Von Frederik D. Tunnat

Wer ohne Scheuklappen drei Jahrzehnte zurück blickt, um genau zu sein, bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, im Oktober 1990, wird bei genauem Hinschauen feststellen, dass das zusammenwachsende Deutschland nur noch ansatzweise jener Bundesrepublik Deutschland ähnelt, die 1949 entstand, und 40 und ein Jahr lang bestand.

Quasi über Nacht setzte damals das, was ich als neue, hervor ragende deutsche „Tugend“ bezeichne, ein: Versagen.

Das hat nichts damit zu tun, dass wir im Oktober 1990 ungefähr 15 Millionen ehemalige DDR-Bürger im gemeinsamen Staat als neue Mitbürger begrüßen konnten, sondern vielmehr damit, dass das Land seinerzeit von einem eigentlich vollkommen abgewirtschaftetem Politiker repräsentiert wurde – ich meide bewusst die Vokabel „geführt“ oder „gemanagt“ – nämlich Helmut Kohl. Der Mann hatte ein Jahr zuvor die größte innerparteiliche „Palast-Revolution“ der CDU nur mit viel Glück und seinem sprichwörtlichem Sitzfleisch überstanden, wäre, da waren sich seinerzeit sämtliche Wahlforscher und Politstrategen einig, bei der nächsten Wahl in Bausch und Bogen vom Wähler abgestraft, äh, abgewählt worden, hätten nicht zwei eng miteinander verbundene Ereignisse die politische Tagesordnung Deutschlands, Europas, ja der ganzen Welt 1989 durcheinander gewirbelt:

Perestroika und die Massenflucht von DDR-Bürgern in den Westen.

Die Massenflucht des Sommers 1989 zeitigte zwei weitere Etappen auf dem Weg zur späteren Wiedervereinigung, in die Helmut Kohl nur insofern involviert war, als er, der sprichwörtliche „Elefant im Porzellanladen“ es mühelos vermocht hatte, nahezu sämtliche Politiker, mit denen er zu tun hatte, auf die eine oder andere Weise vor den Kopf gestoßen zu haben. Ganz besonders „reizend“ hatte er sich gegenüber dem, ums politische Überleben kämpfenden russischen Staatspräsidenten Michael Gorbatschow verhalten, indem er diesen, in seiner nonchalanten Art – erst zu sprechen und dann zu denken – mit dem Nazi- Propagandaminister Goebbels verglich, um nicht zu sagen, gleichsetzte. Dabei war derart viel politisches wie menschliches „Porzellan“ zerschlagen worden, dass die königlich preußische und die sächsisch-meißnische Porzellanmanufaktur Jahrzehnte benötigt hätten, um genug Porzellan herzustellen, um das durch Kohl zu Bruch gegangene zu ersetzen.

Doch Kohl, dem lebenslang das besondere Glück blinder Hühner, um nicht zu sagen Hähne, die auch mal ein Ei finden oder legen, hold war, fand in Gorbatschow einen Jesus Christus ähnlichen Menschen vor, der, als Kohl, um bei Gorbatschow um dessen Unterstützung für die deutsche Wiedervereinigung zu bitten, Kohl großmütig dessen Goebbels-Vergleich verzieh, ja sogar bereit war, über die unsägliche Dummheit dieses deutschen Spitzenpolitikers hinwegzusehen, statt dafür 15 Millionen DDR Bürger büßen zu lassen. Gorbatschow gewährte uns Deutschen – trotz eines Helmut Kohl – generös die Wiedervereinigung. Weshalb Kohl seither als „großer Politiker“ und Vater der Wiedervereinigung gilt, ist mir mehr als schleierhaft. Groß war Kohl für mich nur wegen seiner Leibesfülle und seines schier riesigen Magens, der Unmengen von Saumägen vertilgen konnte. Ob die Fähigkeit, große Mengen zu fressen, einen Menschen prädestiniert, „groß“ genannt zu werden, mag ich nicht entscheiden – was mir jedoch absolut klar ist, Kohl war nie Vater oder Kanzler der Einheit. Die Einheit wurde ihm, wie fast Alles im Lauf seines Lebens, speziell des politischen, immer durch Andere auf dem Silbertablett präsentiert!

Kohl, ein Mensch, der nie hätte Kanzler werden dürfen, da seine bescheidene Kompetenz laut Peter Prinzip allenfalls für einen Ortsbürgermeister oder Landrat ausreichte, er bereits als Landesvater von Rheinland-Pfalz stark überfordert war – vom Kanzlersein ganz zu schweigen, war einer jener CDU Politiker, die das Versagen salonfähig und damit zu einer Tugend machten.

Wem klingen nicht noch Kohls stets ungelenk, aus einem stark mundartlich gefärbtem Sprachduktus gespeisten Worte gellend in den Ohren? Speziell sein Wiedervereinigungs-Schlachtruf: „BLÜHENDE LANDSCHAFTEN“.

Kohl, der die DDR-Bürger mit einem unrealistischem Tauschkurs von DDR-Mark zu D-Mark bestach, uns als Bürger ebenso, wie das Parlament und die Verfassung – unser Grundgesetz – betrog, indem er das Wiedervereinigungs-Prozedere nicht grundgesetzkonform abwickelte, sondern verfassungswidrig; der, statt dem Wunsch der letzten DDR Regierung und zahlreicher Volkswirtschaftler zu entsprechen, die DDR-Wirtschaft in einem mehrjährigem Prozess der BRD Wirtschaft anzunähern, beschritt erstmals in massivem Umfang jenen Trampelpfad, der inzwischen einer mehrspurigen Autobahn gleicht: nämlich, statt auf den, durch großzügige Diäten eingekauften Sachverstand von Politik und Spitzen-Beamtenschaft zu setzen, sich mit aberwitzig hohen Honoraren eingekaufter Berater zu bedienen. Die seinerzeit geschaffene Treuhand stellte, in meinen Augen, bereits eine verfassungsrechtlich fragwürdige Konstruktion war. Die Art und Weise, wie sie personell besetzt und mit welcher Aufgabenstellung sie auf die ehemalige DDR losgelassen wurde, darf nachträglich wohl mit Fug und Recht als nahezu „kriminell“ bezeichnet werden.

Ich hatte das überaus fragwürdige „Vergnügen“, kurz nach der „Wende“ im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium, damals Sitz der Treuhand, heute Bundesministerium der Finanzen, für eine Weile ein und aus zu gehen, um mit der zweiten Führungsebene zu verhandeln. Es war ein nahezu gespenstischer Gegensatz – hier das Paradebeispiel eines ehemaligen Nazi-Ministeriums, dort die West-Lackaffen in ihrem Armani und Boss Outfit und ihren überdimensionierten Karossen aus München und Ober-Türkheim bzw. Sindelfingen. Das alles finanziert auf Pump vom deutschen Steuerzahler, in einem sorgfältig abgeschotteten Schattenhaushalt ausgelagert, dessen Existenz heute kaum noch jemand wahrnimmt, obwohl die damals aufgelaufenen Schulden längst nicht getilgt sind, trotz Null Prozent Euro-Staatsanleihen.

Das Versagen Kohls wie der fünf neuen Ministerpräsidenten, darunter einer der Rebellen gegen Kohl: Biedenkopf, war für jeden, mit offenen Augen durchs Land gehenden Bürger greif- und sichtbar. Nachdem ich das Tal der Ahnungslosen sowie das umgebende Sachsen 1993 von West nach Ost und von Süd nach Nord durchreist hatte, schrieb ich Biedenkopf einen Brief, den der geschäftige Ministerpräsident natürlich nicht selbst beantwortete, sondern einer seiner Staatsekretäre. Ich beschwerte mich über die zahllosen Investitionsruinen, jene in die schöne sächsische Landschaft betonierten Gewerbegebiete in nahezu jedem größeren Dorf, und fragte höflich, wer bzw. welche Firmen oder Gewerbetreibende diese überdimensionierten und völlig überflüssigen Gewerbeparks denn je bevölkern sollten. 1993 hatte bereits rund ein Viertel der ehemaligen DDR Bevölkerung in den Westen „rüber gemacht“, zunächst freiwillig, dann immer öfter zwangsweise, auf der Suche nach Arbeit, die im Osten Mangelware geworden war.

Während überall auf der grünen Wiese Investitionsruinen entstanden, deren Status als baldige Ruine allein demoskopisch für Jedermann sichtbar war: Unmengen Arbeitsloser, massenhafte Abwicklung der bisherigen DDR Industrie, entvölkerte Städte, vor allen Dingen Dörfer, an deren Rändern mit West-Milliarden nutzlose Gewerbegebiete aufgebaut worden waren.

Die Treuhand Medizin, die Kohl und Schäuble als moderne Version von Faust und Mephisto, unkritisch geschehen ließen, das flächendeckende Plattmachen ganzer Industrien, das Abwickeln ganzer Branchen und jahrhundertealter Traditionen, indem Unternehmen und Immobilien, die vielfach mehrstellige Millionenbeträge wert waren, für eine symbolische D-Mark verschenkt wurden, an schwerreiche West-Unternehmer und Konzerne, die dank der „Brand-Rodung“ durch die Treuhand nicht nur einer möglichen Konkurrenz in den Neuen Bundesländern „verlustig“ gingen, sondern sich, auf Kosten der DDR-Bürger, wie der deutschen Steuerzahler, in nie gekanntem Ausmaß bereicherten.

Das, was laut Kanzler Kohl zu blühenden Landschaften werden sollte, wurde zum ersten und umfassendsten Versagen des jungen, wiedervereinigten deutschen Staats, dank einer unfähigen Regierung, skrupelloser, geldgieriger Berater und westdeutscher Unternehmer, die ihrem kapitalistischem Instinkt, sich auf Kosten der Allgemeinheit und Steuerzahler persönlich zu bereichern, ebensowenig widerstanden, wie die seither beängstigend steigende Zahl deutscher Beamter und Politiker, die sich dafür, dass sie die Interessen von Staat und Gesellschaft verraten, von den Kriegsgewinnlern schmieren, sprich bestechen lassen.

Man hätte den Zusammenschluss zweier gesellschaftlich wie wirtschaftlich unterschiedlich entwickelter Staaten anders managen können, ja müssen. Zahlreiche heutige gesellschaftliche Probleme in den Neuen Bundesländern haben ihren Ursprung, ihre Wurzeln in dem skizzierten Versagen der damaligen deutschen Bundesregierung, unter Kanzler Helmut Kohl.

Das Versagen hat sich seitdem breit gemacht in Deutschland. Denken wir nur an das inzwischen nahezu unregierbar gewordene Berlin oder den Stadtstaat Bremen. Denken wir an missglückte politische Aktionen, stets als Reformen verkauft: Hartz IV, Renten, Corona-Pandemie, Impf-Desaster.

Auch das flächendeckende Versagen bei der Autobahn-Maut, Bau-Großprojekten wie dem Berlin-Brandenburger Flughafen, der Hamburger Oper. Der Nichtreaktion der Politik auf die seit zwei Jahrzehnten laufende Digitalisierung.

Wo immer man hinschaut, welches Beispiel man nimmt: jegliches Großprojekt, das in Deutschland seit Jahren und Jahrzehnten angefasst wird, endet mit kostspieligem Versagen.

Damit kommen wir zur spannenden Frage: wie konnte eine solche Situation eintreten, in einem Land, das weitgehend auf preußische Tugenden, auf Organisationstalent und eine funktionale Beamtenschaft gründete? Nun, die Antwort ist so simpel, wie ernüchternd.
Rund 4,9 Mio. Menschen sind insgesamt im öffentlichen Dienst Deutschlands beschäftigt, entweder beim Bund, bei den Ländern, Kommunen oder Sozialversicherungsträgern: Das sind 5,8% der Bevölkerung der BRD, oder 14,5% aller sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse der BRD in 2020.

Demgegenüber stellen Beamte 31,6%, Angestellte des öffentlichen Dienstes 8,6%, sowie Mitarbeiter politischer Organisationen 14% der Bundestagsabgeordneten im aktuellen Bundestag.

D.h., eine absolute Minderheit der Bevölkerung von weniger als 6% stellt insgesamt 54,2% aller Abgeordneten.

Das ist ein krasses Missverhältnis, nahezu im Verhältnis 1:10 sind Beamte und öffentlicher Dienst und von diesen abhängig Beschäftigte im Bundestag vertreten, der angeblich die Gesamt-Bevölkerung der BRD repräsentieren soll, da wir uns ja „Repräsentative Demokratie“ nennen.

Damit wird deutlich, weshalb bei sämtlichen bisherigen sog. „Reformen“ der Sozial-Systeme nie ein auch nur annähernd verhältnismäßiger Schnitt bei Beamten und öffentlichem Dienst erfolgte, wie er den in der freien Wirtschaft Beschäftigten seit Jahrzehnten zugemutet wird: massive Kürzungen der Renten, massive Kürzungen im Fall von Arbeitslosigkeit. Von all diesen Zumutungen nahmen sich die, überwiegend aus der wohlversorgten Beamtenschaft stammenden Abgeordneten ebenso aus, wie die für sie tätigen Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst.

Ebenso erklärt dieses krasse Missverhältnis der Repräsentation des öffentlichen Dienstes in den Reihen unserer Politiker, weshalb diese ihre „Selbstbedienungsmentalität“ seit Staatsgründung 1949 entwickelt, sowie seit der Wiedervereinigung 1990 geradezu unverschämt ausgebaut haben. Das ehemalige Argument, als sich in den Fünfziger Jahren ein großer Teil der Abgeordneten aus Angestellten der freien Wirtschaft und Selbständigen zusammensetzte, diese müssten, um unbestechlich sein zu können, und keine finanziellen Nachteile wegen ihrer Abgeordnetentätigkeit zu erleiden, ein hohes Einkommen aus dieser Tätigkeit erzielen.

Fakt ist, dass sämtliche Beamte und öffentlich Bedienstete, knapp 55% aller Abgeordneten, eine Arbeitsplatzgarantie besitzen mit Rückkehrgarantie, Pensions- oder Rentenzusagen in 3-4 facher Höhe heutiger Angestellten-Renten aus dieser Tätigkeit zu erwarten haben, aber dennoch obendrein ein Vielfaches aus ihrer Abgeordnetentätigkeit zusätzlich an Rente erhalten.

Zudem kommt ein Großteil der heute fürstlich entlohnten Abgeordneten kaum noch dazu Vollzeit ihrer eigentlichen Tätigkeit nachzugehen, da sie sämtlich einer oder gar mehrerer, teilweise mehr als 10 Nebentätigkeiten nachgehen, für die sie zusätzlich überproportional honoriert werden, da die sie bezahlenden Personen oder Institutionen und Wirtschaftsorganisationen damit Lobbyarbeit in ihrem Sinne erwarten.

Wir haben daher aktuell keine Demokratie mehr, die diesen Namen überhaupt noch verdient, sondern eine durch Parteien organisierte und geleitete Klientel-Republik, die vorgibt, nach demokratischen Prinzipien zu funktionieren, de facto jedoch in eine Art „Diktatur der Parteien und Beamtenschaft“ mutiert ist. Wer dies für starken Tobak hält, dem empfehle ich, sich die weiter oben genannten Zahlen – allesamt aus aktuellen Statistiken der Bundesregierung entnommen – zu Gemüt zu führen.

Ohne dass die Mehrheit der Bürger dies artikulieren kann, wie ich dies gerade tue, noch über das Know-How oder die Fähigkeit verfügt, sich die zugrunde liegenden Daten und Zahlen, s. oben, zu besorgen und interpretieren zu können, hat sich dennoch zu recht ein tiefes Gefühl des Missbehagens und des Vertrauensverlusts in den Staat und seine ihn offiziell repräsentierenden Institutionen breit gemacht. Das Resultat ist die seit zwei Jahrzehnten anhaltende Erosion der ehedem staatstragenden Volksparteien. Ohne konkret artikulieren zu können, woran es liegt, empfinden mehr und mehr Bürger eine wachsende Ohnmacht und Misstrauen einem Staat gegenüber, repräsentiert durch Abgeordnete, die weniger, wie es laut Grundgesetz sein sollte, das Volk und dessen Bevölkerungsgruppen verhältnismäßig repräsentieren, als vielmehr, wie oben aufgezeigt, die Interessen vornehmlich zweier Gruppen vertreten: die der Beamtenschaft inklusive öffentlichem Dienst, der Wirtschaftsverbände und deren ökonomische Interessen, sowie der Parteien und der Abgeordneten selbst. Also Eigeninteresse und Eigennutz.

Deutschland hat sich durch sein Parteiensystem, in enger Verbindung mit seinem öffentlichen Dienst, die man aktuell nur als Kumpanenschaft bezeichnen kann, zu einer Art „Diktatur der Parteien bzw. öffentlichen Dienstes“ entwickelt.

Parteien entscheiden, welche Parteimitglieder Karriere machen können; sie entscheiden, wer Abgeordneter, Minister, Ministerpräsident oder Kanzler wird – nicht, wie uns vorgegaukelt wird, die Wahlen. Diese entscheiden bloß noch darüber, welchen konkreten Stimmenanteil die einzelnen Parteien erhalten. Bereits die Frage, welche Partei mit welchen anderen koaliert und eine Regierung bildet, entzieht sich der Entscheidung der Bürger und Wähler. Das machen die Parteien, allen voran deren Vorsitzende, unter sich aus.

In zahlreichen sog. Demokratien der Welt, etwas in den USA, entscheidet ein, ebenfalls von ihren dortigen Parteien nominierter Mini-Haufen namens Wahlmänner/frauen – ganze 588 an der Zahl – wie die Würfel der Wähler fallen. Dieses System, das den Präsidenten bestimmt, führt in den USA seit über zwei Jahrzehnten zur schizophrenen Situation, dass nicht die Mehrheit der Wählerstimmen, sondern die Mehrheit im Wahlgremium über den Präsident und damit die Regierung des Landes entscheidet. Wie manipulierbar und anfällig dieses System tatsächlich ist, hat gerade der vormalige Präsident Trump ausgetestet. Dass sich noch keine ausreichende Unterstützung für seinen institutionellen Staats-Coup fand, bedeutet nicht, dass er in 4 oder 12 Jahren nicht stattfinden kann.

Dank unserer Befreier, der alliierten Besatzungsmächte, erhielten wir 1949 eine Demokratie verpasst, die angeblich aus den Fehlern der Weimarer Republik lernen sollte. Statt uns, als mündigen Bürgern und Wählern, zu erlauben – wie das in zahlreichen europäischen Nachbarstaaten selbstverständlicher Brauch ist – z. B. unseren Präsidenten direkt wählen zu können, wurde uns ein System verpasst, das Elemente des amerikanischen Wahlmänner-Gremiums beinhaltet, aber, da man uns als ewigen Nazis und Nicht-Demokraten misstraute und misstraut, wurde ein Wahlgremium zwischen geschaltet, dass – wie kann es in einer Parteiendominierten Staatsform anders sein, von diesen aufgestellt wird. Zudem nahmen die Besatzungsmächte dem deutschen Präsidenten nahezu jegliche politische Gewalt – degradierten ihn zu einem reinen Gruß-Onkel – der nach der Pfeife des Kanzlers und dessen Partei oder Koalition tanzt.

Auch den Kanzler als tatsächlichen Inhaber der politischen Macht in der BRD dürfen wir Wähler nicht direkt wählen. Das besorgen erneut die Parteien für uns. Sie haben ein System entwickelt, das nach dem Peter-Prinzip beurteilt, totsicher nie den fähigsten oder klügsten Politiker an die Macht kommen lässt, sondern den/diejenige, der, ähnlich wie beim Militär, zunächst gelernt hat, zu dienen, blinden Gehorsam gegenüber dem Parteivorsitzenden und den von diesem und seinen Lakaien beherrschten Parteigremien an den Tag zu legen. Das führt in beiden Fällen dazu, dass es in der Regel bloß die besten Speichellecker schaffen, ganz nach oben zu gelangen – Peter nennt sie die Inkompetenten, Unfähigsten.

Wir haben in den 70 Jahren, seit unsere sog. repräsentative Demokratie am Laufen ist, zahlreiche wundervolle Beispiele als Bestätigung des Peter-Prinzips erlebt – auf allen Ebenen der bundesdeutschen Politik, ganz besonders in den hohen und höchsten Rängen. Hervorzuheben sei Heinrich Lübke, ein früher Präsident der Republik, der in jedes erdenkliche Fettnäpfchen trat, besonders gern im Ausland, wo er Deutschland repräsentieren sollte, in Wirklichkeit aber die Beschränktheit seiner eigenen Partei zur Schau stellte, der CDU. Die CDU scheint besonders prädestiniert dafür, Menschen nach oben zu spülen, die dem Inkompetenz-Faktor des Peter-Prinzips kongenial entsprechen: erinnert sei an Kurt Georg Kiesinger, ein früher Bundeskanzler, oder an Hans-Georg Filbinger, ein Ministerpräsident, der vor seiner politischen Karriere für Hitler Soldaten an den Galgen brachte. Auch der größte Scheinriese unter den Bundeskanzlern, Helmut Kohl, den man irrigerweise Kanzler der Einheit nennt, war ein klassischer Peter-Prinzip Fall, wie die aktuell noch agierende Kanzlerin Angela Merkel oder der potentielle nächste Kanzlerkandidat Laschet.

Das Erstaunliche an uns Deutschen ist, als Volk, das es über 900 lange Jahre gewöhnt war, unfähige Kaiser und Könige vorgesetzt zu bekommen, und diese, dank vererbter Unfähigkeit, dennoch für fähig zu halten – weil man ja nie Gelegenheit hatte eine Alternative kennenzulernen, war nach der kaiserlosen Zeit von 65 Jahren im 19. Jahrhundert selig, wieder einen Kaiser erhalten zu haben, dass man über den, das Peter-Prinzip perfekt repräsentierenden Enkel-Kaiser Wilhelm II. hinweg sah, bis der den Ersten Weltkrieg angezettelt hatte.

Erneut nahm man uns die Kaiser fort, wir sollten uns mit schnöden Präsidenten begnügen. Das ging keine 20 Jahre gut, dann kam ein weiterer Peter-Prinzip Kandidat des Wegs, zwar aus Österreich, aber da wir österreichische Küche mögen, dachten wir, was soll‘s. Der gute Mann, Adolf Hitler sein Name, startete voll demokratisch, als Reichskanzler, strebte aber, wie jeder Peter-Prinzip Aspirant nach Höherem, jener Kompetenzstufe, für die er nicht gemacht wurde. Er benötigte rund 12 Jahre, um sein Tausendjähriges Reich zu Grunde zu richten.

Dann kamen die Alliierten und räumten in Deutschland erst mal gründlich auf. Wer weiß, wie gut sie aufgeräumt hätten, wäre da nicht die östliche Variante eines Peter-Prinzipianten gewesen, Josef Stalin sein Name. Der hatte den höchsten Grad seiner Kompetenz schon Jahre zuvor überschritten, und scherte deshalb aus den Reihen der Alliierten aus. Damit zwang er die verbleibenden Zwei plus Eins Alliierten, die USA und Großbritannien, sowie deren, erst Ende 1944 als Sozius aufgesprungenen Juniorpartner Frankreich, ihre Deutschland-Strategie zu ändern.

Als Pufferstaat wurden wir schlagartig wertvoll, bekamen einen Marshallplan mit Aufbauhilfen für unsere zuvor zerbombte und demontierte Industrie, sowie als Sahnehäubchen obendrauf, die auf uns, als verkappte, ewige Nazis speziell zugeschnittene repräsentative Demokratie verpasst.

Die schlauen Gründungsfrauen und –väter, der sog. Parlamentarische Rat, den die Alliierten handverlesen daran setzten, uns eine, ihnen genehme Verfassung zu erarbeiten, waren clever genug, die Chose Grundgesetz zu nennen, und an dessen Ende einen wichtigen Satz zu schreiben: Wir, d.h. das deutsche Wahlvolk, die Hennen und Hähne der Politiker, deren einzige Daseinsberechtigung darin besteht, die Parteien und die von ihnen ausgesuchten Politiker – wir selbst sind zu blöd, wären aus Sicht der Parteien nicht in der Lage, aus einer Handvoll Kandidaten den uns zusagenden selbst auszuwählen – mit gut dotierten Diäten auszustatten, die aus den von uns eingetriebenen Steuern großzügig – nach eigenem Gusto, inzwischen jährlich mit beachtlichen Zuwachsraten automatisch – gezahlt werden. Was kann man als Wahl-Federvieh auch mehr erwarten, als arbeiten zu dürfen, zur Not zur Ader ge-Hartz-t zu werden, und dafür das Privileg zu haben, eine Speisekarte namens Wahl „wählen“ zu dürfen, während die Parteien die darauf enthaltenen Menüs bitteschön selbst bestimmen.

Wie gesagt, für den 1949 als überaus unwahrscheinlich angesehenen Fall – er trat exakt 40 Jahre später wegen zweier ostdeutscher Peter-Prinzipienten namens Honecker und Krenz ein – dass sich Deutschland irgendwann vereinigen sollte, zumindest das, was davon nach dem Zweiten Weltkrieg noch übrig blieb, bauten die schlauen Gründungsväter und –mütter die Klausel ein, dass wir, das Hühner-Wahlvolk dann, und nur dann, einen Bonus bekommen sollten, dergestalt, dass das Grundgesetz mit der Wiedervereinigung ausgedient haben sollte, und wir, bevor wir ein gemeinsames Parlament und eine neue gemeinsame Partei wählen dürften, die dann wie gehabt alles unter sich ausbaldovern würde, wir eine endgültige Verfassung bekommen würden, in die alles oder manches, was wir denn zu ändern oder verbessern wünschten, z.B., den Präsidenten oder Kanzler direkt zu wählen, den Einfluss der Parteien ein bisschen zu beschneiden, die Überrepräsentanz der Beamten ein wenig zu deckeln etc., eingearbeitet werden würde, damit wir anschließend einmalig darüber abstimmen dürften, ob wir diese neue, geänderte Verfassung so, wie sie uns vorgelegt würde, akzeptieren wollten, oder nicht.

Der Ober-Peter-Prinzipianer Helmut Kohl, der sich stets mehr als unangefochtener Parteivorsitzender, denn als gewählter Kanzler verstand, machte den Gründungsvätern, den Ex-DDR Bürgern und uns, dem West-Hühner-Wahlvolk einen dicken Strich durch die Rechnung, indem er – mit Unterstützung der von den Parteien aufgestellten Abgeordneten über unser aller Köpfe hinweg entschied, dass wir nix ändern sollten, das Grundgesetz gut genug für uns sei. Neue Verfassung gestrichen, unser einmaliges Mitbestimmungsrecht gestrichen, Sonderwünsche der Ex-DDRler gestrichen, stattdessen ordentlich D-Mark unters Volk geworfen – war ja nicht seine Knete, sondern die von uns Steuerzahlern – ein bißchen von „Blühenden Landschaften“ gefaselt, statt dessen die DDR Wirtschaft und Infrastruktur platt gemacht, und alles, was übrig und was wert war, auf Kosten der Steuerzahler, also uns, an die Wirtschaftsbosse und Konzerne aus dem Westen verschenkt. Oder wer will bei Preisen von einer symbolischen D-Mark von Kauf sprechen?
So wurden und so werden wir von Menschen geleimt, die das Peter-Prinzip verinnerlicht haben, und, wie das für den Beamtenapparat seit hunderten von Jahren üblich ist, wo niemals Kompetenz sondern Speichellecken und Arschkriecherei vorherrscht, allesamt in führenden Positionen weit über der Grenze ihrer individuellen Kompetenz agieren.

Ein plastisches Beispiel, wenn auch aus dem Ausland, war der schon erwähnte Präsident Trump. Der war selbst für sein nach ihm benanntes Unternehmen zu inkompetent, weshalb er sich, bevor es zusammenkrachen konnte, in die Politik stürzte, und versuchte, die Diktatoren unter den Peter-Prinzip-Aspiranten, als da waren Mussolini, Franco, Hitler, Stalin, oder sind – Duarte, Kim Jong-un, Bolsonaro, Putin, Erdogan und Konsorten – zu imitieren. Weil ein paar Republikaner angesichts des auch sie bedrohenden Trump-Pöbels Angst bekamen, wurde aus dem anvisierten Staatsstreich und der Errichtung des Trumpismus-Führerkults erst mal nichts. Aber, wie wir wissen, aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.

Erhebt sich abschließend die Frage: wie den eingeschlagenen Pfad des Versagens verlassen?

Wie etwas reformieren, was sich an seine in Jahrzentelangem ersessenen Privilegien klammert?

Wie das beste aller politischen Systeme, das der Demokratie, wieder flott und für das Gros der Bürger wieder attraktiv machen?

Wie Parteien als Zwischenhändler zur politischen Meinungsbildung auf ein erträgliches Maß zurechtstutzen?

Wie erreichen, dass unsere Abgeordneten die Zusammensetzung der Gesellschaft und Klassen annähernd spiegeln, statt die kleinste Kaste der Beamten Politik und Staat dominieren zu lassen?

Wie den Kreislauf des German Versagens, der uns und unseren Politikern mittlerweile weltweit vorauseilt, durchbrechen?

Fragen über Fragen, die über unser Überleben entscheiden werden, buchstäblich. Um Antworten aufgeschlossener Leser wird gebeten.

Zwar erklärt das Peter-Prinzip Einiges, aber nicht Alles. Schon gar nicht, weshalb ausgerechnet Deutschland, ein einstiges Vorzeigeland, das politisch-staatliche Versagen derart kultiviert hat, wie der Umgang der Politik und ihrer mindestens 17 unterschiedlichen Meinungen mit der aktuellen Corona-Pandemie eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Titelbild: Romantic Rhine Koblenz to Bingen: Kaub | Bild: Bill Barber CC BY-NC 2.0 via FlickR

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