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Von Jürgen Klute
Der seit vielen Jahren in Deutschland lebende kurdische Politiker Yüksel Koç wurde am 20. Mai 2025 in seiner Wohnung in Bremen verhaftet. Zudem wurde seine Wohnung nach Angaben seiner Rechtsanwältin ohne Durchsuchungsbefehl von der Polizei durchsucht. Konkrete Beweise, die das Vorgehen der Polizei rechtfertigen könnten, wurden ebenfalls nicht vorgelegt, heißt es in einer Pressemitteilung des in Berlin angesiedelten Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad. Der Vorwurf der deutschen Bundesanwaltschaft gegen den kurdischen Politiker, der von 2016 bis 2023 Ko-Vorsitzender des kurdischen Dachverbands KCDK-E war, lautet Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – gemeint ist damit die Kurdische Arbeiterpartei PKK, die in Deutschland als Terrororganisation eingestuft wird.
Dieses Vorgehen der deutschen Polizei gegen einen kurdischen Politiker, das kein Einzelfall ist, ist ebenso lächerlich wie gefährlich.
Lächerlich ist das Vorgehen der deutschen Polizei und der Staatsanwaltschaft, weil die PKK auf ihrem 12. Kongress vom 5. bis zum 7. Mai 2025 den Beschluss gefasst, sich selbst aufzulösen und damit ihren bewaffneten Kampf um die Durchsetzung der rechte kurdischer Menschen in der Türkei einzustellen und den Weg für eine politische Lösung der so genannten Kurden-Frage freizumachen. Während das oberste belgische Gericht in einem Urteil feststellte, dass die PKK Konfliktpartei in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ist, und die us-amerikanische Armee seit 2014 in Kooperation mit der PKK die Terrorherrschaft des so genannten Islamischen Staats (Dash) zurückgedrängt hat, bleiben die deutsche Staatsanwaltschaft und die Politik in Deutschland bei der Einschätzung der PKK als Terrororganisation.
Man kann über die Notwendigkeit und Legitimität eines bewaffneten Widerstand gegensätzlicher Meinung sein. Unbestreitbar ist jedoch, dass die in der Türkei lebenden Kurden seit der Gründung der heutigen Türkei in 1924 in vielfältiger Weise vonder türkischen Regierung unterdrückt und ihrer Rechte beraubt wurden und der bewaffnete Widerstand nicht grundlos erfolgte. Die türkische Regierung ist seit den 1980er Jahren oft mit großer Brutalität mit Geheimdienst, Polizei und Armee nicht nur gegen die PKK, sondern auch gegen kurdische Zivilisten und Politiker und Politikerinnen vorgegangen. Der blutige Bürgerkrieg in der Türkei, der mehrere Zehntausend Tote auf beiden Seiten gekostet hat, ist nun – 47 Jahre nach der Gründung der PKK – zu einem Ende gekommen ist, weil die PKK auf Empfehlung ihres Gründers Abdullah Öcalans ihre Selbstauflösung beschlossen und eingeleitet hat. Damit zeigt die PKK, dass es ihr ernst ist mit einer politischen Lösung des Konfliktes. Unklar ist jedoch nach wie vor, ob die türkische Regierung bereit ist, ihre Repressalien gegen Kundinnen und Kurden im Gegenzug zur Selbstauflösung der PKK einzustellen. Unabhängig von der Frage, ob Yüksel Koç Mitglied der PKK ist oder nicht, ist erscheint es in einer solchen Situation lächerlich, dass deutsche Behörden einem in Deutschland lebenden kurdischen Politiker strafrechtlich zu verfolgen, weil ihm vorgeworfen wird, einer Organisation anzugehören die gerade die Tür für eine Beendigung eines über 40 Jahre andauernden bewaffneten Konflikts in der Türkei geöffnet hat.
Diese Ignoranz der deutschen Staatsanwaltschaft ist allerdings nicht nur lächerlich, sie ist auch gefährlich. Gefährlich ist sie deshalb, weil es offensichtlich kein Gespür in der politischen Landschaft in Deutschland gibt für die jetzt nötigen politischen Schritte, um den gerade erneut aufkeimenden Friedensprozess in der Türkei zu unterstützen und nach vorne zu bringen.
Ein wichtiges politisches Signal wäre nun, die PKK nicht länger als Terrororganisation einzustufen und von deutscher Seite aus darauf zu drängen, die PKK endlich auch von der Terrorliste der EU zu streichen. Das wäre ein Signal an die türkische Regierung, auch von ihrer Seite den Friedensprozess voranzubringen, damit er nicht erneut, wie 2014 geschehen, scheitert. In Deutschland und auch in anderen EU-Ländern lebende kurdische Politiker brauchen jetzt politische Unterstützung seitens der Bundesregierung und seitens der Europäischen Union, damit es zu einem dauerhaften und von beiden Seiten als fair anerkannten Friedensprozesses kommt. Gerade weil die deutsche Regierung traditionell eine enges Verhältnis zur türkischen Regierung hat, sollte sie nicht in Deutschland lebende kurdische Politiker und Politikerinnen verfolgen, sondern die türkische Regierung drängen, alles zu tun, damit es endlich zum einem Friedensschluss kommt. Ein Frieden wird aber nur dauerhaft sein, wenn die türkische Regierung und letztlich die türkische Gesellschaft die Kurden – und auch andere ethnische Gruppen – als gleichberechtigten Teil der türkischen Gesellschaft anerkennt einschließlich der Garantie kultureller Selbstbestimmungsrechte und eines Minderheitenschutzes. Es gibt ausreichend Beispiele, die zeigen, wie es gehen kann.
Eingebettet ist der Selbstauflösungsbeschluss der PKK in einen tiefer gehenden Umbruchprozess im Mittleren Osten. Dazu gehören die 2022 begonnen Veränderungen im Iran, der Sturz des syrischen Diktators Assad, der sowohl eine Folge der Schwächung Russlands durch Putins völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine als auch des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, und der mittlerweile aus menschenrechtlicher Sicht nicht mehr hinzunehmenden Reaktion der israelischen Regierung und Armee in Gaza auf den Terrorakt der Hamas. Diese gewalttätigen Umbrüche laufen vor dem Hintergrund der sich ständig verschärfenden Klimakrise und des nötigen und laufenden Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Energieträger.
Will die Europäische Union die politische Lage stabilisieren, dann hat noch für einen kurzen Moment die Chance, die Umbruchphase im Mittleren Osten dafür zu nutzen. Dafür ist es nötig, schnell und gezielt zu handeln, etwas im Sinne eines Marshall Plans für den Mittleren Osten. Als das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich mit Abstand stärkste Mitgliedsland der Europäischen Union spielt Deutschland im Blick auf die Entwicklung eines solchen politischen Projekts eine zentrale Rolle. Es wäre sinnvoller seitens der neuen Bundesregierung, sich darauf zu konzentrieren, statt unschuldige in Deutschland lebende kurdische Politiker ins Gefängnis zu sperren.
Titelbild: Franziska Stier CC BY-NC-ND 2.0 DEED via FlickR
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