Armin Laschet (57) ist Vorsitzender der NRW-CDU und seit Sommer 2017 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Der gebürtige Aachener ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Armin Laschet über die Bedeutung eines geeinten Europas, die Stimmungslage nach Chemnitz und das neue NRW-Polizeigesetz.

Europa.blog veröffentlicht das Interview in Kooperation mit Gesichter der Demokratie.

Sven Lilienström: Herr Ministerpräsident, Sie blicken auf eine annähernd drei Jahrzehnte lange Karriere als Politiker zurück. Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Ministerpräsident Armin Laschet: Meine Generation ist in einer gewachsenen Demokratie groß geworden. Vor diesem Hintergrund nehmen viele Menschen unsere Demokratie als selbstverständlich wahr. Wir merken in diesen Tagen jedoch, wie wichtig es ist für Dinge zu kämpfen, die wir lange als scheinbar selbstverständlich betrachtet haben. In all den Jahren meiner politischen Tätigkeit erleben wir derzeit eine Stimmungslage, die soziales und gesellschaftliches Engagement mehr denn je erfordert. Diese Stimmungslage nehme ich ernst und setze mich deutlich und laut ein für Recht und Freiheit, für Einigkeit und einen starken Zusammenhalt in einem offenen Land.

Auf dem NRW-Unternehmertag sagten Sie, Europa müsse „weltpolitikfähig“ werden. Wie wichtig ist ein starkes Europa für NRW und wie beurteilen Sie das Treffen zwischen Jean-Claude Juncker und Donald Trump?

Ein starker Impuls für die Gründung eines vereinten Europas ist aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs entstanden – auch dank des Vorschlags aus Nordrhein-Westfalen, die heimische Stahl- und Kohleproduktion nicht mehr national, sondern gemeinschaftlich in der Montanunion zu koordinieren. Als Exportland sind wir auf große Märkte ohne Handelsschranken oder Zölle angewiesen. Hinzu kommt die gemeinschaftliche Währung. Wenn all dies unter Berücksichtigung der jetzigen weltpolitischen Lage nicht existieren würde – wir müssten Europa heute erfinden!

Ich möchte die Bedeutung von Europa anhand von drei Punkten erklären:

Betrachten wir als Erstes die momentan schwierige weltpolitische Lage und stellen uns vor, in einem Europa mit 27 Einzelstaaten zu leben. Jedes Land hätte eigene Gesetze, Regelungen, Zölle und Schranken, die das wirtschaftliche und politische Handeln in einer globalisierten Welt behindern würden. Kein Land der Europäischen Union, auch nicht Deutschland, hätte ohne die europäische Integration denselben Einfluss auf die internationale Politik. Die logische Konsequenz wäre: Wir müssen uns zusammenschließen! Daher ist es besonders wichtig zu erklären, dass unser Wohlstand, auch in Nordrhein-Westfalen, von Europa abhängt. Das heißt konkret, ein offenes Europa mit den Schengen-Binnengrenzen zu erhalten.

Zweitens: Die gemeinsame Währung, die den Handel innerhalb der Eurozone deutlich erleichtert.

Drittens brauchen wir auch für die großen Herausforderungen, wie beispielsweise die Bekämpfung des Terrorismus, eine grenzüberschreitende Antwort. Das bedeutet, dass auch unsere polizeiliche Zusammenarbeit europäisch antworten muss. In der Außenpolitik zeigt sich das offenkundig. Die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge und das, was derzeit in Afrika passiert, können nicht 27 Nationalstaaten mit eigenen Konzepten lösen. Wir brauchen eine starke Antwort auf eine solche gemeinschaftliche Herausforderung. Ich denke, wenn wir das den Bürgerinnen und Bürgern so erklären, dann gehen auch viele den Weg mit.

Rechtspopulistische Strömungen nehmen weltweit zu und werden voraussichtlich auch die EU-Wahl 2019 beeinflussen. Wie anfällig ist unsere Demokratie dafür, mit demokratischen Mitteln ausgehebelt zu werden?

In vielen Ländern Europas ist die Demokratie zurzeit herausgefordert. Wir erleben Einschränkungen von Justiz und Presse in Polen und Ungarn. Die Tonlage in der Slowakei und in Tschechien ist nicht anders. Rumänien hat eine sozialistische Regierung – dort gehen die Menschen gegen Korruption auf die Straße.

In Deutschland und anderswo erleben wir eine Verrohung der Sprache im Netz bis hin zu Folgetaten auf der Straße. Das Bedrohliche an den Ausschreitungen in Chemnitz ist, dass innerhalb kürzester Zeit tausende Menschen mobilisiert werden konnten, die mit teils extremistischen Parolen durch die Straßen gezogen sind. Und unter diesen Menschen befinden sich auch Teile der bürgerlichen Mitte. An dieser Stelle muss die Demokratie wehrhaft sein und deutlich machen: Wir können unterschiedlicher Meinung sein, wir können demonstrieren, aber wir können und dürfen nicht hinnehmen, dass Menschen auf der Straße wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft bedrängt oder gar verfolgt werden. Hier muss schnell spürbar sein, dass der Staat reagiert!

Die Oberbürgermeister/innen der NRW-Metropolen Köln, Düsseldorf und Bonn haben Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten mehr Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Wie beurteilen Sie diesen Vorstoß?

Ich habe diesen Vorstoß als politisches Signal wahrgenommen – ein Signal auch für manche Diskussionen in Berlin.

Das Engagement der genannten Städte – Bielefeld ist inzwischen auch dabei – zeigt eindrucksvoll, dass die Bereitschaft, Menschen in einer Notlage zu helfen, nach wie vor existiert. Inwieweit eine Stadt konkret die Aufnahme von Bootsflüchtlingen durchsetzen und organisieren kann, bleibt zu prüfen. Als politisches Signal war und ist das Angebot der nordrhein-westfälischen Bürgermeister sicherlich sehr hilfreich.

Braucht NRW ein neues Polizeigesetz?

Ihre schwarz-gelbe Landesregierung möchte in Kürze ein neues Polizeigesetz verabschieden. Kritiker sehen in der Novelle eine Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie. Warum braucht NRW das neue Gesetz?

Das Thema Innere Sicherheit war bereits im Wahlkampf eines der Schwerpunktthemen. Wir haben damals gesagt, dass wir dringend eine „klare Linie“ brauchen. Gerade weil wir ein liberales Land bleiben möchten, muss gegenüber Kriminellen eine Null-Toleranz-Grenze gelten.

Dieses Ziel können wir mit mehreren Maßnahmen erreichen:

Die erste Maßnahme ist die Verstärkung unserer Polizeikräfte. Mit 2.300 neuen Kommissaranwärterinnen und -anwärtern haben wir den vorgegebenen Ausbildungsrahmen des Landes Nordrhein-Westfalen maximal ausgeschöpft – der Innenminister versucht sogar noch zusätzliche Stellen zu schaffen, damit der Rahmen im nächsten Jahr ausgedehnt werden kann.

Die zweite Maßnahme gilt der politischen Rückendeckung unserer Polizistinnen und Polizisten – auch dann, wenn sie in schwierige Einsätze gehen. Diese Rückendeckung gibt der Innenminister.

Als dritte Maßnahme brauchen wir Handlungsmöglichkeiten zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und internationalem Terrorismus. Das betrifft beispielsweise die verdachtsunabhängige Kontrolle. Fakt ist: Wenn wir offene Grenzen möchten, müssen wir im Hinterland der Grenze auch verdachtsunabhängig kontrollieren können. Vor diesem Hintergrund haben wir das Element der strategischen Fahndung im Koalitionsvertrag verabredet. Damit die Polizei in Nordrhein-Westfalen ebenfalls die Möglichkeit hat verdachtsunabhängig zu kontrollieren, ist die strategische Fahndung auch Bestandteil des neuen Polizeigesetzes.

Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem Umgang mit potentiellen Gefährdern und insbesondere zur Dauer der Gefährderhaft. Bisher darf ein potentieller Gefährder in Nordrhein-Westfalen maximal 48 Stunden in Gewahrsam genommen werden – die kürzeste Haftdauer aller Bundesländer. In dem neuen Polizeigesetz haben wir eine Dauer von bis zu vier Wochen vorgesehen.

Auch wenn wir fest davon überzeugt sind, dass bereits der aktuelle Entwurf des neuen Polizeigesetzes verfassungskompatibel ist, nehmen wir begründete Bedenken selbstverständlich ernst. Wir prüfen diese Bedenken und werden noch vor Jahresende eine verfassungskompatible Lösung präsentieren.

Die Voraussetzung für Demokratie ist ein demokratischer Diskurs. Ein Diskurs, der zunehmend in sozialen Netzwerken geführt und durch Algorithmen beeinflusst wird. Wie frei sind wir noch in unserer Meinungsbildung?

Wir sind frei in unserer Meinungsbildung. Jeder von uns wählt schließlich auch sein soziales Netzwerk selbst. Fakt ist aber auch: Eine Meldung in sozialen Netzwerken ist nicht zwangsläufig eine journalistisch geprüfte Tatsache.

Umso dringender brauchen wir qualifizierten Journalismus und einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die mit fundierten Recherchen zu einer differenzierten Meinungsbildung und Debatte beitragen.

Zwischenbilanz nach dem ersten Regierungsjahr

Herr Laschet, welche Zwischenbilanz ziehen Sie nach Ihrem ersten Regierungsjahr als Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und welche Ziele haben Sie sich für die kommenden vier Jahre Ihrer Amtszeit gesetzt?

Wir haben bei den drei Themen, die für die Menschen in Nordrhein-Westfalen und die Zukunft unseres Landes besonders wichtig sind, bereits vieles auf den Weg gebracht – und wollen weiter daran arbeiten:

Erstens: die Verbesserung der Bildungsqualität. Bildung eröffnet Perspektiven. Aufstieg durch Bildung muss für jeden möglich sein – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Das ist eine der großen Aufgaben für die nächsten Jahre. Die Beendigung des Streits um G8 und G9 war von großer Bedeutung. Nun können wir uns auf Inhalte konzentrieren. Bei der Inklusion möchten wir die Förderschulen erhalten und trotzdem an der Inklusion weiterarbeiten.

Über das zweite Schwerpunktthema, die Innere Sicherheit, haben wir bereits gesprochen. Mit der geplanten Umsetzung des Polizeigesetzes werden wir einen weiteren bedeutenden Schritt zu verbesserter Sicherheit in Nordrhein-Westfalen gehen.

Als drittes gilt es, die wirtschaftliche Dynamik von Nordrhein-Westfalen wieder zu entfesseln. Eine wichtige Maßnahme dafür ist es, Bürokratie abzubauen, womit wir mit den „Entfesselungspaketen“ bereits begonnen haben. Die FAZ hat einmal geschrieben, Nordrhein-Westfalen sei ein „gefesselter Riese“. Ein starkes Land, aber mit so vielen Vorschriften, dass es seine wirkliche Stärke nicht vollumfänglich ausspielen kann. Wir wollen das riesige Potential unseres Landes heben. Nordrhein-Westfalen gehört in die Spitzengruppe der deutschen Länder – das wieder zu erreichen ist unser Ziel!

Vielen Dank für das Interview Herr Ministerpräsident!

Über Gesichter der Demokratie

Die Initiative Gesichter der Demokratie | Faces of Democracy wurde von Sven Lilienstrom ins Leben gerufen. Seit Gründung dieser Initiative im Februar 2017 haben bereits mehr als 250.000 Menschen die Selbstverpflichtung zum Schutz und zur Stärkung der demokratisch-zivilgesellschaftlichen Grundwerte unterzeichnet. Zahlreiche prominente Interviewpartner unterstützen die Initiative – darunter EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank, Bundesminister Heiko Maas und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Andreas Voßkuhle.

Kontakt:

Sven Lilienström

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