Von Frederik D. Tunnat

Eine neue Zeitrechnung hat begonnen: mit dem unerklärten Krieg gegen die Ukraine durch Putins Russland, wurden zeitgleich mehrere, bis dahin bestehende internationale Zeitordnungen beendet.

  • Die Weltkrieg II Nachkriegs-Ordnung, die seit 1945 Bestand hatte
  • Die europäische Nachwende-Periode, die seit 1990 bestand
  • Die KSZE Ordnung, die seit 1973 bestand
  • Die OSZE Ordnung, die der KSZE ab 1995 nachfolgte
  • Das atomare Gleichgewicht der Kräfte, das seit 1945, mit Änderungen nach 1990 bestand
  • Die deutsche Ostpolitik – Wandel durch Annäherung – seit 1969 gehätschelt und gepflegt

Dies alles „verdanken“ wir einem einzigen Mann. Wladimir Putin, diktatorischer Präsident Russlands, sowie seiner destruktiven Nostalgie von der Wiederherstellung eines russischen Imperiums, natürlich unter ihm, dem Ex KGB-Spion, als neu inthronisiertem Zar.

Ein Mann, groß geworden in, selbst für die damalige Sowjetunion, proletarischen Verhältnissen, beseelt davon, sozial aufzusteigen, um die traumatischen Kindheits- und Jugenderfahrungen mittels Geld und Macht zu verdrängen, zum Schweigen zu bringen. Hierin ähnelt Putins Lebenslauf dem seines deutschen Kumpels und Duzfreunds Gerhard Schröder. Beide beseelt und von der falschen Hoffnung besessen, ihr später erworbener Reichtum und ihre politische Macht hätten vermocht, ihr unterentwickeltes Selbstwertgefühl – das eher einem gewaltigen, unentrinnbarem Minderwertigkeitskomplex entspricht – zu kompensieren. Bedauerlicherweise funktioniert psychologische Kompensation nicht auf diese Weise, wie nicht nur Dr. Freud aus Wien, aber weit mehr noch dessen Wiener Konkurrent, Dr. Adler, durch ihre Arbeit und Forschungen eindrucksvoll nachwiesen.

Gerade Adlers These von den verzweifelten Versuchen, mittels derer sich aus Putins und Schröders Verhältnissen stammende Menschen ihrer tief verwurzelten Minderwertigkeit zu entledigen suchen, findet in Putin seine jüngste und zugleich eventuell größte Bestätigung. Die von Adler diagnostizierte Ausbreitung der gespürten Minderwertigkeit seiner Patienten auf bestimmte Organe, kann aktuell an Putin in Echtzeit „bewundert“ werden: seine inzwischen existentiell beeinträchtigte Fähigkeit, Dinge und Menschen real einzuschätzen und wahrzunehmen, lässt, folgt man Adler, auf eine mittlerweile erhebliche Beeinträchtigung des Putin‘schen Gehirns schließen. Zumindest jener, speziell für einen führenden Politiker und Oberbefehlshaber von Militär und Atomwaffen, entscheidende Bereich des Gehirns.

Wie anders könnten beabsichtigte und erwünschte Wirkung des von Putin vom Zaun gebrochenen Krieges gegen die Ukraine und dessen tatsächliche Auswirkungen derart diametral auseinander klaffen? Statt von freudig erregten Ukrainerinnen und Ukrainern an der Grenze begrüßt zu werden, wurde Putins Volksbefreiungsarmee, gut 75 Jahre zu spät um, wie behauptet, Nazis aus der Ukraine zu vertreiben, von Kugeln und Panzerabwehrwaffen begrüßt, quasi in Grund und Boden geschossen.

Auch hatte Putin auf die anhaltende Uneinigkeit des Westens gesetzt, darauf, dass den Kapitalisten das andauernde Geschäft mit Russlands Rohstoffen und seiner maroden Wirtschaft weit wichtiger wäre, als ihre demokratisch-moralischen Prinzipien. Verleitet von einer knapp 18 jährigen, anhaltenden Appeasement-Politik a la München 1938 der USA, NATO und EU, war sich der leicht realitätsgestörte Putin sicher, man würde ihm auch dieses Mal seine Untaten durchgehen lassen und nach kurzer moralisch notwendiger Entrüstung zum business as usual übergehen.

Blöderweise hatte Putin in seiner machomäßigen Verblendung die warnenden Berichte und Hinweise seiner eigenen Geheimdienste ignoriert, für falsch erachtet, die von militärischen Problemen mit den zwangsweise zu russifizierenden Ukrainern schrieben. Und so nahm das voraussehbare Unheil seinen Lauf.

Die angeblich so mächtige russische Armee erwies sich als ein Potemkin’sches Dorf. Seine angeblich strategisch und taktisch so versierten Generäle als Rohrkrepierer. Die angeblich marode, unterlegene Armee der Ukraine als ein mehr als ebenbürtiger Gegner. Der defätistische Westen, erstmals mit Schaudern erkennend, welche Natter er mit Putin an seiner Brust genährt hatte, reagierte völlig anders als vom russischen Imperium umnebelten Putin angenommen: man schloss die Reihen, hurtig wurden erstmals tatsächliche Sanktionen verhängt. Dann erdreistete sich einer der von Putin über Wochen verarschten Politiker – der deutsche Olaf Scholz – auch noch, den eigenen Irrtum und Fehleinschätzung in Bezug auf Putins Russland erkennend, einhundert Milliarden auf den Tisch des Hauses zu legen, um die wegen Putins Schalmeien-Gesängen der letzten 20 Jahre völlig gerupfte deutsche Selbstverteidigungsarmee, genannt Bundeswehr, wenigstens so weit nachzurüsten, damit die wenigen Panzer, Flugzeuge und Waffen der Armee wieder in der Lage wären, an der Oder so etwas wie die Verteidigung der Heimat inszenieren zu können.

Scholz war derart von Putins Verarsche angekotzt, dass er im ersten Überschwang negativer Gefühle sogar in die DDR Spendierhosen griff, und der Ukraine alte, leicht verrottete Waffen zur Abwehr der russischen Panzer schenkte. Dass die Bundesrepublik durch diese Aktion ansonsten allfällige Entsorgungskosten in mehrfacher Millionenhöhe einsparte, blieb natürlich unerwähnt, angesichts derart spendabler Großzügigkeit, der ansonsten zugeknöpften deutschen Waffenlieferanten. Die modernen, effektiven Waffen liefert man nicht an freiheitsliebende Habenichtse, sondern bloß an finanziell marode diktatorische Regime, damit die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken können. Das nennt sich dann deutsche Moral und Erkenntnis aus „eintausend“ Jahren Nazismus.

Doch bereits während der zweiten Woche, nachdem der im russischen Imperiumsrausch befindliche Putin mal eben mit seinen 8600 Atomwaffen wedelte, beginnt der defätistische Westen bereits wieder hörbar mit den zweiten und dritten Zähnen zu klappern. Nun können keine effektiven Waffen mehr an die Ukraine geliefert werden, auch muss Deutschland den Bezug von russischem Gas und Öl aufrecht erhalten, denn angeblich will man der ohnehin schon arg durchs Zuschauen der russischen Kriegsgräuel an Zivilisten in der Ukraine gebeutelten Bevölkerung nicht zumuten, eventuell ihre Heizung etwas runter zu drehen. Dabei geht es einzig und allein um die deutsche Industrie, die auf ihren russischen Rohstoffen beharrt, und der gehorsame Sozi Scholz steht Gewehr bei Fuß, macht sich zum Affen bei Freund und Feind, und lässt Putin im Kreml bereits wieder frohlockend auflachen.

Auf die deutschen Angsthasen ist halt doch noch immer Verlass. Was spielen da schon ein paar hundert von Russen massakrierte Kinder, Alte und Frauen eine Rolle? Hauptsache die deutsche Wirtschaft läuft, und der Fiskus verdient. Aktuell fast einen Euro pro Liter Benzin an der Zapfsäule. Aber man braucht das Geld, um Putins Krieg zu finanzieren, ihn gewogen zu halten, und um den Reichen der deutschen Republik, die eh mehr auf den Kanaren und den Balearen hocken, als im trist-kalten Deutschland nicht die gute Laune zu verderben, indem weniger Gas und Öl da ist, als zu normalen Zeiten. Die armen Rentner, die schon bevor die Preise in die Höhe schossen, ihre Nebenkosten nicht bezahlen konnten, und bei Kerzenschein und ohne Heizung in ihren armseligen Wohnungen hocken, wären ohnehin von einem Gas- und Ölboykott Russlands nicht betroffen.

Die letzte Bastion, die auch nach zwei Wochen entsetzlichen Krieges in der Ukraine, vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung, noch nicht geräumt wurde, im Wohlstands-Wunderland Deutschland, ist die des schreienden sozialen Unrechts, dank dessen man den Reichen und Superreichen und ihren Firmen alles zuschiebt, während ein wachsender Teil der Bevölkerung eh schon ans Darben gewöhnt ist. Wozu also damit aufhören, ausgerechnet in einer Situation, in der die ernsthafte Gefahr besteht, dass erstmals die Superreichen und Besitzenden im Lande ein wenig von ihrem unverdienten Reichtum lassen müssen.

Dabei wird, wenn sich der Pulverraum über der Ukraine verzogen haben wird, und ein wie auch immer gearteter Frieden zu welch unzumutbaren Bedingungen für die Ukraine auch immer geschlossen ist, nichts wieder so sein, wie es vor dem 24. Februar 2022 in Europa war. Falls wir Putin erneut davon kommen lassen, ihm gar helfen, sich eine fette Beute (die Ukraine oder Teile davon) zu schnappen, ihm wieder sein Gas und Öl abkaufen und Geschäfte mit seinem russischen Traumimperium machen, dann sollte uns allen bewusst sein, dass dies das Ende von uns allen, unserem Wohlstand, unserer Freiheit, dem Rest an Demokratie wäre, den Merkel und Co. während ihrer zerstörerischen Jahre im Amt, hinterlassen haben.

Wir müssen uns auf diejenigen Tugenden besinnen, die unseren Großeltern und Eltern halfen, die Bundesrepublik aufzubauen. Dazu war und ist nötig, sich zu beschränken, Verzicht zu üben, nicht nur finanziell, sondern auch vom Anspruchsdenken her. Vieles muss anders werden, manches neu gedacht werden. Russland müssen wir, solange dort eine räuberische, ausbeutende Oligarchen Clique um Putin herrscht, als Aussätzige behandeln. Kein Handel, schon gar kein Wandel durch Handel, sondern knallharte Konfrontation. Putin hat sich und sein Land grundlos zu Aussätzigen gemacht. Es ist jetzt Sache der Russen, dies intern zu klären. Wenn sie sich Putins entledigt haben und sich halbwegs demokratischer Umgangsformen, politisch, militärisch, ökonomisch, bemühen, erst dann darf an eine Wiederaufnahme von politischen und wirtschaftlichen Beziehungen gedacht werden.

Putin und seine mitverantwortlichen Kriegstreiber gehören nach Den Haag überstellt. Dort ist ihnen als Kriegsverbrechern, wie 1945 den Nazis in Nürnberg, der Prozess zu machen. Allen Despoten und Diktatoren dieser Welt, und sie vermehren sich aktuell wie eine Seuche, muss unmissverständlich klar sein, dass unmenschliches Handeln Konsequenzen nach sich zieht. Statt Sotschi und Palästen ein Zellchen im verträumten Sibirien z.B. für Herrn Putin. Nach dem Motto klein aber mein. Er könnte ja die Zelle mit Herrn Navalny tauschen, der ein gewandeltes Russland in eine hellere Zukunft führen könnte.

Wir als Deutsche müssen begreifen, dass ein demokratisches Staatswesen kein selbstverständliches Geschenk für die Ewigkeit ist. Demokratie muss erarbeitet und wehrhaft verteidigt werden. Dazu ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens erforderlich, der uns seit der Wende zunehmend abhanden kam. In erster Linie müssen die enormen sozialen Unterschiede und Spannungen aufgelöst werden. Dann eine Armee her, die uns effektiv verteidigen kann und eine ernsthafte Abschreckung, selbst für Leute wie Putin, darstellt. Wir müssen uns von russischer Energie in jeglicher Form verabschieden, der Klimawandel gibt uns da einen guten Weg vor. Erneuerbare Energie heißt die Zauberformel.

Wir müssen das vorerst gerettete europäische Haus auf Vordermann bringen. Mitgliedschaft à la carte muss der Vergangenheit angehören. Keine halb- oder ganz diktatorischen Sonderwege. Stattdessen eine gemeinsame Verteidigung- und Außenpolitik. Am besten eine Staatenunion aus einem Guss, mit einer Staatsangehörigkeit – einer europäischen – einer gemeinsamen Regierung und Politik, einer gemeinsamen Wirtschaft, einer gemeinsamen Währung, und dann natürlich auch gemeinsamen Schulden.

Der furchtbare Krieg eröffnet so viele gute, neue Chancen und Wege. Ich hoffe, wir, samt unsere Politiker, sind in der Lage daraus etwas Gutes zu machen. Wir müssen die Ukraine und ihre tapferen Menschen, die aktuell nicht bloß um ihr eigenes Leben, ihren Staat, ihre Zukunft kämpfen, sondern zugleich unsere Demokratie und Werte verteidigen, angemessen einbinden, in das Nachkriegs-Europa. Der Ukraine und ihren Menschen gebührt ein angemessener Platz in der Nach-Putin-Kriegsära , in EU und in der NATO. Dafür haben wir Sorge zu tragen, das schulden wir der Ukraine und ihren Menschen, speziell denen, die bereits gestorben sind und noch sterben werden.

Nichts wird mehr sein, wie es war. Das bedeutet eine enorme Chance für die Zukunft. Unternehmen wir alles, um diese Chance nicht zu verspielen, wie wir bisher fast alles verspielten: Frieden, Freiheit, Klima.

Titelbild: Ukraine by Tim Reckmann CC BY 2.0 via FlickR

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