Beitrag von Bernhard Clasen

2 Updates vom 10. August 2018 (siehe unten)

Seit seiner Abschiebung am 24. Juli diesen Jahres von Straßburg nach Bamberg haben französische Menschenrechtler und die Familienangehörigen des 25-jährigen tschetschenischen Flüchtlings Said-Ibrahim Uwaisowitsch Idigov jeglichen Kontakt zu ihm verloren. Idigov war am 24. Juli im Rahmen der sogenannten Dublin-2-Vereinbarung, die vorsieht, dass Flüchtlinge in das Land zurückgeschoben werden müssen, indem sie zuerst angekommen sind, von Straßburg nach Bamberg abgeschoben worden. Am 27. Juli machte er sich mit dem Zug von Bamberg auf den Weg in die Niederlande. Danach verlieren sich seine Spuren.

Nach Angaben seines Bruders Hussein, der in Moskau lebt, soll er sich mit dem Zug von Bamberg nach Holland auf den Weg gemacht haben, weil er dort Freunde hat. Dort ist er jedoch nie angekommen. Hussein ist sich sicher, dass sein Bruder nicht einfach untergetaucht ist. „Mein Bruder würde, wenn er auch nur eine Minute Zugang zu einem Telefon oder Internet hätte, sich sofort mit mir in Verbindung setzen“, erklärte mir Hussain. Deswegen vermuten er und Menschenrechtler in Frankreich und Russland, dass Idigov, der ohne Papiere von Bamberg nach Holland mit dem Zug gereist ist, offensichtlich von einer deutschen Polizeistreife aufgegriffen und verhaftet worden ist und ihm Kontaktverbot erteilt wurde.

Auch die französische Menschenrechtlerin Pascal Chaudot, die Idigov vor seiner Abschiebung in Frankreich betreut hatte, hat von ihm nichts mehr gehört. „Wir haben immer noch keine Nachrichten von Said Ibrahim Idigov, berichtet die französische Menschenrechtlerin Pascale Chaudot for Comité Tchétchénie am Montag morgen. Said hat Bamberg am 27. Juli Richtung Niederlande verlassen. Seitdem ist er verschwunden. Auch seine Familie und seine Freunde wissen nichts von seinem Verbleib. Wir haben mehrere Caritas-Beratungsstellen und JVAs kontaktiert. Ohne Ergebnis. Was können wir, was können seine Verwandten tun?“

Menschenrechtler fürchten, dass sich nun ein Fall wiederholen dürfte, der sich bereits Anfang des Jahres abgespielt hatte. Am 31. Januar 2018 war der tschetschenische Flüchtling Schamil Soltamuradow im Rahmen der „Dublin-2“-Verordnung von Frankreich nach Deutschland abgeschoben worden. Am 14. Februar war er von Deutschland mit einer eigens gecharterten Maschine nach Russland abgeschoben worden. Seitdem ist er in russischer Haft.

Russland wirft ihm nun vor, eine Ausbildung zum Terrorismus durchlaufen zu haben. Dass ein französisches Gericht ein russisches Auslieferungsersuchen von Soltamuradow abgelehnt hatte, hatte die deutschen Behörden genauso wenig interessiert, wie das Auslieferungsverbot, das das Oberlandesgericht Dresden am 21. Januar 2016 bezüglich Solatmuradow ausgesprochen hatte.

Menschenrechtler aber auch Angehörige des Vermissten berichten über eine Zusammenarbeit zwischen deutscher und russischer Polizei, wenn es um Abschiebung und Auslieferung missliebige Personen geht. „Mir haben russische Beamte Fotos von meinem Bruder gezeigt, die nur von deutschen Behörden aufgenommen worden sein können“, berichtet Hussein aus Moskau. Auch der Ablauf der Abschiebung von Schamil Soltamuradow im Februar dieses Jahres zeigt, wie gut französische, deutsche und russische Behörden bei der Abschiebung von russischen Staatsbürgern zusammenarbeiten.

Die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ weist auf Fälle von tschetschenischen Flüchtlingen hin, die nach ihrer Rückkehr aus Westeuropa mißhandelt oder getötet worden sind. So fehlt von dem 2015 in Tschetschenien verhafteten Kana Afanassiew jede Spur. Er war Ende 2014 von Schweden nach Russland abgeschoben worden. Im Juli 2015 war der Tschetschene Zaurbek Schamoldajew entführt worden. Er ist 2013 aus Polen abgeschoben worden.

Im Juli warf ein Video einer Folterung in der russischen Strafvollzugsanstalt Jaroslawl erneut ein Licht auf die Haftbedingungen in Russland. Insbesondere Tschetschenen, so russische Menschenrechtler, seien besonders häufig Opfer von Mißhandlungen in den Strafanstalten. Auch dies, so die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina, sollte ein Grund sein, Said-Ibrahim Idigov nicht abzuschieben. „Eine Abschiebung von Idigov wäre gerade jetzt nach den Vorfällen von Jaroslawl ein Verbrechen“, so Gannuschkina.

Nachtrag vom 10. August:

Soeben haben französische und russische Menschenrechtler den Aufenthaltsort von Idigov herausgefunden. Er ist in Bamberg in Haft. Mehr läßt sich indes momentan nicht erfahren, da Idigov noch keinen Anwalt gefunden hat und die Behörden anderen Personen aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben.

2. Nachtrag vom 10. August 2018:

Die französische Menschenrechtlerin Pascal Chaudot hat inzwischen zu ihm Kontakt und von ihm erfahren, dass die deutschen Behörden seine Abschiebung nach Russland planen. Dies bedeute, so Chaudot, dass sich das, was mit Schamil Soltamuradow Anfang des Jahres passiert ist, wiederholen könnte.

Titelfoto: Susanne Nisson CC BY-SA 2.0

Bernhard Clasen vor der Universität von Mariupol | Foto: privat

Bernhard Clasen, freier Journalist und Dolmetscher für Russisch, schreibt seit 30 Jahren über die ehemalige Sowjetunion. Seit Anfang 2014 ist er Korrespondent der taz in Kiew. Und er schreibt für Europa.blog.

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