Update vom 20.07.2017

Mittlerweile hat die Aufarbeitung der Demonstrationen zum G20 Treffen in Hamburg begonnen. Hier folgt eine Auflistung der wichtigsten Artikel dazu, die nach Bedarf aktualisiert wird.

G20-Krawall: Gab es wirklich einen Hinterhalt? Von Thomas Berbner, Georg Mascolo, Christian Baars | NDR.de vom 19.07.2017

G-20-Gipfel: Wartete ein “bewaffneter Hinterhalt” auf die Polizei? Detailliert wurde der Einsatz in den vergangenen Tagen aufgearbeitet, viele der Beamten wurden noch einmal befragt, Einsatzberichte ausgewertet. Inzwischen steht fest, dass gleich mehrere Einheiten gegenüber Einsatzleiter Hartmut Dudde Bedenken äußerten, überhaupt in das Schanzenviertel einzurücken. Dudde entschied sich aufgrund dieser Befürchtungen, nicht die normalen Einheiten in die Schanze zu schicken, sondern zunächst Spezialeinheiten anzufordern. Von Georg Mascolo und Ronen Steinke | Süddeutsche Zeitung vom 19.07.2017

Nach den Krawallen beim G20-Gipfel: SPD droht Flora & Friends. Die SPD zieht nicht nur in Erwägung, die Rote Flora zu räumen. Auch KünstlerInnen droht sie mit Geldentzug – weil sie zur Flora stehen. Von Marco Caraini | taz vom 19.07.2017

Neonazis geben Teilnahme an G20-Protesten zu. Zwei Neonazi-Gruppen geben Beteiligung an G20-Protesten zu. Eine äußert Verständnis für Gewalt gegen Polizisten | Thüringen24.de vom 19.07.2017

Gewalt beim G20-Gipfel: Die Schuldfrage. In Hamburg beginnt der Innenausschuss die politische Aufarbeitung der G20-Krawalle. Was sind die Fakten? Wer macht wen für die Gewalt verantwortlich? Der Überblick. Von Britta Kollenbroich, Steffen Lüdke und Christoph Titz | Der Spiegel vom 19.07.2017

Offene Fragen zum G20-Gipfel: Was war da los? Die taz stellt wichtige Fragen, die zum G20-Gipfel noch offen sind. Sie gibt einige Antworten – und beschreibt, was noch im Dunkeln liegt. | taz vom 18.07.2017

Journalist: Rechtsradikale unter Randalierern. Unter den Randalierern beim G20-Gipfel in Hamburg seien auch etliche Mitglieder der rechtsradikalen Szene gewesen. Das sagt Andreas Scheffel, Video- und Fotojournalist, im Interview. Er selbst habe mehr als 70 von ihnen zweifelsfrei identifizieren können. | swr.de vom 17.07.2017

 

G20 | Ergebnisse des Treffens

Die Zahl der Artikel über das G20 Treffen in Hamburg am 7. / 8. Juli 2017 dürfte mittlerweile in die Hunderte gehen in deutschsprachigen Medien. Sie konzentrieren sich allerdings auf die BRD. Die Nachbarländer haben sich bei weitem nicht so in einzelnes Ereignis verbissen wie die BRD-Medien.

Die Berichterstattung erfolgt nahezu ausschließlich über die Begleiterscheinungen des G20 Treffen. Über Inhalte, die auf dem Treffen verhandelt wurden und über Ergebnisse erfährt man in den BRD-Medien wenige bis nichts. Manchem Teilnehmer des G20 Treffens dürfte das durchaus willkommen sein. 

Genau deshalb stehen hier an erster Stelle zwei Artikel, die zumindest einen Überblick über die Ergebnisse geben.

 G20 aus der Sicht von Journalisten

Mehrere Journalisten haben unabhängig voneinander von Beginn an auf die eskalierende  Wirkung der Hamburger Polizeistrategie hingewiesen und das Vorgehen der Polizei und dessen Wirkungen geschildert.

Journalisten und Journalisten haben ebenso auf die prinzipielle Legitimität der Proteste von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Politik der G20 Staaten verwiesen.

Schließlich wurde einigen Journalisten die Akkreditierung nachträglich entzogen, was Anlass zu Rückfragen gegeben hat.

Das Portal OstbelgienDirekt hat sich überlegt, wie aus deutscher Sicht wohl über Belgien berichtet worden wäre, hätte der Gipfel dort stattgefunden und wäre es zu ähnlich gewalttätigen Protesten gekommen wie in Hamburg. – Eine lesenswerte Kommentierung!

  • Proteste bei G20 | Journalist: Rechtsradikale unter Randalierern. Unter den Randalierern beim G20-Gipfel in Hamburg seien auch etliche Mitglieder der rechtsradikalen Szene gewesen. Das sagt Andreas Scheffel, Video- und Fotojournalist, im Interview. Er selbst habe mehr als 70 von ihnen zweifelsfrei identifizieren können. | SWR Aktuell vom 17.07.2017
  • G20-Gipfel: Datenschützer entsetzt über “schwarze Liste” mit Journalisten. | Auch Datenschützer haben sich zum Einzug der Akkreditierungen von 32 Journalisten geäußert, wie Die Zeit vom 11.07.2017 berichtet: Während des G20-Gipfels hat die Bundesregierung 32 Journalisten die Akkreditierung entzogen. Sie dementiert, dass ein ausländischer Geheimdienst dafür verantwortlich ist.
  • Journalistenverbände: Polizeigewalt gegen Reporter auf dem G20. | Auf dem Blog Netzpolitik wurden am 10. Juli 2017 Berichte gepostet über den zumindest frag- und kritikwürdigen Umgang von Polizisten mit Journalisten, die über die Proteste im Umfeld des G20 Treffens berichteten. Demnach haben Beamte mehrfach Pressevertreter verbal und körperlich angegangen und in ihrer Berichterstattung behindert.
  • G20-Akkreditierung entzogen: Kritik an Liste mit Journalistennamen | Am 11. Juli 2017 berichtete die ARD-Tagesschau auf ihrem Webportal über Eingriffe in die Pressefreiheit: 32 Journalisten wurde nachträglich die Akkrediditierung entzogen. Unter den Polizisten wurden „schwarze Listen“ mit den Namen dieser Journalisten verteilt. Das sei ein ein beispielloser Verstoß gegen den Datenschutz gewesen, heißt es in dem Tagesschau-Bericht.
  • Entzogene Akkreditierungen: Schwarze Liste bei G 20: Journalisten arbeiteten in türkischen Kurvengebieten. | Die Entziehung der Akkreditieren von Journalisten wirft zunehmend Fragen auf. Die Süddeutsche Zeitung vom 11.07.2017 schreibt dazu: Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert haben ausschließlich deutsche Behörden darüber entschieden, beim G-20-Gipfel in Hamburg die bereits erteilte Akkreditierung von 32 Journalisten kurzfristig zu widerrufen. Der zeitliche Ablauf von Akkreditierungserteilung und -widerruf weckt allerdings Zweifel an dieser Darstellung. Zwei abgewiesene Fotografen waren 2014 in der Kurdenhochburg Diyarbakir kurzzeitig in türkische Haft gekommen. Ähnliches haben auch andere betroffene Journalisten erlebt.
  • Grundrechte sind kein abstrakter Kokolores | In der Süddeutschen Zeitung hat sich Heribert Prantl am 10. Juli 2017 kritisch mit dem Vorgehen der Polizei befasst und er stellt auch die Frage nach der politischen Verantwortung. Er argumentiert aus der Perspektive der Bürger*innen- und Grundrechte.
  • Man stelle sich vor, G20 hätte in Belgien stattgefunden [Kommentar] | Deutsche Politiker inszenieren sich gerne als perfekt und als Vorbild für den Rest der Welt. Das kommt nicht bei allen Nachbarn nur gut an. Gerard Cremer, der Herausgeber des deutschsprachigen belgischen (Deutsche Sprachgemeinschaft in Ostbelgien) Onlineportals OstbelgienDirekt hat in seinem Kommentar vom 10. Juli 2017 einfach mal durchgespielt, wie die deutschen Reaktionen vermutlich gewesen wären, hätte das G20 Treffen in Belgien stattgefunden und wäre es dort zu vergleichbaren gewalttätigen Protesten wie in Hamburg gekommen.
  • „Randalierer beim G20: Wut und Frust“ | Seven Becker war Augenzeuge der Ausschreitungen im Schanzenviertel und hat seine Beobachtungen unter dem Titel „Randalierer beim G20: Wut und Frust“ festgehalten und am 9. Juli 2017 auf Spiegel online veröffentlicht. Er zeichnet ein sehr differenziertes Bild der dortigen Geschehnisse – ohne jede Rechtfertigung der Gewalttätigkeiten. Er sieht in den Gewalttätigkeiten, an denen nach seinen Beobachtungen unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Motiven und Zielen beteiligt waren, eher die Entladung tiefer sozialer Spannungen und stellt einen Bezug zu den Unruhen in London 2011 her, in denen sich ebenfalls lang aufgestaute soziale Spannungen entladen haben. In dem Sinne mahnt er Politiker, sich nicht damit aus der Verantwortung zu stehlen, indem die Ausschreitungen fäschlicherweise „den Linken“ zur Last gelegt werden. Das mag wahltaktisch profitabel sein, verkennt aber das eigentliche Konfliktpontential, dass sich keinesfalls mit dem Ende des G20-Treffens wieder in Luft auflöst.
  • Der Welt die Wut zeigen | Armand Back vom Luxemburger Tageblatt hat in einem Kommentar vom 07. Juli 2017 dargelegt, weshalb es aus seiner Sicht gute Gründe für die Proteste zum G20 Treffen gibt.
  • G20-Gipfel: Die Strategie der Polizei ist gescheitert | Der Artikel von Frank Drieschner auf Die Zeit online vom 07. Juli 2017 bestätigt den unten zitierten Eintrag vom NDR-Liveblog jedenfalls im Grundsatz: “G20-Gipfel: Die Strategie der Polizei ist gescheitert. Die Hamburger Polizei wollte mit ihrem Einsatz gegen den schwarzen Block eine Eskalation der Proteste verhindern. Erreicht hat sie genau das Gegenteil. Von Frank Drieschner, Hamburg”
  • Laut NDR-Liveblog-Eintrag vom 6. Juli 2017 um 20:51 hat die Hamburger Polizei die Eskalation der Gewalt bei den Demos in der Nacht vom 6. Juli in Gang gesetzt. Wörtlich heißt es in dem Liveblog-Eintrag: “Mehrere NDR Reporter vor Ort berichten übereinstimmend, dass von den Demonstranten zunächst keine Gewalt ausgegangen sei. Allerdings haben tatsächlich viele Mitglieder des “schwarzen Blocks” ihre Vermummung nicht abgelegt. Zuvor soll es Absprachen zwischen Polizei und Demo-Veranstaltern gegeben haben, wie viel Vermummung für die Polizei hinnehmbar ist. Offenbar konnte man sich bei diesen Gesprächen nicht einigen. Dann gab es offenbar einen einzelnen Flaschenwurf eines anscheinend angetrunkenen Mannes, den Demonstrationsteilnehmer selbst von der Menge isolierten. Offenbar gab es auch im “schwarzen Block” Ansagen, keine Gegenstände auf die Polizei zu werfen und eine Eskalation zu vermeiden. Die von der Polizei geforderte Trennung der Demonstranten vom “schwarzen Block” gestaltete sich schwierig. Die Demonstranten fühlten sich faktisch von mehreren Seiten eingekesselt.” Wenn diese Lageeinschätzung korrekt ist – und dafür spricht immerhin, dass mehrere NDR-Reporter diese Darstellung laut Blogeintrag bestätigen –, dann tragen die zuständigen Hamburger Politiker und Polizeiführer die Hauptverantwortung für diese Eskalation. Man muss die Verantwortlichen dann sogar als eskalationswillig bezeichnen. Denn Politiker und Polizei haben seit Jahrzehnten Erfahrungen darin, wie man solche Situationen erfolgreich deeskalieren kann. Wenn Politiker und Polizeiführer diese Erfahrungen hier in Hamburg in den Wind schlagen, dann muss man davon ausgehen, dass sie genau diese Gewalteskalation herbeiführen wollten, also vorsätzlich gehandelt haben. Dann stellt sich die Frage, was damit erreicht werden soll.

Stimmen aus dem Schanzenviertel 

Die Medien erwecken überwiegend den Eindruck, linke Autonome hätten das Schanzenviertel in eine Art Bürgerkriegs-Szenarium verwandelt und ihr “eigenes” Viertel demoliert.

Es gibt Stimmen von Anwohnern, die diese Sicht deutlich zurückweisen.

  • Anwohner über G20-Krawalle: „Mit den Kids ging die Randale los.“ | Am 14. Juli 2017 berichtete auch die taz, dass die Autonomen nach Auskunft von Anwohnern das Schanzenviertel nicht demoliert hätten: Haben Autonome das Hamburger Schanzenviertel verwüstet? Ein Anwohner sagt, die Randale ging von Gaffern aus, während die Polizei eingeschüchtert wirkte. Von Marlene Jürgen, so die taz in großer Übereinstimmung mit dem Bericht des Journalisten-Blogs Ruhrbarone vom 12. Juli 2017.
  • Statement von Schanze-Läden: “Der Schwarze Block hat hier gewütet? Das können wir nicht bestätigen.“ | Auch dieser Bericht des “Stern” vom 12.07.2017 lässt Zweifel aufkommen an der gerade auch von Politikern verbreiteten Behauptung, der “schwarze Block” habe das Schanzenviertel zerlegt.
  • Wer randalierte beim G20-Gipfel? Geschäftsleute schildern ihre Sicht. | Nicht nur der Journalisten-Blog Ruhrbarone berichtet von Einwohnern des Schanzenviertels, die Behauptung entgegentreten, der “schwarze Block” habe das Viertel verwüstet. n-tv vom 12. Juli fragt: Haben linksextreme Gewalttäter während des G20-Gipfels Angst und Schrecken auf der Schanze verbreitet und das Viertel in Schutt und Asche gelegt? Nach Ansicht einiger Geschäftsleute stimmt weder das eine noch das andere.
  • Hamburger Einzelhändler sagen: Autonome haben uns beschützt, nicht angegriffen. | Untere diesem Tiel verweist der Journalisten-Blog Ruhrbarone am 12. Juli 2017 auf Stimmen aus dem Schanzenviertel, die sich in einem Facebook-Post zu Wort gemeldet haben. In einer bemerkenswerten Stellungnahme berichten Gewerbetreibende aus dem Hamburger Schanzenviertel, wie sie die viel diskutierte Krawallnacht erlebt haben, so die Ruhrbarone.

Politische Stimmen zu den G20 Protesten

Aus dem politischen Lager sind – wie nicht anders zu erwarten – vor allem erzkonservative Kommentare und Forderungen zu hören. Olaf Scholz, der Hamburger OB (SPD) bestreitet jedes Fehlverhalten der Polizei. Und – wen wunderst – der Bundesinnenminister fordert Strafverschärfungen und den Abbau von Bürger*innen-Rechten. 

Auch von Linken und Grünen gibt es teils irritierende Kommentare oder beredtes Schweigen.

Jan van Aken (Die Linke), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Erik Marquardt (Grüne) haben heben sich von der großen Menge der politischen Kommentierungen erforschen ab. Erst recht im Kontrast zur Kommentierung von Thomas de Maizière (CDU).

  • Streit um G20-Gewalt: Innenminister de Maizière fordert Fußfesseln für Randalierer. | Innenminister de Maizière will Hausbesetzungen schneller beenden und härter gegen potenzielle Teilnehmer von Straßenschlachten vorgehen – unter anderem mit Fußfesseln. | Der Spiegel vom 15.07.2017
  • Linken-Politiker van Aken über Olaf Scholz: „Was ist in den gefahren?“ | Am 15. Juli 2017 hat sich Jan van Aken in einem Interview mit Philipp Steffens kritisch in der taz zu den Äußerungen des Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) geäußert, der behauptet hatte, es habe während des G20-Gipfels keine Polizeigewalt gegeben. Jan van Aken (Die Linke), der selbst eine der ohne Gewalt verlaufenen Demos angemeldet hatte, nennt das eine Lüge.
  • Die G20-Randale und das Netz: World Wide Wut. | Sascha Lobo ist zwar kein Politik, aber ein kluger politischer Kopf. Er analysiert in seiner Spiegel-Kolumne vom 12. Juli 2017 die netz-politische Seite der Proteste um das Hamburger G20 Treffen: Die deutsche Öffentlichkeit ist nicht manipulierbar? Von wegen. Ein paar Videos schwarz gekleideter, Autos anzündender Männer reichen für drei Tage Dauerrage, ohne Rücksicht auf Verluste.
  • Das ist in Berlin längst Geschichte | Die Grünen, die in Hamburg in einer Regierungskoalition mit der SPD sind, haben sich während des G20 Treffens in Schweigen gehüllt. Am 10. Juli 2017 hat Die Zeit ein Interview mit Hans-Christian Ströbele, der bei den Protesten in Hamburg dabei war, veröffentlicht. Ströbele vergleicht die Hamburger Polizeitaktik mit der Berliner. Nach Auskunft eines Berliner Polizisten seien die Berliner Erfahrungen mit deeskalierenden Strategien in Hamburg nicht gefragt gewesen. Angesichts der stundenlangen Untätigkeit der Polizei bei den Krawallen im Schanzenviertel hält Ströbele einen Untersuchungsausschuss für nötig.
  • „Fragen müssen erlaubt sein“ | Das fordert Erik Marquardt, Mitglied des Parteirats der Grünen, am 8. Juli 2017 in seinem Gastbeitrag für Die Zeit anlässlich des Polizeieinsatzes auf dem G20 Treffen in Hamburg. „Das Vorgehen der Polizei bei den Krawallen zu hinterfragen, muss zulässig sein. Zugleich muss sich die linke Protestbewegung dem Problem mit den Chaoten stellen.“ So Marquardt weiter.

Das Vorgehen der Polizei aus Sicht der Polizei

Polizei-Funktionäre haben sich zu dem Verhalten der Polizei geäußert, vor allem zu den Geschehnissen im Schanzenviertel. Auf eigentümliche Weise passen sie mit den Äußerungen der Anwohner aus dem Schanzenviertel zusammen. Das führt allerdings vermehrt zu Fragen im Blick auf das Vorgehen der Polizei im Schanzenviertel. 

Polizei-Strategie von Hamburg in der Diskussion

  • G20 in Hamburg Internes Polizeipapier bringt Scholz in Bedrängnis. Während der G20-Tage in Hamburg hatte der Schutz des Gipfels und seiner Teilnehmer offenbar Vorrang gegenüber dem Schutz der Stadt – das geht nach Informationen des SPIEGEL aus einem zentralen Polizeidokument hervor. | Der Spiegel vom 14.07.2017
  • Gescheiterte Polizeitaktik beim G20-Gipfel: Alles richtig eskaliert? | Erik Peter hat sich in der taz vom 13.07.2017 noch einmal mit der Taktik und dem konkreten Verhalten der Polizei bei den G20 Protesten befasst: Nach dem G20-Gipfel entpuppen sich Behauptungen der Polizei als falsch. Inzwischen sind zahlreiche Übergriffe durch Polizist*innen dokumentiert.
  • Kriminologe zu Gewaltexzessen bei G20: “Kein Glanzblatt der deutschen Polizeigeschichte” | In einem Video-Interview mit Spiegel Online am 10. Juli 2017 erläutert der Kriminologe Joachim Kersten, der an der deutschen Hochschule der Polizei lehrt, was an der Hamburger Polizeistrategie falsch war – und wie aus Normalbürgern plötzlich Plünderer werden.
  • Das ist in Berlin längst Geschichte | Die Grünen, die in Hamburg in einer Regierungskoalition mit der SPD sind, haben sich während des G20 Treffens in Schweigen gehüllt. Am 10. Juli 2017 hat Die Zeit ein Interview mit Hans-Christian Ströbele, der bei den Protesten in Hamburg dabei war, veröffentlicht. Ströbele vergleicht die Hamburger Polizeitaktik mit der Berliner. Nach Auskunft eines Berliner Polizisten seien die Berliner Erfahrungen mit deeskalierenden Strategien in Hamburg nicht gefragt gewesen. Angesichts der stundenlangen Untätigkeit der Polizei bei den Krawallen im Schanzenviertel hält Ströbele einen Untersuchungsausschuss für nötig.
  • “Die Strategie der Polizei ist kolossal gescheitert” | Bereits am 9. Juli 2017 konstatierter der Protestforscher und Soziologe Simon Teune im Blick auf das G-20-Chaos, das die Strategie der Polizei gescheitert sei. Die Süddeutsche Zeitung hat das Interview mit Teune veröffentlicht.

Bilanz der Polizeieinsätze: Verhaftungen, Verletzte, …

In der heißen Phase der Debatte über die teils gewalttätigen Proteste gegen das G20 Treffen in Hamburg wurde auf sehr hohe Zahlen von verletzten Polizisten verwiesen, um die von den Demonstranten ausgehende Gefahr zu unterstreichen. Bei genauerem Hinsehen erweisen diese Zahlen sich allerdings als sehr interpretationsbedürftig, wie das Nachrichtenportal BuzzFeedNachrichten nach einer umfassenden Recherche herausgefunden hat.

Über Verletzte Demonstranten gibt es nach wie vor keine Angaben. 

Auch die Zahl der Verhafteten Straftäter ist angesichts der Berichterstattung mancher Medien über der Gewalttätigkeit in Hamburg erstaunlich überraschend gering. Selbst diejenigen, die die Polizei vom Dach aus am Vorrücken ins Schanzenviertel mit Steinen und Molotowcocktails hinderten (was zur Befehlsverweigerung von Beamten führte), wie es hieß, sind wieder auf freiem Fuß. Teils aufgrund von verspäteten Haftanträgen, teils ließt sich ihnen keine Straften nachweisen. Und der Molotowcocktail, der laut der Aufnahme mit einer Wärmekamera der Polizei vom Dach geworfen wurde, war vermutlich gar kein Molotowcocktail, sondern ein Böller. Das jedenfalls behaupten Experten, die sich die Wärmefotos der Polizei angeschaut haben.

Gegen 35 Polizeibeamten wird wegen Verdacht auf Körperverletzung im Amt ermittelt. Auch hier gilt bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung im konkreten Fall. Gleichwohl gibt es offensichtlich Anhaltspunkte, die ein solches Vorgehen rechtfertigen. 

Die folgenden Artikel geben dazu und zu mehr genauere Auskünfte.

  • G20 Doku: Wir dokumentieren Polizeigewalt und Grundrechtsverletzungen
  • Justiz nach G-20-Gipfel: Sonderkommission “Schwarzer Block.“ Während der Krawalle um den G-20-Gipfel wurden Hunderte Polizisten und Demonstranten verletzt. 186 Verdächtige wurden festgenommen, die Bilanz: Nur 51 Haftbefehle. Notrichter arbeiteten im Schichtbetrieb. Die Sonderkommission “Schwarzer Block” soll jetzt weitere Verdächtige finden. Von Ronen Steinke | Süddeutsche Zeitung vom 15.07.2017
  • Während der G20-Proteste wurden weniger Polizisten verletzt, als die Polizei behauptet. 476 verletzte Polizisten meldete die Polizei während der G20-Krawalle – und in den vergangenen Tagen berichtete weltweit fast jedes Medium darüber. Nach Recherchen von BuzzFeed News ist diese Zahl allerdings deutlich übertrieben. BuzzFeedNews vom 14.07.2017
  • Hamburg: 35 Verfahren gegen G-20-Polizisten. Nach den G-20-Ausschreitungen laufen derzeit 35 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte. In 27 Fällen geht es demnach um den Verdacht der Körperverletzung im Amt. | Süddeutsche Zeitung vom 14.07.2017
  • G20 in Hamburg Anwalt wirft Polizisten Rechtsverstöße vor. Peer Stolle, Berliner Rechtsanwalt, spricht von „massiver Gewalt“ von Polizeibeamten und willkürlichen Festnahmen – insbesondere gegenüber friedlichen Demonstranten bei den G20-Protesten. | Frankfurter Rundschau vom 14.07.2017
  • G20 in Hamburg: Polizei überprüft Pfefferspray-Einsatz. 1. UPDATE Eine junge Frau wird bei den G20-Protesten gezielt von zwei hessischen Polizisten besprüht. Die Behörde untersucht den Fall. Zugleich korrigiert Hessen die Angabe über Polizisten, die durch Reizgas verletzt wurden. | Frankfurter Rundschau vom 13.07.2017
  • Schanzen-Randale: War das ein Molotow-Cocktail? Die Szene sorgte für den Einsatz der Spezialkräfte in der Schanze: Vermummte werfen Steine von einem Haus am Schulterblatt, Lebensgefahr für Polizeibeamte auf der Straße. Dann wird laut Polizei-Analyse sogar ein Molotow-Cocktail auf einen Wasserwerfer geschmissen. Zwei Experten sagen jetzt: Das war wohl eher ein Böller. | Hamburger Morgenpost vom 13.07.2017
  • Die „Gäste“ aus Putins Reich Warum randalierten so viele Russen mit? | Hamburger Morgenpost vom 13.07.201
  • G20-GIPFEL: Polizisten widersetzten sich Anweisungen am Schulterblatt. Interner Bericht eines Einsatzführers und Angaben des bayerischen Innenministeriums ähneln sich. Zu spät Gewahrsam beantragt. Von Daniel Herder und André Zand-Vakili | Hamburger Abendblatt vom 12.07.2017
  • Die Festgenommenen vom Dach am Schulterblatt – alle frei | Das Hamburger Abendblatt berichtet am 11. Juli 2017: “Es war die Schlüsselszene der Krawallnacht – die Polizei nahm 13 Verdächtige fest. Doch für keinen wurde ein Haftbefehl beantragt.” Die Lektüre dieses Artikels provoziert zumindest die Frage, weshalb nicht rechtzeitig Haftbefehle beantragt wurden, wenn es sich hier um Tatverdächtige handelte, die Leib und Leben von Polizisten ernsthaft bedroht haben. Zumindest ist es erklärungsbedürftig, wie es dazu kommen konnte.
  • Journalistenverbände: Polizeigewalt gegen Reporter auf dem G20. | Auf dem Blog Netzpolitik wurden am 10. Juli 2017 Berichte gepostet über den zumindest frag- und kritikwürdigen Umgang von Polizisten mit Journalisten, die über die Proteste im Umfeld des G20 Treffens berichteten. Demnach haben Beamte mehrfach Pressevertreter verbal und körperlich angegangen und in ihrer Berichterstattung behindert.

Kriminalitätsstatistik (PMS)

Die Debatte um die teils gewalttätigen Proteste zum G20 Treffen in Hamburg werden von konservativer Seite gerne als Beleg dafür genutzt, Gewalt von linker Seite für verharmlost.

Die Massivität, mit der diese Behauptung von Politikern in den letzten Tagen in die Welt gesetzt wurde, scheint jedoch eher das Ziel zu verfolgen, rechte Gewalttaten und rechten Terror unter den Teppich zu kehren.

Jedenfalls weißen die offiziellen Statistiken des BMI andere Zahlen aus – und die sprechen eine Eindeutige Sprache: Es kommt deutlich mehr Gewalttätigkeit von rechter Seite als von linker Seite. Mit diesem Hinweis soll linke Gewalt nicht verharmlost oder legitimiert werden. Straftaten sind und bleiben Straftaten, egal, wer sie verübt. Zu behaupten, Gewalttaten von linke Seite würden vernachlässigt, ist allerdings eine bewusste Falschaussage. Und das viel zu milde Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen rechte Gewalttäter ist skandalös und soll mit solchen Kampagnen offenbar auch noch legitimiert und verharmlost werden. 

Deshalb hier ein paar Links auf offizielle Statistiken und auf deren Berichterstattung.

Für besonders Eilige hier die Kernaussage der Pressemeldung das BMI vom 24.04.2017 als wörtliches Zitat: 
“Neuer Höchststand bei den politisch motivierten Straftaten – Die Zahl der politisch motivierten Straftaten ist im Jahr 2016 erneut leicht angestiegen und hat einen neuen Höchststand erreicht. Insgesamt wurden 41.549 Straftaten (+6,6 Prozent) und 4.311 Gewalttaten (-2,1 Prozent) registriert. Während sich die Zahl der Straftaten in den Phänomenbereichen PMK-links und PMK-rechts insgesamt ungefähr auf dem Vorjahresniveau bewegt hat (PMK-rechts: 23.555; PMK-links: 9.389), wies die Entwicklung der Gewalttaten deutliche Unterschiede auf: Rechtsmotivierte Gewalttaten sind um 14,3 Prozent (auf 1.698) angestiegen. Im Bereich der PMK-links ging die Zahl der Gewalttaten um 24,2 Prozent auf 1.702 zurück.”


Titelfoto: Feuer im Schanzenviertel, Hamburg G20 Treffen CC BY-NC-SA 2.0

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