Von Frederik D. Tunnat

Bald geht die aktuelle Covid-Pandemie in ihr drittes Jahr. Trotz diverser Impfstoffe könnte die Konfusion aktuell kaum größer sein!

Da sind Impfgegner wie Impf-Befürworter, Menschen die quer denken – was eine höfliche Umschreibung ist, für meschugge – Menschen die Angst haben, Menschen die ihre Freiheit bedroht sehen, Menschen die Andersdenkende und Politiker am Liebsten um die Ecke bringen würden, Politiker und Experten, die ihre Meinung in den Wind hängen, je nach gefühlter Windrichtung.

Zunächst war das Panik-Orchester riesig, als in Südafrika die jüngste Variante des Virus – Omrikron geheißen – um sich griff. Von den finalen apokalyptischen Reitern war die Rede. Nun heißt es, kaum zwei Wochen später, oft von denselben Leuten, das Omrikron den Anfang vom Ende der Pandemie eingeläutet habe. Es werden bereits Daten für das Ende der Pandemie gehandelt: April, Sommer, dieses Jahr. Binnen zwei Wochen vom tödlichsten Virus aller Zeiten zum Helfershelfer des Endes der Pandemie.

Angeheizt und angefeuert werden die divergierenden Ansichten und Meinungen via sozialer Netzwerke, trotz aktuell astronomisch hoher Energiekosten. Ich habe mittlerweile den Überblick verloren über die Vielzahl unterschiedlicher, sich widersprechender, mit Hass und brutaler Gewalt verbreiteter, unterschiedlicher Meinungen. Deshalb besann ich mich darauf, was in solcher Lage opportun wäre: sich zurücknehmen und zu analysieren.

Zum Analysieren bedarf es nicht nur der aktuellen Daten und Fakten, sondern eben auch des berühmten Blicks über den Gartenzaun der Gegenwart. Begrenzt und gefangen in der aktuellen Meinungssoße, bleibt einem fast nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, anders ausgedrückt, zwischen Befürworter oder Gegner des aktuellen Virus.

Doch ein Blick auf Reaktion und Aktion unser aller Vorväter und -mütter mag da überaus erhellend wirken. Was man liest, wenn man Augenzeugen von vor 190 Jahren zitiert, die sich angesichts der damaligen weltweiten Pandemie – es handelte sich um Cholera – äußerten, ganz so, wie es heute in der Zeitung oder im sozialen Netzwerk stehen könnte:

„Dem Gesetz über die Sperre und Quarantäne zum Trotz kam das Virus immer näher nach Berlin. Die Verantwortlichen hätten vernünftigerweise einsehen sollen, daß alle ihre Sperrmaßnahmen nur den gewerblichen Verkehr hemmten, ohne die Ausbreitung der Krankheit aufhalten zu können.Zu solcher Erkenntnis aber kamen sie nicht, sie glaubten im Gegenteil, die bisherige Sperrung des Landes sei nicht streng genug gewesen … vor allem sei es nötig, das Volk in die höchste Furcht vor dem Virus zu jagen, dann werde es willig sich allen Sperr- und Desinfektions-Maßregeln unterwerfen. Über alle einreisenden Fremden wurde die strengste Kontrolle geübt, überall standen Wachen und Polizeibeamte, welche zu prüfen hatten, ob die Fremden aus verdächtigen Gegenden kamen … der Unglückliche, dessen Heimat verdächtig war, wurde ohne weiteres in Quarantäne gebracht, um dort 10 Tage zu bleiben. Wichtiger wäre es wohl gewesen, Fürsorge anderer Art zu treffen. z.B. Lazarette einzurichten … dies aber geschah nur in höchst unzureichendem Maße

Wenn man saumselig mit wirklich praktischen Maßregeln war, so zeigte man sich umso fleißiger mit dem Erlaß von Verordnungen, mit Warnungen, mit der Verbreitung von Informationen über das Virus … wodurch man nichts erzielte als eine Vergrößerung der allgemein herrschenden Unklarheit und Furcht … die Furcht vor dem Virus nahm so überhand, daß sie zum Wahnsinn ausartete: eine alte Frau erhängte sich, um sich nicht mit der Krankheit zu infizieren. In allen Familien wurden Vorkehrungen getroffen … man verproviantisierte sich, um so wenig als möglich mit anderen Menschen in Berührung zu kommen. Am 29. August 1831 wurde der erste Fall gemeldet“.

Interessant, nicht wahr? Das Übermaß an Verordnungen und Regeln gab es also bereits vor 190 Jahren, was zeigt, dass damals die Politiker und Beamten ebenso überfordert waren, wie sie es aktuell sind. Auch die Angst, nicht wie heute vor dem Picks der Injektion, denn die gab’s damals noch nicht, wohl aber die Angst vor Infektion, brachte schon damals Menschen dazu, überaus irrational zu handeln, im geschildertem Fall, sich lieber selbst umzubringen, als den Krankheitsverlauf abzuwarten. Heute sind das die Impfverweigerer, die trotz Impfstoff lieber ihr Leben riskieren, statt sich vernünftig zu informieren und sich für eine Immunisierung zu entscheiden. Die Familien scheinen damals noch vernünftiger gewesen zu sein, als heute. Sie verschanzten sich freiwillig zu Hause, um Ansteckung zu vermeiden. Heute demonstrieren sie gegen verordneten Lockdown und verwechseln die Fürsorgepflicht der Politik mit ihren Freiheitsrechten, die dadurch angeblich auf dem Altar der Diktatur geopfert werden.

Auch die Quarantäne und die zehntägige Wartezeit wurde damals bereits als probates Mittel angewandt. Insofern, der Blick zurück, wie in diesem Fall bis zur weltweiten Cholera-Pandemie der Jahre 1981/32, sollte uns Hilfestellung an die Hand geben, ebenso wie die Maßnahmen und Reaktionen, die Medizin und Politik vor ziemlich genau einhundert Jahren, angesichts der Spanischen Grippe Pandemie, ergriff. Anhand der zahlreichen Quellen kann unkompliziert nachvollzogen werden, welche Maßnahmen und Reaktionen damals genauso falsch und irreführend waren, wie heute, aber auch, welche damaligen Maßnahmen erfolgreich und zielführend waren. Es lohnt sich, einmal in Ruhe nachzulesen. Es war damals übrigens die heute verklärte Zeit des Biedermeier, deren Entscheider und Journalisten sich in fast modern anmutender Manie miteinander maßen.

Der Blick zurück, die Nutzung des gesammelten Wissens und der Erfahrung unserer Vorfahren kann und sollte uns davor bewahren, dieselben Fehler eins zu eins zu wiederholen. Etwas mehr Zurücknahme, ein wenig mehr auf den eigenen Verstand und zur Not, den „gesunden Menschenverstand“ hören, etwas abrüsten im Krieg der Ansichten, Meinungen, Vorurteile und des Bürgerkriegs der unterschiedlichen Einstellungen; damit wäre uns allen und einem Jeden von uns weit mehr geholfen, als den blindwütigen Hass und die Emotionen weiter ins Kraut schießen zu lassen, wie bisher.

Es warten in 2022 weit ernstere, wichtigere Angelegenheiten auf unsere Reaktion. Beispielsweise der Konflikt in der Ukraine, das ungelöste Problem mit der Einwanderung, der Klimawandel, die Verteidigung unserer Demokratien gegen mehr und schlimmere Diktatoren etc. Aber last but not least natürlich das Ende der aktuellen Pandemie.

Titelbild: Pandemie by Megan Mason CC BY 2.0 via FlickR

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