Was die Weltnomadenspiele 2018 mit Europa bzw. der EU zu tun haben, erschließt sich vielleicht erst auf den 2. Blick. Das mag auch der Grund sein, weshalb darüber kaum etwas zu lesen ist in deutschsprachigen und anderen westeuropäischen Medien.

Grigorij Pyrlik und Bernhard Clasen beschreiben in ihrem Artikel, welche Sportarten bei den Weltnomadenspielen im Mittelpunkt stehen – und wie auch hier die Politik ins Spiel kommt.

Die Bildgalerie unter dem Artikel ergänzt den Text mit Fotos von Grigorij Pyrlik von den Weltnomandenspielen.

Beitrag von Grigorij Pyrlik (Tscholpon-Ata | Text und Fotos) und Bernhard Clasen (redaktionelle Bearbeitung und Übersetzung aus dem Russischen)

Vergangenen Samstag (8. September 2018) endeten im kirgisischen Tscholpon-Ata die dritten internationalen Nomadenspiele. Eingeladen an den zweithöchsten und zweitgrößten Salzsee der Welt, den Issyk Kul, hatte die Regierung der zentralasiatischen Republik Kirgistan. Waren bei den letzten Spielen 2016 noch 62 Länder vertreten, waren es dieses Mal bereits 82 Länder.

Doch neben Pferderennen, Sumoringen, Armwrestling kämpften die Teilnehmer auch in Dutzenden exotischen und skurillen Sportarten. So ringen beim „Er Enisch“ zwei Männer miteinander, die auf Pferden sitzen. Gewonnen hat, wer den Gegner vom Pferd ziehen kann.

Beim „Gürtelringen Alysh“ tragen die Kontrahenten einen Gürtel, an dem der Gegner zieht. Solange zieht, bis er sein Gegenüber buchstäblich aufs Kreuz gelegt hat. Dieser Kampf, unter Russlands Tataren auch als „Koresh“ bekannt, ist sehr schnell, dynamisch und auch laut, wenn wieder einmal ein Körper auf den Boden klatscht.

Am beliebtesten ist die unter Tierschützern umstrittene Sportart „Kok Bora“. Und hier hat Kirgistan wieder einmal gewonnen. Beim „Kok Bora“ kämpfen jeweils vier Reiter einer 12-köpfigen Mannschaft dreimal 20 Minuten lang auf einem 200 m langen und 70 m breiten Feld. Dabei müssen sie einen Ziegenkadaver ins Tor des Gegners werfen. Gewonnen hat, wer am meisten Ziegen in das Gegentor geworfen hat.

Das Turnier in Tscholpon-Ata hat mehrere hundert Journalisten und tausende Besucher angezogen. Präsidenten zentralasiatischer Staaten waren genauso hier wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Und als Überraschungsgast war auch der ungarische Regierungschef Viktor Orbán bei den Spielen. So hatten die Spiele auch eine politische Komponente.

Im Schatten der Spiele wird an geopolitischen Konstellationen gebastelt. Schon am 3. September weilten Orban und Erdoğan in Tscholpon-Ata, wo sie dem dort stattfindenden Gipfeltreffen des Kooperationsrat turksprachiger Staaten beiwohnten. Orbán nutzte das Gipfeltreffen und die Spiele von Tscholpon-Ata, um die Nähe Ungarns zu den turksprachigen Völkern deutlich zu machen. Ungarn achte und bewahre seine türkischen Wurzeln, hatte er auf dem Gipfel verlauten lassen. „Wir Ungarn sprechen ungarisch, eine einzigartige Sprache, die mit dem türkischen verwandt ist“, zitiert ihn das Internetportal m.gezitter.org.

„Wir sind Christen, stehen gleichzeitig zu unseren türkisch-kiptakischen Wurzeln“, sagte Orbán. Damit bezog er sich auf das Turk-Volk der Kiptschak, das im 7. Jahrhundert aus seinen alten Stammesgebieten nach Westen abgedrängt worden ist. „Die Ungarn werden gerne als das am weitesten westlich gelegene Land des Ostens bezeichnet“, so Orbán. „Früher hat man uns damit kränken wollen. Doch dank turksprachiger Organisationen und der Einrichtung türkischsprachiger Staaten ist dies für uns inzwischen ein Lob“, so Orbán. Zur Bestätigung seiner Auffassung, dass die Ungarn eigentlich ein sehr östliches Volk seien, wies er darauf hin, dass jedes Jahr im August im ungarischen Bugaz ein „Kurultay“ stattfinde, ein Treffen von Angehörigen verschiedener Nomadenvölker.

Auch die Türkei nutzte die Nomadenspiele und das Gipfeltreffen in Tscholpon-Ata zum Ausbau ihres Einflusses in Zentralasien. Die kirgisische Regierung sicherte Präsident Erdoğan zu, in Kirgistan auch türkische Schulen aufbauen zu können. Gleichzeitig aber weigerte sich Kirgistan auch, der Forderung von Erdoğan nachzukommen und die Schulen, die dem von der türkischen Regierung verhassten Gülen zugerechnet werden, zu schließen.

Am Ende des Gipfeltreffens des Kooperationsrates turksprachiger Staaten beschloss der Gipfel, Ungarn Beobachterstatus zu gewähren. Die 4. Welt-Nomadenspiele werden 2020 von der Türkei ausgetragen.

Die Autoren

Grigorij Pyrlik | Foto: privat

Bernhard Clasen vor der Universität von Mariupol | Foto: privat

Fotogalerie: Weltnomadenspiele 2018

Fotos: Grigorij Pyrlik

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