Der ehemalige heute in Brasilien lebende Europaabgeordnete Wolfgang Kreisl-Dörfler berichtet seit längerem auf seiner Facebook-Seite über die katastrophalen sozialen und ökologischen Entwicklungen in Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro und fordert vehement ein, dass die EU die Verhandlungen über das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen angesichts dieser Entwicklungen stoppt.
Gerhard Dilger, der frühere Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo (Brasilien) und heutige Leiter des Stiftungsbüros in Buenos Aires (Argentinien), hat in einem kritischen taz-Artikel vom 3. Juli 2020 (Streitpunkt Freihandel: Mercosur-Abkommen stoppen) die Hintergründe des Abkommens dargestellt.
Und bereits am 29. Juni 2020 berichtete die taz, dass NGOs fordern, die Bundesregierung solle ihre Ratspräsidentschaft in der 2. Hälfte 2020 nutzen und die Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen einstellen (Bündnis fordert Stopp).
Der Hintergrund dieser zunehmend lauter werdenden Kritik am EU-Mercosur-Abkommen ist, dass die Bundesregierung offenbar vorhat, während ihrer Ratspräsidentschaft vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 dieses Abkommen voranzubringen.
Anlässlich der Vorstellung des Programms der Bundesregierung für ihren sechsmonatigen EU-Ratsvorsitz am 8. Juli im Plenum des Europäischen Parlaments, fordert der linke Europaabgeordnete Helmut Scholz, die Chance zur Neuausrichtung der EU-Handelspolitik infolge der COVID-19-Pandemie nicht verstreichen zu lassen. Der handelspolitische Sprecher der EP-Linksfraktion GUE/NGL führt dazu aus:
In Brasilien brennen erneut die Amazonas-Wälder. Das Ausmaß ist schlimmer als je zuvor. Brasiliens Präsident Bolsonaro setzt den Vorschlag seines Umweltministers um, die ungeteilte Aufmerksamkeit für die Corona-Krise zu nutzen, um im Amazonasgebiet Fakten zu schaffen. Angefacht werden die Brände von Profitgier, die sich aus der Aussicht auf erweiterte Exportmöglichkeiten für Soja und Fleisch durch das vorbereitete Handelsabkommen mit der EU nähren.
EU Handelskommissar Hogan kündigte am Montag im Handelsausschuss an, das Abkommen dem Rat und Europaparlament im Oktober zur Entscheidung vorlegen zu wollen. Ich fordere die deutsche Ratspräsidentschaft auf, nun ein Zeichen zu setzen. Stellen Sie klar, dass die Umweltschutzversprechen dieser brasilianischen Regierung aus Sicht der EU wertlos sind. Bolsonaro erfüllt nicht den Anspruch an Vertrauenswürdigkeit, um mit ihm ein umfassendes Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit Kapiteln zu Umweltschutz und Arbeitsbedingungen zu unterschreiben. Nehmen Sie das EU-MERCOSUR Abkommen von der Tagesordnung des Rates.
Ich begrüßte dagegen den offiziellen Beginn der Überarbeitung der EU-Handelspolitik. Die öffentliche Konsultation, mit der Kommissar Hogan online Positionen einholen will, wie die EU-Handelspolitik überarbeitet werden sollte, kommt genau zur richtigen Zeit. Bis Mitte September sind Bürger*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Parlamente und andere Interessensträger*innen aufgefordert, sich schriftlich einzubringen. Im Dezember will Hogan dann seine neue Handelspolitik präsentieren.
Ich sehe hier eine zentrale Aufgabenstellung für Bundeskanzlerin Merkel: Der Verlust an Artenvielfalt ist laut Wissenschaft die Hauptursache für Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten wie COVID-19. Die Art und Weise der Produktion in allen EU-Mitgliedstaaten und damit auch die bisherige Handelspolitik der EU haben wesentlich auch jene Anreize geschaffen, die zu Abholzung und Umweltzerstörung führten. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss dafür sorgen, diese Gelegenheit für eine grundlegende Reform zu nutzen. Wir können nicht weitermachen wie bisher. Lediglich auf Profit und Wachstum ausgerichtetes Agieren der Unternehmen aus der EU und Partnerländern, das den Schaden missachtet, der dadurch an Umwelt, Klima und Lebensbedingungen verursacht wird, kann nicht länger Maßstab für Wirtschaft und Handel sein.
Es ist höchste Zeit, die Aufgabenstellung der Handelspolitik zu ändern. Wir müssen den Erfolg unserer Politik künftig daran bemessen, ob sie eine Unterstützung für die Umsetzung der UNO-Nachhaltigkeitsziele bis 2030, eine Förderung des sozial-ökologischen Umbaus in der EU und in anderen Regionen der Welt liefert. Profitgier ist ein schlechter Ratgeber. Wir brauchen Handelspartnerschaften, die aufbauen statt ausbeuten!
Des weiteren verweist Helmut Scholz auf eine Studie, die im Auftrag des Handelsausschusses des Europaparlaments (INTA) kürzlich erstellt und veröffentlicht wurde. Die Studie untersuchte und weist eindeutig den Zusammenhang zwischen der EU-Handelspolitik und dem Verlust der Artenvielfalt nach. Die wissenschaftliche Studie warnt vor den Folgen des Abschlusses von Handelsabkommen mit Partnern, die negative Auswirkungen des intensivierten Handels auf die Artenvielfalt nicht durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen kompensieren können.
Die englischsprachig verfasste Studie ist hier abrufbar.
Titelbild: Stop Mercosur | Foto: Campact CC BY-NC 2.0 via FlickR
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