Beitrag von Jürgen Klute

Heute, am 11. November 2018, vor 100 Jahren endete der 1. Weltkrieg. Der Krieg, der am 28. Juli 1914 mit Jubel und Euphorie begann. Die meisten der damaligen Kriegsbegeisterten erwarten einen eher kurzen Waffengang. Dass sich der Krieg schnell zu einer globalen, gut vier endlose Jahre dauernden Katastrophe entwickelte, hat sich kaum jemand im Juli 1914 vorstellen können.

Insgesamt waren 40 Staaten am 1. Weltkrieg beteiligt. Knapp 70 Millionen Menschen standen unter Waffen. Rund 17 Millionen Menschen verloren infolge des Krieges ihr Leben.

Mit dem Ende dieses verheerenden Krieges kam auch das Ende mehrerer Großreiche und Monarchien: Das Königreich Österreich-Ungarn, das russische Zarenreich, das Osmanische Reich und das noch nicht einmal 50 Jahre alte Deutsche Reich zerfielen. An ihre Stelle traten unterschiedliche Formen von Republiken.

Und nicht zuletzt wurde die politische Landkarte des Mittleren Osten neugezeichnet: Ein Teil des zerfallenen Osmanischen Reichs wurde zwischen England und Frankreich aufgeteilt. Die im Sykes-Picot Abkommen bereits 1916 vereinbarten Grenzziehungen im Mittleren Osten bilden den Kern der bis heute andauernden Konflikte in der Region.

Während in Belgien, Großbritannien und Frankreich in den letzten vier Jahren eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen an den ersten Weltkrieg stattfanden, spielt dieser Krieg in der öffentlichen Erinnerungskultur der Bundesrepublik keine wahrnehmbare Rolle.

Ein Blick auf das von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg (1859-1921) am 9. September 1914 vorgelegte Septemberprogramm, dass die wesentlichen Kriegsziele des Kaiserreichs formuliert (der vollständige Text des Septemberprogramm ist unten dokumentiert), verdeutlicht den kaum zu übertreffenden Chauvinismus und Militarismus der politisch Verantwortlichen im damaligen Deutschland, auch wenn die Bedeutung dieses Textes im damaligen Kontext unter Historikern nicht ganz unumstritten ist (vgl. dazu z.B. John C. G. Röhl: Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wie Deutschland 1914 den Krieg plante. In: Süddeutsche Zeitung, 05.03.2014) Richtet man dann den Blick auf das Ende des 1. Weltkrieges, erschließt sich um so klarer, zu welchen humanitären und politischen Katastrophen Nationalismus und der damit einhergehende Chauvinismus führt.

Bethmann Hollweg konzentrierte sich im Septemberprogramm auf die ökonomischen Kriegsziele. Zu den militärischen äußerte er sich nicht – das wollte er den damaligen Militärs überlassen.

Frontverlauf bei Ypres, Flandern (BE) | Foto: Jürgen Klute

Zunächst äußert sich Bethmann Hollweg zu Frankreich. Er wollte zum einen das nordfranzösische Erzbecken um Briey Deutschland einverleiben. Dann sollten Frankreich in einem Umfang Kriegsentschädigungen auferlegt werden, dass es zunächst einmal keine Mittel mehr für Rüstung zur Verfügung gehabt hätte. Das restliche Frankreich sollte durch einen Handelsvertrag in deutsche Abhängigkeit gebracht werden. Im Original liest sich das bei Bethmann Hollweg wie folgt: “Des weiteren: Ein Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht und uns ermöglicht, den englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muß uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen – so, daß deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische behandelt werden können.”

Für Belgien sah das Septemberprogramm noch weitergehende Maßnahmen vor. Ein Teil der belgischen Provinz Luxemburg sollte an Luxemburg fallen, Lüttich und Verviers an Preußen. Andererseits sollten die flandrischen Teile Nordfrankreichs Belgien zugeschlagen werden. Äußerlich, so Bethmann Hollwegs Vorstellung, sollte Belgien als Staat bestehen bleiben, faktisch sollte es aber “zu einem Vasallenstaat herabsinken” und “wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden”.

Zu Luxemburg findet sich im Septemberprogramm nur eine schlichte und knappe Anmerkung: Es sollte als Bundesstaat dem deutschen Reich eingegliedert werden.

Holland gegenüber war Bethmann Hollweg zurückhaltender. Er schlägt keine konkreten Maßnahmen vor, sondern stellt nur ein paar kurze Überlegungen an, wie man Holland möglicherweise in ein engeres Verhältnis zum deutschen Reich bringen könne. Bethmann Hollweg noch einmal im Originalton:  “Dies engere Verhältnis müßte bei der Eigenart der Holländer von jedem Gefühl des Zwanges für sie frei sein, an dem Gang des holländischen Lebens nichts ändern, ihnen auch keine veränderten militärischen Pflichten bringen, Holland also äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. Vielleicht ein die Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzbündnis, jedenfalls enger Zollanschluß, eventuell die Abtretung von Antwerpen an Holland gegen das Zugeständnis eines deutschen Besatzungsrechtes für das befestigte Antwerpen wie für die Scheldemündung wäre zu erwägen.”

Schließlich sah das Septemberprogramm einen mitteleuropäischen Wirtschaftsverband unter deutscher Dominanz vor:  “Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventl. Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.”

In gewisser Weise nahm Bethmann Hollweg damit die Idee des EU-Binnenmarktes vorweg – allerdings mit gänzlich anderen Vorzeichen und mit einem anderen Zuschnitt.

CWxRM Ypres | Foto: Jürgen Klute

Die EU ist zwar nicht nur (es gab schon im 18. Jahrhundert Überlegungen, die vielen Kriege in Europa durch eine Art politischer Integration zu unterbinden, die es ermöglichen sollte, Konflikte auf diplomatischem Wege zu lösen), aber eben auch eine Folge der beiden Versuche Deutschlands im 20. Jahrhundert, sich mit militärischen Mitteln eine politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in Europa zu sichern.

Durch eine zunächst wirtschaftliche und dann auch politische Integration, die mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag), die am 23. Juli 1952 ihre Arbeit aufnahm, begann und sich dann zur heutigen EU weiterentwickelt hat, sollte Deutschland so eingehegt werden, dass es seine Nachbarn nicht mehr beherrschen kann.

Militärisch ist das gelungen. Seit 1945 hat es zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und ihrer Vorläuferorganisationen keinen Krieg mehr gegeben. Nachdem der Nationalismus sich auf den Schlachtfeldern des 1. und 2. Weltkrieges ein für alle Mal diskreditiert hat, ist es somit bis heute auf EU-Ebene gelungen, die Austragung von Interessenkonflikten von den Schlachtfelder auf die Ebene parlamentarischer Aushandlungsprozesse zu verlagern. Das ist ein kaum zu überschätzender zivilisatorischer Fortschritt.

Bis zum Untergang des Warschauer Paktes hat dieses Konzept gut funktioniert, die Bundesrepublik politisch so einzuhegen, dass sich deutsche Vormachtsansprüche in Europa nicht erneut durchsetzen konnten.

Bei der Vereinigung der beiden nach dem 2. Weltkrieg entstandenen deutschen Staaten gab es dann bei einigen europäischen Nachbarn Bedenken, dass ein derart vergrößertes Deutschland möglicherweise doch wieder in alte Vormachtsansprüche zurückfallen könnte. Die Verständigung auf eine gemeinsame Währung, den Euro, war auch eine Antwort auf diese Bedenken. Der Euro sollte die wirtschaftliche und politische Integration im 1993 eingeführten EU-Binnenmarkt soweit vorantreiben, dass ein machtpolitisches Ausscheren Deutschlands nicht mehr möglich sein sollte.

Die Grundannahme, dass eine wirtschaftliche Integration mit einer folgenden politischen Integration zu anderen als militärischen Konfliktlösungsstrategien führt, hat sich in der EU bisher als grundsätzlich richtig erwiesen.

Im Zuge der 2008 begonnen EU-Krise, die zunächst nur als Auswirkung der us-amerikanischen Bankenkrise wahrgenommen wurde, zeigte sich dann, dass ein so weitgehender wirtschaftlicher Integrationsschritt wie die Einführung einer gemeinsamen Währung ohne die notwendigen politischen Integrationsschritte (gemeinsame Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik – vgl. dazu Hubert Gabrisch, Währung ohne Souverän, 2013) nicht nachhaltig ist.

Das bisherige Ausbleiben der für eine Währungsunion nötigen politischen Integrationsschritte hat zur Folge gehabt, dass die bundesdeutsche Wirtschaft und die Bundesregierung plötzlich doch eine Vormachtstellung übernommen haben, die selbst die für die EU bedeutende Stabilitätsachse Berlin – Paris ins Ungleichgewicht gebracht hat. Innerhalb kurzer Zeit hat diese Rollenverschiebung innerhalb der EU dazu geführt, dass die Bundesregierung ihre mehr als fragwürdigen Vorstellungen zur Lösung der Krise den anderen EU-Mitgliedsstaaten aufgedrückt hat, was zu enormen sozialpolitischen Verwerfungen vor allem innerhalb der südeuropäischen EU-Staaten geführt hat.

Hauptprofiteur des EU-Binnenmarktes ist die bundesdeutsche Wirtschaft. Laut Eurostat hat die bundesdeutsche Wirtschaft in 2013 einen Anteil von 30 % an der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in der EU28 gehabt. Die vier Länder Großbritannien, Italien, Frankreich und Spanien haben zusammen einen Anteil von 40 % erbracht und die anderen 23 EU-Mitgliedsländer einen Anteil von insgesamt 30 %. (vgl.: Re-Industrialisierung Europas: Anspruch und Wirklichkeit, November 2013).

Zudem ist die bundesdeutsche Wirtschaft die mit weitem Abstand größte Exportwirtschaft innerhalb der EU. Noch immer gehen fast 60 % der deutschen Exporte in den EU-Binnenmarkt (Vgl. Statista.com, Stand 2017), was in gewisser Weise ein Paradoxon ist, denn der Binnenmarkt ist ja nicht wirklich Ausland, sondern Binnenmarkt – aber diese Sichtweise ist eben auch eine Folge der mangelnden politischen Integration.

Blick man vor diesem gegenwärtigen Hintergrund zurück auf die im Septemberprogramm von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg skizzierten wirtschaftlichen Kriegsziele, dann klingt das eigentümlich vertraut und es drängt sich der Schluss auf, dass jene wirtschaftlichen Kriegsziele von 1914 im Groben mit fast hundertjähriger Verspätung von der Bundesregierung letztlich doch noch wurden. Nur von der Ausdehnung ist die EU deutlich größer als der von Bethmann Hollweg skizzierte mitteleuropäische Wirtschaftsverband.

Wirtschaftlich hängt die EU von der deutschen Wirtschaft ab. Die kleineren Mitgliedsstaaten der EU – vor allem im Süden und Südosten sind weitgehend deindustrialisiert und somit in vielen Sektoren auf Importe angewiesen. Und die kommen, wie gesagt, zu einem erheblichen Teil aus Deutschland.
Die heutige dominante Rolle in der EU hat Deutschland gänzlich ohne den Einsatz militärischer Mittel erlang, sondern durch die wirtschaftliche Integration innerhalb des EU-Binnnenmarktes. Das Ziel der EU war es allerdings genau dies zu vermeiden. Zu vermeiden wäre das aber nur gewesen durch eine politische Integration, die Schritt gehalten hätte mit der wirtschaftlichen Integration. Genau die blockiert und sabotiert die Bundesregierung mittlerweile hartnäckig. Jeden Versuch, diese Integrationsschritte auf EU-Ebene auch nur zu diskutieren, hat die Bundesregierung in den letzte Jahren im EU-Rat ins Leer laufen lassen.

Dass diese Entwicklung nicht risikolos ist, zeigt eben die gegenwärtige Krise, die zu aller erst eine Krise der mangelnden politischen Integration ist. Auf dem Höhepunkt der Krise stand der Euro kurz vor dem Aus. Ein Scheitern des Euro hätte allerdings nicht nur die wirtschaftliche Integration der EU zurückgedreht, sie hätte auch die bisher erreichte politische Integration in Frage gestellt. Und damit wäre letztlich auch der zivilisatorische Fortschritt, den die EU darstellt, infrage gestellt gewesen.

So zeigt die Krise, dass die EU keineswegs ein Selbstläufer ist. Vielmehr erweist sich die EU derzeit als ein kontingentes historisches Projekt, dass die Option des Scheiterns nach wie vor in sich trägt.

Die wirtschaftliche Stärke macht die deutsche Politik bis heute blind für die Interessen und Bedarfe der anderen EU-Mitgliedsländer und für die Notwendigkeiten einer auf Dauer funktionsfähigen Europäischen Union und führt zu den schon genannten sozialen Verwerfungen – Verwerfungen, die die Akzeptanz der EU durch die BürgerInnen zerstört. Darin liegt die aktuelle Gefährdung für die EU, deren Scheitern allen Beteiligten teuer zu stehen käme.

Die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik hat die alte wie die neue Bundesregierung unter Merkel dazu in die Lage versetzt, den anderen Mitgliedsländern ihre Krisenlösungen aufzudrängen. Und sie hat diese Möglichkeit intensiv genutzt – zum massiven Nachteil der betroffenen Krisenländer und zum Nachteil einer sinnvollen wirtschaftlichen und politischen europäischen Integration, aber zum – zumindest kurzfristigen – Nutzen der deutschen Wirtschaft. Die von der Bundesregierung durchgedrückte so genannte Troika-Politik hat in den betroffenen Ländern zu sozialen Verwerfungen geführt, die bis heute nachwirken und unvergessen sind. Das Europäische Parlament hatte angesichts dieser sozialen Verwerfungen im März 2014 einen Untersuchungsbericht zur Troika-Politik mit großer Mehrheit angenommen, in dem diese Politik kritisiert wird.

Ypres, Flandern (BE) | Foto: Jürgen Klute

Soll die EU als politische Institution bestehen bleiben, der es gelungen ist, die Lösung seiner Interessenkonflikte vom Schlachtfeld auf eine parlamentarische Aushandlungsebene zu verlagern, dann muss die Bundesrepublik einen grundlegenden Richtungswechsel in der EU-Politik vornehmen und die Interessen der anderen – insbesondere der kleineren – Mitgliedsstaaten respektieren und spürbar und nachvollziehbar in Rechnung sowie das Funktionieren der EU als Ganzer vor die eigenen Interessen stellen.

Gelingt es nicht, die EU als politische Institution zu erhalten, dann hat Deutschland Europa erneut in ein Katastrophe getrieben. Diesmal nicht durch einen Krieg, sondern durch sein rücksichtsloses wirtschaftliches und politisches Dominanzverhalten. Im Ergebnis könnte das allerdings relativ schnell zu erneuten militärischen Konflikten führen. Auf Dauer wird das überaus nachhaltige Dominanzbestreben Deutschlands innerhalb Europas sich nur auflösen lassen, wenn es zur Bildung einer europäischen Republik kommt, deren Verwaltungstruktur sich nicht an den alten Nationalstaaten orientiert, sondern an Regionen, wie sie sich in den Euregio-Regionen im Ansatz bereits abzeichnen. Wie eine solche Europäische Republik aussehen könnte, haben Ulrike Guérot, Robert Menasse und Milo Rau in dem gestern europaweit organisierten European Balcony Project zur symbolischen Ausrufung einer Europäischen Republik skizziert. Das im Rahmen des Projektes verlesene Manifest ist hier nachzulesen (in mehreren Übersetzungen). Mehr Details zur Idee einer Europäischen Republik sind auf dieser Webseite dokumentiert.

Gelingt es nicht, die EU als politische Institution zu erhalten, kommen wir am Ende wieder dort an, wo einer der Hauptausgangspunkte für die EU lag: 1914.

Update vom 18.11.2018: Es wurden einige Links ergänzt.

Dokumentation

Kriegsziele Deutschlands: Das so genannte Septemberprogramm von Reichskanzler Theolbald Bethmann Hollweg vom 9. September 1914

1. Das allgemeine Ziel des Krieges

Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muß Frankreich so geschwächt werden, dass es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Rußland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.

II. Ziele des Krieges im einzelnen

1. Frankreich. Von den militärischen Stellen zu beurteilen, ob die Abtretung von Belfort, des Westabhangs der Vogesen, die Schleifung der Festungen und die Abtretung des Küstenstrichs von Dünkirchen bis Boulogne zu fordern ist. In jedem Falle abzutreten, weil für die Erzgewinnung unserer Industrie nötig, das Erzbecken von Briey.

Ferner eine in Raten zahlbare Kriegsentschädigung; sie muß so hoch sein, dass Frankreich nicht imstande ist, in den nächsten achtzehn bis zwanzig Jahren erhebliche Mittel für Rüstung anzuwenden.

Des weiteren: ein Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht, und es ermöglicht, den englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muß uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen – so, dass deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische behandelt werden können.

2. Belgien. Angliederung von Lüttich und Verviers an Preußen, eines Grenzstriches der Provinz Luxemburg an Luxemburg.
Zweifelhaft bleibt, ob Antwerpen mit einer Verbindung nach Lüttich gleichfalls zu annektieren ist.

Gleichviel, jedenfalls muß Belgien, wenn es auch als Staat äußerlich bestehen bleibt, zu einem Vasallenstaat herabsinken, in etwa militärisch wichtigen Hafenplätzen ein Besatzungsrecht zugestehen, seine Küste militärisch zur Verfügung stellen, wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden. Bei einer solchen Lösung, die die Vorteile der Annexion, nicht aber ihre innerpolitisch nicht zu beseitigenden Nachteile hat, kann franz. Flandern mit Dünkirchen, Calais und Boulogne, mit großenteils flämischer Bevölkerung diesem unveränderten Belgien ohne Gefahr angegliedert werden. Den militärischen Wert dieser Position England gegenüber werden die zuständigen Stellen zu beurteilen haben.

3. Luxemburg. Wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und eventuell die Ecke von Longwy.

4. Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventuell Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.

5. Die Frage der kolonialen Erwerbungen, unter denen in erster Linie die Schaffung eines zusammenhängenden mittelafrikanischen Kolonialreichs anzustreben ist, desgleichen die Rußland gegenüber zu erreichenden Ziele werden später geprüft. [. . .]

6. Holland. Es wird zu erwägen sein, durch welche Mittel und Maßnahmen Holland in ein engeres Verhältnis zu dem Deutschen Reich gebracht wer- den kann. Dies engere Verhältnis müßte bei der Eigenart der Holländer von jedem Gefühl des Zwanges für sie frei fein, an dem Gang des holländischen Leben nichts ändern, ihnen auch keine veränderten militärischen Pflichten bringen, Holland also äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. [… ]

Quelle: Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18 (1961), Düsseldorf: Droste 1984, S. 93 f.

http://www.deuframat.de/de/konflikte/krieg-und-aussoehnung/der-erste-weltkrieg-im-kollektiven-gedaechtnis-der-deutschen-und-der-franzosen/deutsche-und-franzoesische-kriegsziele/kriegsziele-deutschlands.html

Fotogalerie

CWxRM Ypres | 2018

Das Titelfoto und die Bildergalerie (unterhalb der Dokumentation des Septemberprogramms) zeigen Fotos der Land Art Installation CommingWorldRememberMe (CWxRM) von Jan Moeyaert. Die Installation ist aufgebaut bei Ypern (Flandern, BE) im Niemandsland zwischen den ehemaligen britischen und deutschen Frontlinien. Die Installation wurde im Lauf des Jahres 2018 aufgebaut und bis zum 11. November 2018 gezeigt.

Links zum Artikel

Edith und die Spione – Untersuchungen zur ‘Zweiten Edith Cavell’

Edith Cavell und Gottfried Benn, der als Stabsarzt bei ihrer Hinrichtung im Oktober 1915 zugegen war

Die Deutschen Negative – Les Clichés Allemands – De Duitse Negatieven – The German Negatives

Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wie Deutschland 1914 den Krieg plante. Gastbeitrag von John C. G. Röhl | Süddeutsche Zeitung, 05.03.2014 – Röhl geht in diesem Beitrag auch auf die Rolle des Septemberprogramms wie auch auf die Rolle von Reichskanzler Theobald Bethmann Hollweg insgesamt bei den Kriegsvorbereitungen ein.

Erster Weltkrieg: Die letzten Stunden im Leben des Soldaten Johannes Haas. Ende 1914 zog der Student in den Krieg, im Juni 1916 fiel er bei Verdun. Kurz vor seinem Tod nahm er in einem Brief Abschied von seinen Eltern. Von Hubert Wetzel | Süddeutsche Zeitung, 21.02.2016

Historiker Robert Gerwarth: Wie sich Gewalt nach dem Ersten Weltkrieg durch Europa gefressen hat. In vielen Ländern Europas kommt es nach 1918 zu Gewaltexzessen, bei denen Millionen Menschen sterben. Robert Gerwarth über destabilisierte Verliererstaaten, Tabubrüche und Konflikte, die bis heute nachwirken. Interview von Barbara Galaktionow | Süddeutsche Zeitung, 01.03.2017

Folgen des Ersten Weltkriegs: Der Weg in die Hölle hat erst begonnen. Der Krieg hinterlässt 1918 eine neue Welt, doch friedlicher ist sie nicht. In Deutschland untergraben Republikfeinde die junge Demokratie – denn der alte Machtapparat blieb von der Revolution unangetastet. Von Robert Probst | Süddeutsche Zeitung, 18.11.2018

Deutsch-Dänischer Krieg 1864. Als Österreich und Preußen gegen Dänemark marschierten. Vor 150 Jahren griffen Österreicher und Preußen dänische Truppen an. Heute gedenken vor allem die Dänen des ersten der drei Kriege, durch die Otto von Bismarck gewaltsam seinen deutschen Nationalstaat schuf. | Süddeutsche Zeitung, 05.02.2014

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