Am 7. November 2017 führte die Fraktion der GUE/NGL im Europäischen Parlament in Brüssel unter dem Titel „Japan-EU Free Trade Agreement – Risks & Alternatives“ eine Konferenz zu diesem bisher öffentlich kaum wahrgenommenen neuen Freihandelsabkommen durch. Der Europaabgeordnete Helmut Scholz (Die Linke) erläutert in diesem Interview, was die kritischen Punkte dieses Abkommens sind. Zur Webseite der Konferenz geht es hier.

Helmut Scholz

Helmut Scholz, Jahrgang 1954, wurde in Berlin (Ost) geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaften am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen Dienst im Außenministerium der DDR, darunter 1983 – 1986 Tätigkeit an der DDR Botschaft in der VR China (Innenpolitik und Kulturattaché). Danach tätig in der Abteilung Internationale Verbindungen im ZK der SED. Nach 1989 Mitglied zunächst der PDS und dann der Linken. 2004 Mitbegründer der Europäischen Linken. Seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Er ist Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel und im Ausschuss für konstitutionelle Fragen.

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Europa.blog: Über TTIP und CETA wurde viel diskutiert und es gab viele Demos. Das Freihandelsabkommen zwischen Japan und der EU findet hingegen kaum öffentliche Beachtung. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Helmut Scholz: Die gesamte Bandbreite der laufenden Verhandlungen zu bilateralen oder auch sogenannten plurilateralen Freihandelsabkommen ist nicht wirklich im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Es sind die durch thematische Verknüpfungspunkte mit einzelnen Aspekten dieser neuen, umfassenden Regelungen der wirtschaftlichen und handelspolitischen Kooperation der EU mit anderen Staaten oder Staatengruppen befassten Akteure, wie Gewerkschaften, spezialisierte NGO‘s und natürlich Unternehmensverbände und Wirtschafts-(Lobby-)Gruppen, die sich mit den weitreichenden Auswirkungen der Handelsverträge – abgeschlossen, in Verhandlung oder beabsichtigt – beschäftigen.

Bei JEFTA ist zu konstatieren, dass bis vor kurzem Verhandlungstexte kaum bekannt waren. Das hat sich erst m den letzten Monaten nach dem jüngsten EU-Japan Gipfel und der von ihm signalisierten politischen Einigung auf das Abkommen geändert.

Man konnte lediglich spekulieren ob und in wie weit mit JEFTA die gleichen Fehler gemacht werden wie es bei TTIP und CETA der Fall gewesen ist. Zumindest in einem blieb sich die Europäische Kommission treu: Mangelnde Transparenz der Verhandlungen und keine substantielle Einbeziehung des Europäischen Parlaments (das EP ist auch richtigerweise nicht Verhandlungspartner, sondern muss Kontrolleur in der demokratischen Gewaltenteilung bleiben, was aber eben gerade große und weitreichende Transparenz erfordert).

Nun, nach Bekanntwerden großer Teile des geplanten Abkommens, können wir sicher sein, dass mit JEFTA ein Vertragswerk auf dem Tisch liegt, das in wichtigen Teilen die in anderen Vereinbarungen erzielten Fortschritte bezüglich allgemeiner Standards in Bezug auf die angestrebten besonderen Regelungen für die Handelskooperation EU-Japan erneut modifiziert, oder gar ignoriert. Das kann bzw. wird wiederum sehr gravierende und langfristige Auswirkungen auf zentrale Bereiche des wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Alltags in der EU (noch 28 Staaten) und in Japan haben.

Das Nachfragen aus der Gesamtgesellschaft, auch ein kritischer bzw. ablehnender Widerstand erwacht sozusagen gerade erst und beginnt sich zu formieren. Ich sehe das Europäische Parlament in der Verantwortung und vor der Aufgabe, Transparenz zu realisieren, Erkenntnisse und Wissen über das Abkommen und den erreichten Verhandlungsstand weiter zu geben und damit eine öffentliche Diskussion über Anliegen (das Mandat ist endlich nachlesbar!), Inhalt, Probleme, Risiken und Folgen zu ermöglichen – aber auch mit unseren Einsichten und nach Konsultationen mit der Öffentlichkeit die verhandlungsführenden EU-Institution, die EU-Kommission, als auch den sie beauftragenden EU-Rat, der ja im Unterschied zum Parlamentsausschuss auch die Verhandlungen aus Sicht der Mitgliedstaaten viel direkter beeinflussen kann,  entsprechend zu konfrontieren.

Als Linksfraktion Abgeordnete der GUE/NGL (Gauche Unitaire Européenne / Nordic Green Left) im Europäischen Parlament sind wir da sehr kritisch, sind wir doch für Fairen Handel anstelle des so als Banner für EU Interessen voran getriebenen Freihandels der EU und ihrer Mitgliedstaaten, und werden auch zu JEFTA Kommission und Rat unter Druck setzen.

Und vielleicht auch noch ein wichtiger „psychologischer“ Umstand, der gerade bei Japan, aber sicherlich auch bei Australien und Neuseeland, zum Tragen kommt: In unseren industriell hochentwickelten Wirtschaften fließen in jeweilige konkrete Verhandlungsinterpretationen auch stereotypische Vorstellungen über unsere Partnerstaaten ein, anders als es bei der Supermacht USA der Fall gewesen war, nach denen Japaner „netter“, vielleicht auch etwas „geheimnisvoller“, „exotischer“ und „höflich-zurückhaltender“ und „spannender“ als konzerninteressengelenkte Amerikaner seien. Das hat sicherlich frühe Bedenken als weitgehend gegenstandslos oder konzeptfrei abgesenkt oder reduziert. Und eröffnet auch die spannende Frage nach der Rolle der Medien.

Um was es beim JEFTA geht

Europa.blog: Was sind die wichtigsten Elemente in diesem Abkommen?

Helmut Scholz: Die Kapitel, die soweit bekannt sind – auch mit dem nachlesbar Kleingedrucktem in den Anhängen, machen klar: es ist ein umfassendes, alle wirtschaftlichen Bereiche erfassendes Abkommen.

Bedenklich ist aus meiner Sicht vor allem – ähnlich wie bei CETA – die Aufnahme von Regel setzenden Formulierungen, die sich eigentlich nur aus der Sicht der Wirtschafts-, Unternehmens und Kapitalgruppen ableiten und sich deshalb negativ auf die jeweiligen Schutz- bzw. gesellschaftlichen Zielbereiche auswirken werden. Dies sind u.a.: Regulierung von Finanzgeschäften und Stabilitätsmechanismen, Umwelt- und Tierschutz, die Aufnahme eines Regelkapitels zu den heutigen Herausforderungen von Industrie 4.0 und damit zur Digitalisierung der Wirtschaft und entsprechenden Datenströmen und somit auch zu Datenschutzrechtlichen Bestimmungen, das Öffentliche Beschaffungswesen und die damit verbundenen Regulierungsrechte der diese Bestimmungen demokratisch festsetzenden Institutionen, allen voran die parlamentarischen und Regelsetzenden Stellen auch auf regionaler oder kommunaler Ebene.

Es wird nach bisheriger Lage – im Unterschied zu CETA – keine Investitionskapitel geben, weil die Differenzen zwischen EU (für das neue, universell angestrebte Verfahren eines bilateralen bzw. multilateralen Investorenschiedsgerichtshofs) und Japan (das alte Investor-Staat-Schiedsverfahren ISDS) vor dem Hintergrund des von den USA  nicht mehr mitgetragenen TPP  Handelsabkommen gegenwärtig nicht gelöst werden können; vielmehr soll das Aushandeln eines gesonderten Investitionsabkommen geprüft werden. Damit würde JEFTA nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum Singapur-Abkommen über die Entscheidungskompetenzen mit großer Wahrscheinlichkeit als ausschließlich von EU-Rat und Europäischen Parlament zu ratifizierendes Abkommen eingestuft werden.

Europa.blog: Weshalb soll dieses Abkommen überhaupt abgeschlossen werden? Was ist das Interesse der EU und was ist das Interesse Japans an diesem Freihandelsabkommen?

Helmut Scholz: Es geht um vertiefende weitreichende Verzahnungen der Volkswirtschaften der EU-Mitgliedstaaten und Japans, um de facto einen zollfreien Absatzmarkt für Waren und Dienstleistungen, gegenseitige Erleichterungen für die Marktteilnehmer, d.h. die im knallharten Wettbewerb stehenden Unternehmen besser aufzustellen und für diese im Interesse weitere Gewinnmargen die gegenseitigen, ja zusätzliche Märkte „zu durchdringen“.

In allen Bereichen der Produktion und des Dienstleistungshandels sollen – angesichts der immer stärkeren Durchschlagskraft der globalen Wertschöpfungsprozesse auf das produzierende Gewerbe und den Absatz – diesen Austausch „hemmende“ Hindernisse abgebaut werden. Die EU-Kommission und Japan planen durch JEFTA fast alle Zölle abzuschaffen. Das soll kleinen wie großen Unternehmen sowie Arbeitnehmern und Verbrauchern gleichermaßen neue Chancen eröffnen.

Aber es wird vor allem den Marktwettbewerb verschärfen, es wird schwieriger werden, markteinhegende Zäune im Interesse der Allgemeinheit, von Verbraucherinnen und Verbrauchern, oder von ländlichen Produzenten aufzustellen, die sowohl die jeweils heimische Industrie, Energierzeugung oder auch landwirtschaftliche Produktion, das geistige Eigentum (Urheberschutz) oder aber auch die Bildungs- oder Gesundheitsgüter schützen, weil sie künftig grenzüberschreitend dem Interesse der Wirtschaftsunternehmungen ausgesetzt sein werden.

Um ein Beispiel konkret zu machen: Zum zumeist großem Maße würde die europäische Agrarindustrie durch wegfallende Zölle auf Lebensmittel profitieren; insbesondere der Export des von Japanern äußerst beliebten europäischen Käses wird ansteigen. Im Gegenzug können die japanischen Automobilhersteller zollfrei ihre Autos in die EU einführen.

Die Risiken des JEFTA

Europa.blog: In dem Titel der Konferenz, die die GUE/NGL am 7. November 2017 im Europäischen Parlament in Brüssel zu diesem Abkommen durchgeführt hat, ist von Risiken und Alternativen die Rede. Was sind aus deiner Sicht die Risiken dieses Freihandelsabkommen für die japanische und für die europäische Seite? Für wen bzw. welche gesellschaftlichen Gruppen birgt das Abkommen welche Risiken?

Helmut Scholz: Die europäische Agrarindustrie ist, wie die japanische, enorm staatlich subventioniert. Der feine, aber entscheidende Unterschied liegt darin, dass Japan kaum Agrarprodukte nach Europa exportiert, andererseits europäische Lebensmittel jedoch in Japan sehr beliebt sind. Eine durch den Wegfall der Zölle eintretende Preisreduzierung würde es nun mehr Japanern erlauben die ohnehin billiger produzierten Waren aus der EU zu kaufen. Dieser Verdrängungswettbewerb könnte das aus für die Mehrzahl der japanischen Agrarwirte bedeuten. Und wenn wir es recht besehen und ehrlich unseren Speisezettel anschauen, sollten wir schon konstatieren: Es ist kaum davon auszugehen, dass europäische Verbraucher plötzlich vielmehr Sojasauce kaufen werden.

Ich meine, angesichts der Debatten um Klimawandel, Bio- und Fair-Trade-Produkte sowie sinnvollen Ressourcen und Energieverbrauch – und zwar weltweit bis kommunal – kann und darf eine derartige nicht nachhaltige Politik keineswegs gebilligt werden.

Zudem soll JEFTA die Finanzindustrie erneut liberalisieren und regulative Kontrollmechanismen, die nach der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008 eingeführt worden sind, zum Teil rückgängig machen. Ich möchte dazu nur sagen, dass in 18 von 26 Bankenkrisen eine Liberalisierung des Sektors vorweg gegangen ist. Deshalb stellt JEFTA eine immanente Bedrohung sowohl für Europäer als auch Japaner dar.

Und bei genauerem Hinsehen ist auch der von der Kommission hochgelobte Fortschritt bei den Themen Tier- und Umweltschutz eigentlich wiederum Makulatur. In Wahrheit ist JEFTA im Vergleich zu CETA, oder sogar TPP, ein Schritt zurück. Wichtige Vereinbarungen um die Überfischung der Meere und den Handel mit illegal geschlagenen Holz einzudämmen wurden außen vorgelassen. Außerdem mangelt es an verbindlichen Vereinbarungen beim Klimaschutz und der Umsetzung des Pariser Abkommens.

Es lässt sich folglich festhalten, nur ein kleiner Teil der Bevölkerungen hier wie da werden von JEFTA profitieren (können). Verlieren werden, wie so oft bei der momentanen Freihandelspolitik der Europäischen Kommission, neben den Arbeitern, Angestellten und vielen kleinen, Kleinst-, aber auch mittelständigen Unternehmen, die nicht zur Finanz- oder Industrieelite gehören, vor allem unser demokratischer Aushandlungsprozess zwischen den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Interessen und die so notwendige Priorisierung des Erhalts unserer Umwelt sein.

Investorenschutz im JEFTA

Europa.blog: Du hast das ISDS (Investor-State Dispute Settlement) schon kurz angesprochen.  In der Debatte um TTIP und CETA war das einer der umstrittensten Punkte. Damit gemeint sind außergerichtliche nichtöffentliche Streitschlichtungsverfahren, die Investoren die Möglichkeit geben, bei Streitigkeiten ihre Interessen gegenüber Staaten geltend zu machen. TTIP ruht seit dem Amtsantritt von Trump. Das Europäische Parlament konnte jedoch aufgrund der heftigen öffentlichen Debatten in CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, durchsetzen, das sich  die EU Kommission mit neuen Mitteln dem Investorenschutz zuwendet. Das strittige ISDS wurde durch die Einrichtung eines permanenten Investitionsgerichtshofs ersetzt (vgl. Europäische Kommission: Weg von ISDS: EU und Kanada führen für CETA Investitionsgericht ein). Der permanente Investitionsgerichtshof besteht im Unterschied zum ISDS aus staatlich ausgewählten Mitgliedern. Welche Regel sieht das Handelsabkommen mit Japan vor? Fällt es zurück auf das alte und fragwürdige Modell des ISDS oder schwenkt die EU jetzt generell um auf das neue Modell des permanenten Investitionsgerichtshofs?

Helmut Scholz: Zunächst ist nochmals deutlich hervorzuheben: in CETA wurde kein permanenter Investitionsgerichtshof vereinbart, sondern ein sogenanntes ‚Investitionsgerichtssystem‘ welches lediglich dem ungeeigneten ISDS – also der privaten Investoren Klagemöglichkeit gegen staatliche Eingriff eine institutionelle Hülle „überstülpt“. Von einem unabhängigen, gar internationalen Gerichtshof kann nicht die Rede sein. Denn es bleibt ausdrücklich bei der Sonderregelung für – und dabei noch ausländischen – Investoren gegenüber den Anlageplätzen und den dort herrschenden gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Aber zugegeben: Es ist endlich Feuer in diese Debatte gekommen. Und ich als Linker sage: zu recht. Investoren brauchen sicherlich Gewissheit über Ihre Anlagemöglichkeiten und rechte und Perspektiven, sie brauchen aber auch das klare Benennen von Pflichten, die sie einzuhalten haben. Und genauso brauchen Bürgerinnen und Bürger die rechtlich verbindliche und durchsetzbare Möglichkeit und das Recht gegen Investoren klagen zu können, wenn ihre Rechte und Interessen verletzt werden. Wenn diese Möglichkeit nicht vor nationalen Gerichten ausgetragen werden sollen, weil kein Vertrauen in die jeweiligen Rechtssysteme besteht, dann muss eben versucht werden, dies in in einem multilateralen Ansatz zu verankern. Da geht diese Debatte hin.

Die EU-Kommission beabsichtigt, solche multilateralen Verhandlungen über die Errichtung eines solchen permanenten Investitionsgerichts aufzunehmen. Deren Ausgang sowie Inhalte eines zu verhandelnden Völkerrechtsabkommens ist aber bei weitem noch im Anfangsstadium und der Ausgang steht in den Sternen, denn viele EU-Mitgliedstaaten wollen diesem Ansatz noch nicht folgen.

Man kann jedoch auch Zweifel anmelden, dass die Kommission nennenswerte Änderungen vollbringt, die die fundamentale Ungerechtigkeit des ISDS abschaffen; nämlich, dass funktionierende Rechtssysteme gestärkt und allein für Investorenschutz verantwortlich werden, sowie endlich die Einbahnstraße der schiedsgerichtlichen Streitschlichtung beendet wird, nach der nur Investoren das Recht haben zu klagen. (Menschen-)Rechte von Einzelnen und Kommunen fallen dabei unter den Tisch.

Bei JEFTA soll das Kapitel zum Investitionsschutz nach in Kraft treten des eigentlichen Abkommens „nachgereicht“ werden, da der EuGH EU-Kompetenz nur in Handelsfragen bestätigt hat. Die Kommission favorisiert das mit CETA eingeführte Investitionsgerichtssystem mit einer Option auf den geplanten permanenten Investitionsgerichtshof, wohingegen Japan am ISDS festhalten möchte. Nun stellt sich aber die mehr als berechtigte Frage, warum überhaupt eine spezielle Schiedsgerichtvereinbarung für funktionieren Rechtsräume, wie die EU und Japan welche sind, getroffen werden muss?

Europa.blog: Welche Chancen stehen diesen Risiken gegenüber?

Helmut Scholz: Unsere Kritik bedeutet ja zugleich auch die Chance, viele Inhalte anders zu definieren. Denn noch wird verhandelt und die Kriterien für ein künftiges Ratifizierungsverfahren werden damit klarer und deutlich umrissen – transparent für alle: die EU-Kommission und der Rat, aber auch und vor allem die Öffentlichkeit. Und wenn Licht in die Verhandlungen und bislang erreichten Ergebnisse gebracht ist, müssten und sollten auch die nationalen Parlamente „ihre“ Minister und Regierungschefs entsprechende Aufträge zur gründlichen Prüfung und aus meiner Sicht auch Veränderung der Texte erteilen – vor der Unterzeichnung und vor Fertigstellen der Abkommenstexte und Annexe.

Alternativen zum kritikwürdigen EU-Freihandel

Europa.blog: Welche Alternativen zu der jetzigen Form des Abkommens habt ihr diskutiert?

Helmut Scholz: Wir setzen uns für eine Stärkung der demokratischen Strukturen, der nationalen Rechtssysteme und der nachhaltigen lokalen Produktion von Gütern und Waren ein. Wir wollen dabei die Erarbeitung von und Verankerung gemeinsam verbindlicher Standard, die die jeweils erreichten höchsten Standards beispielsweise im Umweltschutz und der Beschäftigungspolitik sowie der sozialen Werte in den Mittelpunkt nehmen.

Das was beim Sozialgipfel in Göteborg debattiert und verabschiedet wurde, muss dann auch in einem solchen Abkommen verbindlich festgelegt und somit gerichtsfest für beide Seiten geregelt werden. Damit kann auch auf die Sozial- und Umweltdumping-Normen in der Handelschutzpolitik durch entsprechende verbindliche Verankerungen im WTO-Recht Einfluss genommen werden – im Interesse der Stärkung multilateraler Handelsstrukturen.

Wir haben über die Notwendigkeit der Verteidigung der sehr hohen Datenschutz-Normen der EU diskutiert und auch dies ist eine Alternative zu den oft sehr Unternehmensinteressen gesteuerten Verhandlungstextentwürfe, die gerade diesen neuen Elementen demokratischer Neustrukturierung gesellschaftlicher und  wirtschaftlicher Aufgaben nicht entsprechen. Stichwort Industriepolitik 4.0 und Beschäftigungspolitik und Verbraucherschutz 2.0.

Europa.blog: Welche Chancen siehst du, das Abkommen im Sinne eurer Alternativen abzuändern? Was müsste dazu geschehen? Wer könnte die treibende politische Kraft für solche Änderungen sein?

Helmut Scholz: Es ist davon auszugehen, dass die beiden Verhandlungsseiten versuchen und anstreben, die noch ausstehenden finalen Texte nun nach der bereits im Sommer 2017 erklärten politischen Einigung im Dezember/Januar fertig zu verhandeln. Daran anschließen wird sich dann die Phase des „legal scrabbing“ – also die Rechtsprüfung aller Vereinbarungen mit bestehendem EU-Recht und japanischer Gesetzeslage. Die EU – sicherlich Rat und Parlament, aber vor allem die Kommission – hoffen und streben an, bis  spätestens Frühjahr 2019 (also Februar/Mai) den gesamten Ratifizierungsprozess abzuschließen, da im Mai Europawahlen sein werden und im Herbst darauf die Kommission auch neu gesetzt sein wird.

Die Zeit drängt also, eine breite gesellschaftliche Debatte in den EU Mitgliedstaaten und in Japan zu starten: Information und Erklärung, das Vorstellen alternativer Vorschläge der Zusammenhänge, die Ermutigung an Gewerkschaften und NGO’s sich einzumischen, ihre Positionen in den öffentlichen Diskurs zu bringen, auch wo notwendig Protest und Widerstand zu artikulieren und so klug und überzeugend die jeweiligen Parlamente und die Politik und die Medien zu klaren und transparenten Positionierungen zu bringen. Ziel muss bleiben, Änderungen, Ergänzungen und Verbesserungen vorzunehmen.

Ziel muss bleiben, die Kritik und Ablehnung der Texte vernehmlicher zu machen. Und es liegt auch in unseren Händen im Parlament und auf der Straße: zu informieren, wach zu rütteln und Widerstand zu wecken, wie es uns schon bei TTIP und CETA gelungen ist. Unsere Konferenz – nachzusehen in der Aufzeichnung des Konferenz-Web-Streams – und die vorgestellte Studie sind da konkrete Schritte in die richtige Richtung.

Wir bleiben dran: Die bekannte Abkürzung FTA – Free Trade Agreement / Frei Handels Abkommen muss FTA werden – Fair Trade Agreement / Fair(en) Handel (garantierendes) Abkommen.

Europa.blog: Vielen Dank für das Interview.

Titelbild: GUE/NGL (Posterausschnitt)

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