Am letzten Mittwoch (29.3.2017), neun Monate nach dem Brexit-Referendum, setzte Theresa May das Verfahren nach Artikel 50 EUV in Gang. Am darauffolgenden Tag verkündete die Regierung Gesetze, mit denen die Gültigkeit des EU-Rechts aufgehoben wird, während EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag die geplanten Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen vorstellte.

Das Vereinigte Königreich und die EU werden sich innerhalb der nächsten 24 Monaten darum bemühen, ihre seit mehr als vier Jahrzehnten symbiotisch miteinander verbundenen und heute hochgradig integrierten Rechtsordnungen zu entflechten. Diese Herausforderung gleicht, nicht nur angesichts ihres ungeheuerlichen Ausmaßes, einer Herkules-Aufgabe. Durch den Brexit wurde ebenfalls eine Debatte über die verfassungsmäßige Zukunft einiger Länder des Vereinigten Königreichs eröffnet.

Da wäre zunächst Schottland: Interessanterweise erfolgte die Aktivierung von Artikel 50, nachdem Theresa May dort einen Besuch absolviert hatte. Während ihres Besuchs lehnte sie den schottischen Vorschlag für einen differenzierten Brexit erneut ab. Auch die schottische Forderung nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum wies sie zurück. Durch die Verabschiedung eines Antrags, mit dem Nicola Sturgeon die Befugnis erteilt wird, in Verhandlungen über ein Unabhängigkeitsvotum mit dem Parlament in Westminster zu treten, wurde diese Forderung am vergangenen Dienstag (28.3.2017) offiziell im Namen des schottischen Parlaments erhoben. Die britische Regierung hat jedoch angekündigt, dass sie einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum nicht einwilligen werde, bevor die Verhandlungen über den Brexit zu Ende geführt sind. Vielmehr hat Theresa May in ihrem Brief an Donald Tusk klargestellt, dass das Vereinigte Königreich als Ganzes verhandeln werde.

Nach dem Scheitern der Regierungsbildung in Nordirland fiel der Beginn des Austrittsverfahrens zudem auf eine Woche, in der die Aussicht, dass Nordirland künftig direkt aus London regiert werden könnte, deutlich zunahm. Im Hinblick auf die Verhandlungen über den Brexit strebt die Regierung des Vereinigten Königreichs jedoch erklärtermaßen eine Sondervereinbarung für die Region an. Dies wird auch seitens der EU anerkannt. Der Leitlinienentwurf für die Verhandlungen erwähnt, dass es einer „flexiblen und einfallsreichen Lösung“ bedarf, um die durch den Brexit erzeugten Spannungen aufzufangen und die zerbrechliche Friedensregelung zu unterstützen. Die größte Herausforderung für die EU und das Vereinigte Königreich ist die Frage, wie zwischen einem EU-Mitgliedsstaat (der Republik Irland) und einer Region außerhalb des Gemeinsamen Marktes und der Zollunion der EU (Nordirland nach dem Brexit) Freizügigkeit hergestellt werden soll.

Diese Diskussion wird umso bedeutsamer, wenn man in Rechnung stellt, dass Nordirland das verfassungsmäßige Recht hat, sich auf demokratischem Wege vom Vereinigten Königreich zu lösen, um sich einer vereinigten irischen Republik anzuschließen. Und tatsächlich hat Sinn Féin nach dem Brexit-Referendum eine Volksabstimmung über eine Vereinigung Irlands eingefordert. Interessanterweise forderte auch Taoiseach Enda Kenny, dass ein in welcher Form auch immer geartetes Brexit-Abkommen eine spezifische Regelung enthalten müsse, mit der Nordirland im Falle einer Vereinigung der Region mit der irischen Republik ein Wiedereintritt in die EU ermöglicht wird. Somit ist es unerlässlich, eine Lösung für diese politische Zwickmühle zu finden – nicht nur für die Grenzorte, die von der offenen Grenze zwischen der Republik Irland und dem Vereinigten Königreich profitiert haben, sondern ebenso für das Karfreitagsabkommen (mit dem im Jahr 1998 der Bürgerkrieg beendetet wurde; Anm. d. R.) als Ganzes, da dieses auf der Annahme beruhte, dass beide Staaten Mitgliedsländer der EU bleiben würden.

Zu guter Letzt wurde das letzte Wochenende von der Debatte über die Zukunft Gibraltars geprägt. Der Leitlinienentwurf (der EU; Anm. d. R.) für die Verhandlungen beinhaltet eine Klausel, die Spanien allem Anschein nach die Möglichkeit gibt, Gibraltar von jeglicher Übergangsregelung für den Zugang zum Gemeinsamen Markt oder einem zukünftigen Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich auszuschließen, sollte es mit dessen Status nicht einverstanden sein. Selbst wenn man die absurden Äußerungen gewisser britischer Politiker zur Frage, wie mit der Infragestellung der britischen Herrschaft über Gibraltar durch Spanien umzugehen sei, außer Acht lässt, darf man die Rolle der EU im Zusammenhang mit derartigen Streitfragen nicht unterschätzen. Solange die Zukunft beider Staaten noch innerhalb der EU lag, wurde die Gibraltar-Frage in Foren wie dem Europäischen Gerichtshof friedlich „diskutiert“ und „verhandelt“. Mit dem Brexit werden diese Foren nicht länger zur Verfügung stehen. Somit kehren Spanien und das Vereinigte Königreich im Rahmen ihres Streits über Gibraltur zurück zur Politik der „Einschüchterung und Behinderung“.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 nicht mehr Teil der EU sein wird. Die Frage, wie das Vereinigte Königreich aussehen wird, nachdem all jene verfassungsrechtlichen Fragen geklärt sind, bleibt jedoch offen.

 

Titelbild: Brexit | Foto: Mike Lich CC BY 2.0

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