Der Zukunftsrat MV, seine Empfehlungen und der Wille, rasch zu handeln. Prof. Dr. Henning Vöpel im Gespräch mit Peter Scherrer.

Im Herbst vergangenen Jahres übernahm der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, Prof. Dr. Henning Vöpel, zusammen mit der Landschaftsökologin und Leiterin des Greifswalder Moor Centrums, Dr. Franziska Tanneberger, den Vorsitz des „Zukunftsrats MV“. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (MV) lud 49 Experten ein, den Handlungsbedarf für eine nachhaltige Politik in MV zu beschreiben. Mitte März überreichte das Gremium Empfehlungen an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.

Am 1. Oktober übernimmt Henning Vöpel den Posten des Direktors des deutschen Think Tanks „Centrum für Europäische Politik“ (Freiburg/Berlin). Für ihn ist die Vielfalt der Regionen in Europa eine große Stärke. Durch regionale Kooperation kann Europa eine Dynamik entfalten, die wir gerade bei den erforderlichen gesellschaftlichen Transformationsprozessen dringend benötigen. Peter Scherrer sprach mit Henning Vöpel über die wichtigsten Botschaften der Mitglieder des Zukunftsrates MV und darüber, was weiter geschehen soll.

Peter Scherrer: Herr Prof. Vöpel, sind Sie zufrieden mit der Wirkung der Empfehlungen des Zukunftsrates MV?

Henning Vöpel: Wir waren erfreut, dass die Landesregierung unseren Empfehlungen Öffentlichkeit verschaffte. Dass einige Maßnahmen, zum Beispiel die Wasserstofftransferstelle, sofort aufgegriffen wurden, um damit ins Landesparlament zu gehen, war erfreulich. Auch wenn es Projekte waren, die ohnehin schon angedacht waren, so war dies doch ein Zeichen für den Willen, rasch zu handeln. Aber dabei darf es natürlich nicht bleiben. Wir brauchen nach wie vor eine ganze Reihe von weiteren Aktivitäten und vor allem eine stringente Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele.

Peter Scherrer: Bei der Veröffentlichung der Empfehlungen kündigte die Landesregierung einen Bürgerdialog dazu an. Ist der gelungen?

Henning Vöpel: Ich denke schon. Rege Diskussionen wurden organisiert. Aber der Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern muss weitergeführt werden. Dann kann auch über ganz wesentliche Veränderungen in unserer Gesellschaft Akzeptanz erzielt werden. Viele stört oft nicht das Ergebnis von Politik, sondern die Verfahren. Die Anforderungen an politische Entscheidungen seitens der Gesellschaft und ihrer vielen unterschiedlichen Gruppierungen sind größer und komplexer geworden und denen muss man Rechnung tragen.

Peter Scherrer: Impulse aus den Empfehlungen werden nach Ansicht von Ministerpräsidentin Schwesig bei den kommenden Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Was steht für Sie ganz oben auf der Agenda?

Henning Vöpel: Der Koalitionsvertrag muss die wesentlichen Weichen in eine veränderte, neu zu denkende Zukunft stellen, Übergänge schaffen, Wege eröffnen und Verbindlichkeit herstellen. Dies ist z.B. für privatwirtschaftliche Investitionsentscheidungen, aber auch für Verwaltungshandeln ein ganz wichtiges Zeichen.

Die Digitalisierung ist neben dem Klimaschutz wohl die wichtigste Zukunftsaufgabe für MV und eine große Chance für das Flächenland. Sie gilt es nicht nur im Sinne einer funktionierenden Infrastruktur voranzutreiben, um die mehr als 2000 Dörfer in MV miteinander zu vernetzen. Digitalisierung ist eine unabdingbare Voraussetzung für unternehmerische Dynamik und Innovationskraft. Die wirtschaftliche und soziale Überwindung der Pandemie gehört natürlich ebenso zu den Aufgaben der nächsten Regierung.

Peter Scherrer: SPD, Linke und Grüne fordern in ihren Wahlprogrammen ein Klimaschutzgesetz. Wie kann ein solches Gesetz der von Ihnen empfohlenen Nachhaltigkeitsökonomie dienen?

Henning Vöpel: Indem es ein entsprechendes Ordnungsrecht schafft und Klimaschutz als unumkehrbares Staatsziel festschreibt. Dadurch werden Handlungen und Entscheidungen in einen neuen Rechtsrahmen gestellt. Als Ökonom sind mir neben Gesetzen aber auch marktwirtschaftliche Instrumente wichtig, um die Ziele möglichst effizient zu erreichen. Emissionen müssen einen Preis haben und wer CO 2 emittiert, ganz gleich, wofür und womit, muss dafür bezahlen. Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) sind darüber hinaus ebenso notwendig wie eine verbesserte Infrastruktur. Klimafreundliche Mobilität muss eine echte Alternative zum Individualverkehr anbieten können.

Peter Scherrer: Wie eng müssen Subventionen für z.B. Schiffbau, Forschung, Start-ups durch Landesmittel an Nachhaltigkeitsziele gebunden werden?

Henning Vöpel: Subventionen sollen helfen, Übergänge zu schaffen, dürfen aber keine Dauereinrichtung werden. Der Schiffbau etwa ist für MV eine wichtige Industrie. Falsch wäre es zu sagen, wir wollen mit dieser „alten Industrie“ nichts mehr zu tun haben. Weil wir aber gutes Geld nicht schlechtem Geld hinterherwerfen wollen, müssen öffentliche Gelder Industrien und Unternehmen in die Lage versetzen, durch private Investitionstätigkeit die Dekarbonisierung zu beschleunigen.

Peter Scherrer: Was muss getan werden, um gezielt kleineren Unternehmen den Weg zu nachhaltigerem Wirtschaften zu ermöglichen?

Henning Vöpel: Der Vorteil von kleineren Unternehmen ist, dass sie agiler in der Umstellung bestimmter Prozesse sein können. Regionale Märkte, die es zu fördern gilt, können von Ihnen schnell und unmittelbar bedient werden. Eine stärkere Zusammenarbeit von Kleinunternehmen kann helfen, voneinander zu lernen und neue nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Verbände haben hier eine wichtige Funktion, indem sie Know-how und Rechtsberatung anbieten, aber auch die Politik ist durch eine gezielte Mittelstandsförderung gefragt.

Peter Scherrer: Wo liegen bei der Entwicklung der Wasserstofftechnologie die Stärken von MV?

Henning Vöpel: Schon die geografische Lage ist attraktiv. Für den enormen Mehrbedarf an Energie durch regenerative Energiegewinnung bietet die Onshore-Offshore-Lage hervorragende Möglichkeiten. In einem Verbund mit den norddeutschen Ländern gilt es für MV gerade im FuE Bereich zu investieren. Das ermöglicht die Ansiedlung von klimaneutralen Industrien, die auch direkt Abnehmer der regenerativen Energie sein können. Das könnte zu einem Wettbewerbsvorteil für MV werden.

Peter Scherrer: Wie wichtig ist die Kooperation mit unseren Nachbarländern?

Henning Vöpel: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist ein ganz zentraler Punkt, wenn wir starke Regionen schaffen wollen. MV hat eine geografisch günstige Lage zu den hochinnovativen Regionen des Ostseeraums. Technologische und institutionelle Kooperation mit unseren EU-Nachbarländern ist ein Schlüssel für mehr wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft.

Peter Scherrer hat dieses Interview mit Prof. Dr. Henning Vöpel auch als Video auf YouTube veröffentlicht:

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Titelbild: Klima-Streik von Ivan Radic CC BY 2.0 via FlickR

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