Anlässlich des Gedenkens an den 80. Jahrestag des Beginns des 2. Weltkrieges am 1. September 1939, dem Tag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen, verabschiedete das Europäische Parlament auf seiner Sitzung in Straßburg am 18. September 2019 die Resolution Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas. 535 Abgeordnete stimmten der Entschließung zu, 66 stimmten dagegen und 52 enthielten sich der Stimme. Die Initiative zu dieser Resolution kam aus den baltischen Staaten und Polen.

Einerseits verurteilt diese Resolution das Wiedererstarken rechter, faschistischer Parteien in Europa. Andererseits setzt sie den aus seinem Selbstverständnis heraus menschenverachtenden und rassistischen Nationalsozialismus gleich mit dem Kommunismus und dem Sozialismus und bezeichnet den am 23. August 1939 abgeschlossenen Hitler-Stalin-Pakt aus den Ausgangspunkt des 2. Weltkrieges.

Sowohl die sachlich unsinnige Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem Kommunismus und dem Sozialismus als auch die historisch falsche Darstellung, der Hitler-Stalin-Pakt sei der Ausgangspunkt des 2. Weltkrieges, hat massive Kritik und deutlichen Widerspruch aus der (gesellschaftlichen) Linken hervorgerufen.

Walter Baier, Luciana Castellina und Guido Liguori beziehen in dem folgenden Beitrag kritisch Stellung zu der EP-Resolution, ohne die Verbrechen Stalins zu verschweigen oder zu relativieren. 

Die dem Beitrag von Baier, Castellina und Liguori folgende Dokumentation enthält folgende Texte:

  • Europäische Erinnerungsdebatte zeigt deutliche Tendenz einer politischen Bewertung. Stellungnahme der GUE/NGL vom 19.09.2019 zum gemeinsamen Entschließungsantrags des Europäischen Parlaments zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas.
  • Eine schlimme Botschaft des Europäischen Parlaments. Stellungnahme der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer / Bund der Antifaschisten vom 23.09.2019 zum gemeinsamen Entschließungsantrags des Europäischen Parlaments zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas.
  • Europäisches Parlament: Gemeinsamer Entschließungsantrag zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas vom 18. September 2019

Alle im folgenden verwendete Links auf andere Webseiten wurden am 30.09.2019 abgerufen und überprüft.

Beitrag von Walter Baier, Luciana Castellina und Guido Liguori

Das Europäische Parlament hat unter dem Titel „Die Bedeutung des europäischen Gedenkens für die Zukunft Europas” am 18. September mit großer Mehrheit eine Resolution angenommen, die ein falsches politisches und kulturelles Zeichen setzt und daher entschieden abgelehnt werden muss.

Erstens ist es nicht die Aufgabe einer institutionellen oder politischen Organisation, mittels Mehrheitsentscheidung eine bestimmte Lesart der Geschichte festzuschreiben. Die Instrumentalisierung durch das Dekretieren einer revisionistischen Interpretation der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts kann nicht die Methode einer ehrlichen Demokratie sein. Wenn die bisherige Interpretation dieser Ereignisse überarbeitet werden soll, so kann dies nur nach wissenschaftlicher Forschung und einer breiten Debatte in der Gesellschaft geschehen.

Zweitens enthält die Resolution inakzeptable Fehler, einseitige Sichtweisen und Verzerrungen. So die Behauptung, es sei der Molotow-Ribbentrop-Pakt zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion vom 23. August 1939 gewesen, der den Weg zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geebnet habe. Diese Behauptung klammert aus, dass es die liberalen westlichen Demokratien waren, die durch ihr Verhalten die Nazi-Expansion erlaubten, so bei der Invasion Äthiopiens (1935), dem Spanischen Bürgerkrieg, in dem Deutschland und Italien den rechtsradikalen Staatsstreich des General Franco unterstützten (1936), dem „Anschluss“ Österreichs (1938) und der Politik des Appeasement in München, die die Zerstörung und Zerstückelung der Tschechoslowakei, nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch Polen und Ungarn zur Folge hatte.

Darüber hinaus wird in der Resolution der enorme Anteil der Sowjetunion (mit mehr als 25 Millionen Toten) am Sieg über den Nationalsozialismus, der für das Schicksal Europas und der Menschheit maßgeblich war, verschwiegen, ebenso wie der Beitrag derjenigen Menschen, die für die Ideale und unter den Symbolen der unterschiedlichen Strömungen der internationalen kommunistischen Bewegung Hitler und seine Helfer in Europa und überall auf der Welt bekämpft haben. Die Resolution „vergisst” Altiero Spinelli, italienischer kommunistischer und politischer Gefangener zwischen 1927 und 1943, Mitautor des Manifests von Ventotene, der als einer der Gründerväter der europäischen Integration als Namensgeber eines Gebäudes des Europäischen Parlaments geehrt wird.

Die Resolution bringt zustande, Auschwitz zu nennen, ohne zu erwähnen, dass es die Sowjetarmee war, die es befreite und die zur Vernichtung bestimmten Häftlinge rettete.

Bewusst unterschlagen wird, dass in vielen Ländern, Italien, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland und anderen, die Kommunist*innen die Hauptkomponente des Widerstandes gegen Nationalsozialismus und Faschismus bildeten und einen wesentlichen Beitrag zur Wiedergeburt der Demokratien ihrer Länder leisteten, womit die politischen, gewerkschaftlichen, kulturellen und religiösen Freiheiten wiederhergestellt wurden.

Diese Tatsachen in Erinnerung zu bringen, bedeutet nicht, die schändlichen Aspekte des Stalinismus, die Fehler und Schrecken, die in seinem Namen verübt wurden, zu ignorieren oder zu verschweigen. Doch es bleibt ein fundamentaler Unterschied bestehen: Der Nationalsozialismus verwirklichte durch seine schonungslose Diktatur, die jegliche Freiheit, Demokratie, Freiheit, ja Mitmenschlichkeit außer Kraft setzte, und die Ausrottung religiöser,  ethnischer und sexueller Minderheiten plante, seine offen deklarierten Ziele, während die kommunistischen Regierungen, die sich schwerwiegender und unannehmbarer Verletzungen der Freiheit und der Demokratie schuldig machten, damit ihre eigenen Ideale, Werte und Versprechungen verrieten.  Das wirft ernste Fragen auf, die weitere Untersuchungen und Überlegungen erfordern – aber angesichts des Beitrags, den die Aktivist*innen und die UdSSR zum Sieg über den Faschismus geleistet haben, ist die Gleichsetzung von Nazismus und Kommunismus, die Hauptaussage der Resolution, genauso unzulässig wie es, angesichts der Vielfalt seiner unterschiedlichen Strömungen, unzulässig ist, den Kommunismus mit dem Stalinismus zu identifizieren.

Solche Verfälschungen und Auslassungen können niemals Grundlage für ein “gemeinsames Gedächtnis”, noch weniger einen gemeinsamen Lehrplan für die Geschichte in Schulen bilden, wie der Antrag empfiehlt. Sie können auch nicht die Plattform für einen europäischen Gedenktag für die Opfer totalitärer Regime abgeben. Noch weniger dürfen sie die Rechtfertigung für die Entfernung von Denkmälern und Erinnerungsstätten Parks, Plätze, Straßen, etc. im Namen des Kampfes gegen einen unbestimmten Totalitarismus sein, der in der Realität einen Vorwand abgibt, die eindeutigen Lehren der Geschichte auszuradieren und die Erinnerung an diejenigen auszulöschen, die sich für den Sieg über den Faschismus aufopferten.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Resolution des Europaparlaments im Bemühen, ihre Stoßrichtung auszugleichen, einige unvermeidliche Gesten setzt, wie, dass sie sich für einen Kampf gegen das Wiederaufleben des Faschismus, des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und anderer Formen der Intoleranz ausspricht. Aber dieser notwendige Aufruf zum Kampf gegen Faschismus und Rassismus kann nicht von einer Verdrehung und Verfälschung der Geschichte ausgehen und in bekannter Weise darauf zielen, die Wurzel einer fundamentalen Kraft des Antifaschismus, die Kommunist*innen abzutrennen.  Die Völker Europas dürfen das nicht zulassen.

Titelbild: Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg; Guilhem Vellut CC BY 2.0

Die strittigsten Passagen der EP-Resolution

2. betont, dass der Zweite Weltkrieg, der verheerendste Krieg in der Geschichte Europas, als unmittelbare Folge des auch als „Hitler-Stalin-Pakt“ bezeichneten berüchtigten Nichtangriffsvertrags zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und der Sowjetunion vom 23. August 1939 und seiner geheimen Zusatzprotokolle ausbrach, in deren Rahmen die beiden gleichermaßen das Ziel der Welteroberung verfolgenden totalitären Regime Europa in zwei Einflussbereiche aufteilten;

3. erinnert daran, dass das nationalsozialistische und das kommunistische Regime Massenmorde, Völkermord und Deportationen durchführten und im 20. Jahrhundert einen in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenen Verlust an Menschenleben und Freiheit verursachten, und gemahnt an das von den Nationalsozialisten verübte abscheuliche Verbrechen des Holocausts; verurteilt in aller Schärfe die Akte der Aggression, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die massenhaften Menschenrechtsverletzungen, die von Nationalsozialisten, Kommunisten und anderen totalitären Regimen begangen wurden;

Gleichzeitig heißt es wenige Abschnitte später:

7. verurteilt, dass in einigen EU-Mitgliedstaaten Geschichtsrevisionismus betrieben wird und Personen verherrlicht werden, die mit den Nationalsozialisten kollaborierten; ist bestürzt über die zunehmende Akzeptanz radikaler Ideologien und die Rückkehr von Faschismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen von Intoleranz in der Europäischen Union, und ist besorgt darüber, dass es Berichten zufolge in einigen Mitgliedstaaten zu Absprachen von führenden Politikern, politischen Parteien und Strafverfolgungsbehörden mit radikalen, rassistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen unterschiedlicher politischer Couleur gekommen sein soll; fordert die Mitgliedstaaten auf, derlei Handlungen aufs Schärfste zu verurteilen, da sie die Werte der EU – Frieden, Freiheit und Demokratie – aushöhlen;

Weitere Artikel zum Thema

Dokumentation

Europäische Erinnerungsdebatte zeigt deutliche Tendenz einer politischen Bewertung

Stellungnahme der GUE/NGL vom 19.09.2019 zum gemeinsamen Entschließungsantrags des Europäischen Parlaments zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas

Die Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament verurteilt mit allem Nachdruck Versuche, den 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs als Vorwand für politische Wertungen und historischen Revisionismus zu nutzen.

Mit einem Entschließungsantrag unter dem Titel “Die Bedeutung der europäischen Erinnerung für die Zukunft Europas” will eine asymmetrische Koalition von Fraktionen im Europäischen Parlament historische Fakten verfälschen und die Solidarität der EU untergraben, indem sie das mörderische NS-Regime mit sozialistischen und kommunistischen Werten von Gleichheit und Gerechtigkeit gleichsetzt.

Der Text des Entschließungsantrags rechtfertigt die undemokratischen Verbote gegen kommunistische Parteien in einigen Mitgliedstaaten und legitimiert darüber hinaus die Repression gegenüber linken Organisationen und dem Widerstand in ganz Europa zur Unterstützung sozial fortschrittlicher Zwecke und gegen die reale Bedrohung durch die extreme Rechte.

Dies stellt einen Versuch dar, von den tatsächlichen und dringenden Problemen abzulenken, mit denen unsere Bürger konfrontiert sind: dem Aufstieg der extremen Rechten, der sozialen Krise, der Klimakrise und dem immer noch verheerenden Erbe der neoliberalen Sparpolitik der EU.

Durch die selektive und bewusst verfälschende Darstellung historischer Fakten hat sich diese neue asymmetrische Koalition erneut auf ihren Hang zu Ideologie und undemokratischer Regierungsführung zurückbegeben, indem sie den Kommunismus fälschlicherweise mit den Übeln des Faschismus gleichgesetzt hat.

Wir lehnen diese gefährliche und inakzeptable Resolution und Abstimmung ab. Sie stellt einen weiteren Affront gegen unser gemeinsames europäisches historisches Gedächtnis dar und hat konkrete Auswirkungen im Hinblick auf die Unterdrückung von EU-Bürger*innen, die ihre demokratischen Rechte geltend machen.

(Zum englischsprachigen Originaltext bitte hier klicken.)

Eine schlimme Botschaft des Europäischen Parlaments

Stellungnahme der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer / Bund der Antifaschisten (FIR) vom 23. September 2019 zum gemeinsamen Entschließungsantrags des Europäischen Parlaments zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas

Am 18. September 2019* verabschiedete das EU-Parlament in Straßburg eine Resolution, in der es angeblich um die „Bedeutung der europäischen Vergangenheit (oder des europäischen Geschichtsbewusstseins) für die Zukunft Europas“ ging. 535 Abgeordnete stimmten für diese Entschließung, 66 dagegen und 52 enthielten sich der Stimme.

Die FIR und ihre Mitgliedsverbände können mit diesem Beschluss in keiner Weise einverstanden sein. Der Text der Erklärung zeigt nicht die Zukunft Europas, sondern ist ein ideologischer Rückfall in die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges, wie er in dieser Entschließung zum Ausdruck kommt, die auf Initiative der baltischen Staaten und Polens zustande kam. Entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird hier behauptet, dass erst mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag „die Weichen für den Zweiten Weltkrieg gestellt wurden“.

Die Rekonstruktion der Ereignisse, die zum Zweiten Weltkrieg führten, ist verbohrt, voreingenommen, instrumentell und hat keine wissenschaftliche Grundlage in irgendeinem der Behauptungen. Es setzt die Unterdrücker und Unterdrückten, Opfer und Schlächter, Eindringlinge und Befreier gleich. Die Entschließung ist ein Text grober ideologischer Propaganda, wie er aus der schlimmsten Zeit des Kalten Krieges in Erinnerung ist.

Vollkommen absurd ist die Aussage in der Entschließung, dass „es von entscheidender Bedeutung für die Einheit Europas und seiner Bürger und für die Stärkung des Widerstands Europas gegen die gegenwärtigen Bedrohungen von außen ist, dass an die Opfer totalitärer und autoritärer Regime gedacht werden“. Was soll die aktuelle externe Bedrohung sein, von der die Parlamentarier sprechen?

Zurecht beklagen sie einen neuen historischen Revisionismus. So verurteilen sie in einigen EU-Staaten die Verherrlichung von Menschen, die mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet haben. Gleichzeitig haben sie jedoch das historische Narrativ derselben EU-Staaten übernommen, dass Russland angeblich historische Tatsachen verfälscht und die „Verbrechen des totalitären Regimes der Sowjetunion“ verleugnet.

Die FIR und damit alle Verbände der Überlebenden der faschistischen Verfolgung, die Kämpfer gegen die nationalsozialistische Barbarei und alle Antifaschisten sagen nein zu solchen historischen Fälschungen. Obwohl die Gefahr von Faschismus, Rassismus und Nationalismus zunimmt, wählt die Resolution eher einen Weg der Spaltung als eine verantwortungsvolle und energische Einheit. Die FIR fordert das Europäische Parlament auf, seine eigene Autorität und Glaubwürdigkeit zu erläutern, zu schützen und zu bestätigen. Dazu gehört ein klares Zeichen eines radikalen Umdenkens im Gefolge der Prinzipien, die zur Schaffung eines Vereinigten Europas, ein Kind des Antifaschismus und der Frauen und Männer, die sich gegen die nationalsozialistischen und faschistischen Regime gestellt haben, geführt haben. Wir erinnern in dem Zusammenhang an die Eröffnungsrede des neuen Parlamentspräsidenten.

Die FIR lehnt die jüngste Entschließung des Europäischen Parlaments ab, in der Nazi-Faschismus und Kommunismus gleichsetzt und verurteilt werden. Diese Entschließung steht im völligen Gegensatz zur antifaschistischen und antirassistischen Entschließung vom 25. Oktober 2018.

Darüber hinaus erinnern wir an den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, der 1945 warnte: „Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es – Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Haß aber allein den Kommunismus bekämpfen.“**

* Im Originaltext steht „19. September 2019“, richtig ist jedoch „18. September 2019“, das Datum wurde dem entsprechend korrigiert.

** In der von FIR erstellten deutschsprachigen Übersetzung ist dieses Zitat von Thomas Mann aus der englischsprachigen Version der Stellungnahme rückübersetzt worden. In der hier veröffentlichen Version wurde diese Rückübersetzung ersetzt durch die entsprechende Passage aus: Thomas Mann. Essays, hg. von H. Kurzke, Frankfurt 1986, Bd. 2, S. 311. 

(Quelle: https://www.fir.at/2019/09/23/eine-schlimme-botschaft-des-europaeischen-parlaments/)

Gemeinsamer Entschließungsantrag zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas

Straßburg, 18. September 2019

Gemeinsamer Entschließungsantrag zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas (2019/2819(RSP)) eingereicht gemäß Artikel 132 Absätze 2 und 4 der Geschäftsordnung

Michael Gahler, Andrius Kubilius, Rasa Juknevičienė, Željana Zovko, David McAllister, Antonio Tajani, Sandra Kalniete, Traian Băsescu, Radosław Sikorski, Andrzej Halicki, Andrey Kovatchev, Ewa Kopacz, Lukas Mandl, Alexander Alexandrov Yordanov, Andrea Bocskor, Inese Vaidere, Elżbieta Katarzyna Łukacijewska, Vladimír Bilčík, Ivan Štefanec, Liudas Mažylis, Loránt Vincze, Arba Kokalari im Namen der PPE-Fraktion

Kati Piri, Isabel Santos, Sven Mikser, Marina Kaljurand im Namen der S&D-Fraktion

Michal Šimečka, Frédérique Ries, Ramona Strugariu, Katalin Cseh, Ondřej Kovařík, Vlad-Marius Botoş, Izaskun Bilbao Barandica, Jan-Christoph Oetjen, Sheila Ritchie, Olivier Chastel, Petras Auštrevičius im Namen der Renew-Fraktion

Ryszard Antoni Legutko, Anna Fotyga, Tomasz Piotr Poręba, Dace Melbārde, Witold Jan Waszczykowski, Ryszard Czarnecki, Jadwiga Wiśniewska, Bogdan Rzońca, Anna Zalewska, Jacek Saryusz-Wolski, Grzegorz Tobiszowski, Joanna Kopcińska, Elżbieta Rafalska, Joachim Stanisław Brudziński, Beata Szydło, Beata Mazurek, Andżelika Anna Możdżanowska, Beata Kempa, Patryk Jaki, Charlie Weimers im Namen der ECR-Fraktion

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas (2019/2819(RSP))

Das Europäische Parlament,

– unter Hinweis auf die universellen Grundsätze der Menschenrechte und die Grundprinzipien der Europäischen Union als einer auf gemeinsamen Werten beruhenden Gemeinschaft,

– unter Hinweis auf die am 22. August 2019 abgegebene Erklärung des Ersten Vizepräsidenten Timmermans und des Kommissionsmitglieds Jourová im Vorfeld des Europäischen Tags des Gedenkens an die Opfer aller totalitären und autoritären Regime,

– unter Hinweis auf die am 10. Dezember 1948 angenommene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen,

– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. Mai 2005 zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945[1],

– unter Hinweis auf die Resolution 1481 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 26. Januar 2006 zur Notwendigkeit der internationalen Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime,

– unter Hinweis auf den Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit[2],

– unter Hinweis auf die am 3. Juni 2008 angenommene Prager Erklärung zu Europas Gewissen und zum Kommunismus,

– unter Hinweis auf die von ihm am 23. September 2008 angenommene Erklärung zur Ausrufung des 23. August zum Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus[3],

– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 2. April 2009 zum Gewissen Europas und zum Totalitarismus[4],

– unter Hinweis auf den Bericht der Kommission vom 22. Dezember 2010 zum Gedenken an die Verbrechen totalitärer Regime in Europa (COM(2010)0783) [https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52010DC0783],

– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 9. und 10. Juni 2011 zum Gedenken an die Verbrechen totalitärer Regime in Europa,

– unter Hinweis auf die Warschauer Erklärung vom 23. August 2011 zum Gedenktag für die Opfer totalitärer Regime,

– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der Regierungsvertreter der EU-Mitgliedstaaten vom 23. August 2018 zum Gedenken an die Opfer des Kommunismus,

– unter Hinweis auf seine historische Entschließung vom 13. Januar 1983 zur Lage in Estland, Lettland und Litauen, die eine Reaktion auf den „Baltischen Appell“ von 45 Staatsangehörigen dieser Länder war,

– unter Hinweis auf die Entschließungen und Erklärungen verschiedener nationaler Parlamente zu den Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime,

– gestützt auf Artikel 132 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass sich der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, der menschliches Leid in einem nie dagewesenen Umfang mit sich brachte und zur jahrzehntelangen Besetzung von Ländern in Europa führte, in diesem Jahr zum 80. Mal jährt;

B. in der Erwägung, dass vor 80 Jahren, am 23. August 1939, die kommunistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutsche Reich den als Hitler-Stalin-Pakt bekannten Nichtangriffspakt und dessen Geheimprotokolle unterzeichneten, womit die beiden totalitären Regime Europa und die Hoheitsgebiete unabhängiger Staaten untereinander aufteilten und in Interessensphären einteilten und damit die Weichen für den Zweiten Weltkrieg stellten;

C. in der Erwägung, dass eine unmittelbare Folge des Hitler-Stalin-Pakts zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion, dem am 28. September 1939 der Grenz- und Freundschaftsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion folgte, darin bestand, dass die Republik Polen zuerst von Hitler und zwei Wochen später von Stalin überfallen wurde – wodurch das Land seine Unabhängigkeit einbüßte und eine beispiellose Tragödie für das polnische Volk ihren Anfang nahm –, dass die kommunistische Sowjetunion am 30. November 1939 einen Angriffskrieg gegen Finnland begann, im Juni 1940 Teile Rumäniens besetzte und annektierte – die seitdem nicht an Rumänien zurückgegeben worden sind – und sich die unabhängigen Republiken Litauen, Lettland und Estland einverleibte;

D. in der Erwägung, dass nach der Niederlage des nationalsozialistischen Regimes und dem Ende des Zweiten Weltkriegs einige europäische Länder in der Lage waren, ihre Eigenstaatlichkeit wiederzuerlangen und einen Prozess der Aussöhnung einzuleiten, während andere europäische Länder ein halbes Jahrhundert lang Diktaturen blieben – einige davon unmittelbar von der Sowjetunion besetzt oder unter direktem sowjetischem Einfluss – und ihnen Freiheit, Souveränität, Würde, Menschenrechte und sozioökonomische Entwicklung weiterhin versagt blieben;

E. in der Erwägung, dass zwar die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes in den Nürnberger Prozessen aufgeklärt und entsprechende Strafen verhängt wurden, das Bewusstsein für die Verbrechen der stalinistischen und anderer Diktaturen jedoch nach wie vor dringend geschärft werden muss und moralische und rechtliche Bewertungen dieser Diktaturen vorgenommen werden müssen;

F. in der Erwägung, dass die kommunistische und die nationalsozialistische Ideologie in einigen Mitgliedstaaten gesetzlich verboten sind;

G. in der Erwägung, dass die europäische Integration von Beginn an eine Reaktion auf das Leid war, das durch zwei Weltkriege und die Tyrannei des Nationalsozialismus verursacht wurde, die zum Holocaust sowie zur Ausbreitung totalitärer und undemokratischer kommunistischer Regime in Mittel- und Osteuropa führten, und ein Weg zur Überwindung tiefer Spaltungen und Feindseligkeiten in Europa im Wege der Zusammenarbeit und Integration sowie zur Abkehr vom Krieg und zur Sicherung der Demokratie in Europa; in der Erwägung, dass für die europäischen Länder, die unter sowjetischer Besetzung und kommunistischen Diktaturen gelitten haben, die Erweiterung der EU seit 2004 bedeutete, dass sie in die Familie der europäischen Staaten zurückkehrten, zu der sie gehören;

H. in der Erwägung, dass die Erinnerung an die tragische Vergangenheit Europas wachgehalten werden muss, um die Opfer zu ehren, die Täter zu verurteilen und die Fundamente für eine Aussöhnung auf der Grundlage von Wahrheit und Erinnerung zu legen;

I. in der Erwägung, dass es von entscheidender Bedeutung für die Einheit Europas und seiner Bevölkerung und für die Stärkung der Widerstandskraft Europas gegen die aktuellen Bedrohungen von außen ist, dass der Opfer totalitärer und autoritärer Regime gedacht wird und dass das gemeinsame europäische Erbe der von kommunistischen, nationalsozialistischen und anderen Diktaturen begangenen Verbrechen anerkannt und das Bewusstsein für dieses Erbe geschärft wird;

J. in der Erwägung, dass sich vor 30 Jahren am 23. August 1989 zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts und an die Opfer totalitärer Regime zwei Millionen Litauer, Letten und Esten bei einer beispiellosen Demonstration, dem „Baltischen Weg“, die Hände reichten, um eine Menschenkette zu bilden, die sich von Vilnius über Riga bis Tallinn erstreckte;

K. in der Erwägung, dass die russischen Stellen ungeachtet dessen, dass der Kongress der Volksdeputierten der UdSSR am 24. Dezember 1989 die Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts und anderer mit dem nationalsozialistischen Deutschland geschlossener Abkommen verurteilte, im August 2019 die Verantwortung für dieses Abkommen und seine Folgen bestritten haben und derzeit die Auffassung vertreten, dass Polen, die baltischen Staaten und der Westen die wahren Initiatoren des Zweiten Weltkriegs sind;

L. in der Erwägung, dass es von entscheidender Bedeutung für die Einheit Europas und seiner Bevölkerung und für die Stärkung der Widerstandskraft Europas gegen die aktuellen Bedrohungen von außen ist, dass der Opfer totalitärer und autoritärer Regime gedacht wird und dass das gemeinsame europäische Erbe der von kommunistischen, nationalsozialistischen und anderen Diktaturen begangenen Verbrechen anerkannt und das Bewusstsein für dieses Erbe geschärft wird;

M. in der Erwägung, dass unverhüllt radikale, rassistische und fremdenfeindliche Gruppierungen und politische Parteien zu Hass und Gewalt in der Gesellschaft aufgestachelt haben, beispielsweise durch die Verbreitung von Hetze im Internet, die häufig zu einer Zunahme von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz führt;

1. erinnert daran, dass gemäß Artikel 2 EUV die Werte, auf die sich die Europäische Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, sind; in der Erwägung, dass diese Werte allen Mitgliedstaaten gemein sind;

2. betont, dass der Zweite Weltkrieg, der verheerendste Krieg in der Geschichte Europas, als unmittelbare Folge des auch als „Hitler-Stalin-Pakt“ bezeichneten berüchtigten Nichtangriffsvertrags zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und der Sowjetunion vom 23. August 1939 und seiner geheimen Zusatzprotokolle ausbrach, in deren Rahmen die beiden gleichermaßen das Ziel der Welteroberung verfolgenden totalitären Regime Europa in zwei Einflussbereiche aufteilten;

3. erinnert daran, dass das nationalsozialistische und das kommunistische Regime Massenmorde, Völkermord und Deportationen durchführten und im 20. Jahrhundert einen in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenen Verlust an Menschenleben und Freiheit verursachten, und gemahnt an das von den Nationalsozialisten verübte abscheuliche Verbrechen des Holocausts; verurteilt in aller Schärfe die Akte der Aggression, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die massenhaften Menschenrechtsverletzungen, die von Nationalsozialisten, Kommunisten und anderen totalitären Regimen begangen wurden;

4. gibt seinem tief empfundenen Respekt für jedes einzelne Opfer dieser totalitären Regime Ausdruck und fordert alle EU-Organe und Akteure auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit abscheulicher totalitärer Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischer schwerer Menschenrechtsverletzungen gedacht wird und diese Handlungen gerichtlich verfolgt werden, und dafür zu sorgen, dass es nie wieder zu derlei Verbrechen kommt; betont, wie wichtig es ist, die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig zu halten, da es ohne Erinnerungsarbeit keine Aussöhnung geben kann, und bekräftigt sein gemeinsames Eintreten gegen jegliche totalitäre Herrschaft, unabhängig von ihrem ideologischen Hintergrund;

5. fordert alle Mitgliedstaaten der EU auf, eine eindeutige und auf Grundsätzen beruhende Beurteilung der Verbrechen und Akte von Aggression vorzunehmen, die von den totalitären kommunistischen Regimen und dem nationalsozialistischen Regime begangen wurden;

6. verurteilt sämtliche Ausdrucksformen und jegliche Verbreitung totalitärer Ideologien wie des Nationalsozialismus und Stalinismus in der EU;

7. verurteilt, dass in einigen EU-Mitgliedstaaten Geschichtsrevisionismus betrieben wird und Personen verherrlicht werden, die mit den Nationalsozialisten kollaborierten; ist bestürzt über die zunehmende Akzeptanz radikaler Ideologien und die Rückkehr von Faschismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen von Intoleranz in der Europäischen Union, und ist besorgt darüber, dass es Berichten zufolge in einigen Mitgliedstaaten zu Absprachen von führenden Politikern, politischen Parteien und Strafverfolgungsbehörden mit radikalen, rassistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen unterschiedlicher politischer Couleur gekommen sein soll; fordert die Mitgliedstaaten auf, derlei Handlungen aufs Schärfste zu verurteilen, da sie die Werte der EU – Frieden, Freiheit und Demokratie – aushöhlen;

8. fordert alle Mitgliedstaaten auf, den 23. August sowohl unionsweit als auch auf nationaler Ebene als den Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer totalitärer Regime zu begehen und das Bewusstsein der jüngeren Generation für diese Problematik zu schärfen, indem die Geschichte der totalitären Regime und die Untersuchung ihrer Folgen in die Lehrpläne und die Schulbücher aller Schulen in der EU aufgenommen werden; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Dokumentation der konfliktreichen Vergangenheit Europas beispielsweise durch die Übersetzung der Verfahren der Nürnberger Prozesse in alle Amtssprachen der EU zu fördern;

9. fordert die Mitgliedstaaten auf, alle Formen der Leugnung des Holocaust, wozu auch die Verharmlosung und Bagatellisierung der von den Nazis und ihren Kollaborateuren begangenen Verbrechen zählt, zu verurteilen und ihnen entgegenzuwirken und gegen Verharmlosung im politischen und medialen Diskurs vorzugehen;

10. fordert eine gemeinsame Erinnerungskultur, die die Verbrechen faschistischer, stalinistischer und anderer totalitärer und autoritärer Regime früherer Zeiten ablehnt, um die Widerstandskraft – insbesondere der jüngeren Generation – gegen aktuelle Bedrohungen der Demokratie zu stärken; legt den Mitgliedstaaten nahe, allgemeine kulturelle Bildungsmaßnahmen in Bezug auf die Vielfalt unserer Gesellschaft und unsere gemeinsame Geschichte zu fördern, wozu auch Bildungsmaßnahmen zu den im Zweiten Weltkrieg begangenen Gräueltaten, beispielsweise zum Holocaust, und zur jahrelang praktizierten systematischen Entmenschlichung der Opfer gehören;

11. fordert außerdem, dass der 25. Mai (der Jahrestag der Hinrichtung des Helden von Auschwitz, Rittmeister Witold Pilecki) zum Internationalen Tag der Helden des Kampfes gegen den Totalitarismus ausgerufen wird, um damit all jenen Respekt und Achtung zu zollen, die durch den Kampf gegen die Tyrannei Heldenmut und wahre Menschenliebe bewiesen haben, und auch künftigen Generationen ein klares Vorbild für die richtige Einstellung gegenüber der Bedrohung durch totalitäre Versklavung zu bieten;

12. fordert die Kommission auf, Projekte zum historischen Gedächtnis und Gedenken in den Mitgliedstaaten und die Tätigkeiten der Plattform für das Gedächtnis und das Gewissen Europas wirksam zu unterstützen und angemessene finanzielle Ressourcen im Rahmen des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ zuzuweisen, um im Einklang mit dem Standpunkt des Parlaments zu dem Programm „Rechte und Werte“ für den Zeitraum 2021–2027 die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer des Totalitarismus zu unterstützen;

13. erklärt, dass die europäische Integration als Modell für Frieden und Aussöhnung auf der freien Entscheidung der Völker Europas beruht, sich zu einer gemeinsamen Zukunft zu bekennen, und dass der Europäischen Union besondere Verantwortung für die Förderung und die Sicherung der Demokratie sowie die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union zukommt;

14. betont, dass die Länder Mittel- und Osteuropas durch ihren Beitritt zur EU und zur NATO nicht nur in die europäische Familie freier demokratischer Länder zurückgekehrt sind, sondern auch Erfolge bei der – von der EU unterstützten – Durchführung von Reformen und im Bereich der sozioökonomischen Entwicklung vorweisen können; betont jedoch, dass diese Möglichkeit anderen europäischen Ländern auch künftig offenstehen sollte, wie in Artikel 49 EUV vorgesehen;

15. ist der Ansicht, dass Russland noch immer das größte Opfer des kommunistischen Totalitarismus ist und dass es so lange kein demokratischer Staat wird, wie die Regierung, die politische Elite und die politische Propaganda nicht nachlassen, die kommunistischen Verbrechen zu verharmlosen und das totalitäre Sowjetregime zu verherrlichen; fordert deshalb die russische Gesellschaft auf, ihre tragische Vergangenheit aufzuarbeiten;

16. ist zutiefst besorgt angesichts der Bemühungen der derzeitigen russischen Führung, historische Tatsachen zu verfälschen und die vom totalitären Regime der Sowjetunion begangenen Verbrechen schönzufärben, betrachtet diese Bemühungen als eine gefährliche Komponente des Informationskriegs gegen das demokratische Europa, der auf die Spaltung des Kontinents abzielt, und fordert die Kommission daher auf, diesen Bemühungen entschlossen entgegenzuwirken;

17. ist besorgt darüber, dass nach wie vor Symbole totalitärer Regime in der Öffentlichkeit und zu kommerziellen Zwecken verwendet werden, und weist darauf hin, dass zahlreiche europäische Staaten die Verwendung nationalsozialistischer und kommunistischer Symbole verboten haben;

18. weist darauf hin, dass es im öffentlichen Raum einiger Mitgliedstaaten (z. B. in Parks, auf Plätzen oder in Straßen) noch immer Denkmäler und Gedenkstätten gibt, die totalitäre Regime verherrlichen, was der Verfälschung historischer Tatsachen über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen des Zweiten Weltkriegs Tür und Tor öffnet;

19. verurteilt, dass extremistische und fremdenfeindliche politische Kräfte in Europa derzeit immer häufiger historische Tatsachen verfälschen und sich Symbolen und rhetorischer Figuren bedienen, die Aspekte totalitärer Propaganda aufgreifen, etwa Rassismus, Antisemitismus und Hass gegenüber sexuellen und anderen Minderheiten;

20. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Vorschriften des Rahmenbeschlusses des Rates einzuhalten und gegen Organisationen vorzugehen, die in der Öffentlichkeit und im Internet hetzen und zu Gewalt anstiften;

21. betont, dass die tragische Vergangenheit Europas auch künftig als moralische und politische Inspiration dienen sollte, sich den Herausforderungen der Welt von heute zu stellen, wozu der Kampf für eine gerechtere Welt, die Schaffung offener und toleranter Gesellschaften und Gemeinschaften, in denen ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten vertreten sind, und die praktische Umsetzung der europäischen Werte für alle Menschen zählen;

22. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der russischen Duma und den Parlamenten der Länder der Östlichen Partnerschaft zu übermitteln.

Anmerkungen

[1] ABl. C 92E vom 20.4.2006, S. 392.

[2] ABl. L 328 vom 6.12.2008, S. 55.

[3] ABl. C 8E vom 14.1.2010, S. 57.

[4] ABl. C 137E vom 27.5.2010, S. 25.

(Quelle: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2019-0097_DE.html?fbclid=IwAR0OMCwtA5AYudpQaxB4iaX_i1rJitFHfMaK5X-BpPW-I00DZIBSd3hqPbQ)

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