Es gibt viele Gründe, warum arme Amerikaner ihre Hoffnungen in einen Multimillionär setzen, der als Fils-à-Papa (verwöhnter Sohn reicher Elter) bekannt ist, als verurteilter Betrüger, als jemand, der die Demokratie abbauen will, und vieles mehr. Aber eines sollte klar sein, schreibt Ilja Leonard Pfeijffer: Trumps Wähler wissen verdammt gut, was für einen Menschen sie in den Sattel gehoben haben.
Essay von Ilja Leonard Pfeijffer | 17. November 2024
Ich habe gehofft, dass ich diesen Artikel nicht schreiben müsste. Als ich mit dieser 14-tägigen Kolumne zu Beginn dieses Jahres 2024 startete, in dem mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung aufgefordert ist, zur Wahl zu gehen, in der Erwartung, dass bei diesen Wahlen die Demokratie selbst auf dem Spiel steht, hielt ich die ersten Novembertage, in denen Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika wiedergewählt werden könnte, für den entscheidenden Moment. Ein Wahlsieg des von Trump propagierten autoritären, faschistischen Modells würde weitreichende Auswirkungen auf die ganze Welt haben.
Als der amtierende Präsident Joe Biden sich unter dem starken Druck entschloss, sich als Kandidat der Demokraten zurückzuziehen, und als am selben Tag seine Vizepräsidentin Kamala Harris seine Nachfolge antrat, schwoll eine Welle der Hoffnung an, die auch mich mitriss. Aber ihre Kompetenz, ihre moralischen Qualitäten und ihr Respekt für den demokratischen Rechtsstaat konnten den Albtraum nicht abwenden. Am vergangenen Dienstag, dem 5. November, wurde Donald Trump mit überwältigender Mehrheit zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Es ist nicht auszuschließen, dass dies die vorerst letzte freie US-Wahl war.
Die Ursachen für Trumps Sieg liegen in all den Phänomenen und Entwicklungen, die ich hier in den letzten 10 Monaten diskutiert habe. Trump triumphiert in einer Welt, in der der Schein entscheidender ist als das Sein. Er triumphiert, wenn die Wahrheit unter einer Vielzahl von Wahrheiten begraben wird. Er mobilisiert den Widerstand gegen den kulturellen Wandel in einer globalisierten Welt. Die wütende und frustrierte Wählerschaft erkennt sich eher in seiner Unvernunft wieder als in dem Versprechen einer kompetenten Amtsführung. Obwohl er schon einmal Präsident war, ist er so unangepasst, dass die Wähler bereit sind, ihn als Außenseiter zu sehen und der ihre Abscheu gegenüber der etablierten Politik ausdrückt. Obwohl er ein Multimillionär ist, der in einem goldenen Turm wohnt, verhält er sich so plebejisch, dass er den Hass der Wähler auf die Elite zu mobilisieren vermag. Und was vielleicht am wichtigsten ist: Trump bietet seinen Wählern etwas, was sein Gegner nicht zu bieten bereit ist: einen Sündenbock.
Präsident Franklin D. Roosevelt, der von 1933 bis 1945 als 32. US-Präsident amtierte, hatte die Angewohnheit, Radioansprachen, so genannte Kamingespräche, zu halten. In seiner 12. Rede, die am Donnerstag, dem 14. April 1938, ausgestrahlt wurde, sagte er Folgendes: „Die Demokratie ist in mehreren anderen großen Nationen verschwunden, nicht weil die Menschen in diesen Ländern eine Abneigung gegen die Demokratie entwickelten, sondern weil die Menschen der Arbeitslosigkeit und der Unsicherheit überdrüssig wurden, weil sie ihre Kinder hungern sahen und sich hilflos fühlten angesichts der Verwirrung und der Schwäche ihrer Regierung, die aus dem Mangel an Führung resultierte. Schließlich entschlossen sie sich in ihrer Verzweiflung, ihre Freiheit zu opfern, in der Hoffnung, etwas zu essen zu bekommen“.
Roosevelt dachte dabei vor allem an Deutschland, aber vielleicht auch an Italien und vielleicht sogar an das antike Athen. Seine Analyse der Ursachen für den Niedergang der Demokratie ist treffend und lakonisch zugleich. Ich will das erklären.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt
Meines Erachtens gibt es ein verblüffendes Abstimmungsergebnis, das ein besseres Verständnis für die Unzufriedenheit ermöglicht, die Trump für sich zu mobilisieren wusste. Im Bundesstaat Missouri, in dem in diesem Jahrhundert noch nie ein demokratischer Kandidat gewonnen hat und in dem erneut eine überzeugende Mehrheit von 58,5 Prozent der Wähler für Trump und 40,1 Prozent für Harris gestimmt hat, wurde der fast schon sozialistisch zu nennende Vorschlag zur Erhöhung des Mindestlohns und des Rechts auf bezahlte Krankheitstage, der den Wählern gleichzeitig in einem Referendum (als „Missouri Proposition A“) vorgelegt wurde, mit einer großen Mehrheit von 57,6 Prozent der Stimmen angenommen.
Die Wähler, die jetzt rechtsextrem wählen, sind keine Vertreter der klassischen rechten Wählerschaft von zigarrenrauchenden Fabrikmanagern in Nadelstreifenanzügen, schnellen Börsenmaklern und schattenhaften Verfechtern des Großkapitals. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa sind es gerade die Arbeiter, die weniger Gebildeten und die Unterprivilegierten, die massenhaft von der Linken zur Rechten übergelaufen sind. Es ist bezeichnend, dass Harris in acht der zehn reichsten Bundesstaaten Amerikas mit überwältigender Mehrheit gewonnen hat, während Trump in allen der zehn ärmsten Bundesstaaten des Landes mit Abstand die meisten Stimmen erhielt. Dies zeigt, dass Trump als Kandidat des Wandels und Harris als Vertreterin des Status quo gesehen wurde, und es zeigt auch, dass die Unzufriedenheit, die die Rufe nach Veränderung antreibt, am stärksten unter den Verlierern des kapitalistischen Systems zu verorten ist.
Der Kapitalismus ist das Problem, weil er ein System ist, das zu immer weniger Gewinnern auf Kosten von immer mehr Verlierern führt, weil er die Reichen reicher und die Armen ärmer macht und weil er die wirtschaftliche Ungleichheit in einem Ausmaß verstärkt, das nicht mehr länger tragbar ist. Die Unzufriedenheit, die Trump für sich zu mobilisieren vermochte, ist verständlich und berechtigt, und die traditionellen linken Parteien werden nicht mehr als fähig erachtet, die Ursachen für diese Unzufriedenheit zu beseitigen. Das Ergebnis des Referendums zur „Missouri Proposition A“ zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler, auch und gerade diejenigen, die für Trump gestimmt haben, die schädlichen Auswirkungen des Kapitalismus abgemildert sehen wollen. Dass sie dabei für einen Multimillionär stimmen, ist ein Paradoxon, das aus dem verzweifelten Wunsch nach Veränderung verständlich erscheint. Es ist bezeichnend, dass Trump am Ende seiner ersten Amtszeit eine Zustimmungsrate von nur 34 % hatte und dass dieselbe Rate nach vier Jahren außerhalb des Weißen Hauses auf magische Weise auf 48 % angestiegen ist.
Doch Trumps wichtigster Trumpf ist sein Rassismus. Er bietet seinen frustrierten Wählern vielleicht keine Lösung für ihre Probleme, aber er präsentiert ihnen einen Sündenbock. Alles ist die Schuld der Einwanderer, die die Hunde und Katzen der hart arbeitenden Amerikaner fressen.
In sofern hatte Roosevelt recht. Doch im Jahr 2024 spielen zwei weitere Faktoren eine Rolle, die 1938 vielleicht noch nicht so relevant waren. Erstens hat die Polarisierung unkontrollierbare Formen angenommen. Zweitens wird die Demokratie selbst als Teil des Problems angesehen.
Mein Manager, den ich als meinen persönlichen Wahlbeobachter nach New York entsandt hatte, nahm an einer Wahlparty in einer Rooftop-Bar in der Fifth Avenue teil. Er berichtete mir, dass das Publikum dort auf zwei verschiedene Räume aufgeteilt war. In dem einen Raum lief CNN auf der großen Leinwand, in dem anderen lief Fox News. Nicht nur der Wahlkampf war polarisiert, sondern auch das Verfolgen der Ergebnisse. Das Einzige, was fehlte, war, dass beide Lager ihre eigenen Wahlergebnisse bekamen. Das heißt, es fehlte dieses Mal, denn vor vier Jahren war dies ebenfalls der Fall gewesen.
Der gewählte Diktator
Die Wahlkampfstrategie von Harris und den Demokraten zielte auf gemäßigte Wähler ab. Das erscheint logisch: Wenn der Gegner ein Extremist ist, gibt es in der Mitte der politischen Mitte Gewinne zu erzielen. Der einflussreiche Wahlkampfstratege der Demokratischen Partei, Michael Bennett, hat es so ausgedrückt: „Der einzige Weg, den Rechtspopulismus zu besiegen, führt über die Mitte.“ Harris vertrat daher in sozioökonomischer Hinsicht eine weniger radikale Haltung als ihr Vorgänger Biden, und sie tat ihr Bestes, beispielsweise durch ihren Flirt mit Liz Cheney, um gemäßigte Republikaner anzuziehen, denen Trump zu extrem ist.
Doch diese gemäßigten Republikaner scheint es nicht mehr zu geben. Exit Polls haben gezeigt, dass die registrierten Republikaner Trump genauso treu geblieben sind wie vor vier Jahren. Die Strategie, die Mitte des politischen Spektrums anzusprechen, ist spektakulär gescheitert, denn es gibt überhaupt keine Mitte mehr. Die politische Mitte hat sich verflüchtigt.
Eine der zahlreichen Statistiken, die in der Wahlnacht von NBC News, die ich verfolgt habe, gezeigt wurden, ergab, dass 34 Prozent der US-Wähler den Zustand der Demokratie als das wichtigste Wahlkampfthema bezeichnet haben. Es war der größte Bereich im Diagramm. Es ist jedoch ein Fehler anzunehmen, dass diese Menschen alle für Kamala Harris gestimmt haben. Unter diesen 34 Prozent befinden sich auch Trump-Anhänger, die glauben, dass die Demokraten die Wahlergebnisse im Jahr 2020 manipuliert haben.
Ein aktueller Artikel von J.A. Chu et al. in Science zeigt, dass die Bürger die individuellen Rechte, die sie aus der Demokratie ableiten können, wie das Wahlrecht und die Redefreiheit, sehr schätzen, während sie die demokratischen Institutionen, die die politische Macht kontrollieren und einschränken, wie die freie Presse und die Justiz, nicht mögen. Sie schätzen den Grundsatz, dass die Mehrheit entscheidet, und sehen die Aushöhlung des Systems der gegenseitigen Kontrolle nicht als Schwächung, sondern vielmehr als Stärkung der Demokratie im Sinne ihrer eigenen Definition.
„Ich habe mir eine Kugel für die Demokratie eingefangen“, sagte Trump, nachdem ihm ins Ohr geschossen wurde. Gleichzeitig versprach er seinen Anhängern, dass er wie ein Diktator regieren werde. Für seine Wähler widersprechen sich diese beiden Aussagen nicht. Sie halten es für den Gipfel der Demokratie, dass sie ihren eigenen Diktator wählen dürfen. Bei Wahlveranstaltungen hat Trump wiederholt gesagt, dass er nach seiner Wahl mit seinen politischen Gegnern abrechnen will, die er als „innere Feinde“ bezeichnet, gegen die er notfalls auch das Militär einsetzen will. Er hat angedeutet, dass es keine schlechte Idee wäre, Vertreter der kritischen Presse zu erschießen. Für seine Wähler sind das keine undemokratischen Äußerungen, denn die Mehrheit hat sie durch freie Wahlen legitimiert. Ihr Votum gibt ihrem Mann das demokratische Mandat, die Demokratie abzubauen.
Die Menschen wählen den Faschismus nicht aus Unwissenheit, sie wählen den Faschismus, weil sie es wollen.
Dieser Essay von Ilja Leonard Pfeijffer erschien ursprünglich am 16. November 2024 unter dem Titel „Trump glorieert in een wereld waarin schijn bepalender is dan wezen“ in der belgischen Zeitung „De Morgen“. Übersetzung ins Deutsche: Jürgen Klute
Titelbild: Partizipatorische Diktatur by Thomas Altfather Good CC BY-ND 2.0 DEED via FlickR
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