht grundsätzlich gegen Umnutzungen bestehender Gebäude und Veränderungen. Diese dürften aber nicht ohne Beteiligung der Nachbarschaft erfolgen und das kulturelle Erbe dürfe dadurch nicht zerstört werden, betonten die Vertreter.

AQL Pressekonferenz im Horloge du Sud

Seit 2004 gäbe es eine Regelung, die die Einbeziehung der Nachbarschaft in Gebäudeplanungen der EU vorsehe. In der Praxis gäbe es bisher jedoch bestenfalls vereinzelte Informationsveranstaltungen, aber keine kontinuierliche und effiziente Einbeziehung der Nachbarschaft in die Planungen. Statt dessen werde hinter verschlossenen Türen verhandelt. Dabei setze die EU-Verwaltung aufgrund ihrer Verhandlungsmacht in der Regel ihre Interessen durch, selbst wenn diese gegen geltendes Baurecht verstoßen. Es würde seitens der Brüsseler Behörden immer wieder Ausnahmegenehmigungen erteilt, durch die geltendes Baurecht unterlaufen werde. Das, so befürchten die Vertreter der AQL, werde für Spekulanten zum ein Anreiz, mit Bezug auf die Ausnahmegenehmigungen für die EU weitere Ausnahmen im eigenen Interesse durchzusetzen – was allerdings auch eine Folge der komplizierten und nicht immer leicht verständlichen politischen Struktur Brüssels mit seinen 19 Gemeinden ist.

Chaotische Verkehrssituation im Europaviertel

Dringenderen Handlungsbedarf sehen die Bewohner*innen im Quartier Leopold bei einer anderen Frage: der Verkehrssituation im Europaviertel. Der Verkehr ist nicht nur sehr dicht. Es fehlt auch an Parkraum für PKWs, vor allem für die Anwohner*innen.

Besondere verkehrstechnische Brennpunkte sind der Rond-Point-Schuman und der Place du Luxemburg. Unter alltäglichen Bedingungen ist die Verkehrslage hier schon angespannt. Beide Plätze sind aber auch beliebte Punkte für Demonstrationen, die ja in den letzten Jahren häufig vorkamen. Sie behindern den Verkehr zusätzlich.

Regelmäßig zum Verkehrsinfarkt kommt es allerdings bei den EU-Rats-Treffen. Aus Sicherheitsgründen sind dann der Rond-Point-Schuman und die Straßen um das Ratsgebäude herum für den Durchgangsverkehr gesperrt. Davon ist auch der öffentliche Nahverkehr betroffen.

AQL Pressekonferenz im Presseclub

Der Bahnhof und die Metrostation Schuman sind dann gesperrt. Ebenso dürfen keine Bushaltestellen im Sperrbereich angefahren werden. Das führt zu weitreichenden Umleitungen der Buslinien mit entsprechenden Verspätungen und zu einem regelmäßigen Verkehrschaos für Bewohner und Pendler. Aufgrund der Terroranschläge der letzten Jahre sind die Sicherheitsmaßnahmen mittlerweile noch verschärft worden und das Verkehrschaos hat sich nochmals zugespitzt.

Deshalb fordert die AQL von der Stadtverwaltung die Erstellung eines Verkehrsplans (Mobilitätsplan), der das regelmäßig wiederkehrende Verkehrschaos beendet. Selbstverständlich beinhaltet auch diese Forderung eine Beteiligung der Anwohner*innen.

Generell, so der Abschlussappell von Paul Jamoulle, der langjährige Präsident der AQL, hoffen die Anwohner*innen des Quartier Leopold auf etwas mehr Verständnis und Rücksichtnahme seitens der Europaabgeordneten und der Mitarbeitenden der EU-Institutionen auf ihre Nachbarschaft, die ja schließlich auch Bürgerinnen und Bürger der EU seien.

l‘Association du Quartier Léopold et Européen de Bruxelles

In der Association du Quartier Léopold et Européen de Bruxelles haben sich vor dreißig Jahren Bürger und Bürgerinnen zusammengeschlossen, um ihre Interessen bei der Umgestaltung ihres Stadtteils zum Europa-Viertel Brüssels zu vertreten. Die Vertreter*innen des AQL betonen, dass sie positiv zur EU stehen und die EU begrüßen. Sie sehen aber auch die Schattenseiten der städtebaulichen Veränderungen und wollen diese nicht einfach hinnehmen, sondern fordern von den EU-Institutionen Beteiligung bei den Planungen Rücksicht auf die örtliche Nachbarschaft.

Webseite: http://www.quartier-europeen.eu

Fotos: Jürgen Klute

Bild: L’inhumation précipitée (1854) von Antoine Wiertz befindet sich im Original im Museum Wiertz und wurde von Szilas fotografisch reproduziert und unter Public Domain auf Wikimedia Commons veröffentlicht.

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