Von Frederik D. Tunnat
Wie stark sich mangelndes Wissen in Sachen Zeitgeschichte auswirkt, macht der anlaufende Wahlkampf in den USA deutlich. Da ist von einem Wahlkampf der Greise die Rede. Es wird, im Land des ewigen Jugendlichkeitswahns, so getan, als wäre das Alter eines Kandidaten allein bereits ein K.O. Kriterium. Speziell Trump und sein nationalistisch-reaktionäres Lager spielen auf der Klaviatur des angeblich zu hohen Alters von Amtsinhaber Joe Biden. Dabei hätte Trump samt seinen Anhängern allen Grund, das Thema Alter tunlichst zu meiden, schließlich trennen Trump gerade mal vier Jahre vom angeblich altersschwachen Joe Biden, aktuell Präsident der USA und ein Kandidat für die kommende Wahl.
Würden sich die Amerikaner, allen voran ihre Medien, die Mühe machen, und ein wenig in der Zeitgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg herumstöbern, würden sie sich des ersten deutschen Nachkriegskanzlers erinnern, Konrad Adenauer. Adenauer war 73, als er erstmals Bundeskanzler wurde. Das blieb er 14 Jahre lang. Als er abtreten musste, war er 87.
Seine erste Wahl gewann der lebens- und politikerfahrene Adenauer mithilfe seiner eigenen Stimme. Unvorstellbar, im heute politisch durch Trump und seinen nationalistischen Mob aufgeheizten Amerika, die Präsidentschaftswahl mit nur einer Stimme Mehrheit als demokratisch legitimiert anzunehmen. Bereits bei der letzten Wahl, als Biden über hunderttausende Stimmen mehr als Trump verfügte, wollte dieser das Ergebnis nicht anerkennen und hat es bis heute nicht getan.
Nach seiner ersten knappen Wahl konnte Adenauer drei weitere Wahlen für sich entscheiden, im Greisenalter. Erst Mitte seiner 4. Regierungszeit wurde er, mithilfe der eigenen Partei, zum Rücktritt gedrängt. Da war er bereits 87 Jahre alt und ein wenig altersstarrsinnig.
Joe Biden war 78, als er endlich Präsident wurde, er wird 82 sein, falls er dieses Jahr wiedergewählt wird, und 86, wenn seine zweite Präsidentschaft regulär endet. Donald Trump war 70, als er 2016 Präsident wurde. Er ist gegenwärtig 78. Falls er wieder gewählt würde und seine 2. Präsidentschaft endet, wäre er 82.
Abgesehen davon, dass Trump, so er erneut gewählt würde, bereits angekündigt hat, niemals wieder freiwillig vom Amt des Präsidenten zurückzutreten, sprich, wie Putin und Xi Jinping, seine diktatorischen Vorbilder, lebenslang im Amt als Diktator ausharren zu wollen, ja erkennen lässt, gewillt zu sein, eine politische Dynastie zu begründen, in der seine allesamt unfähigen Söhne seine Nachfolger im Amt als Diktatoren der Trumpstaaten von Amerika sein sollen, machen Trump und seine Anhänger ihre Rechnung auf die Zukunft ohne Rücksicht auf Trumps mentale und physische Gesundheit. Die Aussichten des Cheeseburger essenden, Cola trinkenden, ungesund lebenden, unsportlichen Trumps sind weder körperlich, schon gar nicht geistig und psychisch darauf ausgelegt, ihm bis ins hohe Alter geistige und körperliche Fitness zu gewährleisten, wie sie bei unserem Altkanzler Adenauer vorhanden war, bis über dessen 90igstes Lebensjahr hinaus.
Als Adenauer im April 1967, im Alter von 91 Jahren, verstarb, beschwerte sich mein Stief-Großvater über den in seinen Augen zu früh abgetretenen Weggefährten, mit dem er Geburtsjahr und das Engagement für den deutschen Werkbund teilte. Adenauer habe ihn allein zurückgelassen, mit der Aufgabe, die hundert vollzumachen. Doch auch Stief-Großvater erreichte die angepeilten hundert nicht: vier Jahre und drei Monate nach Adenauer folgte er diesem in den Tod. Auch er bis zuletzt geistig frisch und sehr rege, körperlich nur die letzten Monate angeschlagen, gehörten beide Männer zu jenen, die nicht nur ein ausgefülltes beruflich erfolgreiches Leben geführt hatten, sondern stets auf ihre körperliche Gesundheit achteten, sich körperlich fit hielten – zumindest in dem damals erforderlich erachteten Maß. Beide hatten die Maxime des Römers Juvenal wörtlich genommen: Mens sana in corpore sano, was so viel bedeutet wie „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“.
Vergleichbares kann man von Präsidentschaftskandidat Trump beileibe nicht berichten. Der Mann lernte weder Latein, noch hatte er je ein ausgefülltes Leben. In Ermanglung tatsächlicher beruflicher wie persönlicher Erfolge entwickelte sich Trump zur amerikanischen Variante Felix Krulls, der nur dank Bluff, Lügen und Betrug zu angemaßtem Erfolg und ergaunertem Reichtum gelangte. Letzteres wurde erst kürzlich von einer New Yorker Jury amtlich bestätigt: Trump ist der erste Kandidat für das Präsidentenamt, der krimineller Verbrechen überführt wurde und nächsten Monat höchstrichterlich zu seiner Strafe verurteilt wird.
Joe Biden dagegen kann auf ein erfolgreiches berufliches wie politisches Leben ohne kriminelle Aktionen zurückblicken, in dessen Verlauf er dem amerikanischen Volk als Abgeordneter und Senator diente; zweimal als Vizepräsident fungierte und nun, aktuell als Präsident. Auch wenn seine körperliche und geistige Konstitution nicht der Adenauers gleicht, sondern Bidens Alter bereits deutliche Spuren hinterlassen hat, hält sich Biden körperlich fit, ernährt sich bewusst und gesund, und gleicht seine einsetzende Demenz dadurch aus, indem er sich auf den Rat und die Unterstützung einer Reihe exzellenter Ratgeber verlässt. Außerdem wird Biden flankiert von einer jüngeren Vizepräsidentin, die fit und erfahren genug ist, um im Fall des Falles zu übernehmen.
Demgegenüber steht Selbstdarsteller, Lügner und Wirtschaftsverbrecher Trump, dessen angeschlagenes Ego nur Speichellecker um sich duldet, der beratungsresistent ist, da er in seinem inneren Wahn überzeugt ist, selbst die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, und alles selbst am besten entscheiden und lösen zu können. Seine Verehrung für Diktatoren und autokratische Systeme, seine nicht vorhandene Bildung, seine kranke Persönlichkeit und seine nicht vorhandene Fitness machen es unwahrscheinlich, dass er überhaupt nur im Entferntesten fit oder moralisch geeignet für dieses herausragende, anspruchsvolle politische Amt ist.
Insofern – abseits davon, es mit zwei großväterlichen Politikern im Pensionsalter zu tun zu haben – sollten wir inständig beten und hoffen, dass die nötige Weisheit auf die nötige Anzahl amerikanischer Wähler herab fällt, sie befähigt, nicht nur im eigenen, nationalen Interesse, sondern auch im Interesse der freien Welt, für das einzig vernünftige Wahlergebnis zu sorgen.
Ein wenn auch von leichten Demenzanflügen umwehter Joe Biden, umgeben von einem Team, das auf demokratische Tradition setzt und über viel Sachverstand und politische Erfahrung verfügt, ist mir allemal lieber, als der Psychopath und Narzisst Trump, der von früh bis spät nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, statt sich als oberster Diener seines Volkes und Anführer der freien Welt zu sehen. Trumps Wahl wäre ein Desaster, nicht nur für die USA und NATO, sondern für die wenigen, verbliebenen demokratisch geführten Länder Europas, Amerikas und Asiens. Es wäre das Ende einer freien Ukraine und Auftakt für weitere 20 Jahre kriegerischer Konflikte in Europa, die Intensivierung eines zweiten, schrecklichen Dreißigjährigen Krieges.
Dieser neue Dreißigjährige Krieg, der 2014 begann, sich 2022 intensivierte, würde durch Trump eine ungeheure Brandbescheunigung erfahren. Die erneute Wahl Trumps wäre in den USA Auftakt für eine Diktatur, bei uns in Europa der Beginn ausufernder Kriege Russlands, die bis Mitte der 2040er Jahre andauern werden. Ob das dann doppelt – klima- wie kriegs- zerstörte Europa um 2044/45 zu einer Neuauflage von 1945 fähig und willens wäre, darf stark angezweifelt werden. Sicher nicht, wenn in den USA, statt eines demokratisch verfassten Staates wie 1945, eine kleptokratische Diktatur unter Nachkommen oder Anhängern des Systemzerstörers Trump herrscht. Dann werden die überlebenden Europäer vergeblich auf eine Wiederauflage des Marshallplans hoffen, sondern stattdessen eine verschärfte Form des Morgenthauplans zu erwarten haben. Ob die damit zementierte Versklavung und Unterdrückung Europas nur seitens Russlands oder gemeinsam von Russland und den Trump-Nachfolgestaaten samt Chinas umgesetzt würde, wäre zweitrangig.
Das Ergebnis wäre so oder so ein Desaster: ähnlich dem der Versklavung und Unterjochung Russlands durch die Mongolen. Welche Spätfolgen dieses Ereignis des 13. Jahrhunderts noch heute zeitigt, macht Russlands Diktator Putin tagtäglich deutlich: Putins Versuch, die Folgen dieses nationalen Traumas, das bis heute den Kern der russischen Seele ausmacht – im Guten, weit stärker im Bösen, ausgerechnet in und über die Ukraine abzuarbeiten, ist zum Scheitern verurteilt, weil Putins Annahmen von falschen Voraussetzungen und fehlinterpretierten historischen Ereignissen ausgehen.
Was Putin und seiner unfähigen Armee auf dem Schlachtfeld bislang nicht gelingt, könnte ihm nachträglich in den Schoß fallen: dank und durch Trumps Unfähigkeit. Ein Sieg gegen die Ukraine, ein Sieg über das westliche Europa und die EU. Insofern: der sog. Greisen-Wahlkampf in den USA hat das Zeug, über unser aller Schicksal und das unserer Kinder und Enkel zu entscheiden. Doch wir können wenig tun, um die Wahl zu beeinflussen; das können nur die bereits maximal zerstrittenen, von Trump emotional aufgehetzten Wähler in den USA.
Titelbild: PINKE CC BY-NC 2.0 DEED via FlickR
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