Ein Beitrag von Dr. Axel Troost

Axel Troost ist Ökonom, Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer der Gruppe alternativer Wirtschaftswissenschaftler, die seit über 40 Jahren jeweils Anfang Mai das alternative Wirtschaftsgutachten herausgeben, seit 2005 Mitglied des Bundestages und derzeitig finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Zudem ist er stellvertretender Parteivorsitzender der Partei Die Linke und im Parteivorstand zuständig für europapolitische Fragen.

Kürzlich hat er mit Klaus Busch, Gesine Schwan, Frank Bsirske, Joachim Bischoff, Mechthild Schrooten und Harald Wolf den Band „Europa geht auch solidarisch. Streitschrift für eine andere EU“ beim VSA-Verlag, Hamburg, veröffentlicht.

In diesem Beitrag stellt Axel Troost die Kernthesen dieser Streitschrift vor. Als PDF ist die Streitschrift hier erhältlich (dort gibt es auch einen Link auf die englische Version der Streitschrift): http://www.axel-troost.de/article/9298.europa-geht-auch-solidarisch-streitschrift-fuer-eine-andere-europaeische-union.html


Die Europäische Union steckt in einer existenziellen Krise. Die Wirtschaftskreisläufe sind seit Jahren gestört. Ganz Südeuropa leidet an Verarmung und hoher Arbeitslosigkeit. Die Europäische Zentralbank reiht eine Notfallmaßnahme an die nächste. In der Flüchtlingspolitik wurden die tiefen Gräben zwischen den EU-Staaten nur durch eine inhumane Abschottungsstrategie überbrückt. Und zuletzt hat der geplante Ausstieg der Briten die EU erneut schwer erschüttert.

Vielerorts in Europa erstarken nun Kräfte, die eine nationalistische Politik unbehelligt von europäischen Institutionen durchsetzen wollen. Auch in der LINKEN finden sich Stimmen, die den Euro auflösen oder aus der EU austreten wollen. Doch so verständlich der Unmut ist, tragen solche Ausstiegsszenarien wenig dazu bei, einer fortschrittlichen linken Politik Konturen zu verleihen und eine positive Botschaft zu vermitteln, die andere Bündnispartner mitreißen kann.

Die vielen Probleme aus der Zeit vor dem Euro (Dominanz der DM, über- und unterbewertete Währungen, spekulative Währungsattacken) zeigen, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen oder zum alten europäischen Währungssystem (EWS) nicht wirklich erstrebenswert ist. Denn dazu kämen schließlich noch die schweren Schäden, welche der Übergang zu einem neuen Währungssystem hervorrufen würde – ein Schock für die immer enger gewordenen wirtschaftlichen Beziehungen. Besonders hart wären Staaten mit hohen Staatsschulden und schwacher Wirtschaft betroffen: Sie wären zu einer harten Sparpolitik gezwungen, gleichgültig, ob sie links oder rechts regiert würden.

Foto: J. Klute

Die Auflösung des Euros ist daher ein Szenario, auf das man sich wohl oder übel vorbereiten muss, aber keine Lösung, die vorangetrieben werden sollte. Dies gilt auch für die Auflösung der EU. Denn der Nationalstaat ist nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation sowie internationale Organisationen, wie die EU, um diese Aufgaben zu bewältigen.

Allerdings: weder EU noch Euro haben in ihrer jetzigen Form eine Zukunft. Wenn sie Bestand haben und einem gedeihlichen Zusammenleben nicht im Weg stehen wollen, müssen beide radikal umgebaut werden. Seit die Wechselkurse als Korrekturfaktoren wegfallen sind, braucht gerade die Währungsunion neue Instrumente des Ausgleichs.

Erstens muss dazu die Fiskalpolitik, also die staatliche Ausgabenpolitik, viel stärker an den Erfordernissen des gesamten Euroraums ausgerichtet werden. Um die schwächelnde Wirtschaft zu stimulieren, muss die Austeritätspolitik beendet und durch ein europäisches Investitionsprogramm abgelöst werden. Es wäre die Aufgabe einer demokratisch gewählten europäischen Wirtschaftsregierung, über Eckpunkte für die nationalen Haushalte entsprechende Vorgaben zu machen. Der Wirtschaftsregierung würde auch die Kontrolle der folgenden Maßnahmen obliegen.

Die zweite Reformsäule müsste bei den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten ansetzen. Bisher tragen wirtschaftlich schwache Staaten die Bürde der Anpassung praktisch allein, was soziale Härten zur Folge hat. Zukünftig müssten auch Staaten mit hohen Überschüssen im Außenhandel dazu verpflichtet werden, auf eine ausgeglichene Leistungsbilanz hinzuarbeiten. Im Zweifelsfall drohten hohe Geldstrafen. Für Deutschland hätte diese Regelung ein besonderes Gewicht. Maßnahmen zur Steigerung des Lohnniveaus und öffentliche Investitionen wären angesichts der jahrelangen Fehlentwicklungen quasi unvermeidlich.

Drittens müssten Beschäftigung, Lohn- und Einkommenspolitik und soziale Sicherung in der Union einen deutlich größeren Stellenwert erhalten. Es wäre ein Leichtes, mit Hilfe von klar definierten Indikatoren die Entwicklungen in diesen Bereichen zu beobachten (sei es bei Arbeitslosenquoten, bei der Entwicklung von Lohnstückkosten oder in der Höhe der Gesamtausgaben für soziale Sicherung) und bei Fehlentwicklungen korrigierende Maßnahmen zu erzwingen.

Um sich nicht durch die Finanzmärkte erpressen zu lassen und die Zinsunterschiede zwischen den Eurostaaten zu reduzieren, sollten sich diese zudem zukünftig über gemeinschaftlich aufgelegte Euro-Anleihen finanzieren. Dazu kämen neue Spielregeln für die Finanzmärkte und eine gemeinsame Steuerpolitik, die gegen Steuerdumping und legale und illegale Formen der Steuervermeidung vorginge.

Zudem kommt die EU nicht herum, legale Zugangswege für Flüchtlinge zu schaffen und Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Beseitigung von Fluchtursachen zu mobilisieren.

Jede einzelne dieser Maßnahmen wäre schon ein kleiner Erfolg. In ihrer Gesamtheit zeigen sie einen Weg auf, die EU und den Euro in Richtung eines solidarischen Europas zu transformieren.

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