Rubrik: Fremdlesen
Leseempfehlung von Jürgen Klute
Vor einem Jahr veröffentlichte Correctiv einen detaillierten Bericht über ein Treffen rechtsradikaler Akteure und PolitikerInnen mit dem österreichischen Rechtsradikalen und völkischen Ideologen Martin Sellner. In diesem Treffen in Potsdam ging es um das Thema Deportation von Migranten. Kaschiert wurde das Thema mit dem auf den ersten Blick weniger verfänglichen Begriff „Remigration“. DIE ZEIT hat zwei Tage vor dem AfD-Parteitag in Riesa am 11. und 12. Januar 2025 einen Bericht veröffentlicht, in dem Fragen zu der Anfang 2024 veröffentlichten Correctiv-Recherche aufgeworfen werden.
Mit dem Artikel „Neue Rechte: Das ‚Volk‘ der Rechtsradikalen“ antwortet Marcus Bensmann von Correctiv auf den Artikel von DIE ZEIT.
Bensmann benennt etliche Quellen und Belege in seiner Replik, die die Korrektheit der Darstellung des rechtsextremen Treffens in Potsdam im November 2023 in dem ursprünglichen Bericht von Correctiv untermauern.
Zum zweiten geht Bensmann detailliert auf die Kommunikationsstrategie von Sellner und seinen rechtsextremen Kumpanen ein.
Bensmann geht dann der Frage nach, wie deutsche Gerichte das Konzept der sog. Remigration (verfassungs)rechtlich werten.
Schließlich ordnet Bensmann das von Martin Sellner propagierte Konzept der sog. Remigration historisch ein und zeigt auf, dass es sich nahtlos anschließt an vergleichbare Konzepte des Nazi-Ideologen Carl Schmidt, der sich bereits Anfang der 1920er Jahre dazu äußerte. Bensmann geht historisch sogar noch weiter zurück: Bereits zur Gründungszeit des deutschen Kaiserreichs 1871 wurden im Blick auf jüdische BürgerInnen im neugegründet Kaiserreich bzw. in der neuen deutschen Nation völkische Debatten geführt, an die Carl Schmidt anknüpfen konnte. Hier scheint auf, dass Rassismus und Antisemitismus die Grundlagen der deutschen Nationalstaatsidee bilden.
Zwei Zitate mögen Eindruck davon geben:
Carl Schmitt hat diese Definitionsmacht 1923 in „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ so beschrieben: „Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, dass nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“ Sellner bezieht sich in seinem genannten Buch, wenn auch abgeschwächt, auf diese Definition und schreibt: „Herkunft, Kultur und Religion bilden eine exklusive Gemeinschaft und schaffen eine substanzielle Homogenität“ (Carl Schmitt)“.
Und:
Genauer gesagt entstand diese Forderung im Zuge der Aufklärung – vor allem im 19. Jahrhundert – sowohl in jüdischen Gemeinden selbst, vor allem aber auch in der damaligen Mehrheitsgesellschaft. Im Zuge der Reichsgründung 1871 wurden die Juden zwar zu gleichberechtigten Staatsbürgern gemacht. Ihre „Assimilierung“ stellten rechtsvölkische Politiker gleichwohl bereits damals schon, also im Kaiserreich in Frage. Der Historiker und damalige Reichstagsabgeordnete Heinrich von Treitschke sprach den Juden sogar ab, sich assimilieren zu wollen. Von ihm stammt der Satz „Juden sind unser Unglück“. Diesen nutzten die Nationalsozialisten später als Kampfparole. Treitschke stigmatisierte die Juden damit zu Feinden, die nicht Teil der nationalen Einheit seien. Später konnten sich nicht einmal diejenigen, die sich bewusst assimilierten, vor der Vernichtung retten. Selbst jüdische Männer, die im 1. Weltkrieg noch für den Kriegseinsatz mit Orden ausgezeichnet wurden, wurden von den Nationalsozialisten zunächst entrechtet und anschließend ermordet. Wenn Sellner in seinen Büchern, Auftritten und auch bei seinem Vortrag in Potsdam, Menschen als „nicht-assimiliert“ herabwürdigt, gehört dieser historische Kontext dazu.
Der Artikel von Bensmann ist zwar sehr lang, dafür aber auch sehr informativ.
Hier geht’s zum Beitrag:
Titelbild: Foto: Tim Dennell CC BY-NC 2.0 DEED via FlickR
Auch ein Blog verursacht Ausgaben ...
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