Seit 2011 arbeitet die Europäische Union an der Einführung einer EU weiten und einheitlichen Finanztransaktionssteuer (FTT = Financial Transaction Tax). Das Europäische Parlament hat sich mehrfach für eine solche Steuer ausgesprochen. Die Kommission hat dazu wiederholt Vorschläge gemacht. Geblockt wird das Vorhaben vom Europäischen Rat, in dem die Regierungen der EU-Mitgliedsländer vertreten sind. Bis heute ist es zu keiner Lösung auf EU-Ebene gekommen. Dieser Beitrag, den Martin Schirdewan herausgegeben hat, fordert nun die deutsche Ratspräsidentschaft dazu auf, dieses Kapitel endlich zu einem erfolgreichem Abschluss zu bringen. Martin Schirdewan ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses (ECON) sowie mit Manon Aubry Co-Vorsitzender der GUE/NGL, der linken Fraktion im Europäischen Parlament. In diesem recht ausführlichem Artikel wird die bisherige Debatte der Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene noch einmal nachgezeichnet.
Die uns infolge der Coronavirus-Pandemie bevorstehende Rezession und der überfällige klimaneutrale Umbau der Wirtschaft werden der Europäischen Union (EU) und ihren Mitgliedstaaten öffentliche Investitionen in beispiellosem Umfang abverlangen.
Angesichts ihres erheblichen Einnahmepotenzials ist es naheliegend, vor diesem Hintergrund eine „Robin-Hood-“ bzw. Finanztransaktionssteuer auf den Weg zu bringen – zumal diese Initiative zutiefst auf dem Grundsatz sozialer Gerechtigkeit aufbaut.
Die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer steht seit wenigstens zehn Jahren zur Debatte. Der ursprüngliche, im Jahr 2011 vorgelegte, Vorschlag wies einige Schwächen auf; dennoch sah er vor, den weitaus größten Teil der in der EU getätigten Finanztransaktionen mit einem geringen Steuersatz zu belegen und sollte in allen Mitgliedstaaten greifen. Nach damaligen Schätzungen würden sich die, zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aufzuteilenden, Einnahmen einer solchen Steuer auf 57 Mrd. EUR belaufen. Auf diese Weise sollten die vermögendsten Mitglieder der Gesellschaft für soziale und ökologische Ziele aufkommen.
Nachdem die Verhandlungen im Rat stockten, wurden 2013 erste Schritte zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer im Rahmen des Verfahrens der „verstärkten Zusammenarbeit“ auf den Weg gebracht. Das damals von elf Mitgliedstaaten eingeleitete Verfahren zieht sich bis heute hin. Am neuen deutsch-französischen Vorschlag, der ebenfalls auf das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit zurückgreift, beteiligen sich insgesamt zehn Mitgliedstaaten. Ziele und Anwendungsbereich der Steuer wurden allerdings soweit zurechtgestutzt, dass man sie kaum noch als Finanztransaktionssteuer bezeichnen kann.
Auf die Bekanntgabe der Einzelheiten des aktuellen deutsch-französischen Vorschlags folgte die Coronavirus-Pandemie – doch es scheint, dass die Pandemie und der damit einhergehende Zusammenbruch der Wirtschaft bislang nicht bis in die Köpfe der zuständigen Unterhändler vorgedrungen sind.
Im Mai 2020 wies der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Klage der französischen Bank Société Générale ab: So bestätigte er in einem weitreichenden Urteil, dass die von der italienischen Regierung eingeführte Finanztransaktionssteuer mit EU-Recht vereinbar ist. Das Gericht stellte insbesondere klar, dass die Besteuerung des Derivatehandels durch einen Mitgliedstaat nicht gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstößt, vorausgesetzt, die den Derivaten zugrundeliegenden Titel sind in dem Land notiert, das die Steuer erhebt.
Mit diesem EuGH-Urteil wird das zentrale Argument der Gegner einer ambitionierten Finanztransaktionssteuer ausgeräumt, die auch den Derivatehandel umfasst.
Angesichts des Ausmaßes der sich anbahnenden Wirtschaftskrise braucht es ein Bekenntnis zu einer ambitionierten und sozial gerechten Finanztransaktionssteuer, die diesen Namen auch verdient.
1) Der erste Vorschlag einer EU-Finanztransaktionssteuer im Jahr 2011
Mit ihrem Richtlinienvorschlag zur Einführung einer für die gesamte EU geltenden Finanztransaktionssteuer vom 28. September 2011 reagierte die Europäische Kommission auf die öffentliche Stimmungslage, die noch unter dem Eindruck der 2008 ausgebrochenen globalen Finanzkrise stand.
Für die Allgemeinheit galt die Finanztransaktionssteuer als Instrument, mit dem Banken und Finanzinstitute besteuert und so stärker an der Finanzierung sozialer und/oder ökologischer Ziele beteiligt werden sollten und das zudem Finanzspekulationen entgegenwirken sollte. Doch um ihre Initiative im Einklang mit den ihr nach den EU-Verträgen zustehenden Befugnissen zu bringen begründete die Kommission ihre Initiative mit dem Ziel, das ordnungsgemäße Funktionierens des EU-Binnenmarkts sicherzustellen und Verzerrungen des Wettbewerbs zu verhindern.
Mit dem 2011 vorgelegten Richtlinienvorschlag sollte die „Richtlinie des Rates von 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital“ abgeändert werden.
Dieser 2011 vorgelegte Vorschlag würde – so die damaligen Schätzungen der Kommission –den 27 Mitgliedsstaaten (unter Einbeziehung von Großbritannien aber ohne das damals noch nicht der EU beigetretene Kroatien) pro Jahr insgesamt 57 Mrd. EUR einbringen.
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, sollte die Finanztransaktionssteuer bei der überwiegenden Mehrheit der zwischen Finanzinstituten abgewickelten Transaktionen anfallen. Für Aktien- und Anleihegeschäfte sollte ein Steuersatz von 0,1 Prozent gelten; beim Handel mit Derivatekontrakten ein Satz von 0,01 Prozent. Die Finanztransaktionssteuer sollte anfallen, sobald eine an einer Transaktion beteiligte Partei in einem Mitgliedstaat der EU ansässig ist. Ausgenommen wären Transaktionen, die üblicherweise von Privathaushalten und Unternehmen der Realwirtschaft getätigt werden, wie Zahlungsvorgänge, Darlehen und Versicherungsgeschäfte.
Bei der Tagung des Rates am 22. Juni 2012 wurde deutlich, dass eine einstimmige Unterstützung der Finanztransaktionssteuer nicht gegeben war. Dementsprechend erklärte der Rat am 29. Juni 2012, dass es „innerhalb einer angemessenen Frist“ nicht zu einer Annahme des Richtlinienvorschlags für die Finanztransaktionssteuer kommen werde.
2) Der Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit im Jahr 2013
In der Folge wurde die Kommission von elf Mitgliedstaaten aufgefordert, einen neuen Richtlinienvorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorzulegen, der sich auf das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit nach Artikel 327 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) stützen sollte.
Im Oktober 2012 schlug die Kommission vor, das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit zu eröffnen, was seitens des Rates und des Parlaments gebilligt wurde. Einige Mitgliedstaaten lehnten selbst das auf Freiwilligkeit beruhende Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit ab. Die Besteuerung von Geschäften, bei denen nur eine der beteiligten Parteien in einem Land ansässig, das die Finanztransaktionssteuer anwendet, könnte sich auf die Steuereinnahmen der nicht am Verfahren teilnehmenden Länder auswirken – so die vorgebrachte Begründung.
Bei den elf Staaten, die den Antrag für eine verstärkte Zusammenarbeit stellten, handelte es sich um Belgien, Deutschland, Estland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei (Estland zog sich im Dezember 2015 aus dem Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit zurück).
Auf Wunsch der genannten Staaten sollte die neue Richtlinie in Umfang und Zielen dem ursprünglichen Vorschlag entsprechen, wie er im September 2011 von der Kommission vorgelegt worden war.
Am 14. Januar 2013 gestattete der Rat den elf Staaten, gemeinsam eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, wobei das Vereinigte Königreich, die Tschechische Republik, Luxemburg und Malta sich bei der Abstimmung enthielten.
Am 14. Februar 2013 legte die Kommission eine neue Richtlinie zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in elf Mitgliedstaaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit vor. Der Vorschlag entsprach weitgehend ihrer ursprünglichen Initiative. Der Anteil der elf Staaten am BIP der Eurozone wurde auf 90 Prozent geschätzt; ferner hätte die Steuer rund 85 Prozent der zwischen den Finanzinstituten der teilnehmenden Länder abgewickelten Finanzgeschäfte erfasst.
Die Einnahmen durch eine von elf Mitgliedstaaten erhobene Finanztransaktionssteuer wurde seitens der Kommission auf 30–35 Mrd. EUR pro Jahr geschätzt.
INFOKASTEN | VERSTÄRKTE ZUSAMMENARBEIT: Voraussetzung für das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit ist die Teilnahme von mindestens neun Mitgliedstaaten. Mitgliedstaaten, die sich nicht an dem Verfahren beteiligen, steht es unabhängig davon frei, auf nationaler Ebene eine eigene Finanztransaktionssteuer zu beschließen. Sofern sie mit den zugrundeliegenden Richtlinien einverstanden sind, haben die zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit, sich zu einem späteren Zeitpunkt dem Verfahren anzuschließen.
3) Die Position des Europäischen Parlaments zum Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer aus dem Jahr 2013
Das Europäische Parlament wurde zu dem neuen Kommissionsvorschlag für eine verstärkte Zusammenarbeit aus dem Jahr 2013 „konsultiert“. Da der Vorschlag in den Bereich der Steuerpolitik fiel, fand das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, bei dem das Parlament neben Kommission und Rat gleichberechtigt agiert, keine Anwendung.
Am 3. Juli 2013 nahm das Parlament eine Entschließung an, die eine Reihe von Änderungsvorschlägen im Blick auf den Kommissionsentwurf enthielt. Bezüglich der Ziele der Finanztransaktionssteuer ginge es darum, sicherzustellen, „dass der Finanzsektor angemessen und in beträchtlichem Umfang (…) Einnahmen für die öffentlichen Haushalte generiert“ und dass die Attraktivität von Finanzmarktgeschäften, die keinen Beitrag zu einer effizienteren Ressourcenallokation leisten, gemindert werden soll.
Eigenmittel
Die Entschließung wies darauf hin, dass gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 8. Februar 2013 zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014–2020 (…) ein Teil der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer als wirkliche Eigenmittel in den Unionshaushalt überführt werden“ sollte.
Obgleich die verstärkte Zusammenarbeit diesbezüglich Schwierigkeiten bereitet, verfolgte das Parlament das Ziel, „die gesamten (…) oder einen Teil“ der aus der Finanztransaktionssteuer erhobenen Mittel als wirkliche Eigenmittel in den Gemeinschaftshaushalt zu überführen. So erklärte es: „Die Verwendung der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer als Eigenmittel im Rahmen des Verfahrens der verstärkten Zusammenarbeit ist nur dann möglich, wenn die nationalen Beiträge der teilnehmenden Mitgliedstaaten zum Unionshaushalt um denselben Betrag herabgesetzt werden und unverhältnismäßige Beiträge seitens der teilnehmenden Mitgliedstaaten im Vergleich zu nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten vermieden werden.“
Außerbörslich („over the counter“) gehandelte Derivate
Das Parlament plädierte in seiner Entschließung dafür, weitere Arten von Finanzgeschäften in die Finanztransaktionssteuer einzubeziehen und nahm dabei insbesondere den Hochfrequenzhandel in den Blick. In diesem Zusammenhang forderte es weiterhin: „Um die Stellung regulierter Märkte und vor allem des Börsenhandels, der stark reguliert, kontrolliert und transparent ist, gegenüber dem ungeregelten, weniger kontrollierten und weniger transparenten außerbörslichen Handel zu stärken, sollten die Mitgliedstaaten außerbörsliche Transaktionen höher besteuern.“
INFOKASTEN | OTC-DERIVATE: Ein Derivat ist eine finanzielle Absicherung auf der Grundlage eines oder mehrerer Basiswerte, wie z. B. einem Rohstoff, einer Währung oder einer Anleihe. Als außerbörslichen Derivatehandel („over the counter“, OTC) bezeichnet man den, außerhalb regulierter Märkte stattfindenden, weitgehend ungeregelten Handel mit Derivaten.
Die Entschließung enthält folgende Klarstellung: „Wenn außerbörsliche Finanzgeschäfte mit Derivaten objektiv zu einer Risikominderung führen und demnach im Interesse der Realwirtschaft sind, sollten die höheren Steuersätze nicht für diese Transaktionen gelten.“
Steuersätze
Das Parlament machte keine Angabe dazu, welcher Steuersatz für den Handel von OTC-Derivaten gelten solle, sondern erklärte lediglich, dass auf derartige Transaktionen ein „höherer Satz“ [als 0,01 Prozent] anzuwenden sei.
Im Gegensatz zur Kommission, die für Mindestsätze eintrat, forderte das Parlament ferner, dass es sich bei den allgemein zur Diskussion stehenden Sätzen von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen bzw. von 0,01 Prozent auf Derivate um Einheitssätze handeln sollte.
Auswirkungen auf nicht teilnehmende Mitgliedstaaten
In einem scheinbaren Zugeständnis an bestimmte Mitgliedstaaten erklärte das Parlament in seiner Entschließung zudem: “Die Harmonisierung der Finanztransaktionssteuern der teilnehmenden Mitgliedstaaten sollte keine extraterritoriale Besteuerung nach sich ziehen, die die potenzielle Steuerbemessungsgrundlage nicht teilnehmender Mitgliedstaaten beeinträchtigt.”
4) Der deutsch-französische Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer nach dem Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit aus dem Jahr 2019
Die folgenden Jahre waren von zähen und erfolglosen Verhandlungen unter den elf teilnehmenden Staaten zur inhaltlichen Ausgestaltung der Finanztransaktionssteuer geprägt.
Im Mai 2014 verständigten sich zehn der damals elf teilnehmenden Mitgliedstaaten darauf, bis zum Januar 2016 eine Steuer auf Beteiligungstitel (d. h. Aktien) sowie „einige Derivate“ zu erheben. Slowenien stimmte dem nicht zu. Wie bereits erwähnt, stieg Estland im Dezember 2015 aus der verstärkten Zusammenarbeit aus und begründete dies damit, dass die Finanztransaktionssteuer in ihrer geplanten Form keine substanziellen Mittel einbrächte und Händler abschrecke.
Das französische Modell – Aktien und sonst nichts
Bei einem Treffen in Meseberg im Juni 2018 vereinbarten Deutschland und Frankreich, einen neuen Vorschlag auszuarbeiten. Als Grundlage sollte die bestehende französische Finanztransaktionssteuer dienen, unter die ausschließlich im Inland emittierte Aktien fallen. Im Januar 2019 legten die beiden Staaten den übrigen, am Verfahren beteiligten, Ländern ein entsprechendes gemeinsames Positionspapier vor.
Bei der Ratssitzung am 14. Juni 2019 wurde bekanntgegeben, dass die teilnehmenden Staaten einen Vorschlag diskutieren, der vorsah, einen nicht unter 0,2 Prozent liegenden Steuersatz auf „den Erwerb von Anteilsscheinen börsennotierter und in einem Mitgliedstaat der EU ansässigen Gesellschaften mit einer Marktkapitalisierung von über einer Milliarde Euro“ zu erheben.
Im Ratsvermerk heißt es hierzu: „Die Steuer würde bei der Übertragung von Eigentum anfallen, wenn Anteilsscheine von börsennotierten Aktiengesellschaften erworben werden.“
Zu den Transaktionen, die einer KPMG-Analyse zufolge nicht unter die Finanztransaktionssteuer fallen, gehören „Erstemissionen, Market-Making-Tätigkeiten, konzerninterne Transaktionen, Rückkaufsvereinbarungen und Reverse-Repurchase-Geschäfte, umgekehrte Pensionsgeschäfte, Wertpapierleihgeschäfte sowie „Buy-sell back“- bzw. „Sell-buy back“-Geschäfte.“ Eine fakultative Steuerbefreiung gelte zudem für Pensionsfonds.
Aufteilung der erhobenen Einnahmen
Der zentrale Streitpunkt zwischen den an der Initiative beteiligten Staaten ist offenbar der Mechanismus und die Formel zur Verteilung der Steuereinnahmen unter den Mitgliedstaaten.
Ein von fünf Mitgliedsstaaten unterstützter Vorschlag sieht vor, die Mittel nach dem Bruttonationaleinkommen (BNE) der beteiligten Staaten zu verteilen – unabhängig vom Volumen der Finanzgeschäfte, die in den jeweiligen Hoheitsgebieten getätigt werden.
Euractiv berichtete nach Einsicht des Vorschlags: „Spanien wäre (…) tatsächlich der größte Verlierer: Madrid würde rund 406 Mio. EUR der gemeinsamen Einnahmen erhalten, während die direkten Steuereinnahmen im Land 18,5 Prozent höher lägen, nämlich bei 498 Mio. Euro. Das zeigen vorläufige Schätzungen, auch aus Paris und Berlin.“
Die großen Gewinner bei Übernahme der „BNE-Formel“ wären Griechenland (+528,7 %), Österreich (+289,2 %) und Portugal (+100,8 %). Spanien stellt sich gegen diese Methode und Bundesfinanzminister Olaf Scholz lässt derzeit einen Kompromissvorschlag ausarbeiten.
Die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer würden vermutlich über nationale Beitragszahlungen in den EU-Haushalt oder den – bislang nicht vorhandenen – Eurozonenhaushalt fließen. (Indessen hat Deutschland bereits angekündigt, die Einnahmen von 2021 an zur Finanzierung einer neuen Grundrente einzusetzen.)
Um Klarheit über mögliche Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf ihre eigenen Bemessungsgrundlagen zu erhalten, beteiligen sich sämtliche Mitgliedstaaten an den laufenden Diskussionen. Zur Annahme der Richtlinie braucht es im Rat die einstimmige Zustimmung der zehn teilnehmenden Staaten, nachdem zuvor das Parlament angehört wurde.
5) Bewertung des aktuellen Vorschlags für eine Finanztransaktionssteuer
Der deutsch-französische Vorschlag schraubt die Ziele und den Anwendungsbereich der Finanztransaktionssteuer massiv zurück.
Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums fließen durch den neuen Vorschlag gerade einmal 3,4 Mrd. EUR pro Jahr (davon ca. 1,5 Mrd. EUR alleine an Deutschland).
Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf Aktien von Unternehmen, deren Wert mehr als 1 Mrd. EUR beträgt, führt dazu, dass die Finanztransaktionssteuer nur bei Finanzgeschäften von rund 500 Unternehmen greifen würde, von denen ca. 145 in Deutschland ansässig sind.
Außen vor bleiben Anleihen, Derivate und synthetische Anlageprodukte sowie der Bereich des Hochfrequenzhandels.
Was die Einnahmenseite angeht, so werden einige Mitgliedsstaaten nach dem aktuellen Vorschlag vermutlich mit Verschlechterungen rechnen müssen. Formen einer Finanztransaktionssteuer, wie z. B. die Stempelsteuer, werden bereits in neun Mitgliedsstaaten erhoben (dabei handelt es sich um Belgien, Zypern, Frankreich, Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Rumänien und Polen). Schließt sich ein Mitgliedsstaat der Gruppe der Teilnehmerländer an, muss es seine bestehende/n Finanztransaktionssteuer/n reformieren, um sie in Einklang mit der entsprechenden EU-Richtlinie zu bringen.
Fazit
Unter den aktuellen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer wird nur ein kleiner Teil der sichersten Finanzgeschäfte fallen. Die pro Jahr erhobenen Einnahmen – 3,4 Mrd. EUR – sind verschwindend gering; soziale, ökologische oder klimapolitische Ziele sucht man in der vorliegenden Initiative vergebens.
Ein erkennbarer Beitrag zur Stabilisierung der Finanzsysteme und einer Verminderung hochriskanter Praktiken ist nahezu ausgeschlossen. Denkbar ist vielmehr, dass die ausschließliche Besteuerung der sichersten Geschäfte – ganz im Gegenteil – eine Verlagerung von Finanztransaktionen in nicht regulierte Märkte befördert.
In einigen Mitgliedsstaaten, die bereits eine Finanztransaktionssteuer vorsehen, werden die im Rahmen der EU-Finanztransaktionssteuer erhobenen Mittel möglicherweise hinter den durch bestehende nationale Regelungen eingehenden Gelder zurückbleiben.
Bei den eingenommenen Mittel wird es sich nicht um neue Eigenmittel der EU handeln; stattdessen werden sie in die nationalen Beiträge der teilnehmenden Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt (oder einem künftigen Eurozonenhaushalt) fließen.
Somit können die eingenommenen Mittel theoretisch für Militär-, Sicherheits- oder sonstige Projekte mit sozial oder ökologisch schädlichen Auswirkungen innerhalb des EU-Haushalts eingesetzt werden – und eben nicht, wie von Aktivisten gefordert, als „Robin-Hood-Steuer“, d. h. zur Umverteilung von Geldern von Finanzkonzernen an einkommensschwache Bürger*innen.
Aufgrund des Ausmaßes des wirtschaftlichen Niedergangs infolge der Coronavirus-Pandemie wird es massive öffentliche Ausgaben und Investitionen brauchen, um Einkommen und Beschäftigung zu sichern und den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft in Angriff zu nehmen.
Eine ambitionierte Finanztransaktionssteuer, die Derivate und andere, von der gegenwärtigen Initiative ausgenommene, Finanzgeschäfte einbezieht, kann in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrument sein. Entscheidend ist, dass es sich nicht nachteilig auf Beschäftigte und arme Bevölkerungsgruppen auswirkt, sondern – im Gegensatz zu anderen, im Raum stehenden, regressiven Steuern – einen Beitrag zur Verringerung von Ungleichheit leistet.
Die deutsche Ratspräsidentschaft muss ihre Führungsrolle nutzen, um eine faire und ambitionierte Steuer auf Finanzgeschäfte durchzusetzen.
Kommissionsvorschlag 2011 | Kommissionsvorschlag 2013 | EP-Position 2013 | Deutscher Vorschlag 2019 |
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Gilt für alle EU-Mitgliedstaaten | Gilt für 11 an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten EU-Mitgliedstaaten | Gilt für 11 an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten EU-Mitgliedstaaten | Gilt für 10 an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten EU-Mitgliedstaaten |
EU-weit Einnahmen in Höhe von ca. 57 Mrd. EUR/ Jahr | Einnahmen in Höhe von 30–35 Mrd. EUR/ Jahr aus 11 Ländern | Einnahmen in Höhe von 30–35 Mrd. EUR/ Jahr aus 11 Ländern | Einnahmen in Höhe von 3,5 Mrd./Jahr aus 10 Ländern |
Betrifft 85 % der Finanzgeschäfte in der EU | Betrifft 85 % der Finanzgeschäfte in der EU | Betrifft mindestens 85 % der Finanzgeschäfte in der EU | Betrifft die Finanzgeschäfte von nur 500 Unternehmen in der EU |
von 0,1 % auf Aktien und Anleihen | Mindeststeuersatz von 0,1 % auf Aktien und Anleihen | Einheitlicher Steuersatz von 0,1 % auf Aktien und Anleihen | Mindeststeuersatz von 0,02 % auf Aktienanteile von Unternehmen mit einem Wert ab 1 Mrd. EUR (Höchstsatz von 0,3 %). Anleihen vollständig ausgenommen |
Mindestsatz von 0,01 % auf Derivate und sonstige Transaktionen | Mindestsatz von 0,01 % auf Derivate und sonstige Transaktionen | Mindestsatz von 0,01 % auf Derivate, die über zentrale Gegenparteien (CCP) gehandelt werden, und sonstige Transaktionen. Höherer Satz auf OTC-Derivate | Nimmt Derivate, synthetische Anlageprodukte und den Hochfrequenzhandel vollständig aus |
Erhebung zu Teilen als EU-Eigenmittel | Erhebung zu Teilen als EU-Eigenmittel | Erhebung „vollständig oder teilweise“ als EU-Eigenmittel | Keine Erhebung als EU-Eigenmittel |
Übersetzung aus dem Englischen: Hanna Penzer
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