Am 19. September 2022 veröffentlichte Mina Khani auf Twitter einen Thread, in dem sie Stellung bezog zu der Ermordung der Kurdin Zhina (Mahsa) Amini durch iranische Polizisten. Khani bezeichnet diesen Mord zutreffend als staatlichen Femizid. In ihrem Tweet ordnet sie den Femizid politisch ein und appelliert an deutsche Journalistinnen, über die Situation im Iran in einer anderen, der Realität entsprechenden Form zu berichten. Mit Zustimmung von Mina Khani veröffentlicht Europa.blog hier ihren Thread. Die einzelnen Posts des Threads wurden zu einem Text zusammengefasst und entsprechend redaktionell bearbeitet. Mina Khani ist freie Schriftstellerin, Queerfeministin und Modern Dancer. Sie lebt in Berlin und schreibt in Deutsch und Farsi.

Von Mina Khani

Der iranische Staat hat mit dem Mord an Mahsa Amini einen staatlichen Femizid wegen eines “Hijab” begangen. Dabei hat er die Lage komplett unterschätzt! Mahsa hießt in Wirklichkeit Zhina Amini. Sie war Kurdin und die kurdische Bewegung ist nun gegen diese Femizide sehr organisiert aufgestanden.

Es ist das erste Mal in der iranischen Geschichte, dass ein staatlicher Femizid im Zusammenhang mit einem Fall von Zwangsverschleierungsmaßnahmen für so einen großen Aufstand im Iran gesorgt hat. Auch in diesem Punkt haben die Diktatoren die Lage falsch eingeschätzt.

Wenn ihr wissen wollt, wie die Situation eskalierte, müsst ihr euch mit der Verschärfung der politischen Lage im Iran in Bezug auf die Genderfrage (Apartheid) in Verbindung mit der Geschichte der kurdischen Kämpfe im Iran beschäftigen.

Der islamische Staat im Iran hat jahrelang seine gesamte Ideologie auf der Genderspaltung, die er mit der Sharia begründet, aufgebaut. Diese Spaltung sollte dem Iranischen Staat die Kontrolle der gesamten Gesellschaft mittels der Kontrolle der Sexualität ermöglichen.

Das ist aber nicht die einzige Spaltung, auf der der islamische Staat aufgebaut wurde. Die islamische Herrschaft des Irans hat darüber hinaus auch die religiöse und ethnische Spaltung sowie die politische Spaltung der Gesellschaft vertieft und aus jeder sozialen Gruppierung „das Andere” gemacht. Dieses “othering” ist ein prägendes Element in der Geschichte der islamischen Republik. Leider sind diese Aspekte der Unterdrückung im Iran immer und immer wieder im Westen – insbesondere in Europa mit Deutschland an der Spitze – falsch eingeschätzt worden.

Es ist wichtig, dass die deutschen Journalistinnen anfangen anders über den Iran zu berichten. Der iranische Staat hat zwar viele Spaltungen vertieft aber die sexuelle Kontrolle der Gesellschaft durch die Zwangsverschleierungsmaßnahmen ist der wichtigste Bestandteil des iranischen Unterdrückungssystems.

Es ist elementar, dass die Wichtigkeit und die Größe des Aufstandes gegen die Zwangsverschleierung im Iran und die historischen Kämpfe der KurdInnen sowie das Zusammenkommen dieser zwei Elemente infolge der Ermordung von Mahsa Amini von deutschen JournalistInnen verstanden und beleuchtet wird.

Ebenso ist es wichtig, dass hier in Deutschland und im Westen insgesamt verstanden wird: Falls die Zwangsverschleierungsmaßnahmen im Iran durch diesen in den letzten Jahren immer größer werdenden Aufstand endlich gestoppt oder abgesetzt werden, dann haben wir es mit dem definitiven Sturz des islamischen Staates im Iran zu tun.

Die deutschen PolitikerInnen von SPD und den Grünen in der Regierung sollten lieber jetzt sehr genau auf diese Geschehnisse im Iran achten, weil Deutschland der mächtigste Partner der islamischen Republik im Westen ist. Jetzt brauchen wir euere feministische Außenpolitik!

Der iranische Staat hat zu sehr auf das patriarchale Familiensystem im Iran gesetzt. Jetzt hat die Familie von Mahsa Amini dafür gesorgt, dass die Welt von der Brutalität der islamischen Sittenpolizei im Iran erfährt, dass die Welt von den staatlichen Femiziden in Bezug auf Hijab erfährt!

Das ist ein historischer Moment und die IranerInnen schreiben damit ein Stück der feministischen Weltgeschichte! Davon, dass die IranerInnen wegen des Zwangshijabs so gegen die iranischen Repressionseinheiten kämpfen, habe ich jahrelang geträumt.

Titelbild:privat

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