Von Frederik D. Tunnat

Soeben ist die Aufregung in den Medien groß, weil eine Recherche der öffentlich-rechtlichen Sender NDR und WDR nachwies, dass und wie die vom chinesischen Staat und seiner kommunistischen Partei gesteuerten Plattform TIKTOK ihre überwiegend jugendlichen Nutzer in Deutschland und Europa, also in den westlichen Demokratien manipuliert, überwacht und gezielt desinformiert.

Das Tagesschau-Team berichtet darüber wie folgt: „Die chinesische Videoplattform TikTok setzt in Deutschland systematisch Wortfilter ein. Mindestens 20 Wörter verhindern, dass Kommentare öffentlich erscheinen, wie eine neue Recherche zeigt. Die Nutzer erfahren davon nichts, wie eine Recherche des NDR und WDR zeigte. Kurze Videos von Gesangs- und Tanzeinlagen haben die Social-Media-App TikTok berühmt gemacht. Heute sind auf der Plattform Nachrichtenclips zu aktuellen Ereignissen gleichermaßen präsent wie Kochvideos oder Aufnahmen über den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Unternehmen hat damit Erfolg. In Deutschland nutzt bereits die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen TikTok regelmäßig, bei den 20- bis 29-Jährigen ist es knapp ein Drittel. Recherchen von NDR, WDR und Tagesschau legen nun offen, dass der Konzern offenbar mindestens 20 Wörter über automatisierte Filter zurückhält. Kommentare, die einen dieser Begriffe enthalten, erschienen in mindestens vier Versuchen von unterschiedlichen Testaccounts nicht öffentlich unter den Videos. Getestet wurden insgesamt 70 Wörter und Wortkombinationen. Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine ist TikTok auch Plattform für Propaganda geworden: Caja Thimm ist Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität an der Universität Bonn und sieht in dem beschriebenen Vorgang eine Unterdrückung von Themen mit dramatischer Konsequenz. Agenda Cutting heißt das in der Kommunikationsforschung. “Zunächst erscheint das subtil, indem ich einfach zentrale Begriffe nicht zulasse, aber wenn es funktioniert, diskutiert man über diese Themen nicht mehr und das heißt dann auch, dass die Menschen, die über diese Themen diskutieren wollen, unter Umständen TikTok verlassen.” Thimm sagt, es sei “höchst problematisch”, wenn der Konzern beginne, seine Nutzergruppen subtil zu sortieren“.

Was die zitierte Recherche für die vom chinesischen Staat dominierte TIKTOK Plattform beweist, trifft selbstverständlich auch vollumfänglich für die von westlichen Firmen gemanagten Sozialen Plattformen wie Facebook, Google und Twitter zu. Jeder Nutzer dieser beiden führenden Dienste kann sich selbst problemlos ein eigenes Bild vom Ausmaß und Umfang der Manipulation machen, dem er durch die Nutzung besagter Dienste unterworfen ist.

Das gesamte Interesse besagter sozialer Medien an uns als Nutzern, besteht darin, uns zu durchleuchten, uns zu für sie gläsernen Kunden/Nutzern zu machen, die sie einerseits mit einer Unmenge an bezahlter Werbung zumüllen – der einzige Sinn und Zweck dieser Firmen besteht ja darin, durch möglichst viele Nutzer, denen sie permanent und unaufgefordert jede Menge Werbemüll anzeigen, sich dumm und dämlich zu verdienen. Doch damit nicht genug. Um für ihre werbenden, zahlenden Kunden sicherstellen zu können, dass deren Werbung überwiegend die von ihnen als Käufer ihrer beworbenen Produkte anvisierten Zielgruppen auch tatsächlich erreichen, mussten die sozialen Medien ihre Programme mit einer Menge Code versehen, der in der Art künstlicher Intelligenz sicherstellt, dass möglichst nur die potentiell von der Software erkannten Opfern die Werbung zu sehen bekommen, und nicht, wie oft bereits zu verzeichnen, politische Werbung für rechte und nationalistische Parteien Anhängern von gegnerischen Parteien gezeigt wird.

Allein um dies möglichst sicherzustellen, nimmt die dazu verwendete Software jede Menge an Abwägungen, Entscheidungen und Manipulationen der vorliegenden Daten vor. Damit nicht genug, verkaufen, wie wir bereits durch entsprechende Prozesse erfuhren, die Sozialen Medienfirmen u8nsere Daten, die sie auf manipulativ-betrügerische Art und Weise erlangen, zum Zweck der Gewinnmaximierung an andere Firmen und auch an staatliche Behörden weiter, auf dass die damit wissen, wen sie vor sich haben, wie sie gegen politische Gegner darunter vorgehen können etc.

Doch selbst der eigentliche, ursprüngliche Sinn und Zweck der angeblich sozialen Medien, Verbindung über das Internet zwischen Menschen auf der ganzen Welt herzustellen und ihnen zu ermöglichen, mit Gleichgesinnten, Freunden und Familie zu kommunizieren – als habe eine derartige Kommunikation zuvor seit Jahrhunderten nicht ohne Internet immer und stets stattgefunden – ist zu einer gefährlich-manipulativen Verseuchungsmaschinerie verkommen.

Wer mir nicht glaubt, der kann sich sehr einfach eines Besseren belehren. Nehmen wir Twitter und deren sog. Timeline. Voreingestellt ist die Einstellung „beste Tweets“ statt z.B. neueste Tweets. Das bedeutet schon einmal, dass diejenigen Tweets, die ich als Nutzer zuerst, bevorzugt zu sehen oder lesen bekomme, von der firmeneigenen Software selektiert, reduziert, ausgesucht und manipuliert wurde. Denn unter „besten“ Tweets versteht Twitter und sein Software-Algorithmus etwas völlig anderes, als die Bedeutung von „beste“ suggeriert: Twitter manipuliert seine Nutzer, indem ihr Software-Algorithmus entscheidet, welche Tweets von wem ich in welcher Reihenfolge zu sehen bekomme. Wer sich manuell die Mühe macht, jedes Mal nach der Aktualisierung der Seite nebenbei bemerkt notwendig, von beste auf neueste Tweets umzuschalten, wird überrascht sein, wie sich die Zusammensetzung der ihm nun zu Lesen ermöglichten Tweets von jener Bestenliste unterscheiden.

Doch damit nicht genug! Obwohl wir als Nutzer in den Einstellungen zwar festlegen können, wer unsere Tweets lesen und darauf antworten kann, unterbindet die Twitter-Software, dass wir anschließend alle Antworten sehen. Die Software filtert seit einiger Zeit – das war nicht immer so – Antworten derjenigen Nutzer aus, die sich nicht in meiner sog. Followerliste befinden. Sinn und Zweck dieser Übung ist klar: Twitter will so erreichen, was fast jedes Profil verdeutlicht; nämlich einem unnatürlich hohen Maß an Nutzern zu folgen, die wegen ihrer angeblichen Berühmtheit oder sonstigen Gründen mir, als simplem Nutzer und Werbekonsumenten natürlich niemals zurückfolgen. Das normale Verhältnis angesichts jener Profile, die ich daraufhin durchsah liegt bei 10:1 bis 50:1, sprich, um die teilweise bösartigen oder beleidigenden, selten sinnvollen Antworten irgendwelcher Arschlöcher auch tatsächlich von Twitters Software angezeigt zu bekommen, muss der normale Twitternutzer 10 bis 50 oder gar 100 mal mehr Nutzern folgen, als diese ihm zurückfolgen.

Doch damit nicht genug, enthält einem die Twitter Software, der sog. Algorithmus, wie oben am Beispiel TIKTOK nachgewiesen, jede Menge Tweets vor, selbst wenn man die Auswahl „Neueste“ wählt. Wer mir erneut nicht glaubt, mache die Probe aufs Exempel. Er gehe mühsam seine Timeline auf der Sichtung der angeblich neuesten Tweets durch. Nimmt sich der Nutzer nun die Zeit, auf den Profilnamen seiner neuesten Tweets zu klicken, wird er überrascht sein, wie viel mehr der von ihm Gefolgte Twitternutzer binnen der letzten Stunde, des letzten Tages etc. gepostet hat, ohne dass ich als Nutzer von Twitter diese Posts je zu sehen bekomme, obwohl ich sämtliche, mir von Twitter zur Verfügung gestellten Auswahlmöglichkeiten gewählt habe, um die jeweils neuesten Tweets der von mir Gefolgten VOLLSTÄNDIG zu sehen und zu lesen.

Ich habe inzwischen zwei wesentliche Manipulationsmerkmale des Twitter Algorithmus aufgezeigt, den jeder Nutzer ohne großangelegte Recherche von öffentlich-rechtlichen Journalisten selbst schnell und einfach an seinem PC nachvollziehen kann. Doch damit längst nicht genug!

Der Twitter-Algorithmus tut noch ein Weiteres, um Nutzer vollumfänglich zu manipulieren und in seinem Sinn, der ausschließlich im Interesse der Gewinnmaximierung liegt, aber als Kollateralschaden und Nebenprodukt wirkt, zu benebeln und seine gewünschte Informationsbreite gefährlich wie umfassend einzuschränken. Ganz gleich, ob man sich für beste oder neueste Tweets entscheidet, zudem die vollständigen Tweets Derjenigen erwartet, denen man laut Auswahl und Einstellungen folgt, schränkt Twitter den Kreis und Umfang meiner ursprünglich getroffenen Auswahl illegal und höchst manipulativ ein.

Um diese Manipulation, die dazu angetan ist unsere demokratische Verfassung und unsere freiheitlichen Rechte massiv einzuschränken, bedarf es etwas mehr Aufwand und Mühe. Dazu ist es nämlich erforderlich, zunächst seine Timelinesortierung unter „beste“, dann unter „neueste“ und schließlich seine Following-Profile Person für Person durchzugehen. Wer bitteschön macht so etwas? Und dann noch täglich oder wöchentlich bzw. regelmäßig? Natürlich in Grunde genommen Niemand.

Sollte man aber tun. Es ist erstaunlich, wieviel einem als unbedarfter Twitter-Nutzer so alles vorenthalten wird. Stattdessen ist der Twitter-Algorithmus so aufgebaut, dass er nicht nur ausfiltert und erkennt, wer sich derselben Stich- und Schlagworte bedient, wer ähnliche Vorlieben oder politische Überzeugungen teilt. Da ich die Anzahl meiner Follower wie der von mir Gefolgten durch rigoroses Sichten immer in einem überschaubarem Rahmen gehalten habe, blieb mir die Möglichkeit erhalten, mich unabhängig vom Twitter-Algorithmus eigenständig über die Tweets der von mir Gefolgten auf dem Laufenden zu halten.

Das Ergebnis überrascht denn auch nicht und kommt dem der TIKTOK Recherche gefährlich nah, ja weist noch deutlich darüber hinaus. Da aktuell der Krieg Russlands gegen die Ukraine vielfältig die Nachrichten dominiert, ich zudem unzweideutig Position im Lager der Ukraine-Unterstützer  bezogen habe, wäre nicht verwunderlich, dass ich vielfach mit neuen Informationen zum Krieg in der Ukraine informiert werde. Doch mit jeder Woche, die der Krieg anhielt, je mehr unterstützende Tweets ich selbst schrieb, umso stärker versuchte mich die Twitter Software vom Rest der von mir Gefolgten und deren Themen zu isolieren. Ich wurde systematisch in eine sog. Bubble manipuliert, die, hätte ich mir nicht oft die beschriebene Mühe gemacht, mich mühsam durch die Profile der von mir Gefolgten zu manövrieren, mich in eine künstlich erzeugte, stark manipulative, einseitige Welt von Informationen entführt hätte, die mir alternative oder gegensätzliche Informationen ebenso vorzuenthalten sucht, wie sie mir andere, meinen Interessen, Neigungen und Bedürfnissen breiter angelegte Informationen aus anderen Bereichen mit völlig anderem Inhalt vorenthielt.

Wie schnell sich Nutzer dadurch radikalisieren und manipulieren lassen, so sehr, dass sie andere Meinungen und Ansichten nicht mehr an sich heranlassen bzw. aktiv bekämpfen, habe wir auf Twitter am Beispiel Donald Trumps und seiner Gefolgschaft sattsam nachvollziehen können.

Ähnliches gilt für den Krieg in der Ukraine, während dem sich auf Twitter sich stark bekämpfende, unversöhnlich gegenüber stehende Gesinnungsbubbles gebildet haben, die sich teils mit unlauteren und rüden Mittel bekämpfen.

Die starke Zersplitterung der Gesellschaft in den westlichen Demokratien, die Unversöhnlichkeit, mit der sie ihre unterschiedlichen politischen Standpunkte vertreten, all dies ist Resultat und manipulativer Ausfluss dessen, wie die sozialen Medien uns als Individuen, unseren Staat unsere demokratisch verfasste Gemeinschaft unterwandern und x-beliebig manipulieren. Kein Wunder, dass plötzlich fragwürdige Gestalten wie Trump, Erdogan, Orban, Putin, Bolsonaro etc. zu politischen Stars avancieren können und in der Lage sind, wie in den USA aktuell zu besichtigen, binnen weniger Jahre die demokratische Basis der ältesten neuzeitlichen Demokratie so grundsätzlich untergraben können, dass absehbar ist, wann diese führende Demokratie zusammenbricht und von einem Diktator übernommen wird.

Das Suchtelement, dass sämtlichen sozialen Medien zugrunde liegt, habe ich noch überhaupt nicht angesprochen und ausgeführt.  Sucht und leichte Verführbarkeit in Verbindung mit dem Willen und Möglichkeiten per Software Menschen umfassend zu manipulieren und zu beeinflussen, machen Twitter und Co. zu Sargnägeln von Freiheit und Demokratie. Wenn nun noch hinzukommt, dass ein weiterer, emotional und mental durchgehallter Multimilliardär Hand an Twitter legt, bzw. den Dienst übernimmt, dann sollte auch dem letzten Socialmedia-Junkie klar werden, dass es eine Minute vor Zwölf ist, dem Treiben ein Ende zu setzen. Die einzige Möglichkeit, die dem einzelnen Nutzer bleibt, ist er selbst. Ohne ein Vielzahl von uns kann kein Internetunternehmen, sei es Google, Facebook oder Twitter überleben. Es ist Zeit, innezuhalten, den eigenen Soziale Medien Konsum und deren individuelle Nutzung zu überdenken. Abstinenz, Rückzug ist das Gebot der Stunde.

Ich bin bereits dabei, habe meinen Konsum auf Twitter und meine Aktivität bereits drastisch reduziert.  Sobald Musk Twitter übernommen hat, bin ich weg, lösche und kündige meinen Account. Man kann nicht sehenden Auges weiter aktiv dazu beitragen, unser System, unsere Staaten, unsere Gesellschaft durch diese Medien-Firmen manipulieren zu lassen, da wir uns damit zu Opfern und Sklaven einer brandgefährlichen Entwicklung machen, an deren Ende eine Welt voller Diktaturen steht. Das ist nicht die Welt in der ich leben möchte, zusätzlich zur sich ausbreitenden Klimakrise, die, das sei als Letztes angemerkt, auch massiv durch den Energiehunger des Internets und der sozialen Medien befeuert wird. Ohne die weltweite Internetnutzung würden wir auf einen Schlag jede Menge Energie einsparen und unserer Umwelt, mehr jedoch noch uns selbst unserer eigenen Befindlichkeit einen großen Dienst erweisen.

Titelbild: Tweet by id iom CC BY-NC 2.0 via FlickR

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