Die kurdischen Kämpfer müssen ihre Waffen niederlegen, verkündete PKK-Führer Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis. Aber für eine wirklich friedliche Lösung muss auch der türkische Staat Zugeständnisse machen.

Von Fréderike Geerdink

Dunkelblaue Jacke, dunkelrotes Hemd und ein viel schmaleres Gesicht als auf den vor über zehn Jahren veröffentlichten Fotos von ihm. Aber seine hellen, durchdringenden Augen machen ihn unverkennbar, und auch sein Einfluss hat nicht nachgelassen.

Seit Dezember wurde über einen Anruf des PKK-Führers Abdullah Öcalan spekuliert. Danach wurde zum ersten Mal seit Jahren einer Delegation von Politikern gestattet, den kurdischen Anführer im Gefängnis auf der Insel Imrali südlich von Istanbul zu besuchen. Türkische Medien berichteten schon bald, dass der Mann, den sie normalerweise als „obersten Terroristen“ bezeichnen, die PKK dazu aufrufen würde, die Waffen niederzulegen. Und genau das tat er letzten Donnerstag [27.02.2025, Anm.d.Ü.]. Er ging dann unerwartet noch einen Schritt weiter: Die PKK, so schrieb Öcalan, solle einen Kongress organisieren, auf dem sie sich selbst auflöst und damit dem bewaffneten kurdischen Kampf endgültig ein Ende setzt.

Doch wie kam es zu diesem Aufruf des Mannes, der 1978 die PKK gründete und 1984 den bewaffneten Kampf begann? Ist es sein Alter von 75 Jahren, das ihn die letzten Jahre seines Lebens in Freiheit verbringen lassen will? Oder ist die PKK durch den von türkischen Drohnen geprägten Krieg in den kurdischen Bergen so geschwächt, dass ihr nichts anderes übrig bleibt, als sich zu ergeben? Die Antwort ist ein doppeltes Nein. Die Kämpfer in den Bergen mögen es nicht leicht haben, aber als Guerillaarmee haben sie sich auch an die neue Technologie angepasst und bewegen sich über ein ausgedehntes Tunnelsystem durch die Berge. Diese dienen als Stützpunkte für den Widerstand. Trotz groß angelegter Offensiven hat die türkische Armee die Berge im Herzen Kurdistans an der türkisch-irakischen Grenze immer noch nicht unter Kontrolle. Seine eigene Freiheit – nun, wie wahre Öcalan-Anhänger sagen: Öcalan ist schon lange frei, nämlich in seinem Geist.

Was hat Öcalan denn zu diesem weitreichenden Schritt bewogen? In seiner Erklärung heißt es, dass sich die Bedingungen in der Türkei in den Jahrzehnten seit der Gründung der PKK geändert haben. Es gibt mehr Raum für Redefreiheit und die Existenz der Kurden wird nicht mehr geleugnet. Das mag seltsam klingen, wenn man weiß, dass noch im letzten Monat Hunderte kurdische Aktivisten, Journalisten und Politiker wegen angeblicher Verbindungen zum „Terrorismus“ verhaftet wurden, dass gewählte kurdische Bürgermeister abgesetzt werden und dass die kurdische Sprache beispielsweise keinerlei Status hat.

Aber Öcalan und die Bewegung, die er anführt, denken in größeren Zeiträumen. Vor fast fünfzig Jahren waren Kurden noch „Bergtürken“, ein Begriff, der die völlige Verleugnung und Unterdrückung alles Kurdischen veranschaulichte. Obwohl es noch ein weiter Weg ist, bis die kulturelle und politische Freiheit der Kurden – mit verfassungsrechtlichen Garantien – erreicht ist, glaubt Öcalan, dass die derzeitigen Umstände einen bewaffneten Kampf nicht mehr rechtfertigen. Und wenn es keinen bewaffneten Kampf mehr gibt, besteht auch keine Notwendigkeit mehr für die Organisation, die diesen Kampf anführt.

Die PKK-Führung in den Bergen hat nun einen sofortigen und einseitigen Waffenstillstand angekündigt. Dies sollte nicht überraschen: Sie war Teil des Prozesses, der in den letzten Monaten stattgefunden hat, und haben beispielsweise einen Brief von Öcalan mit Anweisungen erhalten. Die bewaffnete Bewegung, einschließlich Öcalan, drängt seit mindestens einem Jahrzehnt auf Verhandlungen, um die Kurdenfrage zu lösen. Nach mehr als vierzig Jahren liegt auf der Hand, dass der militärische Konflikt keine Lösung bietet und nur Menschenleben kostet.

Aber was bekommen die Kurden eigentlich im Gegenzug? In Diyarbakır, der größten kurdischen Stadt im Südosten der Türkei, konnte die Pressekonferenz, auf der Öcalans Erklärung verlesen wurde, live auf einer Großleinwand verfolgt werden. Die Menschen weinten dort vor Freude, aber auch vor Trauer: Waren all die Opfer, all die geopferten Leben umsonst? Diese Frage wurde auch während der Pressekonferenz angesprochen. Delegationsmitglied Sırrı Süreyya Önder, Abgeordneter der kurdischen DEM-Partei und Vizepräsident des türkischen Parlaments, antwortete, dass Öcalan gesagt habe, dass eine „demokratische Politik und ein rechtlicher Rahmen“ notwendig seien, um die PKK zu entwaffnen und aufzösen zu können.

Es wäre wahrscheinlich nützlich gewesen, wenn dieser Satz in die Erklärung aufgenommen worden wäre. Die Tatsache, dass dies nicht der Fall ist, ist keine versehentliche Auslassung, sondern zeigt vielmehr, worum es in Öcalans Erklärung geht: Sie ist nicht mehr und nicht weniger als eine Reflexion über die Phase, in der sich der kurdische Kampf derzeit befindet, und die Schlussfolgerungen, die die PKK nach Öcalans Ansicht daraus ziehen sollte. Die Erklärung ist daher keine Ankündigung einer Einigung mit dem Staat. Der Staat muss sich erst noch von der Vorstellung verabschieden, dass es eine militärische Lösung für ein politisches Problem geben könnte.

Das ist der Knackpunkt. Die Frage ist nicht so sehr, ob die Männer und Frauen in den Bergen ihre Waffen niederlegen wollen, denn wir wissen seit mehr als zehn Jahren, dass sie dazu bereit sind. Die Frage ist, ob der Staat dasselbe tun kann und bereit ist, Zugeständnisse zu machen, um des Friedens willen. Eine neue, demokratische Verfassung zum Beispiel, die nicht mehr davon ausgeht, dass jeder in der Türkei ein Türke ist. Ein Anti-Terror-Gesetz, das präzise ist und nicht länger Aktivitäten wie Journalismus, friedlichen Aktivismus, das Erlernen der Muttersprache durch Kinder und kurdische Politik kriminalisiert. Eine Amnestie für Kämpfer, die die Berge verlassen, und ein Prozess, in dem der Staat sich seinen eigenen massiven Menschenrechtsverletzungen seit der Gründung der Republik im Jahr 1923 stellt.

Und ganz kurzfristig einen Waffenstillstand, der auf Gegenseitigkeit beruht. Selbst wenn er nur lokal begrenzt ist, um den PKK-Kämpfern die Möglichkeit zu geben, aus den Tunneln herauszukommen und irgendwo in den Bergen Zelte aufzuschlagen oder eine Höhle einzurichten, um den von Öcalan gewünschten Auflösungskongress sicher zu organisieren. Vielleicht um Newroz, das kurdische Neujahrsfest am 21. März, wenn die Bäume in den Bergen wieder grün sind und man sich im Freien treffen kann.

Das Ganze hat jedoch einen Haken. Wenn sich die türkische Armee vor Ort, beispielsweise entlang der iranischen Grenze, zurückhält, aber weiterhin PKK-Stellungen (und zivile Ziele) anderswo, beispielsweise entlang der türkischen Grenze, bombardiert, behält sich die PKK das Recht vor, sich zu verteidigen. „Keine unserer Truppen wird bewaffnete Aktionen durchführen, es sei denn, sie werden angegriffen“, erklärten die PKK-Kämpfer bei der Bekanntgabe des Waffenstillstands. Es handelt sich nicht um Ungehorsam gegenüber Öcalan. Das Recht auf Selbstverteidigung ist in Öcalans Ideologie von größter Bedeutung. Auch in Friedenszeiten. Das wird am Verhandlungstisch eine ziemliche Herausforderung werden.

Zur Autorin

Fréderike Geerdink ist eine niederländische Journalistin, die auf die Türkei und den Konflikt zwischen den Kurden und dem türkischen Staat spezialisiert ist. Sie lebte einige Jahre in der Türkei und verfolgte den Konflikt vor Ort in Diyarbakir/Adem. Im folgenden nimmt sie eine Einordnung des Aufrufs des PKK-Gründers Abdullah Öcalan vom 27. Februar 2025 zur Auflösung der PKK vor. Der Text erschien ursprünglich am 03. März 2025 auf der Webseite von De Groene Amsterdamer (Der grüne Amsterdammer), eines seit 1877 erscheinenden unabhängigen und progressiven Wochenblattes. Die Wiedergabe der deutschsprachigen Übersetzung ihres Artikels auf Europablog erfolgt mit Zustimmung der Autorin. Übersetzung ins Deutsche: Jürgen Klute.

Fréderike Geerdink gibt wöchentlich einen Newsletter heraus, der über aktuelle Entwicklungen in Kurdistan berichtet. Wer Interesse daran hat, kann ihn hier abonnieren: Weekly newsletter Expert Kurdistan.

Titelbild: Pascal.Van CC BY-NC-ND 2.0 DEED via FlickR

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