Beitrag von Jürgen Klute und Dr. Axel Troost
Unter dem Titel „Ansichten eines Querdenkers: Oskar Lafontaine redet Tacheles“ veröffentlichte die Osnabrücker Zeitung zum Jahresschluss am 30.12.2017 ein Interview mit dem früheren SPD- und ehemaligen Linken-Vorsitzenden Oskar Lafontaine.
Neues bringt das Interview nicht. Lafontaines Forderung nach einer neuen linken Sammlungsbewegung hat er ja schon vor diesem Interview platziert. Aussicht auf Erfolg hat diese Forderung in der gegenwärtigen politischen Situation wohl nicht. Schlimmstenfalls könnte sie aber die gesellschaftliche Linke ein weiteres Mal spalten und schwächen. Wenn man die Gesellschaftliche Linke erneuern will, dann müsste man sich wohl zunächst einmal über die Unterschiede zwischen der heutigen Gesellschaft und der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts Gedanken machen. Dazu äußert sich Lafontaine nicht. Eine nationalistische auf rechts gewendete Linke à la Lafontaine braucht jedenfalls niemand und hätte als Abklatsch gegen die AfD auch kaum eine Chance – denn mehr wäre diese Bewegung nicht.
Dafür verbreitet Lafontaine aber erneut – rhetorisch geschickt verpackt – Fragwürdigkeiten zur Flüchtlingspolitik, die einer Wählertäuschung gleichkommen.
So fragt Uwe Westdörp von der Osnabrücker Zeitung:
„Auch die Linke streitet heftig um den richtigen Kurs. Sie selbst haben die Flüchtlingspolitik ihrer Partei als verfehlt und sozial ungerecht kritisiert. Haben es sich die Linken in der Flüchtlingsfrage zu leicht gemacht?“
Lafontaine antwortet darauf:
„Die Flüchtlingspolitik der Linken ist genauso falsch wie die der anderen Parteien, weil sie 90 Prozent der Flüchtlinge mehr oder weniger außen vor lässt. Nur zehn Prozent schaffen es, in die Industriestaaten zu kommen. 90 Prozent hungern oder sterben anderswo an Krankheiten oder vegetieren in Lagern. Meine Überzeugung ist: Man muss dort helfen, wo die Not am größten ist. Aktuell wenden wir für die Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge in einem Industriestaat pro Kopf das 135fache dessen auf, was wir pro Flüchtling n den Lagern und Hungergebieten bereitstellen. Ich verstehe nicht, warum man in einer Art National-Humanismus den allergrößten Teil der Hilfe auf die Menschen konzentriert, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen, während man den Millionen in den Lagern und Hungergebieten nur wenig hilft.“
Beim ersten Lesen mag das nach einer verblüffend klugen Einsicht klingen, die eine große bisher ignorierte Ungerechtigkeit offenlegt. Tatsächlich kommt nur ein kleiner Teil der weltweit ca. 65 Millionen Flüchtlinge (Zahlen des UNHCR für 2016) nach Europa. Gut 40 Millionen Flüchtlinge sind so genannte Binnenflüchtlinge, also auf der Flucht innerhalb ihres Landes. Gut 17 Millionen Flüchtlinge fallen unter das Mandat des UNHCR. Von den verbleibenden rund 8 Millionen Flüchtlingen kommt auch nur ein Teil nach Europa.
Doch was ist mit dieser Feststellung gewonnen? Die nach Europa gekommen Flüchtlinge sind nun mal hier. Die obige Feststellung ist keine sinnhafte Antwort auf die Frage, welche Unterstützung diesen Flüchtlingen, die in Europa angekommen und nun hier sind, zukommen soll. Diese Frage ist heute und in Europa zu beantworten – unabhängig von allen anderen Fragen, die außerhalb Europas mit dem Themenkomplex „Flucht, Asyl und Migration“ verbunden sind. Und diese Frage ist innerhalb des von den internationalen Menschenrechten gesteckten Rahmens zu beantworten.
Lafontaine versucht hier aber wider besseres Wissen den Eindruck zu vermitteln, dass mit einer Verschiebung des Fokus auf die Bekämpfung der Fluchtursachen die Frage, was mit den Flüchtlingen, die heute schon in Europa sind, geschehen soll, auf wundersame Weise gleich mit gelöst sei. Dies wird nicht der Fall sein!
Lafontaine spitzt noch weiter zu. Mit dem von ihm benutzten Begriffsungeheurer „National-Humanismus“ diskreditiert er – durchaus in AfD-Manier – die in Deutschland geleistete Hilfe für Flüchtlinge als nationalistisch und als Unrecht gegenüber den Flüchtlingen, die es nicht nach Europa bzw. Deutschland geschafft haben, weil den Flüchtlingen, die es nicht nach Europa geschafft haben, nicht gleichzeitig geholfen wird. Das ist so billig, dass man diesen Vorwurf nur als intellektuelle Bankrotterklärung einstufen kann.
Lafontaine rechnet vor, dass das Geld, das für Flüchtlinge in Deutschland ausgegeben wird, in Afrika viel wirksamer angelegt wäre. Diese Behauptung ist in mehrfacher Weise fragwürdig. Zum einen tragen Flüchtlinge, die bleiben dürfen und in den Arbeitsmarkt integriert werden, zukünftig zur hiesigen Wertschöpfung bei.
Flüchtlinge und Migranten behalten dieses Geld auch nicht nur für sich. Die Wiener Tageszeitung Der Standard veröffentlichte kürzlich unter dem Titel „Rücküberweisungen: Afrika und das Geld der Auswanderer“ einen Überblick über Geldflüsse von nach Europa nach Afrika. Afrikanische Migranten und Flüchtlinge, die es geschafft haben nach Europa und hier Fuß fassen konnten, schicken von dem Geld, dass sie in Europa verdienen, einen beachtlichen Teil an ihre Familien in Afrika. In einigen afrikanischen Ländern liegen diese Rücküberweisungen deutlich über den Entwicklungshilfegeldern, die aus Europa kommen. Möglicherweise könnten diese Gelder in Afrika effektiver genutzt werden als es gegenwärtig geschieht (sie werden vorwiegend für Konsum und kaum für Investitionen in Infrastruktur genutzt), in jedem Fall tragen sie aber auch schon jetzt zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und damit zur Bekämpfung von Fluchtursachen bei, da diese Überweisungen nicht bei korrupten Eliten hängen bleiben.
Dass die Bekämpfung von Fluchtursachen deutlich verstärkt und verbessert werden muss, ist unbestreitbar. Aber die Bekämpfung von Fluchtursachen ist nicht nur eine Frage des Geldes. Es geht mindestens ebensosehr um die Bekämpfung von Korruption und den Aufbau einer leistungsfähigen staatlichen Verwaltung und einer leistungsfähigen Wirtschaft, die jungen Menschen in Afrika eine Perspektive bietet.
Das heißt aber, dass die Bekämpfung von Fluchtursachen eine langfristige Aufgabe darstellt, die wahrscheinlich ein bis zwei Generationen braucht – wenn nicht länger – bevor sie die gewollten Wirkungen zeigt (vergleiche dazu die Artikelverweise im nebenstehenden Kasten). Wer die Bekämpfung von Fluchtursachen fordert, sollte allerdings so ehrlich sein und sagen, dass die nur langfristig Wirkung zeigt und nicht die gegenwärtigen Probleme lösen kann.
Weil eine Bekämpfung von Fluchtursachen auch Geld kostet, bliebe damit aber der Angriffspunkt der AfD bestehen: Die AfD behauptet (faktenwidrig), dass die Ausgaben für Flüchtlinge in Deutschland zu Lasten sozialstaatlicher Leistungen für „Deutsche“ geschähen. Das gleiche Argument lässt sich auch gegen die Entwicklungshilfe vorbringen, vor allem, wenn sie soweit aufgestockt würde, wie eine effektive Bekämpfung von Fluchtursachen erfordern würde. Die verteilungspolitische Frage besteht also weiterhin, nur etwas verschleierter.
Hinzu kommt ein weiteres Problem. Eine effektive und wünschenswerte Bekämpfung von Fluchtursachen bedeutet keineswegs eine Rücknahme der Globalisierung, möglicherweise sogar eine Vertiefung. Vor allem aber bedeutet sie eine wirtschaftliche Neuordnung, weil der Aufbau funktionierender Ökonomien in afrikanischen Ländern nicht ohne Auswirkungen auf die EU bleibt. Bisher ist Afrika einerseits Absatzmarkt und andererseits Rohstofflieferant für die EU. Die Bekämpfung von Fluchtursachen könnte aber dauerhaft nur funktionieren, wenn ein Teil der jetzigen Wertschöpfung nach Afrika geht. Das betrifft die Produktion in der EU wie auch den Export von EU-Gütern nach Afrika. Das ist kein Argument gegen die Bekämpfung von Fluchtursachen, diese Folgen sollten aber ehrlicherweise benannt werden. Sie könnten Triebkraft für eine grundlegende Reform des deutschen Wirtschaftsmodells sein, das auch im Interesse einer wirtschaftlich ausgeglicheneren EU einer wesentlich stärkeren öffentlichen Dienstleistungsorientierung bedarf. (vgl. Axel Troost: Anders und besser wirtschaften in Europa! Alternative Wirtschaftspolitik heute. Vortrag anlässlich der Verleihung des Jörg-Huffschmid-Preis 2017 am 6.12.2017, S. 4)
Der populäre britische linke Publizist Paul Mason hatte im April 2017 in seinem Spiegel-Essay „Liebe Linke, und was kommt jetzt?“ vorgeschlagen, gezielt Arbeitsplätze aus anderen Teilen der Welt nach Europa zurückzuholen, um hier wieder mehr Arbeitsplätze zu schaffen und den rechten Parteien das Wasser abzugraben. Mason wörtlich:
„Wir müssen eine Industriepolitik betreiben, die Industriearbeitsplätze in die nördliche Hemisphäre zurückbringt, gleichgültig, welche Auswirkungen dies auf das Wirtschaftswachstum in der südlichen Hemisphäre hat.“
Mason fordert also, ohne Rücksicht auf den Süden den Norden zu stabilisieren. Das ist allerdings das Gegenteil von dem, was Lafontaine fordert. Denn eine effektive Bekämpfung von Fluchtursachen ist nur um den Preis einer globalen wirtschaftlichen Neuordnung zu haben, die den afrikanischen Ländern Entwicklungschancen einräumt.
Hier zeigt sich nun vollends, wie widersprüchlich und unausgegoren Lafontaines Forderungen sind. Und wie konfus die Linke in Europa derzeit agiert.
Bleibt noch eine Frage, nämlich die, ob nach einer erfolgreichen Bekämpfung von Fluchtursachen nach Lafontaines Vorstellungen den Bürgerinnen und Bürgern Afrikas ihr Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt werden soll. Lafontaine hat davon nicht geredet. Aber es wäre durchaus in der Logik seiner Argumentation.
Daten und Fakten zu Flüchtlingen
Die UN-Flüchtlingshilfe veröffentlicht auf ihrer Webseite regelmäßig Daten und Fakten zu Flucht und Migration. Die wichtigsten Daten sind dort auch in deutsch nachlesbar.
Hier die wichtigsten Zahlen im Überblick (Stand: 2016):
- Flüchtlingszahl weltweit Ende 2016: 65,6 Millionen
- Zahl der Binnenflüchtlinge und Vertriebenen (also Menschen, die innerhalb ihres Landes von einem Landesteil in einen anderen flüchten oder vertreiben werden): 40,3 Millionen
Aufnahmeländer :
- 1/3 aller Flüchtlinge (insgesamt 4,9 Millionen) wurde von den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt aufgenommen
- 84 Prozent der Flüchtlinge weltweit lebten Ende 2016 in Staaten mit niedrigen oder mittleren Einkommen.
Die sechs größten Herkunftsländer von Flüchtlingen
Syrien – 5,5 Millionen
Afghanistan – 2,5 Millionen
Südsudan – 1,4 Millionen
Somalia – 1,1 Millionen
Sudan – 650.600
Demokratische Republik Kongo – 537.500
Die sechs größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen
Türkei – 2,9 Millionen
Pakistan – 1,4 Millionen
Libanon – 1 Million
Iran – 979.400
Uganda – 940.800
Äthiopien – 791.600
Länder mit den meisten Binnenvertriebenen
Kolumbien – 7,4 Millionen
Syrien – 6,3 Millionen
Irak – 3,6 Millionen
Demokratische Republik Kongo – 2,2 Millionen
Sudan – 2,2 Millionen
Nigeria – 2,2 Millionen
Jemen – 2 Millionen
Südsudan – 1,9 Millionen
Ukraine – 1,8 Millionen
Afghanistan – 1,8
Somalia – 1,6
Titelfoto: Oskar Lafontiane, Die Linke CC BY-ND 2.0
Ausbeutung in Afrika: Tom Burgis analysiert die Komplizenschaft des Westens. Der Journalist Tom Burgis recherchiert dort, wo es weh tut: Über die Armut der afrikanischen Massen, den Reichtum einer kleinen, korrupten Elite, aber auch über multinationale Konzerne und gierige Politiker aus dem Westen und anderswo, die mitmischen bei der Ausbeutung des Kontinents. Von Marc Engelhardt | Deutschlandfunk vom 06.02.2017
Afrika: Plündern als Prinzip. Afrikanische Journalisten dokumentieren in einem neuen Bericht Verbrechen der Mächtigen in ihren Heimatländern. Typisch Afrika? Von Angela Köckritz | Die Zeit vom 25.10.2017
Tunesien: Dann wenigstens ehrenhaft ertrinken. Zu alte Politiker, korrupte Behörden: Sieben Jahre nach der Revolution ist Tunesien ein Ort der Agonie. Viele Junge hält nichts im Land. Nicht mal die Angst vor dem Tod. Von Sarah Mersch, Tunis | Die Zeit vom 02.01.2018
Geldtransfers von Flüchtlingen und Migranten: Wie das Geld zurück nach Hause kommt. Von Jenni Roth | Deutschlandfunk, 13.02.2017
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Ekelhaftes Kollegenbashing !!!
Ich bin von Dir enttäuscht ,dass Du Streit säest und Spaltung in der Partei. Mit dieser Art Umgang mit Kollegen, die anderer Meinung sind als Du, machst Du Dich unsympathisch. Wenn jemand anderer Meinung ist, ist der Mensch nicht gleich mein Feind, sondern immernoch ein Kollege, nur eben mit anderer Meinung. Man gewinnt den Eindruck, Du kannst es nicht ertragen, wenn jemand anderer Meinung ist als Du.
@Birgitt: Wir haben eine andere Einschätzung der Sachlage als Oskar Lafontaine. Unsere Einschätzung haben wir hier dargestellt und begründet und wir haben Widersprüche innerhalb der Argumentation von Oskar Lafontaine benannt. Was an einer argumentativen Auseinandersetzung Kollengenbashing sein soll, erschließt sich mir nicht. Auseinandersetzungen um Sachfragen sind vielmehr Bestandteil einer demokratischen Kultur. Dazu gehört auch das Recht, eine geäußerte Meinung nicht zu teilen und ihr zu widersprechen. Das Recht auf eine freie Meinungsäußerung bedeutet ja nicht das Verbot einer Kritik der geäußerten Meinung, sondern bedeutet gerade auch das Recht, einer Meinung zu widersprechen.
Jürgen Klute
Dieser Satz »Eine nationalistische auf rechts gewendete Linke à la Lafontaine braucht jedenfalls niemand« ist eine „Argumentative Auseinandersetzung“? Sorry, aber dem Satz liegt die Unterstellung zugrunde, Oskar Lafontaine wolle eine nationalistische und auf rechts gewendete Partei DIE LINKE. Das ist – völlig unpolemisch ausgedrückt – einfach nicht richtig.
Dann bitte aber auch Argumente für die Gegenposition.
Wer hier Nebelkerzen zündet, ist offensichtlich. In einem kleinen Abbsatz entlarven sie ihre Auftraggeber, die deutschen Wirtschaftsverbände, die nach Billiglöhner (sorry, Facharbeiter) aus aller Welt gieren, mit dem Satz, dass Flüchtlinge zur Wertschöpfung (durch Billiglöhne und Konsum) in der BRD beitragen, Das AfD-Befeuerungs-Thema Flüchtlinge wäre schnell erledigt, wenn die Industrieverbände die Integrationskosten inklusive Kost und Logie, inklusive Taschengeld -als Hauptprofiteure- übernehmen müssten.
Wer die Reduzierung von Menschen auf Kostenfaktoren, die das Sozialsystem belasten, kritisiert – und Flüchtlinge sind Menschen, schreibt noch lange nicht im Auftrag von Wirtschaftsverbänden. Menschen als Kostenfaktoren zu betrachten ist mir bisher eigentlich eher als neoliberale Sichtweise geläufig.
Aber nicht nur aus einer ethisch-moralischen Perspektive ist die Fokussierung auf die Kosten, die Flüchtlinge verursachen, kritisierter, sondern auch einer ökonomischen. Es stimmt schlicht nicht, dass die Flüchtlinge „nur“ das Sozialsystem belasten. Sprachkurse, Beratungsdienste, etc. haben zunächst einmal etliche neue Jobs geschaffen. Auch Flüchtlinge brauchen ein Dach über dem Kopf, was zu essen und Kleidung. Das alles ist mit wirtschaftlichen Tätigkeiten verknüpft, die über Steuern und Beiträge zu den Sozialversicherungen der Gesellschaft insgesamt zugute kommen.
Ob Flüchtlinge, die in den Arbeitsprozess integriert werden, zu Billiglöhnen angestellt werden, hängt nicht an den Flüchtlingen. Das wird von der Bundesregierung entschieden. Gewerkschaften hätten die Chance, gemeinsam mit den Flüchtlingen dafür zu kämpfen und durchzusetzen, dass auch im Blick auf Flüchtlinge gleicher Lohn für gleiche Arbeit und ein Mindestlohn deutlich oberhalb der Armutsgrenze gelten. Wenn die gesamte gesellschaftliche Linke dann diesen Kampf unterstützen würde, dann hat er auch Aussicht auf Erfolg!
Jürgen Klute
Ich gebe Birgit Recht. Das ist dumme und teilweise niveaulose Rumpöbelei. Z.B. „Eine nationalistische auf rechts gewendete Linke à la Lafontaine braucht jedenfalls niemand und hätte als Abklatsch gegen die AfD auch kaum eine Chance – denn mehr wäre diese Bewegung nicht.“ Oder „Mit dem von ihm benutzten Begriffsungeheurer „National-Humanismus“ diskreditiert er – durchaus in AfD-Manier – die in Deutschland geleistete Hilfe für Flüchtlinge als nationalistisch“. Andersrum wird ein Schuh draus: Wer „Sozial-Nationalismus“ vorgeworfen bekommt darf duchaus mit gleicher Münze zurückgeben, und der Vorwurf ist tatsöächlich eher berechtigter. Denn die gute Versorgung und Integrationsanstrengungen für nach Deutschland Migrierte sind genau Leistungen des gescholtenen „nationalen Sozialstaats“ – was eh ein schwachsinniger Vorwurf ist, weil einen anderen Sozialstaat gibt es nicht und kann es absehbar nicht geben. Sozialpolitik ist nationale Kompetenz und bezieht sich immer auf die auf dem Territorium lebenden Menschen, u.a. auch auf hier angekommene Flüchtlinge. Die internationalistische Position ist dagegen tatsächlich, sich auch oder sogar vorrangig um Bekämpfung von Flüchtursachen und gute Versorgung von Geflüchteten auch in anderen Teilen der Welt humantär zu kümmern. „National-humanistisch“ ist dabei nicht die Hilfe für Flüchtlinge im eigenen Land – Lafontaine so zu verdrehen ist bloße böswillige Diffamierung, sondern sich darauf einseitig zu fokussieren statt auf größtmögliche Linderung von Not insgesamt – gerade in der Flüchtlingsfrage, wo internationale Solidarität gefragt ist, wogegen ansonsten sozialstaatliche Leistungen tatsächlich inländische sind. Insoweit hält Lafontaine manchen Denunzianten nur den Spiegel vor. Und diese AfD-Anwürfe sind grundsätzlic inakzeptabel. Enttäuschend, dass nicht nur Jürgen Klute, von dem ja mittlerweile nichts anderes zu erwarten ist, sondern auch Axel Troost sich auf dieses unterirdische Niveau herablässt.
Lieber Ralf, Sozialpolitik ist keineswegs eine nur nationalstaatliche Kompetenz. Zum einen ist ja nicht nur die Bundesebene für Sozialpolitik zuständig, sondern in Teilen auch die Länderebene und vor allem sind Kommunen für Sozialpolitik zuständig.
Aber auch Oberhalb der nationalstaatlichen Ebene gestaltet sich die Sozialpolitik komplexer. Innerhalb der EU gehören bestimmte Bereiche der Sozialpolitik zu den so genannten geteilten Zuständigkeiten (Lissabon Vertrag, Arten und Bereiche der Zuständigkeit der Union, Artikel 4 (2)). Die EU-Förderprogramme sind zu einem erheblichen Teil für sozialpolitische Maßnahmen vorgesehen, um den sozialen Zusammenhang der EU zu stabilisieren. Das die vorgesehen Mittel unzureichend sind, ist eine andere Frage.
Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zur Hilfe für Flüchtlinge einschließlich der Aufnahme von Flüchtlingen. Die UN stellt über Lebensmittelhilfen und über den UNHCR ebenfalls Mittel zur Unterstützung von Flüchtlingen zur Verfügung. Die Gelder kommen aus Mitteln der Mitgliedsstaaten und aus Spenden. Diese Hilfen sind Formen einer globalisierten Sozialpolitik. Zu dieser Form einer globalen Sozialpolitik kann man auch die Entwicklungshilfe zählen und die Hilfen in Katastrophenfällen.
Jürgen Klute
Noch ein Wort zu Oskar L:
Er wird immer wieder vom rechten Flügel der SPD angefeindet, weil angeblich er die Spaltung der SPD und deren Niedergang mit Stimmverlusten 15% + X verursacht hat. Völlig falsch!
Der wahre Verursacher des SPD-Niedergangs ist einzig und alleine Gerhard Schröder mit seiner unsäglichen Agenda 2010 und deren verheerenden unsozialen Hartz-Gesetzen. Das sind Gesetze zur Entlastung des Staates und der Wirtschaft, zu Lasten aller Arbeitnehmer und Rentner. Dieser Gerhard Schröder, Totengräber der sozialen Marktwirtschaft -welche ausgerechnet von einem Ludwig Erhardt (CDU) begründet wurde- wurde beim Kanzler-Duell von Herrn Schulz als „ausgezeichneter Kanzler, welcher grosse Verdienst für Deutschland erworben hat“ gelobt. Diese Aussage hat Herrn Schulz bei der Wahl das Genick gebrochen. Von einem Herrn Schulz wird und kann keine Erneuerung der SPD ausgehen. Herr Schulz sollte versuchen, wieder bei der EU einen lukrativen Posten zu bekommen. Der SPD sei gesagt, sie wird nur wieder glaubhaft und von 40% + wählbar, wenn sie sich von solchen Leuten wie Gerhard Schröder und Herrn Schulz trennt.
Nur weil Oskar L.und der linke Flügel der SPD damals fehement gegen Gerhard Schröders Agenda 2010 war, wurde er mit seinem linken Flügel aus der Partei gedrängt oder wie man heute sagt „gemobbt“.
Also, wer ist hier Täter und wer Opfer ?
Das es unterschiedliche Meinungen gibt, welche Flüchtlingshilfe sinnvoller ist, kann man nachvollziehen. Auch ich bin mir sicher, ob es besser ist vor Per zu helfen oder erst mal hier. Dass die Linken- Politiker an dem Punkt aber übereinander her fallen, wie Erzfeinde ist befremdend.
Nun, wir haben in unserem Kommentar aufgezeigt, wo aus unserer Sicht Unstimmigkeiten in der Position Lafontaines sind. Es ist doch nicht sinnvoll, denn Wähler*innen zu sagen, dass man mit der Bekämpfung der Fluchtursachen die gegenwärtigen Probleme in Deutschland im Blick auf Flüchtlinge in den Griff bekäme, wenn klar ist, dass eine Bekämpfung von Fluchtursachen nur sehr langfristig wirkt. Dann erweckt man in den Wähler*innen Erwartungen, die sich bald als irreal entpuppen.
Und zum anderen hat auch die Bekämpfung von Fluchtursachen Rückwirkungen auf die EU und auf Deutschland, da eine nachhaltige Bekämpfung von Fluchtursachen nur möglich ist, wenn eine funktionierende Wirtschaft in den entsprechenden Ländern aufgebaut wird. Auch darauf haben wir hingewiesen. Eine wirksame Bekämpfung von Fluchtursachen ist nicht möglich ohne tiefgreifende wirtschaftliche Änderungen auch innerhalb der EU und damit auch in Deutschland. Auch das muss man Wähler*innen klar und deutlich. Und darüber brauchen wir eine öffentliche Debatte.
Auf diese Fragen und Probleme hinzuweisen hat nichts damit zu tun, übereinander herzufallen. Und es geht auch nicht einfach um eine beliebige andere Meinung, die hier zum besten gegeben wird. Beide Autoren unterstützen die Forderung nach einer Bekämpfung von Fluchtursachen. Wir sagen allerdings, dass auch die ihren Preis hat und nennen diesen Preis. Und wir begründen unsere Einschätzung, weshalb auch die Bekämpfung von Fluchtursachen ihren Preis hat und stellen diese Begründung hier zur Diskussion.
Jürgen Klute
Diese Diffamierung Oskar Lafontaines durch Jürgen Klute und Axel Troost ist in der Sache völlig daneben und sehr unfair. Oskar Lafontaine tut nur das, was eine analytisch klare und internationalistisch ausgerichtete Linke tun muss, nämlich die Flüchtlingspolitik in den globalen Zusammenhang zu stellen. Das heißt zunächst, nicht isoliert das Geschehen in Deutschland zu betrachten und die sozialistische Perspektive auf eine vor allem moralisch ausgerichtete nationale Willkommenskultur zu reduzieren, sondern die Interessen der Millionen unter den schlimmen Verhältnissen in ihren Heimatländern leidenden – und entweder flüchtenden oder durch ihre Situation an der Flucht gehinderten – Menschen im Zusammenhang zu betrachten und daraus die richtigen politischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist kompliziert, aber notwendig – und einer Partei mit sozialistischem Anspruch auch zumutbar. Stattdessen zu glauben, man könne die Probleme dieser Welt auf deutschem Boden lösen, ist auch eine Form von nationalem Größenwahn. Eine sozialistische Perspektive kann doch nur darin bestehen, die Verhältnisse in den Krisengebieten dieser Welt so zu verändern, dass Menschen sich nicht genötigt fühlen, sich mit schlimmsten Risiken für Leib und Leben auf die Flucht zu begeben. Kann einer linken Partei die Situation in Flüchtlingslagern so egal sein, dass sie sich dazu nahezu gar nicht äußert? Ist es verwerflich, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie man die Situation vor allem dort verbessern kann? Wo bleiben über moralisierende Rhetorik hinausgehende konkrete Initiativen der europäischen Linken zur Bekämpfung von Hungertod und Krankheit in den Armutsgebieten? Und muss die Skandalisierung einer Politik, die Kriege gezielt schürt und mit Waffenexporten befeuert, nicht viel konsequenter und deutlicher sein?
Analog dazu muss es in Deutschland selbst darum gehen, die Situation der sich in prekären Lebensverhältnissen befindenden Menschen im Zusammenhang zu sehen und die gemeinsamen Interessen von geflüchteten und einheimischen sozial Benachteiligten in den Mittelpunkt der Politik zu stellen – und zwar real, nicht nur in der Theorie. Lafontaine kritisiert, dass die Linke den Marginalisierten, die eigentlich die Kernwählerschaft der Linken bilden müssten, offensichtlich nicht deutlich genug machen konnte, dass sie sich dieser komplexen Aufgabe ernsthaft widmet und dass es unter anderem dadurch der AfD gelungen ist, Menschen gegeneinander auszuspielen, Hass zu schüren und Wählerschichten für sich zu gewinnen, deren Interessen diese rechtsradikale Partei in Wirklichkeit mit Füßen tritt.
Das Jürgen Klute und Axel Troost sich auch ablehnend gegenüber der Idee einer linken Sammlungsbewegung äußern, passt ins Bild. Sie wollen wohl lieber eine kleine, feine, reine Linke, die unter sich bleibt und keine Energie dafür verschwendet, sich mit der Realität zu beschäftigen.
Jonas, deinen Kommentar kann ich nicht ganz nachvollziehen. Axel und ich haben darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung der Fluchtursachen auf Grund gegebener Verhältnisse eine langwierige Angelegenheit ist, die keine kurzfristigen Lösungen schafft. Erinnert man dann noch daran, dass die EU 2016 alte privilegierte Handelsbeziehungen mit einem Teil afrikanischer Staaten durch simple Freihandelsabkommen ersetzt hat, dann muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen, dass da gerade neue Fluchtursachen geschaffen wurden, ohne dass es einen vernehmbaren Proteste dagegen gab – schon gar nicht von denen, die jetzt so vehement die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern einfordern.
Wir haben weiterhin darauf verwiesen, dass die Bekämpfung von Fluchtursachen nur nachhaltig ist, wenn die wirtschaftliche Situation in den Herkunftsländern deutlich verbessert wird. Das aber hat Rückwirkungen auf die EU, also auch auf Deutschland. Ich mache das mal an einem Beispiel deutlich. Der weltweit größte Exporteur von Bauxit ist der afrikanische Staat Guinea (Conakry). Bauxit ist der Grundstoff für die Aluminium Produktion. Kein einziges Gramm Aluminium wird in Guinea produziert. Wollte man die Wirtschaft Guineas aufbauen, dann wäre es sinnvoll, zumindest einen Teil des Bauxits vor Ort zu Aluminium zu verarbeiten, möglicherweise sogar Endprodukte aus Aluminium herzustellen. Das hieße dann aber, dass die Länder, in denen bisher das Bauxit aus Guinea weiterverarbeitet wird, einen Teil ihrer Produktion Guinea überlassen müssten. Diese Rückwirkung würde in den entsprechenden europäischen Ländern eine Umstrukturierung der Wirtschaft erfordern, um diese Produktionsverlagerung zu kompensieren. Axel hat dazu in dem verlinkten Vortrag von ihm Vorschläge gemacht, wie das im Rahmen einer alternativen Wirtschaftspolitik in Deutschland und in der EU aussehen könnte.
Ein wirtschaftlicher Aufbau afrikanischer Länder wäre auch eine notwendige Maßnahme, um den zurecht kritisierten Brain Drain zu stoppen. Nur wenn akademisch ausgebildete Afrikaner*innen in ihren Ländern keine Jobs finden, weil es keine Wirtschaft gibt, in der akademisch ausgebildete Fachkräfte gebraucht werden, dann bleibt ihnen nur die Chance, ihr Land zu verlassen. Genau deshalb wird man die Abwanderung junger Menschen erst stoppen können, wenn eine funktionierende Wirtschaft aufgebaut wird und sie Perspektiven in ihren Herkunftsländern für sich und ihre Familien sehen.
Im übrigen haben wir darauf verwiesen, dass Migranten und Flüchtlinge in Europa Teil einer Bekämpfung von Fluchtursachen sind. Denn sie schicken von dem Geld, dass sie in Europa bzw. Deutschland verdienen, einen Teil an ihre Familien in ihren Herkunftsländern zurück. Im Unterschied zu machen staatlichen Unterstützungsleistungen im Rahmen der Entwicklungshilfe kommt dieses Geld tatsächlich in den Familien an und bleibt nicht in den Händen der Eliten hängen. Dazu haben wir Statistiken zu Rücküberweisungen verlinkt.
Unser Interesse war, auf die Probleme hinzuweisen, die mit der einfach und schnell ausgesprochenen Forderung nach einer Bekämpfung von Fluchtursachen verbunden sind. Es sieht dann so aus, als könnte man die „Flüchtlingsprobleme“ in Deutschland mit etwas gutem politischen Willen schnell und einfach in Afrika lösen. Das ist aber nicht so und wir finden es politisch wenig überzeugend und zudem gefährlich, hier falsche Erwartungen und Hoffnungen zu wecken. Das führt schnell zu weiterer Politikverdrossenheit. Ob diese Warnung sozialistisch ist oder nicht, das war nicht unsere Leitfrage.
Wieso du nun zu dem Schluss kommst, dass wir zu isoliert das Geschehen in Deutschland betrachten, müsstest du noch einmal genauer erklären.
Dann noch eine abschließende Anmerkung zu einer neuen linken Sammlungsbewegung und Volkspartei. Wir haben garantiert nichts gegen eine starke Linke. Sie kann auch gerne neu sein. Nur, verrate uns bitte, wo du die Männer und Frauen siehst, die diese neue linke Sammlungsbewegung und Volkspartei bilden sollen und gründen wollen. Eine Partei, die den Anspruch hat, Volkspartei zu sein, müsste ja schon an die 40 % der Wähler*innenstimmen auf sich vereinen können. Woher sollen denn gegenwärtig diese Stimmen für eine neue linke Volkspartei herkommen – neben der Linken, der SPD und den Grünen, die ja zusammen gerade noch auf 38 % kommen?
Schwierige Diskussion ohne eindeutige und tragfähige Lösungen. Es ist im Nachhinein ziemlich klar, dass eine weitere Millionen Flüchtlinge in ähnliche kurzer Zeit nicht nur die Menschen vor Ort sondern auch die Bürokratie, die Infrastruktur und das politische Klima erheblich überanstrengt und die AFD locker über 20% gebracht hätte.
Es ist genauso klar, dass man Menschen in größter Not nicht auf ein langfristige Entwicklungsstrategie für ihre Heimatländern verweisen kann, um dann zu erwarten, dass sie trotzdem kurzfristige dableiben. Die die können, und das sind natürlich die, die dafür noch finanzielle Reserven und/oder große psychischen und körperliche Kraft haben, werden trotzdem abhauen.
Aus diesem Dilemma kommt man, selbst wenn man sich international anstrengt, selbst mittelfristig nich heraus. D.h. es kommt unausweichlich zu Konflikten. Entweder im Inland der Aufnahmenationen, oder an ihren Grenzen. Da die Politik bei allen Parteien eher auf Konfliktvermeidung gerichtet ist, werden diese in der Tendenz immer stärker an die Grenzen verlagert werden.
Dort müssen sie dann die aus- und ertragen, die dafür in der Regel vorgesehen sind: Soldaten und Polizisten und das unausweichlich mit Gewalt. Was die Linke in der Regel eher bedauert und die Rechte eher begrüßt. Im geheimen sind sie aber die meisten froh, dass sie es nicht selbst machen müssen, denn das Aufhalten von Flüchtlingen, bzw. ihre begrenzte Auswahl ist allemal unangenehmer als das Willkommen heißen.
Die Illusion besteht allerdings gerade bei der Linken darin, dass es unter den aktuellen Bedingungen der weltweiten Flüchtlingsströme und ihrer Ursachen überhaupt ein gewaltfreie Lösung gäbe. Sie gibt es nicht mal, wenn eine massive und kurzfristige Bereitschaft da wäre, den Ursprungsländern sofort und ausreichend zu helfen. Deren Herrscher wollen sich nämlich zum großen Teil nicht helfen lassen, oder nur dann, wenn man ihre Diktaturen. ihre Gewaltherrschaften und die damit verbundene Korruption außen vorlässt.