Trump galt als idealer Verbündeter für die radikale Rechte in Europa. Nachdem er jedoch die Demokratie untergräbt und die Ukraine im Stich lässt, wanken seine europäischen Gesinnungsgenossen, schreibt Ilja Leonard Pfeijffer.

Essay von Ilja Leonard Pfeijffer | 24. März 2025

Auf der Piazza del Popolo in Rom fand am Samstag, dem 15. März [2025], eine pro-europäische Großdemonstration statt. Rund fünfzigtausend Demonstranten demonstrierten mit Flaggen der Europäischen Union ihre Unterstützung für die europäische Idee, für den Zusammenhalt und für die Werte Freiheit und Demokratie, für die die Union steht. „Europa ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit“, sagte Michele Serra, ein Journalist der Zeitung La Repubblica, der die Veranstaltung organisiert hatte, auf dem Podium. „Es ist der einzige Ort, an dem unsere Freiheit, unser Frieden und unser Wohlstand garantiert sind.“

Auch der Bürgermeister von Rom, Roberto Gualtieri, wandte sich an die Menge. „Heute sind wir alle Europäer“, sagte er. „Auf diesem Platz sind wir unter dem blauen Himmel unserer Flagge vereint und verteidigen nicht nur Europa, sondern auch unsere gemeinsame Identität als freie Bürger.“ Der Bürgermeister von Barcelona, Jaume Collboni, war eigens für die Demonstration nach Rom gereist. „Die Tatsache, dass wir Europäer sind, bedeutet, dass wir an Solidarität und Gerechtigkeit glauben“, sagte er. „Europa ist unser gemeinsames Zuhause, das wir gemeinsam und mit Stolz gestalten müssen.“

Der Schriftsteller Antonio Scurati hielt ebenfalls eine Rede. Er sagte: „Es gibt Tage im Leben eines Menschen, an denen er sich im Spiegel betrachtet und sich fragt: Wer bin ich? Dies ist einer dieser Tage für Europa. Wir können uns definieren, indem wir sagen, wer wir nicht sind. Wir sind keine Menschen, die in Nachbarländer einmarschieren. Wir sind keine Menschen, die Städte mit Bomben zerstören. Wir foltern keine Zivilisten. Wir entführen keine Kinder. Selbst wenn wir unseren Blick nach Westen statt nach Osten richten, sehen wir einen Spiegel, der uns zeigt, wer wir nicht sind. Wir sind keine Menschen, die einen Präsidenten im Krieg, der seit drei Jahren um das Überleben seines Landes kämpft, vor laufenden Fernsehkameras demütigen. Wir lehnen Krieg ab. Aber Friedfertigkeit ist nicht dasselbe wie Feigheit. Wer sich als Demokrat versteht, muss bereit sein, für die Demokratie zu kämpfen. Demokratie ist nichts anderes als ein ständiger Kampf für die Demokratie.

50.000 Menschen haben lautstark ihre Zustimmung bekundet.

Pikant

Für einen zynischen Geist mag es vielleicht naheliegend sein, diese Demonstration zu bagatellisieren und sie als ein Signal der Machtlosigkeit in dunklen Zeiten abzutun, das von einer linken Zeitung organisiert wurde. Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass die Europäische Union, die immer als bürokratische Abstraktion und von einigen als gefährliche Fiktion angesehen wurde, jemals zuvor so viel sichtbare Unterstützung und Anerkennung erfahren hat.

Vor dem Hintergrund eines Krieges, der auf unserem Kontinent wütet, und in dem das Regime, das kürzlich in den Vereinigten Staaten an die Macht gekommen ist, auf der Seite des Angreifers steht, die Demokratie außer Kraft setzt und Europa nicht mehr als Verbündeten, sondern als Gegner sehen will, und in dem sich die europäischen Staats- und Regierungschefs eindringlich mit der Notwendigkeit einer Wiederbewaffnung befassen, war die Demonstration von großer Bedeutung.

Die Demonstration war auch im italienischen Kontext von besonderer Bedeutung. Die pazifistische Bewegung ist in Italien stärker und einflussreicher als in vielen anderen europäischen Ländern. Dies erklärt, warum die linken politischen Parteien in Italien mit Unbehagen auf den Plan zur europäischen Aufrüstung reagieren. Die sozialdemokratische Partito Democratico ist gespalten. Die offizielle Linie, die von Parteichefin Elly Schlein vorgegeben wird, ist, sich dem Plan zu widersetzen, aber dies ist eine Minderheitenposition innerhalb der Partei. Zahlreiche prominente Persönlichkeiten, darunter der ehemalige Premierminister und ehemalige Präsident der Europäischen Kommission Romano Prodi, befürworten die Unterstützung des europäischen Verteidigungsplans.

Die Fünf-Sterne-Bewegung von Giuseppe Conte ist sich einig in ihrer Ablehnung des Plans. Paradoxerweise haben sie in Matteo Salvini, dem Vizepremier, der die Lega in der Regierung von Giorgia Meloni vertritt, einen Verbündeten gefunden. Salvini lässt keine Gelegenheit aus, den europäischen Plan aufs Schärfste anzuprangern, während seine Premierministerin Meloni selbst die Aufrüstung verteidigt, obwohl sie gerne mit ihrer privilegierten Beziehung zu Donald Trump und Elon Musk prahlt.

Die von der linken Zeitung La Repubblica organisierte Demonstration auf der Piazza del Popolo war somit eine Demonstration gegen die Linke, bei der Intellektuelle wie Antonio Scurati, der in jüngster Vergangenheit von Giorgia Meloni angegriffen wurde, de facto die Position ihres neofaschistischen Erzfeindes verteidigen.

Auffällig war auch, dass auf dem Platz zwischen den blau-gelben Europaflaggen und der Regenbogenfahne mit dem Schriftzug „Frieden“, dem Banner der Friedensbewegung, häufig gewedelt wurde. Offensichtlich ist auch in diesen Kreisen die Erkenntnis gereift, dass Frieden nicht gleichbedeutend ist mit feiger Isolation, dass ein gerechter Frieden, wenn nötig, auch erkämpft werden muss und dass der alte Spruch von Flavius Vegetius Renatus wieder aktuell ist: „Wer den Frieden will, bereite den Krieg vor.“

„Tut-tut ho-ho“

Während sich die tektonischen Platten der geopolitischen Verhältnisse unter unseren Füßen verschieben, ändern sich Prioritäten und Perspektiven, und die öffentliche Meinung scheint dafür empfänglicher zu sein als viele Politiker, die fälschlicherweise glauben, sich auf ihre alten Reflexe verlassen zu können. Dies ist beispielsweise in den Niederlanden ganz deutlich der Fall. Geert Wilders, Fraktionsvorsitzender der rechtsextremen PVV im Unterhaus und Schattenpremier der niederländischen Regierung, hat sich im Labyrinth der internationalen Politik verirrt. Sein Erfolg basierte seit jeher auf seinem Talent, die Agenda bei politischen Debatten zu bestimmen. Doch nun, da zu seiner Frustration wichtigere Themen als Migration und Islam auf der Tagesordnung stehen, hat er die Initiative verloren und ist in schwankende Inkohärenz verfallen.

Er ist hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, Russland als Aggressor anzuerkennen, und seiner Bewunderung für Trump und Orbán. Er hatte eine Phase, in der er mit Putin flirtete, woran er jetzt natürlich jedes Mal erinnert wird, wenn er den Mund aufmacht, und letzten Monat sprach er auf einem Treffen rechtsradikaler Politiker, wo er Trump als „einen Waffenbruder“ bezeichnete. Er möchte der Ukraine helfen, aber keine Truppen entsenden. Er erklärt, dass seine PVV die Ukraine „mit Überzeugung“ unterstützt, aber gleichzeitig ist er besorgt über die „hysterische Anti-Trump-Stimmung“. Und als ob das nicht schon kompliziert genug wäre, muss er sich auch mit Parteimitgliedern und einem Minister auseinandersetzen, die versehentlich oder absichtlich die russische Propaganda wiederholen.

Auf der anderen Seite des niederländischen politischen Spektrums steht ein Oppositionsführer mit großer internationaler Erfahrung, der Souveränität ausstrahlt, jetzt, da es in der Debatte endlich um etwas Wesentliches geht. Frans Timmermans (GroenLinks-PvdA) wird jetzt sogar von der rechtsliberalen VVD, die Teil der Regierungskoalition ist, als Vorbild angesehen.

Auf die Gefahr hin, dass der Wunsch Vater des Gedankens ist, glaube doch, Anzeichen dafür zu erkennen, dass ich mich irre

Als das niederländische Parlament über den Plan zur europäischen Aufrüstung abstimmen musste, war die Koalition gespalten. Die VVD stimmte für den Plan, während die anderen Regierungsparteien gemäß ihren alten Reflexen dagegen stimmten, wie die Partei von Pieter Omtzigt, der immer sagt, dass er die Ukraine unterstützt, aber mit fast anachronistischer Sparsamkeit um das niederländische Haushaltsbudget besorgt ist, aus der Angst heraus, dass alle möglichen skurrilen südeuropäischen Länder plötzlich Eurobonds nutzen könnten, um Schulden aufzunehmen und so unsere Kreditwürdigkeit zu schädigen, um sich gemeinsam mit uns gegen die pechschwarze Zukunft zu verteidigen.

Die Gegner waren in der Mehrheit. Die dringende Wiederbewaffnung Europas aufgrund der russischen Aggression und der Feindseligkeit des neuen amerikanischen Regimes wurde mit einem typisch niederländischen „Tut-tut ho-ho“ abgewürgt.

Atemberaubend

Dann aber geschahen zwei äußerst interessante Dinge. Die niederländische Regierung erklärte durch Ministerpräsident Dick Schoof, der bis dahin seine Rolle als Wilders‘ Marionette mit atemberaubend überzeugender Willenslosigkeit erfüllt hatte, dass sie die Parlamentsmehrheit ignorieren würde und dass die Niederlande dem Wiederaufrüstungsplan im europäischen Kontext längst zugestimmt hätten. Es kam zu einer Krise, aber Wilders sah sich gezwungen, sich stillschweigend dem Willen seines rebellischen Strohmanns zu beugen, und fluchte leise vor sich hin, weil ihm klar wurde, dass er durch den Sturz des Kabinetts wegen einer geopolitischen Frage nichts gewinnen würde.

Das zweite Ereignis war vielleicht noch bedeutender. Diese Woche wurde eine Meinungsumfrage veröffentlicht, in der Wilders‘ PVV nach vielen Monaten des virtuellen Zugewinns von Sitzen plötzlich in einen freien Fall abzurutschen scheint. Alle Parteien, die sich der europäischen Aufrüstung widersetzt haben, müssen nun erhebliche Verluste hinnehmen, während die VVD und insbesondere Timmermans‘ linksgerichtete Fusionspartei für ihre pro-europäische Haltung deutlich belohnt werden.

Im Vorfeld der amerikanischen Wahlen im vergangenen Jahr haben viele Menschen mit Schaudern vorausgesagt, dass ein Sieg von Donald Trump für die rechtsradikalen Parteien in Europa eine enorme Unterstützung bedeuten würde. Ich gehörte zu dem düsteren Chor, der dieses Unheilsszenario voraussagte. Aber auch wenn der Wunsch der Vater des Gedankens ist, glaube ich nun, Anzeichen dafür zu erkennen, dass ich Unrecht hatte.

In den fünfzig Tagen, die Trump nun an der Macht ist, hat sich sein Regime als so extrem erwiesen, dass es eher eine Warnung als eine Inspiration darstellen dürfte. In diesen fünfzig Tagen hat er die Demokratie, den Rechtsstaat und die Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten faktisch abgeschafft, und zwar auf eine Weise, die selbst die Anhänger der extremsten antidemokratischen und rechtstaatsfeindlichen Politiker Europas erschaudern lässt.

Den Europäern werden jedoch vor allem durch die Lässigkeit, mit der Trump die Ukraine verrät und mit unserem Feind gemeinsame Sache macht, die Augen geöffnet. Dadurch ordnet er Gerechtigkeit den finanziellen Interessen seiner Oligarchie unter, gefährdet die Sicherheit unseres Kontinents und wendet sich gegen uns.

Die vertrauten Melodien der Rattenfänger klingen für uns plötzlich wie altmodische Melodien von einer abgenutzten Schallplatte. Hetzreden über Asylbewerber sind zu einem irrelevanten Anachronismus geworden. Demokratie und Rechtsstaat, die wir früher als selbstverständlich hingenommen haben, sind heute das Banner, das wir mit Zähnen und Klauen verteidigen werden, wenn sie ernsthaft bedroht sind. Die Menschen verstehen, dass ein starkes, vereintes Europa unsere einzige Garantie für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde ist.

Dieser Essay von Ilja Leonard Pfeijffer erschien ursprünglich am 22. März 2025 unter dem Titel „Rechtse rattenvangers verliezen grip: Trump schrikt kiezers af“ (https://www.demorgen.be/nieuws/rechtse-rattenvangers-verliezen-grip-trump-schrikt-kiezers-af~b139fb7f/) in der belgischen Zeitung „De Morgen“. Übersetzung ins Deutsche: Jürgen Klute

Titelbild: Piazza Del Popolo, by Eric Parker CC BY-NC 2.0 DEED via FlickR

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Ilja Leonard Pfeijffer

Foto: Stephan Vanfleteren

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