Von Frederik D. Tunnat
Ich schäme mich!
Ich schäme mich für die verdeckt antisemitischen Äußerungen, für den offenen wie versteckten Antisemitismus, wie er anlässlich des aktuellen Terrorangriffs der radikalen Terrororganisation Hamas auf Zivilisten Israels aktuell in Deutschland zum Ausdruck kommt!
„Wat haste Dir jeändert, Deutschland“, möchte man in Zille’schem Jargon heraus schreien. Absolut nicht zum Besseren, Guten – nein, so entsetzlich in die falsche, die neonazistisch-antisemitische Richtung, dass es mir geradezu physische Schmerzen verursacht, all die unangebrachten Kommentare zu lesen, von den noch unangebrachteren Reaktion zu hören und zu sehen.
Seit ich im Sechs Tage Krieg 1967 mit den Israelis um ihre Existenz und die ihres jungen Staates bangte, begleitet mich, trotz mancher Kritik an bestimmten israelischen Politikern, ihren Reaktionen auf den noch immer nicht erfolgreich abgeschlossenen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern, die permanente Sorge um den Staat Israel und die durch Hitlers Untaten in alle Welt zerstreuten Juden.
Beim Blättern in meinen Unterlagen, stieß ich auf zwei bemerkenswerte Notizen, die von mir im September 1972 und im Oktober 1973, also vor genau 50 Jahren, angefertigt wurden. Die Notiz vom 10.10.73 befasst sich mit dem nun 50 Jahre zurückliegendem Jom-Kippur-Krieg; die Notiz vom 10.9.72 mit dem Attentat auf die israelischen Olympia-Teilnehmer in München. Ich war damals 19 bzw. 20 Jahre alt, also in etwa in dem Alter, in dem sich aktuell Greta Thunberg und die Klimakleber Deutschlands bzw. Fridays for Future Mitglieder befinden. Insofern darf ich mir, trotz meines gegenwärtigen Alters, sehr wohl, als seinerzeit Gleichaltriger, erlauben, deren inakzeptable Äußerungen hinsichtlich Israels und seiner jüdischen Einwohner, im Kontext mit der Terrororganisation Hamas, als äußerst unpassend und inakzeptabel zu bezeichnen.
Meine seinerzeitige Reaktion auf den Terrorakt in München – ausgeführt ebenfalls von einer Vorläuferorganisation der Hamas, dem sog. Schwarzen September – lautete so: „Als Anfang der Woche die Weltöffentlichkeit von dem Münchner Attentat auf die israelische Olympiamannschaft, ausgeführt von acht Palästinensern aufgeschreckt wurde, stellte ich auch bei mir zunächst lähmendes Entsetzen und eine aufrichtige, ernsthafte Trauer um das Schicksal dieser elf jungen Menschen ein… Woher aber resultiert die Tat, woher resultiert das verschiedenartige Echo der Welt, welches von tiefster Verdammung bis zur höchsten Verehrung der Tat reicht?“ Der letzte zitierte Satz klingt so aktuell, er könnte diese oder letzte Woche, genauso, wie vor 51 Jahren, geschrieben sein. Das macht ungemein betroffen!
Was folgte, war mein, angesichts meines damaligen Alters sicher dilettantischer Versuch, die historischen Wurzeln der „Erbfeindschaft“ zwischen Israelis und Palästinensern zu ergründen, um über den historischen Umweg zu einer Verhandlungslösung und einer Friedenslösung zu gelangen. Die geschilderte Reaktion auf einen Terroranschlag, die uneingeschränkte Solidarität und das Mitgefühl mit Israel und seinen Einwohnern erscheint mir angemessener als die Reaktionen zahlreicher heutiger Jugendlicher.
Dass es nur ganze 13 Monate dauern sollte, bevor der Jom-Kippur-Krieg Anfang Oktober 1973 ausbrach, konnte ich 1972 nicht ahnen. Doch sobald ich dieser Tage von dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und dessen Zivilbevölkerung hörte, erinnerte mich Vieles, speziell die Überraschung der israelischen Geheimdienste und des Militärs, fatal an die Zeit des Ausbruchs des Jom-Kippur. Meine Notiz vom 10.10.73 lautet: „Wieder ist Krieg in Nahost – und das schon seit fünf Tagen. Und wieder greife ich zur Feder, diesmal nicht um einen geschichtlichen Diskurs daraus abzuleiten, sondern, um einmal mehr meine Abscheu, ja meine Verständnislosigkeit gegenüber dem Krieg zu betonen … verständnislos und fassungslos ob soviel Anti-Vernunft, soviel Haß und was da mehr an verabscheuungswürdigen Gründen sind. Scham und Wehmut ob so wenig Einsicht und Vernunft in der heutigen Zeit! Als ob diese leidige Auseinandersetzung nicht friedlich hätte gelöst werden können.“
Dabei hatte es zwischenzeitlich optimistisch ausgesehen, in Bezug auf den nahöstlichen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern. Fünf Jahre nach dem Jom-Kippur folgte das aufsehenerregende Camp-David-Friedensabkommen im Jahr 1978. Damals glaubte ich, die optimistische Stimmung, die anlässlich einer Begegnung zwischen einigen Juden und einem Palästinenser im elterlichen Haus im Jahr 1969 geherrscht hatte, sei nun, dank Camp David zum Greifen nah. Anlässlich einer privaten Zusammenkunft in meinem Elternhaus, hatten ein deutschstämmiger Amerikaner, ehemaliger Berater der US Regierung und des US Militärs, ein spanischstämmiger Israeli, Architekt und Designer, ein schwäbischer Auslandskorrespondent, ein im Libanon wohnender Palästinenser, Journalist, sowie zwei Finnen und ein SPD Politiker, nur zwei Jahre nach Ende des Sechs-Tage-Kriegs eine tragfähige Lösung des Nahostkonflikts diskutiert, die so realitätsnah wirkte, dass sie die Chance auf anhaltenden Frieden hätte haben können. Doch die
Hardliner innerhalb der PLO hatten Anderes im Sinn: 1982 den ersten Krieg um den Libanon, dann die beiden Intifadas – trotz Oslo 1993 – schließlich 2006 der zweite Libanonkrieg usw.
Dass sich inzwischen, 2023, in Folge der massenhaften Einwanderung muslimischer Menschen mit einer ausgeprägten Antipathie, ja Hass auf Israel und jeden Juden, wieder Teile der deutschen Bevölkerung glauben, sich hinter dieser muslimischen Voreingenommenheit mit inakzeptablen Stereotypen eines in Europa kultivierten Antisemitismus verstecken zu können, ist verachtenswert und abscheulich, inakzeptabel. Dass sowohl im links- wie rechtsradikalen Milieu, dem, wie sich aktuell zeigt, Teile der sog. deutschen Intellektuellen angehören, Antisemitismus wieder salonfähig geworden ist, ist in einem Land mit Deutschlands nazistischer Vergangenheit unerträglich.
Insofern steht nicht nur – jedoch ganz maßgeblich – die Bundesregierung und Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien in der Verantwortung, sich diesen antisemitischen Kräften mit allen legalen Mitteln in den Weg zu stellen, und speziell gegenüber den hunderttausenden, hier nur geduldeten oder mit Asyl versehenen Einwanderern deutlich zu machen, dass sie mit ihrem aktuell zelebriertem Antisemitismus eine Grenze überschritten haben, die wir als Staat nicht tolerieren. Nach den ersten tausend Abschiebungen wegen erwiesenen, gezeigten Antisemitismus, sollte eine disziplinierende Wirkung eintreten. Bliebe noch, gegen die Staatsbediensteten und diejenigen Politiker vorzugehen, die sich offen mit den Antisemiten solidarisieren.
Ich erwarte, wie die schweigende Mehrheit in Deutschland, von der Bundesregierung und der Politik erwarten darf, sich vorbehaltlos an die Seite Israels und gegen jede Art von Terrorismus gegen Juden zu stellen, und die Möglichkeiten des staatlichen Machtapparats zu nutzen, um wirkungsvoll, gezielt und unmittelbar gegen den zutage getretenen Antisemitismus im Land vorzugehen. Das sind wir den Überlebenden des von unseren Vorfahren losgetretenen und allein zu verantwortenden Holocaust schuldig, nicht weniger und ohne Abstriche. Keine hohlen Phrasen mehr, keine Worthülsen, keine billige Symbolik. Ich will Taten sehen, speziell von Frau Baerbock, Frau Faeser und Herrn Scholz. Wenn sich der Bundespräsident anschließt, umso besser.
Titelbild: Jerusalem, by Joachim Tüns CC BY-NC 2.0 via FlickR
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