Bei einem Urteil wie dem des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg, der den belgischen Staat dazu verurteilt hat, einen deutschsprachigen Belgier dafür zu entschädigen, weil dieser nicht immer eine therapeutische Hilfe in seiner Muttersprache erhielt (siehe Bericht an anderer Stelle), hätten normalerweise in Ostbelgien alle Politiker und Parteien die Sektkorken knallen lassen müssen.

Dies war aber nicht der Fall. Obwohl das Urteil einer höchstrichterlichen Anerkennung der deutschen Sprache in Belgien gleichkommt, ist von politischer Seite nichts zu hören zu dieser Gerichtsentscheidung.

Der Grund dafür ist klar: Bei der Person, die in Straßburg Recht bekam, handelt es sich um einen Sexualstraftäter.

Wäre es irgendein ganz normaler deutschsprachiger Belgier gewesen, der sich nichts zu Schulden kommen ließ, hätte es Stellungnahmen von Politikern nur so gehagelt.

Ministerpräsident Oliver Paasch (ProDG) hätte von einem „großen Tag für die Ostbelgier“ gesprochen, Senator Karl-Heinz Lambertz (SP) hätte sogar eine Sitzung des Europäischen Ausschusses der Regionen verlassen, um feierlich zu erklären, dieses Urteil sei „von fundamentaler Bedeutung“ und ein „Meilenstein in der Geschichte der Deutschsprachigen in Belgien“.

Nichts von alledem. Absolutes Stillschweigen. Wenn ein Sexualstraftäter Recht bekommt in Bezug auf den Schutz von dessen deutscher Muttersprache in Belgien, dann will sich niemand die Hände schmutzig machen.

Auch ein Verurteilter hat Rechte

Belgien konnte dem Mann, der vor 13 Jahren inhaftiert wurde, nachdem er 1997 wegen Diebstahls und sexueller Gewalt verurteilt worden war, nicht die therapeutische Hilfe in deutscher Sprache anbieten, auf die er Anrecht hatte.

Deshalb zog der Mann, der nur der deutschen Sprache mächtig ist, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um den belgischen Staat wegen Mangels an psychiatrischer Betreuung in seiner Muttersprache in der Einrichtung, in der er einsaß, zu verklagen.

Und er erhielt Recht. Im gleichen Fall war Belgien schon einmal von einem französischsprachigen Gericht Erster Instanz verurteilt worden.

Die Frage, die sich somit stellt, ist folgende: Gilt das Recht auf Behandlung in der Muttersprache nach Auffassung der breiten Öffentlichkeit für alle Menschen in Belgien? Oder verliert jemand dieses Recht von dem Moment an, wo er in Haft oder in einer geschlossenen Anstalt ist?

Eine Klarstellung zum Schluss: Hier will niemand das, was der Mann angestellt hat, verharmlosen. Deswegen wurde er auch rechtskräftig verurteilt, wie es sich in einem Rechtsstaat auch gehört. Aber auch ein Verurteilter hat Rechte.

Hier geht es um den Schutz der deutschen Sprache, den unsere ostbelgischen Politiker immer wieder einfordern, obwohl die deutsche Sprache in Belgien immer wieder mit Füßen getreten wird.

Und jetzt, wo dieser Schutz der deutschen Sprache durch den Europäischen Gerichtshof gewissermaßen in Stein gemeißelt wird, bleiben unsere Politiker stumm. Politische Courage sieht anders aus.

 

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf „Ostbelgien Direkt“:

Belgien in Straßburg verurteilt: Deutschsprachiger Sexualstraftäter hatte keine Therapie in seiner Muttersprache


Titelfoto: Justizpalast Brüssel | © H. Penzer

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