Von Milan Herrmann

Wer in den letzten Tagen die Nachrichten verfolgte, stolperte zwangsläufig über die Auseinandersetzung, ob die Münchner Allianz Arena anlässlich des Ungarn-Spiels in Regenbogenfarben leuchten darf oder nicht. Es entwickelte sich eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit von politischen Statements im Sport und die Rolle der UEFA. Dabei rückt der eigentliche Auslöser, eine Reihe homophober Gesetzesänderungen in Ungarn, teilweise in den Hintergrund. Also zur Frage: Was ist hier los?

Grenzen überschritten

Bereits im letzten Jahr sorgte eine Verfassungsänderung, die Vater und Mutter den Geschlechtern Mann und Frau zuordnet, dafür, dass homosexuelle Paare vom Adoptionsrecht ausgeschlossen werden. [1] So unschön es klingt, aber gegen solche Entwicklungen alleine wird die EU nur schwer tätig werden können. Zu unterschiedlich sind die Wertvorstellungen in der Gemeinschaft und zu vage die europäischen Richtlinien.

Anders sieht es bei den jüngsten Entwürfen von Orbáns Regierung aus. Vor einer Woche wurde eine Gesetzesinitiative gegen Pädophilie um den Passus Homosexualität erweitert und ihr damit de facto gleichgestellt. [2] Demzufolge wird es nicht nur staatlichen Bildungseinrichtungen untersagt, über Homosexualität aufzuklären. Jede Form öffentlicher Zurschaustellung von Homosexualität, ob in der Werbung oder auf der Straße, könnte damit strafbar werden. Den eindeutigsten Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte stellt jedoch die Möglichkeit von Behörden dar, Wohnadressen Betroffener – wie bei Pädophilen – abzufragen.

Europäische Führungsschwäche

Als „Hüterin der Verträge“ wäre es die Aufgabe der Kommission gewesen, unmittelbar und entschieden gegen Ungarn vorzugehen. Die Kommissionspräsidentin selbst hatte schließlich erst letzten Herbst die „rule of law“ beschworen. [3] Im Schulterschluss mit der deutschen Ratspräsidentschaft propagierte von der Leyen die Einheit der EU im Sinne gemeinsamer rechtsstaatlicher Regeln.

Kaum ein Jahr später ist von den markigen Worten wenig übrig geblieben. Im Gegenteil, sie ist zur Getriebenen geworden, denn der fehlende Druck auf Orbán wendet sich nun auch gegen von der Leyen selbst. In einem heute veröffentlichten Brief droht der Präsident des Europäischen Parlaments Sassoli der Kommission mit einer Klage wegen Untätigkeit [4], sollten die nötigen Schritte nicht eingeleitet werden. Zudem unterstreichen die Regierungschefs von 17 Mitgliedsstaaten in einem gemeinsamen Appell die Notwendigkeit zu handeln [5].

Wie geht es weiter?

Insgesamt scheint Viktor Orbán die Toleranz der europäischen Partner so weit überschritten zu haben, dass Ungarn nicht bloß ein langwieriges Vertragsverletzungsverfahren droht. Der Zusammenschluss von 17 Regierungschefs ist ein deutliches Signal in Richtung des kurz bevorstehenden Gipfeltreffens. Es scheint derzeit nicht ausgeschlossen, dass weitere Statements in ein paar Tagen folgen werden.

Anmerkungen

  1. https://www.dw.com/de/ungarn-viktor-orb%C3%A1ns-neuer-hauptfeind-hei%C3%9Ft-lgbtq/a-57896270
  2. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/deutschland-eu-ungarn-gesetz-sexualitaet-103.html
  3. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_1756
  4. https://www.europarl.europa.eu/the-president/files/live/sites/president/files/pdf/Letter%20to%20EC%20RoL%20230621/Sassoli%20Letter%20EC%20230621.pdf
  5.  https://wilmes.belgium.be/en/thirteen-countries-unite-belgiums-initiative-defend-lgbtiq-rights-europe

Titelbild: LGBTQ by David Yu CC BY-NC 2.0 via FlickR

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