Beitrag von Jürgen Klute

Die Freizügigkeit von Personen gehört zu den vier Grundfreiheiten der Europäischen Union. Sie bedeutet, dass alle EU-Bürgerinnen und -bürger das Recht haben, sich frei innerhalb der EU zu bewegen, in jedem Mitgliedsland wohnen und arbeiten zu können.

Viele jüngere Menschen nehmen dieses Recht in Anspruch. Etwa 17 Millionen EU-Bürger:innen sind aus ihrem Herkunftsland in ein anderes EU-Land gezogen, um dort zu leben und zu arbeiten. Das sind doppelt soviele wie vor zehn Jahren. Diese EU-Bürgerinnen und -bürger werden regelmäßig mit der unvollständigen Umsetzung der Personenfreizügigkeit konfrontiert.

Insbesondere betrifft das ihre politischen Rechten. Die EU-Mitgliedsländer haben bis heute nicht ihr Wahlrecht an das Recht auf Freizügigkeit angeglichen. Und auch die EU hat diese Unzulänglichkeiten nicht behoben.

Das will eine Gruppe junger EU-Bürgerinnen nicht länger hinnehmen. Mit einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) wollen sie das Bewusstsein für diese Probleme stärken und überfällige Regulierungen anstoßen. Die Initiative trägt den Titel „Wählerinnen und Wähler ohne Grenzen – uneingeschränkte politische Rechte für die Bürgerinnen und Bürger der EU“.

Die EBI wurde bereits am 20. März 2020 von der EU-Kommission registriert. Seit dem 31. August 2020 läuft die einjährige Sammlungsfrist.

Der Bürgerausschuss, der die EBI organisiert, besteht aus einer Sprecherin, einer stellvertretenden Sprecherin und fünf weiteren Mitgliedern aus insgesamt sieben EU-Ländern. Sprecherin des Ausschusses ist Anna Comacchio. Ihre Stellvertreterin ist Claire Dautcourt. Als reguläre Mitglieder gehören dem Team weiterhin an Robert Stefan Iosif Goia, Alberto Alemanno, Michael Mc Loughlin, Joran Brons und Mallgorzata Wochowska sowie als sonstige Mitglieder Christian Miess und Anthony David Venables. Auf einer Pressekonferenz am 1. September im „Press Club Brussels Europe“ hat das Organisationsteam die EBI vorgestellt.

Die Ziele der Bürgerinitiative

EU-Bürger haben zwar das Recht, in dem Land, in dem sie wohnen, an lokalen Wahlen und an den Europawahlen teilzunehmen. Es sind aber „noch viele Hürden und Hindernisse bei der Ausübung des Wahlrechts von Unionsbürgerinnen und -bürgern mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedsland“ zu überwinden, so eine Sprecherin der Initiative. Von den regionalen und nationalen Wahlen in den Ländern ihres Wohnortes sind sie gewöhnlich ausgeschlossen. Und das, obgleich sie im Land ihrer Wahl arbeiten, sich gesellschaftlich engagieren und Steuern zahlen.

In einigen EU-Ländern können Bürger und Bürgerinnen an regionalen und nationalen Wahlen ihrer Herkunftsländer teilnehmen, auch wenn sie in einem anderen EU-Land wohnen. In anderen Länder ist das nicht möglich: beispielsweise in Dänemark und Irland. Dort wird Unionsbürgerinnen durch die Wahrnehmung ihres Rechts auf Freizügigkeit faktisch ein wichtiger Teil ihres Wahlrecht entzogen.

Die Initiatoren der EBI erklären dazu: „Dadurch fühlen sie [die betroffenen EU-Bürgerinnen und -bürger] sich immer noch eher als Ausländer denn als gleichberechtigte Mitglieder der Gemeinschaft. Solange nur Staatsangehörige des jeweiligen Landes für nationale Parteien wählen können, neigen Parteien dazu, nur auf die Interessen dieser nationalen Wähler einzugehen. Dies spielt häufig politischen Parteien in die Hände, die nationalpopulistische Botschaften und Bedrohungen ‚von außen‘ in den Mittelpunkt stellen. Verantwortungsvolle Politik bedeutet jedoch, Schritt zu halten mit steigenden grenzüberschreitenden Bevölkerungsströmen und gegenseitigen Abhängigkeiten, indem sichergestellt wird, dass alle europäischen Bürgerinnen und Bürger im Entscheidungsprozess gleichberechtigt vertreten werden können. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger werden sich immer mehr bewusst, wie wichtig es ist, in einem politisch unvorhersehbaren und zunehmend gespaltenen Europa besser vertreten zu werden und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Dazu müssen sie als gleichberechtigt anerkannt werden und uneingeschränkte politische Rechte erhalten.“ (Quelle)

Genau das wollen die Initiatorinnen und Initiatoren mit ihrer EBI erreichen. Dem entsprechend verfolgt die Bürgerinitiative vier Ziele. Ihr erstes Ziel ist es, die Unionsbürgerschaft zu einer echten Bürgerschaft auszubauen. Seit ihrer Einführung, so die Begründung, hat sie sich kontinuierlich weiterentwickelt. Heute betrifft sie nicht mehr nur wirtschaftliche Aspekte und die Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern sie betrifft alle Bevölkerungsgruppen. Unionsbürgerinnen und -bürger sollten deshalb nicht mehr nur als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter betrachtet werden, sondern als volle und gleichberechtigte Mitglieder einer EU-Gesellschaft.

Als zweites Ziel benennt die EBI, einen Schritt in Richtung eines allgemeinen EU-Wahlrechts zu gehen. Viele EU-Bürgerinnen und -bürger, die in einem anderen Land leben, arbeiten dort, zahlen Steuern, schicken ihre Kinder zu den dortigen Schulen und nehmen öffentliche Dienste in Anspruch. Das Gewähren uneingeschränkter Bürgerrechte entspräche aus Sicht der Initiatorinnen dem unionsrechtlichen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie den Prinzipien „Keine Besteuerung ohne gewählte politische Vertretung“ und „Eine Person, eine Stimme“. „Es ist“, so die Initiatorinnen, „nicht nachvollziehbar, dass europäische Bürgerinnen und Bürger bei Kommunalwahlen wählen und kandidieren dürfen, bei Regionalwahlen, die viele derselben öffentlichen Dienste mit Einfluss auf das tägliche Leben betreffen, hingegen nicht. Sie können die Mitglieder des Europäischen Parlaments direkt in ihrem Wohnort wählen, aber nicht die Regierung, die im Ministerrat – dem wahren Machtzentrum, wie viele meinen – vertreten ist.“

Drittens soll mit einem allgemeinen Wahlrecht eine bessere EU-weite Integration erreicht werden. Dieses Ziel betrifft unmittelbar alle EU-Bürger- und -bürgerinnen. Mittelbar geht es aber auch um Migrantinnen und Migranten aus Drittländern. In der Erläuterung zur EBI heißt es: „Die politische Unterscheidung zwischen Bürgerinnen und Bürgern der EU und nationalen Bürgerinnen und Bürgern sendet ein falsches Signal für die Integrationspolitik und trägt auch nicht zur Integration von Migranten oder Flüchtlingen von außerhalb der EU in die europäische Gesellschaft bei. Das übergeordnete Ziel, die politischen Rechte auf alle Migrantengemeinschaften mit rechtmäßigem Aufenthalt auszuweiten und anzugleichen, geht über das hinaus, was im Rahmen dieser Initiative rechtlich möglich ist. Diese Europäische Bürgerinitiative ist dennoch ein Schritt hin zu diesem Ziel, die Diskriminierung zwischen Unionsbürgerinnen und -bürgern und Drittstaatsangehörigen zu vermeiden.“

Schließlich soll die EBI zum Aufbau einer transnationalen europäischen Demokratie beitragen. Gemeint ist damit, dass jede und jeder immer die Möglichkeit haben muss, seine politische Stimme abgeben zu können.

Zusammenfassend geht es der EBI „Wählerinnen und Wähler ohne Grenzen“ darum, die EU-Kommission dazu aufzufordern, die bestehenden Rechtsvorschriften so zu reformieren, dass das Wahlrecht auf regionale und nationale Wahlen sowie Referenden ausgeweitet wird und gleichzeitig die Auswirkungen uneingeschränkter politischer Rechte für Unionsbürgerinnen und -bürger ohne Diskriminierung von Drittstaatsangehörigen zu untersuchen.

Wie geht es weiter?

Unterstützt wird die EBI von 32 NGOs aus verschiedenen EU-Ländern. Innerhalb der einjährigen Sammlungsfrist, die am 31. August 2020 begonnen hat, muss die Initiative eine Million Unterschriften aus mindestens sieben EU-Mitgliedsländern sammeln. Jedes Mitgliedsland hat zudem eine eigene Mindestquote für Unterschriften, die erreicht werden muss. Diese so genannten Länderschwellen werden errechnet, indem die Anzahl der gewählten Europaabgeordneten des jeweiligen EU-Landes mit der Gesamtzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments multipliziert wird.

Die nötigen Unterschriften für eine EBI zu sammeln ist ein anspruchsvolles Ziel. Seit der Einführung der EBI 2012 haben von den bisher 75 registrierten EBI erst fünf diese Zahl erreicht. Die Initiatorinnen sind sich dieser Herausforderung bewusst. Eine der Sprecherinnen rechnete während der Presskonfernez vor, wie viele Unterschriften monatlich, wöchentlich und täglich im Durchschnitt gesammelt werden müssen, um die Zahl von einer Million zu erreichen: Monatlich 83.333 Unterschriften, wöchentlich 19.230 und täglich 2.739.

Das Organisationsteam hat deshalb eine besondere Strategie entwickelt. Es will alle Unterzeichnenden bitten, Botschafterin bzw. Botschafter der EBI zu werden und vier weitere Unterstützerinnen bzw. Unterstützer aus dem eigenen persönlichen Umfeld zu gewinnen. Mit diesem „Schneeball-Effekt“ hofft das Team, die nötigen Unterschriften zusammen zu bekommen.

Selbstverständlich sind auch Leserinnen dieses Beitrags eingeladen, diese Bürgerinitiative zu unterstützen. Die Unterschrift kann elektronisch oder handschriftlich erfolgen. Zur elektronischen Unterschriftsabgabe geht es hier!

Was passiert nach dem Ende der Sammlungsfrist?

Nach Abschluss der Sammlungsfrist überprüfen zunächst die Mitgliedsstaaten die Korrektheit der Unterschriften aus ihrem Zuständigkeitsbereich. Ergibt die Prüfung, dass die Mindestzahl erreicht wurde, müssen die Initiatorinnen der EBI die Unterschriften innerhalb von drei Monaten nach dem Abschluss der Prüfung an die EU-Kommission übergeben.

Während dieser Zeit hat die EBI die Möglichkeit, ihr Anliegen im Rahmen einer öffentlichen Anhörung dem Europäischen Parlament vorzustellen.

Die EU-Kommission muss innerhalb von sechs Monaten – gerechnet ab dem Tag der Übergabe der Unterschriften – beraten, welche Schlussfolgerungen sie aus der EBI zieht und diese den Organisatorinnen schriftlich mitteilen und begründen.

Die einzelnen Schritte einer EBI – von der Registrierung bis ggf. zur Beantwortung durch die Kommission – werden im offiziellen EBI-Register veröffentlicht. Alle in diesem Register verzeichneten EBI sind über eine Webseite einsehbar. Hier geht es zur Registerseite der EBI „Wählerinnen und Wähler ohne Grenzen“ und hier zur Startseite des EBI-Registers.

Auch nicht zur Registrierung zugelassene EBI sowie die entsprechende Begründung seitens der EU-Kommission sind öffentlich einsehar. Zur entsprechenden Webseite geht es hier.

Und hier geht es zur Kampagnen-Webseite der EBI „Wählerinnen und Wähler ohne Grenzen“.

Titelbild / Foto: Jürgen Klute CC BY-NC-SA 4.0

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