Beitrag von Jürgen Klute

[Fotogalerie unter dem Text]

Auch Gelsenkirchen ist Europa. Aber nicht nur deshalb hat die Initiative „Wir sind Europa“ vom 25. bis 27. Februar 2019 eine Europa Werkstatt in einer der bedeutendsten Fußball-Städte Europas organisiert. Der wichtigste Grund ist die nahende Europawahl, die am 26. Mai stattfindet. Bürger*innen zu motivieren an der Europawahl teilzunehmen ist das wohl wichtigste Motiv für die Europa Werkstätten, die schon in einer ganzen Reihe von Städten stattfanden.

Open Space Europe im Kulturraum die „Flora“

„Europa ist weit weg und man bekommt wenig mit. Entscheidungen der EU sind langwierig und komplizier.“ Das war einer der Einstiegskommentare bei den Tischgesprächen beim „Open Space Europe“ am frühen Mittwoch Abend in der „Flora“ in Gelsenkirchen.
Doch dann wurde sehr schnell deutlich, dass Bürger*innen Europa viel stärker im Alltag erleben, als ihnen im ersten Moment bewusst ist. Da stehen plötzlich Auto mit Kennzeichen osteuropäischer EU-Mitgliedsländer in der Nachbarschaft im Halteverbot. Und anders als bei Autos mit deutschen Kennzeichen gibt es kein Knöllchen, beschwerten sich Teilnehmende aus der Gesprächsrunde.

Politikerinnen und Politiker, die auf europäische Ebene Entscheidungen treffen, sitzen im „fernen“ Brüssel (das geografisch aber doch nur gut zwei Autostunden von Gelsenkirchen entfernt ist). Aber die Auswirkungen ihrer Entscheidungen sind eben doch vor Ort im Alltagsleben spürbar. Denn die Personenfreizügigkeit der EU macht alle Bürger*innen der EU-Mitgliedstaaten zugleich auch zu Bürger*innen der EU, die das Recht haben, über all in der EU zu leben.

Ebenso wie die gemeinsame Währung, der Euro, macht die Freizügigkeit das Leben in der EU in vieler Hinsicht einfacher. Aber gleichzeitig ist das auch mit Herausforderungen verbunden. Wie im beklagten Fall, dass Autos mit osteuropäischen Kennzeichen bei Verstößen gegen Verkehrsregeln ohne Knöllchen bleiben, können die Probleme vor Ort allerdings nicht immer in Brüssel gelöst werden. Es gibt längst Regelungen auf EU-Ebene, die das EU-weite Zustellen von Bußgeldbescheiden auf einfachem Wege ermöglicht. Im konkreten Fall sind dann die Behörden und politisch Verantwortlichen vor Ort gefordert, solche Regeln im Alltag auch umzusetzen und anzuwenden. Aber da scheint es noch Nachholbedarf zu geben. Offensichtlich sind keineswegs die neuen Nachbarn, die den „Alteingesessenen“ Probleme bereiten, sondern vermeintliche „Kleinigkeiten“ wie Ungleichbehandlungen bei Regelverstößen, die Bürger*innen verärgern und manchmal auch Zweifel an der EU schüren. Gerade deshalb ist es wichtig, solche Bürger*innen-Dialoge zu führen. Das jedenfalls wurde sehr deutlich in dem Tischgespräch, an dem ich teilgenommen habe.

In anderen Tischgesprächen – es gab insgesamt 10 Tische – ging es um Bildungs- und Kulturaustausch, gemeinsame Werte und Fußball. Auch dort wurden nicht nur die Sonnenseiten der EU diskutiert, wie in der Abschlussrunde sichtbar wurde, sondern auch schattig Seiten. Diese Schattenseiten haben gar nicht mal immer nur mit Brüssel zu tun. Oft hapert es auch bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in Landesrecht.

Trotz der geäußerten Kritikpunkte gab es unter den Bürger*innen keine grundsätzliche Ablehnung der EU. Den Anwesenden war jedenfalls klar, dass die Vorteile der EU die Probleme deutlich überwiegen.

Es war auch nicht die Absicht der Veranstalter der Europa Werkstatt, eine Werbeveranstaltung für die EU durchzuführen, sondern mit den Bürger*innen über ihre Erfahrungen mit der EU ins Gespräch zu kommen. Deshalb gab es auch keinen politischen Reden, sondern die Teilnehmenden hatten das Wort. Ihrem selbst gesteckten Ziel ist die Europa Werkstatt an diesem Abend gerecht geworden.

Gespräche über Europa an verschiedenen Orten in Gelsenkirchen

Insgesamt bestand die Europa Werkstatt aus 5 Elementen. Am 27. Februar gab es zunächst einen Dialog zwischen Schüler*innen und Senior*innen im Max-Planck-Gymnasium. Dort ging es einerseits um die Frage, was wäre, wenn es die EU nicht gäbe, und andererseits um die Frage, wie die Zukunft der EU aussehen könnte oder sollte.

Anschließend gab es im AWO Quartierszentrum Feldmark einen Austausch mit Roma, die als EU-Bürger*innen von Bulgarien nach Gelsenkirchen gezogen sind. Es ging in dem Austausch um die Motive für den Ortswechsel nach Gelsenkirchen. Die nicht immer ganz einfache Situation in Bulgarien für Roma wurde dabei als Hauptmotiv genannt. Wie auf der Open Space Veranstaltung in der „Flora“ über diesen Austausch berichtet wurde, ging es aber auch um die Frage, wie sich die Situation in Bulgarien zum Besseren entwickeln ließe.

Das Thema Fußball darf in Gelsenkirchen selbstverständlich nicht fehlen. So gab es am Nachmittag ein Treffen mit Schalke-Fans. Was hat Fußball mit Europa zu tun war das Thema dieser Begegnung, in der es, so der Berichterstatter auch um Fragen ging, wie etwa Fußball-Fans mit rechten Gruppierungen umgehen.

Premiere Foto Workshop

Die Europa Werkstatt Gelsenkirchen war – wie schon gesagt – nicht die erste Werkstatt dieser Art. Dennoch gabt es eine kleine Premiere in Gelsenkirchen: Den Foto-Workshop EUROPA VISUALISIEREN.

Gut ein Dutzend Jugendlicher aus Gelsenkirchen sind der Einladung gefolgt und trafen sich bereits am 25. Februar im Consol Theater, um sich mit den Fragen auseinanderzusetzen:

  • Was gibt es in Gelsenkirchen zu sehen?
  • Was kann man im Alltag, in der eigenen Umgebung von „Europa“ erkennen?
  • Wie visualisieren wir die Ideen, die Europa zugrunde liegen, und wie fangen wir sie in Bildern ein?

Unter Anleitung von Pieter Boeder und Levan Khetaguri von „Wir sind Europa“ und dem Gelsenkirchner Fotografen Patrick Herrmann haben die Jugendlichen sich zunächst mit der Frage beschäftigt, was ihnen Europa bedeutet.

Aus den Antworten wurden dann drei thematische Gruppen gebildet. In den Gruppen wurde gemeinsam überlegt, wie man die Themen fotografisch darstellen kann.

Nach einer kurzen Anleitung zum Umgang mit den zur Verfügung gestellten Kameras ging es den auf Fotojagd in die Stadt. Selbstverständlich konnten die Jugendlichen neben den Kameras auch ihre Handys zum Fotografieren nutzen.

Foto: Pieter Boeder

Am Dienstag folgte die Bearbeitung der Fotos die Vorbereitung der Ausstellung, die dann im Rahmen des „Open Space Europe“ gezeigt wurde. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Levan Khetaguri, der Leiter des „Arts Research Institute of Georgia” (Georgien) hat dieses neue Format im Rahmen der Europa Werkstatt entwickelt. Mit diesem Format sollen Teenager gezielt angesprochen werden. Außerdem ist für die Webseite von „Wir sind Europa“ eine spezielle virtuelle Galerie geplant, in der die Fotos – auch die aus den zukünftigen Werkstätten – dauerhaft ausgestellt werden sollen, so dass auch nach dem Ende einer Europa Werkstatt Eindrücke und Ergebnisse sichtbar bleiben.

Unterstützt wird das Projekt „Wir sind Europa“ von der Stiftung Zukunft Berlin, dem Walter Hallstein-Institut der Humboldt Universität zu Berlin und dem Internationalen Journalisten-Programme IJP e.V. Die Stiftung Mercator unterstützt das Projekt finanziell.

Fotogalerie

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Titelfoto, Fotos im Text und Fotogalerie: Jürgen Klute CC BY-NC-SA 4.0

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