Von Frederik D. Tunnat

Es steht zu erwarten, dass eine Flut von Analysen, Berichten, Erinnerungen und Einschätzungen über den Terroranschlag von vor zwanzig Jahren, am 11. September 2001 in New York, anlässlich des traurigen 20. Jahrestages, über uns hereinrechen wird.

Mit dem Abstand zweier Jahrzehnte, wird deutlicher denn je, was für einen enormen Einschnitt dieser entsetzliche Anschlag der Terroristen darstellt – wie stark er unser aller Leben seither beeinflusst wie verändert hat. Obwohl es in erster Linie darum geht, der vielen Opfer wie deren gebeutelten Angehörigen zu gedenken, sollte es gestattet sein, anlässlich des Gedenkens und des Innehaltens, darüber nachzudenken, welch enormen Einschnitte das Ereignis für unser aller tägliches Leben gezeitigt hat, und das traurige Jubiläum zum Anlass zu nehmen, ernsthaft darüber nachzudenken, ob die zahllosen Einschränkungen und Eingriffe in unser aller demokratisch garantierte Rechte, die nach dem 11. Septemeber weltweit, jedoch speziell in den USA ergriffen wurden, nach wie vor angemessen sind.

So sehr mich, als Jemand, der sich damals gerade in den USA aufhielt, und den die Auswirkungen der Anschläge unmittelbar tangierten, hatte ich bereits damals starke Bedenken, ja eine Aversion gegen die schlagartig eingeführten Sicherheitsmaßnahmen, die seitdem unser Reisen wie viele Aspekte des täglichen Lebens beeinflussen und nach wie vor diverse, verfasssungsmässig garantierte Rechte einschränken, ja völlig aussetzen. Ich bin überzeugt, dass der damals eingeleitete Prozess der flächendeckenden Überwachung, Einschränkung wie Abschaffung von bürgerlichen Rechten dazu beigetragen hat, autoritäre, undemokratische Bewegungen und Regierungen in vielen, zuvor demokratisch ausgerichteten Ländern zu befördern.

Meine damalige Betroffenheit wird durch folgende Auszüge aus meinen, Anfang 2002 aufgeschriebenen Tagebuchaufzeichnungen deutlich. Sie kreisen weniger um den Terroranschlag an sich, als vielmehr um die durch diesen ausgelöste Ereignisse und Reaktionen. Nach den traumatischen Erfahrungen, die ich auf dem Detroiter Flughafen machen musste, schwor ich mir, die USA erst dann wieder zu besuchen, wenn die damals mit heißer Nadel verfügten übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen abgeschafft und unsere verfasungsmäßigen Rechte in Kraft gesetzt wären. Da dies bis heute nicht geschah, konnte ich die USA, die ich überaus gern bereiste, seither nicht wieder aufsuchen. Es scheint so, als würde sich daran bis zu meinem Tod nichts ändern. Wären mehr Menschen ähnlich konsequent, würden sich den heutigen Überwachungsmethoden anlässlich von Reisen in der Form widersetzen, indem sie ihre reisen einschränkten, bzw. unterließen, müsste die Politik reagieren, und die seit 20 Jahren außer Kraft gesetzten Rechte von uns allen endlich wieder in Kraft setzen.

Auszug über den 11. Bis 14.09.2001 aus „Toledo – Ein Tagebuch“

Detroit. Als sie sich dem Airport näherten, waren sie nicht sicher, ob und wie sie diesen erreichen, und ob ihr Flug planmäßig starten würde.

Drei Tage zuvor, am 11.09.2001, hatte sich der blutige Terroranschlag auf das World Trade Center ereignet. An jenem Mittwochmorgen waren sie gerade auf dem Highway, östlich von Pittsburgh, unterwegs, Richtung Canton, Stark County, Ohio, als sich, nur Minuten, nachdem sie die Stelle passiert hatten, eines der entführten Flugzeuge eben dort, neben dem Highway in den Ackerboden grub. Sie waren weitergefahren, uninformiert, da sie mitgebrachte CDs anhörten, statt die Nachrichten, hatten jedoch bemerkt, dass etwas vor sich ging. Ab ca. 11 Uhr Ortszeit begannen Amerikaner in den Ortschaften, die sie durchfuhren, plötzlich die amerikanische Flagge, sowie andere nationale Symbole herauszuhängen oder vor den Hauseingängen zu drapieren.

Zunächst hatte er gemutmaßt, es stünden regionale Wahlen bevor, dann geglaubt, ein historisches Ereignis regionaler Art würde zelebriert. Erst am Abend, nachdem sie ihr Hotel erreicht hatten, und an der Rezeption die Breaking News mit entsetzlichen Bildern von den beiden explodierenden Towern des World Trade Center über den Bildschirm flackerten, erfuhren sie, welch furchtbare Dinge sich im Laufe des Tages ereignet hatten, nur rund 600 km von ihnen entfernt.

Als erste Auswirkung der Terroranschläge schien die Internetabfrage der Kreditkarten nicht mehr zu funktionieren. Alle drei mitgeführten Kreditkarten versagten ihren Dienst an der Rezeption. Bargeld in der nötigen Höhe hatten sie nicht griffbereit. Erst auf dem Weg in ein Restaurant erbarmte sich ein Bankautomat und gab genug Bares via Kreditkarte aus. Während des Essens kam es zu einem dramatischen Zwischenfall auf der Hauptstraße des kleinen Kaffs, in dem sie sich befanden. Durch die riesigen Fensterflächen des Diners sahen sie plötzlich drei Gestalten rennen, verfolgt von einer johlenden, wild gestikulierenden Meute, aus deren Reihen zahlreiche Schüsse in die Luft abgefeuert wurden. Bevor der aufgebrachte Mob die flüchtigen Männer erreichte, fuhr mit Blinklicht, lautem Polizeihorn, unter fortwährendem Hupen ein Polizeiwagen dazwischen, stoppte, und ein großer, beleibter Mann in beiger Polizeiuniform sprang auf der Beifahrerseite aus dem Wagen, ein Winchester Gewehr im Anschlag, mit dem er mehrmals erst in die Luft, dann einige Schüsse vor die Füße der Meute feuerte. Der zweite Polizist hatte inzwischen die fliehenden Männer angehalten und mit gezücktem Revolver gezwungen in den Fond des Polizeiwagens zu steigen. Dann fuhren zwei weitere Polizeiwagen vor, ein Geländewagen und ein weiterer PKW. Insgesamt fünf Polizisten stiegen aus, knieten neben dem schießenden Polizisten nieder, ebenfalls Gewehre im Anschlag, auf die nur wenige Meter entfernt, inzwischen stehende Meute, gerichtet. Jetzt nahm der beigegekleidete Polizist ein Megaphon und sprach zur Menge. Noch während er sprach, fuhren der Wagen mit den gefangenen Männern und der Geländewagen davon, während die Polizisten die Menge mit ihren Gewehren in Schach hielten. Kurz darauf zerstreute sich die Menge, die restlichen Polizisten rückten ab bzw. fuhren zur Wache zurück.

Der Kellner, den sie befragten, meinte, „A few Arabs or arabic-looking guys were hunted by the Patriots of our town. They wanted them to hang on a tree, but the Marshall stopped them”. So in etwa die aufgeheizte Stimmung im Land, Stunden nach den Ereignissen des elften September. Insofern war in der Tat nichts klar, als sie am Morgen des Samstag, dem 14.09.2001, versuchten, den Airport von Detroit zu erreichen. Die Mietwagenflotten stehen kilometerweit außerhalb des Airports, von dort zum Flughafen besteht eine Shuttle-Verbindung. Wider Erwarten erreichten sie den Parkplatz ohne eine Sperre zu passieren, oder sich ausweisen zu müssen. Auch im Shuttlebus keinerlei Kontrolle. Dann, ein paar hundert Meter vor dem Flughafen eine Militärkontrolle, die mit Gewehr im Anschlag die Taxis kontrollierte, ihren Bus jedoch ohne Kontrolle passieren ließ. Weder der Eingang des Airports, noch die große Schalterhalle bewacht oder kontrolliert.

Erst nachdem sie in einer der gewaltigen Schlangen, vor ihrem Terminal, Aufstellung genommen hatten, stürmte urplötzlich ein Trupp schwer bewaffneter Soldaten herein, postierte sich an den Eingängen und kontrollierte von da ab Jeden der herein oder hinaus wollte. Um die tausende Passagiere, die sich bereits im Innern des Flughafens befanden, kümmerte sich niemand. Mit den Soldaten war eine mobile CIA oder FBI Einheit gekommen. Sie trugen keine sichtbaren Abzeichen. Sie nahmen einen der Counter in Besitz, und bezogen davor Stellung. Dann mußten zahllose Passagiere, die auf bestimmte Flüge Richtung Arabien und Asien gebucht waren, die Kontrolle dieser mobilen Einheit durchlaufen. Dabei spielten sich entsetzliche, ungehörige Szenen ab. Frauen wie Männer mußten sich ohne jeglichen Sichtschutz, darunter auch verschleierte, arabische Frauen, bis auf ihre Unterwäsche ausziehen. Umringt von den Sicherheitsbeamten sowie mehreren tausend Passagieren. Dann erfolgte bei jedem einzelnden Passagier eine Leibesvisitation. Die Koffer der armen Menschen wurden brachial geöffnet, beim Durchstöbern der Koffer wurden die Kleidung und sonstigen Gegenstände wüst herausgeschmissen, einfach auf den Boden der Halle. Es gab nicht ein Minimum an Diskretion und Privatsphäre für die armen Menschen. Schockiert, in BH und Slip die Frauen, in Unterhose und Unterhemd die Männer, standen die Durchsuchungsopfer, den schamlosen Blicken aller anderen Passagiere wie der Sicherheitsbeamten ausgeliefert.

Die aus den Koffern geworfenen Gegenstände mischten sich auf dem Boden mit der abgelegten Kleidung, so dass ein entsetzliches Durcheinander entstand und zahlreiche Menschen nicht sämtliche Kleidungsstücke wieder fanden. Einige Personen, vorwiegend Männer, wurden abgeführt. Offensichtlich hatten sie arabische Namen, die auf irgendeiner hastig zusammengeschusterten Liste auftauchten, und nun zu ihrer wahllosen Verhaftung führten, ohne jegliche Belehrung ihrer Rechte, ohne Anwalt, ohne Anrufe bei ihren zuständigen Konsulaten oder Botschaften. Er fühlte sich an die Methoden der Nazis erinnert. Ein, zugegebenrmaßen schrecklicher Terroranschlag, und die Vorzeigedemokratie der Welt vergißt binnen Minuten, die verfassungsmäßig verbrieften Rechte ihrer Bürger und der Besucher ihres Landes.

Er hatte sich innerlich bereits fest vorgenommen, sich nicht wie ein Stück Vieh, wie ein überführter Verbrecher behandeln zu lassen. Doch dann ereignete sich etwas, das an ein Wunder grenzt. Weder er, noch seine Begleiterin, wurden aussortiert und gefilzt. Nachdem sie die erste Schlange absolviert hatten, mußten die Passagiere der ersten Air France Maschine, die eine Starterlaubnis nach Paris hatte, wie in einer Prozession, an ihrem, auf langen Klapptischen liegendem Gepäck vorbei flanieren. Jeder Passagier hatte seine Gepäckstücke zu zeigen, die daraufhin durchsucht wurden. Während des Wartens fiel ihm auf, dass ohne jedes erkennbare Schema verfahren wurde. Einige Personen wurden, nachdem ihr Gepäck geöffnet und durchsucht worden war, ebenfalls gebeten, sich in der Schlange auszusiehen, sprich, alle Kleider herunter zu lassen, bis auf Slip und BH. Selbst sehr alte, fast gebrechliche Menschen, Männlein wie Weiblein, wurden dabei nicht verschont.

Er hatte sich bereits, innerlich äußerst ergrimmt, seine Widerrede zurecht gelegt, war wild entschlossen, sich der wilkürlich praktizierten Behandlung zu widersetzen, auf die Gefahr hin, verhaftet zu werden. Doch ein zweites Wunder ereignete sich. Seine Begleiterin, die gleich drei Gepäckstücke ihr eigen nannte, zwei riesige Koffer, plus einer großen Reisetasche, ein Koffer und die Tasche angefüllt mit Unmengen an Tabletten, Kosmetika und Dingen, die eigentlich verzollt werden müßten, wurden zwar durchleuchtet, aber nicht geöffnet, sondern unverzüglich auf das Fließband, Richtung Flugzeug, gehoben. Auch sein Koffer wurde, ohne geöffnet zu werden, durchgewunken, trotz einiger technischer Geräte und mehrerer Pillendosen im Innern.

Danach ging alles sehr schnell. Ein Steward, sowie eine Zollbeamtin, nahm sich der Air France Gruppe an, ließ sie durch mehrere Türen passieren, und wenige Minuten später konnten sie das Flugzeug besteigen. Da überhaupt keine Landungen stattfanden und nur drei ausgewählte Maschinen im fraglichen Zeitraum abheben durften, ging der Startvorgang blitzschnell von statten, so dass sie sich nur Minuten, nachdem sie vom Terminal weggerollt waren, bereits in der Luft befanden. Nur fünf Minuten später passierten sie bereits die Grenze und erreichten den kanadischen Luftraum.

Er gönnte sich als erstes einen Whisky, obwohl es erst später Vormittag war. Doch die abscheulichen Szenen, die sich auf dem Flughafen abgespielt hatten, lagen ihm wie schwere Metallplatten auf der Seele. Was er gesehen und erlebt hatte, war, trotz der besonderen, einmaligen Umstände einer Demokratie, wie der der USA, unwürdig. Mit unschuldigen Menschen auf diese unwürdige Art und Weise umzuspringen, war unverzeihlich. Die Würde und religiösen Gefühle, speziell zahlreicher Muslime dermaßen eklatant verletzt zu haben, drehte ihm noch den Magen um, als er bereits seinen dritten Whisky genoss, und das Flugzeug sich bereits auf seiner endgültigen Flughöhe befand.

Durch die besonderen Umstände, war auf diesem Flug die Grenze zwischen Erster und Zweiter Klasse gänzlich aufgehoben. Sie hatten Plätze in der Ersten Klasse bekommen, und erhielten, wie sämtliche Passagiere bei diesem speziellen „Jungfernflug“, dem ersten überhaupt von Detroit nach den Terroranschlägen gestarteten Flugzeug, Firstclass-Service. Der Chefsteward kümmerte sich persönlich und äußerst rührend um das etwas verstörte und genervte Paar, trank, entgegen der Dienstvorschrift gar ab und an mit ihnen, versogte sie, nachdem sie sich gesprächshalber näher gekommen waren, mit einem irrwitzigen Vorrat an Alkoholoka, so dass sie zwei Decken und Kissen vom Hinflug, sowie die einbehaltenen Ohrhörer auspacken mußten, um genug Platz in den mitgeführten Rucksäcken für die kleinen Alkoholfläschchen zu schaffen.

Nicht im aufgeregten, taubenschlagartig nervösen Detroit wurde schließlich ihr Gepäck verwechselt, dafür beim Umsteigen in Paris. Als sie in Frankfurt ankamen, befanden sich ihre Koffer auf dem Weg nach Fernost. Drei Tage später erst brachte ein Bote die, um die halbe Welt gereisten Gepäckstücke, zu ihnen nach Hause.

Wie Menschen aktuell, pandemiebedingt, ihr vermeintliches Recht auf Impfverweigerung zu einem Kampf um demokratische Rechte hochstilisieren können, wundert mich umso mehr, als inzwischen offenbar dieselben Menschen ohne jeden Protest hinnehmen, bereits vor Antritt einer Reise massiv überwacht zu werden. Dann sich umfangreichen Durchleuchtungen, Betastungen, Prüfungen zu unterziehen, klaglos hinnehmen, dass ihre persönlichen Daten (Konto, Kreditkarte, Pass, Personalausweis, Flugziel, Adresse, Familienstand), zahllose weitere persönliche Daten, mittlerweile lebenslang gespeichert, ständig durchsucht und begutachtet werden, angeblich um auf diese Weise künftige Terroranschläge zu vermeiden. Doch die Terroranschläge finden trotzdem statt, obwohl wir seit 20 Jahren all dies geschehen lassen und in vielen Belangen unseres Lebens eingeschränkt, ausgehorcht, abgehört etc. werden.

Ich finde, der 20. Jahrestag des für die Opfer und ihre Familien tragischen, traurigen Terroranschlags, sollte auch, neben dem Gedenken an die Opfer, Anlass sein, endlich über Sinn und Nutzen der seinerzeit und seither verfügten Einschränkungen unserer Freiheiten und Rechte nachzudenken, und die Dinge auf ein Normalmaß zurück zu drehen.

Titelbild: World Trade Center NY, 1997; by Patrik M Loeff CC BY-NC-ND 2.0 via FlickR

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