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Beitrag von Jürgen Klute | aktualisiert am 26.11.2017


Ein Museum in Antwerpen blickt auf die Geschichte der Auswanderung nach Nordamerika

Gut hundert Jahre ist es her, dass Millionen europäische Migranten und Migranntinnen ihre Heimat in der Hoffnung auf ein neues und besseres Leben verließen. Für einen Teil der insgesamt 60 Millionen europäischer Auswanderer, die zwischen 1815 und 1940 aufbrachen, war die Hoffnung auf ein neues und besseres Leben mit dem Namen „Red Star Line“   verbunden.

Mit der “Red Star Line” von Antwerpen nach New York

Die „Red Star Line“ betrieb von 1873 bis 1934 eine regelmäßige Schiffsverbindung zwischen Antwerpen und New York. In dieser Zeit war die „Red Star Line“ mit 23 Schiffen eine der wichtigsten Schiffsverbindungen für europäische Migranten in die USA und nach Kanada. Während ihres Bestehens transportierte die Line rund 2 Millionen Menschen von Antwerpen ins Land ihrer Sehnsüchte.

Die Line verfügte über ein Netz von Reiseagenturen, dass sich von Nordwest- bis Mittel-/ Osteuropaerstreckte. In den Agenturen konnten Migranten die Tickets für ihre Überfahrt von Antwerpen nach New York kaufen. Mitunter bekamen sie in diesen frühen Reisebüros auch Tips, wie die von den Vereinigten Staaten schrittweise eingeführten Einreisebestimmungen und Beschränkungen zur Einwanderung umgangen werden konnten.

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Die Gebäude der „Red Star Line“, in denen die Migranten für die Einschiffung abgefertigt wurden, stehen an der Montevideostraat in Antwerpen, dem alten „Rijnkaai“  an der Schelde. Da der Transport der Migranten ursprünglich mit Schiffen organisiert werden sollte, die auf dem Weg von den USA nach Antwerpen Öl transportieren, wurden die Abfertigungsgebäude der „Red Star Line“ für Passagiere im Antwerpener Frachthafen errichtet.Anders als die Schifffahrtslinie selbst haben diese Gebäude die Zeit überdauert. 2004 hat die Stadt Antwerpen die Gebäude unter Denkmalschutz gestellt und 2005 hat die Stadt die Gebäude von der Antwerpener Hafenverwaltung übernommen, um aus ihnen ein Monument der Erinnerung an die „Red Star Line“ und die mit dem Unternehmen verbundenen Geschichten zu machen. Am 28. Juni 2010konnte der „Grundstein“ für die Einrichtung des Museums in den ehemaligen Abfertigungshallen der Schifffahrtslinie gelegt werden. Eröffnet wurde das „Red Star Line“ Museum am 28. September 2013 .

“Menschen in Bewegung”

Das Konzept des Museums lautet „Red Star Line – People on the move“ (Red Star Line – Menschen in Bewegung). Dahinter verbirgt sich die Idee, die Geschichte dieser auf Migranten spezialisierten Schifffahrtslinie in einen sehr viel weiteren Gesamtkontext von Migrationsgeschichte einzuordnen.

Entsprechend dieser Konzeption wird der Rundgang durch das Museum mit einem historischen Überblick menschlicher Migrationsbewegungen eröffnet, die als Zeitleiste dargestellt ist. Sie beginnt mit den ersten historischen Spuren, die Menschen hinterlassen haben. Denn schon für diese frühe Phase der Menschheitsgeschichte sind Migrationsbewegungen nachweisbar. Die Zeitleiste erstreckt sich dann über die Antike und das Mittelalter bis zur Gegenwart und endet mit Einzelschicksalen heutiger Migranten und Migrantinnen.

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Migration, so wird hier deutlich, hat die gesamte bekannte Geschichte der Menschheit begleitet. Migration ist weder neu noch ist sie eine Ausnahmeerscheinung, sie ist normal und dauerhafter Bestandteil der Menschheitsgeschichte – die schon immer auch ein Art von Globalisierungsprozess war. Allerdings – auch das wird deutlich – ist Migration im Laufe der Jahrtausende keineswegs nur friedlich abgelaufen.

Der weitere Rundgang macht dann zunächst mit den Wegen und Wegstationen der Migranten von ihrem Herkunftsland bis zum Antwerpener Hafen vertraut. Die Kontrolle von Reisepapieren und medizinische Untersuchungen wiederholten sich an den Grenzen. Die „Red Star Line“ hat diese Kontrollen und Untersuchungen im Interesse der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde im damaligen Europa eingeführt. Mit Bestechung und Schleusern ließen sich allerdings auch Kontrollen umgehen. Die Anreise und Weiterfahrt  erfolgte in der Regel in Sonderzügen für Migranten.

Anhand von Fotos und Originaldokumenten wie Reisepapieren, Buchungsunterlagen für die Schiffsüberfahrt, Tickets, Passagierlisten, etc. scheinen immer wieder Einzelschicksale von Migranten und ihren Familien durch. Der bekannteste Passagier der „Red Star Line“ war wohl Albert Einstein, der aufgrund der Machtübernahme der Nazis in Deutschland 1933 mit einem Schiff der „Red Star Linie“ Europa Richtung USA verließ.

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Die dokumentierten Fragen der Behörden an die damaligen Migranten sind nicht sehr viel anders als heute – schon vor hundert Jahren wollten amerikanische Einwanderungsbehörden wissen, ob man den Umsturz der Regierung plane. Ob jemals jemand auf diese Frage mit einem „Ja“ antwortete, ist leider nicht überliefert. Anarchisten, Polygamisten und Prostituierte sollten durch die Fragen aussortiert werden. Ihnen war die Einreise in die USA verwehrt.

Weiter geht es dann mit der Ausstellung zeittypischen Reisegepäcks und der Darstellung des Lebens auf dem Schiff.

Am Ende des Museums-Rundgangs steht die Ankunft in New York. Der eine oder andere Migrant konnte sich bei der Ankunft in New York keinen rechten Reim auf die Bedeutung der Freiheitsstatue machen. So wir in der Ausstellung ein Migrant zitiert, der die Freiheitsstaue für das Grabmal von Kolumbus hielt.

Ganz endet der Rundgang hier aber noch nicht. Das Museum gibt auch Auskunft über Zahlen und den Verbleib von Migranten und über deren Herkunftsländer. 1924/25 z.B. kamen etwas mehr als 50.000 Migranten aus Deutschland in die USA – 1886 waren es sogar rund 250.000 gewesen. Auch auf die kulturelle Rolle von Migranten in den USA wirft die Ausstellung einen kurzen Blick. Beispielhaft sind US-amerikanische Zeitungen in den Muttersprachen der größten Migrantengruppen dokumentiert.

Die Ausstellung endet mit einer kleinen Videostation. In kurzen Videos erzählen dort heute in Antwerpen lebenden Migranten und Migrantinnen weshalb und wie sie nach Antwerpen gekommen sind.

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Angesichts der heutigen oft heftigen Diskussionen über Wirtschaftsflüchtlinge kann es hilfreich sein, sich an diese Migrantionsgeschichte von Europäern nach Nordamerika zu erinnern. Wie eingangs zitiert haben zwischen 1815 und 1940 rund 60 Millionen Europäer ihren Kontinent verlassen und ein besseres Leben in Nordamerika gesucht. Ein Teil der Migranten flüchtete vor Diskriminierung, jüdische Migranten vor den immer wieder aufflammenden Pogromen in Europa. Der größere Teil der Migranten, die Europa vor Beginn der Nazidiktatur 1933 verließen, haben in Nordamerika vor allem eine bessere wirtschaftliche Zukunft gesucht – nach heutigem Verständnis waren sie Wirtschaftsflüchtlinge.

Unternehmer und Wirtschaftsflüchtlinge

Die Ausstellung des „Red Star Line“ Museums richtet seinen Blick nicht nur auf die geschichtliche Seite der Migration, sondern auch auf deren ökonomische Seite. Einerseits haben Eisenbahngesellschaften in der Migration ein Geschäft gesehen – sowohl in Europa wie in den USA. Zum anderen aber vor allem das Unternehmen selbst, das die Schifffahrtslinie „Red Star Line“ betrieb.

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Die Gesellschaft, die die „Red Star Line“ betrieb, wurde 1871 von dem in Philadelphia ansässigen Unternehmen Peter Wright & Sons unter dem Namen „International Navigation Company“ gegründet. Ziel war der Betrieb einer transatlantischen Schifffahrtslinie unter ausländischer Flagge. Zu der Zeit waren die Löhne für Seeleute in den USA vergleichsweise hoch. Es ging also um die Senkung von Lohnkosten. Mitfinanziert wurde die neue Schifffahrtslinie von der Pennsylvania Railroad Company, die sich von dem Weitertransport der ankommenden Migranten ein gutes Geschäft erhoffte.

Das Hauptgeschäft von Peter Wright & Sons war der Export von Öl nach Europa. Das Unternehmen zielte mit der Gründung der neuen Schifffahrtsgesellschaft auf eine bessere Nutzung von Schiffen. Auf der Fahrt von Philadelphia nach Antwerpen sollten die Schiffe Öl transportieren, auf der Rückfahrt europäische Migranten. Eine solche Doppelnutzung von Schiffen wurde aus Sicherheitsgründen letztendlich generell von der us-amerikanischen Regierung untersagt, sodass das ursprünglich Geschäftsmodell nicht umgesetzt werden konnte.

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1872 gründete die „International Navigation Company“ dann in Antwerpen als dem seinerzeit wichtigsten Hafen für europäische Migranten eine belgische Tochtergesellschaft, die „Société Anonyme de Navigation Belgo-Américaine“ (SANBA), die ab dem Zeitpunkt für den Betrieb der „Red Star Line“ verantwortlich war. Am 12. März 1874 legte das erste Schiff der Linie in Antwerpen mit dem Ziel New York ab.

Während der Zeit des 1. Weltkriegs wurde das Unternehmen nach Liverpool ausgelagert, 1919 kam es zurück nach Antwerpen. Als die USA die Einwanderung 1921 erschwerten, sank die Zahl der Migranten. Daraufhin orientierte sich die „Red Star Line“ um und baute das Tourismus-Geschäft aus. Nach der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre geriet das Unternehmen aber so stark unter Druck, dass es 1934 aufgelöst wurde.

Die Rechte an dem Namen „Red Star Line“ sicherte sich der Hamburger Schiffseigner Arnold Bernstein. Er betrieb noch eine Zeitlang eine eigene Schifffahrtslinie unter dem Namen „Red Star Line“. Da Arnold Bernstein Jude war, geriet er bald in Fänge der Nazis, die ihn 1937 inhaftierten. Danach verschuldete sich die Linie und wurde an die Gläubiger-Bank überschrieben. 1939 verkaufte die Nazi-Regierung die Linie von Arnold Bernstein an die Holland-America-Linie, die bis in die 1950er Jahre eine „Red Star Line“-Linie zwischen Antwerpen und New York betrieb.

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Das war der endgültige Endpunkt der Geschichte der „Red Star Line“, die aber nur eines von vielen Kapitel der Migrationsgeschichte ist. Das „Red Star Line“ Museum widmet sich insbesondere diesem Kapitel und lässt es durch Bilder, Ausstellungsstücke und Texte für seine Besucherinnen und Besucher anschaulich und greifbar werden. Das Spannende an der Art, wie das Museum diese Geschichte erzählt, ist, dass es immer wieder den Bogen spannt zu anderen Kapiteln der Migrationsgeschichte, insbesondere zur Gegenwart.

Zur Webseite des „Red Star Line“ Museums bitte hier klicken.

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